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Arthur war bereits seit einigen Stunden abgefahren. Ileisa hatte während dieser Zeit ihren Gedanken eine geordnete Richtung zu geben versucht, und zuletzt den Entschluß gefaßt, sich dahin zu flüchten, wo sie bisher immer noch in ihrem Leben Trost und Kräftigung für ihre Seele gefunden: ