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Der Spätherbst war inzwischen gekommen; Frau Adelgunde von Klamm hatte es durchgesetzt, daß ihr Mann sich damit einverstanden erklärt, den Winter in Berlin zu verleben.
Als Aufenthalt hatten sie sich das Parkhotel am Potsdamerplatz ausgesucht. In dieses zogen sie in den ersten Tagen des Oktober ein, und nahmen drei Gemächer in der ersten Etage nach vorn in Besitz.
Dem Sträuben Klamms, der auf dem Lande hatte bleiben wollen, – der sich, weil er seine Stadtpläne nicht verwirklichen konnte – auf die dortige Thätigkeit mit allem Eifer geworfen, – hatte sie entgegengehalten, daß man in seiner Mutter Nähe gelange, daß man der alten Dame die Freude machen müsse.
Frau von Klamm war nach der schweren Krankheit noch immer leidend, aber sie liebte trotzdem Geselligkeit, und sie war besonders glücklich, wenn sie ihren Sohn womöglich täglich sehen und sprechen konnte. –
Theodor Knoop hatte durch einen seiner Helfershelfer, einen gewissen Schmeidel, bei Herrn von Klamm vorgefragt, ob er das Knoopsche Geschäft kaufen wolle. Klamm hatte erwidert, daß er nicht abgeneigt sei, wenn die Offerte von der Familie Knoop selbst an ihn gelange.
Allerdings hatte Frau von Klamm wiederum stärksten Einspruch erhoben, und nicht Schwäche, aber die Fessel, die Klamm angelegt war, weil seine Frau das Geld besaß, hatten ihn bewogen, dem dann inzwischen wirklich eingegangenen Antrag von der Firma Knoop vorläufig noch keine Folge zu geben.
Sehr schwer war's ihm geworden, und starke Kämpfe waren damit verbunden gewesen.
»Du hast ja eine Thätigkeit, mein lieber, teurer Freund! eine Thätigkeit, die dich befriedigt, die für dich paßt, deinem Stande angemessen ist,« hatte sie erörtert. »Weshalb immer wieder auf diese Pläne zurückkommen! Thu's mir zu Liebe und gieb die Gedanken an!
»Bedenke auch! In welche Nesseln du dich setzest! Du wirst deines Lebens nicht froh werden, wenn du in all das Gezänk verflochten wirst!
»Und nicht ungefährlich ist's bei der starken Konkurrenz, dafür ein solches Kapital zu wagen! Weshalb darauf ausgehen, wo in anderer Weise ohne Fährlichkeiten und Aerger dasselbe zu erreichen ist.«
Klamm hatte nur mit wenigen Worten erwidert.
»Du kannst es nicht vergehen, daß ich grade dafür Neigung besitze, weil du eine Frau, ein Kind der Gesellschaft bist. Ich kann immer nur wiederholen, daß mich grade eine solche Beschäftigung mehr anzieht, als irgend eine andere! Frage den Musikfreund, weshalb er grade die Tonkunst, den Künstler, warum er die Malerei liebt und in deren Förderung sein volles Genüge findet!? Ist es nicht etwas Herrliches, durch die Presse den Sinn für edle Dinge, Fortschritt, das Interesse für Kunst und Wissenschaft zu heben, ein Kulturförderer in bester und auch in wirksamster Weise zu sein?
»Ist es nicht überaus anziehend, auch die praktische Seite des Schrifttums, das Buchdruckereigewerbe und seine Vervollkommnung zu pflegen?«
»Hm – aber nun grade das Knoopsche Unternehmen! Ich würde zu stolz sein, um mich diesen Personen wieder freiwillig zu nähern, dadurch all die alten Dinge aufzurühren, Alfred!«
»In dieser einen Beziehung muß ich dir recht geben, Adelgunde! Ich habe ja auch deshalb erwidert, daß ich die Offerte von der Familie erwarte.
»Aber noch mehr! Ich habe ja bisher noch gar nicht von mir hören lassen –«
»Mag es auch so bleiben, liebster Alfred! Schreibe ab! Beschäftigen wir uns mit anderen Dingen. Zunächst wollen wir einmal unsere Visiten machen, deine und meine Bekannten aussuchen!«
So hatte das Gespräch sein Ende gefunden, und Klamm hatte auch jetzt, bei seiner Anwesenheit in Berlin noch von einer Berührung mit Herrn Knoop völlig Abstand genommen. –
Inzwischen aber hatte Theodor Knoop nicht geruht. Er war nach allen Richtungen thätig gewesen, um das Geschäft vorteilhaft zu verkaufen und den Nobilitierungsplänen weiteren Vorschub zu leisten. Zu dem Verlobungsfest Arthurs mit Ileisa war er mit eingeladen worden, und diese Gelegenheit weicherer Stimmungen hatte er benutzt, um von seinem Bruder einen Provisionsschein zu erhalten. Würde das Geschäft, wie es geplant war, für drei und eine halbe Million verkauft, erhielt er 25 000 Mark Vermittlungsgebühr, und erfolgte die Standes-Erhöhung, würden ihm weitere 20 000 ausgezahlt.
Er solle aber darüber nicht reden, auch mit Arthur nicht! hatte ihm Friedrich Knoop auf die Seele gebunden.
Als Klamm sich trotz des Angebots, das ihm durch Theodors Handlanger gemacht worden war, nicht meldete, warf sich Theodor auf die anderweitig vorgesehene Realisierung des Verkaufs des Geschäftes, hielt aber Klamms Mitwirkung dabei doch im Auge.
Er erklärte der Bank, an die er herantrat, daß ein künftiger Leiter in der Person des Herrn von Klamm nicht nur gewonnen sei, sondern daß sich dieser auch mit einem sehr erheblichen Kapital beteiligen werde. Auch Knoops würden Aktien statt Geld nehmen, und Herr Arthur Knoop werde als Aufsichtsrat später thätig sein.
Ueberdies hatte er auch gleich den sogenannten Emissionsplan vorgelegt. Nicht dreieinhalb Millionen, sondern vier Millionen Aktien sollten öffentlich von der Bank aufgelegt und dem Publikum zur Beteiligung angeboten werden. Nach den bisherigen Einnahmen ergab sich dann immer noch, wie er ihnen vorrechnete, eine jährliche Verzinsung von neun bis zehn Prozent.
Wiederholte, sich ziemlich lang hinausziehende Besprechungen endeten mit der Bereitwilligkeit der Bankdirektion, in eine Prüfung des Geschäfts einzutreten. Sie sollte durch zwei der Bank kundige und vertrauenswerte Persönlichkeiten vorgenommen werden. Sie hatten die Aufgabe, die Gebäude, die Maschinen und das gesamte Inventar abzuschätzen und die Bücher des Geschäftes einzusehen.
Ergab sich wirklich ein solcher Nutzen, sollte in ernsthafte Verhandlungen eingetreten werden.
Unter solchen Umständen mußte aber Theodor nun doch an Klamm herantreten. Daß sich Klamm mit Kapital und seiner Arbeitskraft beteiligen werde, hatte die Bank, die Erkundigungen nach ihm eingezogen, als Vorbedingung hingestellt. Gegen Arthur Knoop hatte sich wegen seiner Jugend Bedenken erhoben; auch ergaben die Ermittelungen, daß er mehr Sportsmann und Lebemann, denn ein eifriger Geschäftsmann sei. –
Bei einer Unterredung, die zwischen Arthur und Theodor stattgefunden, hatte Arthur gedrängt, daß Klamm nunmehr baldigst bestimmte Erklärungen gäbe.
Theodor hatte bisher mitgeteilt, daß Klamm ihm gesagt, daß er in irgend einer Form der Sache näher treten wolle. Er hatte Arthur unter dem Eindruck gelassen, daß er persönlich mit ihm verhandelt habe.
Um nun nicht der Lüge überführt zu werden, mußte er den Gang zu Klamm schon wagen. Er wollte ihm erklären, daß er im besonderen Auftrag des Herrn Knoop komme, und gab sich der Hoffnung hin, dadurch einer unhöflichen Behandlung von seiten Klamms enthoben zu werden.
Ließ sich Klamm, wie er voraussetzte, auf Besprechungen ein, wollte er alles vorbringen, was er den Bankdirektoren und Knoops als thatsächlich bereits erzählt hatte. Theodor hatte auch, wie es schien, Glück. Herr von Klamm ließ, als der Oberkellner bestellte, daß Herr Theodor Knoop im Auftrage des Herrn Friedrich Knoop komme, und bäte, den Herrn Baron sprechen zu dürfen, heraussagen, er werde sich unten im Konversationszimmer einfinden.
»Was wünschen Sie?« begann Herr von Klamm mit eisiger Miene und Betonung, als er in den erwähnten Salon eintrat und sich Theodor erhob und eine besonders höfliche Verbeugung machte.
Theodor brachte vor, was er zu sagen hatte. Er knüpfte daran an, daß Herr von Klamm erklärt habe, daß er das Angebot von Knoops in Ueberlegung ziehen wolle.
»Ja, aber ich muß dennoch ablehnen. – Sie wollen das, da Sie als Beauftragter des Geschäftsinhabers erscheinen, Ihrem Herrn Bruder mitteilen. – Sonst noch etwas?« schloß Klamm und machte eine Bewegung zum Gehen, die hinreichend bewies, daß er mit dem Besuch ferner zu konferieren nicht wünsche.
Aber Theodor ließ sich nicht abschrecken. Er sagte nun das, was er klüglich zuerst nicht in Vorschlag gebracht, das, was er der Bank aber bereits mitgeteilt hatte.
Er bat Klamm, die Oberleitung zu übernehmen, erzählte, daß ein Kapitalisten-Konsortium die Sache kaufen, in eine Aktiengesellschaft verwandeln und grade ihn als Geschäftsleiter erwählen möchte. Man hoffe, daß sich Klamm auch mit einem Kapitalbetrag des ihm ja sehr bekannten Geschäftes beteiligen werde. Er fügte hinzu, daß sich Knoops ganz zurückziehen wollten.
Höchstens sei der junge Herr Knoop bereit, sich mit in den Aufsichtsrat einzureihen. Klamm überlegte rasch. Bei solcher Sachlage würde Adelgunde vielleicht keine Einwendungen erheben. Einen geringen Teil ihres Kapitals würde sie dann nur riskieren, und sicher würde er ihren Widerstand beseitigen, wenn er lediglich die Stellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrates übernähme.
Thatsächlich würde er aber dann schon die Mittel und Wege finden, die Zügel ganz in seine Hände zu bekommen.
Das klang dann ganz anders! Das stimmte dann mit dem überein, wozu sich auch sonst adlige Personen verstanden. Klamm konnte alle seine Wünsche erfüllen, wenn die Dinge sich so vollzogen.
Er erwiderte in diesem Sinne knapp und kurz und schloß:
»Ich wünsche aber mit der Bank selbst zu verhandeln! Welche ist es? – Sie werden von dort über meine Entschließungen verständigt werden –«
Hierauf nickte er und machte abermals eine Bewegung, sich zu entfernen.
In Theodor schwoll's auf! Das ging ja alles herrlich! Aber eben nun mußte das Eisen noch gleich ganz geschmiedet werden. Er wollte Alfred überreden, ihm eine feste, prinzipielle Zusage zu erteilen.
Als er jedoch zu diesem Zwecke nochmals anheben wollte, richtete sich Klamm mit äußerst brüsker Miene empor und sagte:
»Ich muß es ablehnen, mit Ihnen auch über das Allernotwendigste noch ferner zu sprechen. Es geschah überhaupt nur, weil Sie im Auftrage Ihres Herrn Bruders zu kommen erklärten. Wäre das nicht, hätte ich Sie gar nicht empfangen, und ich rate Ihnen dringend, nicht noch einmal den Versuch zu machen, sich mir zu nähern.
»Bedingung für meinen Eintritt ist überhaupt, daß ich nichts – gar nichts mit Ihnen in Zukunft zu thun habe. Solches werde ich auch allen Beteiligten mitteilen. – Adieu!«
Theodor Knoop schoß das Blut in den Kopf, eine rasende Wut ergriff ihn. Statt zu gehen, statt alles hinzunehmen, statt ein erklärend besänftigendes Wort zu sprechen, um sich so den Abgang zu erleichtern sagte er:
»Wohlan, mein Herr! Nach Ihrem Belieben! Ich darf mir aber wohl die Frage erlauben, was Sie berechtigt, mich in solcher Weise zu beleidigen?
»Sollten es die alten Märchen sein, daß ich Ihre Frau Mutter bei Gutskäufen geschädigt habe, so erkläre ich das für eine Lüge. Ich kann Ihnen nur dringend raten, daß Sie Ihre Verleumdungen nicht fortsetzen! Also nicht Sie haben ein Recht, eine solche Sprache zu führen, sondern ich könnte Sie wegen Ihrer Nachreden, die sich auf völlig vage Vermutungen stützen, zur Rechenschaft ziehen. Ich habe Ihre Frau Mutter nie mit Augen gesehen!«
Theodor hatte seine Rede kaum beendet, als schon ein, mit einer befehlenden, jeden Widerstand aufhebenden Handbewegung begleitetes: »Hinaus! Augenblicklich hinaus!« in einem so drohend lauten Ton erfolgte, daß es hell durch die unteren Räume des Hotels ertönte, und Anlaß gab, daß sich mehrere nebenan befindliche, beim zweiten Frühstück sitzende Gäste erhoben und herbeieilten, aber auch der Portier unmittelbar darauf mit besorgter Miene den Kopf durch die Thüröffnung steckte.
»Lassen Sie dieses Subjekt niemals wieder vor! Hören Sie, Portier! Er soll mir nicht mehr gemeldet werden!« befahl Klamm in einem kurz befehlenden, sehr scharfen Ton. Während sich Theodor, zitternd und zähneknirschend vor Wut, entfernte, schritt er auf dem entgegengesetzten Weg zum Außenflur, um sich wieder in sein Zimmer zu begeben.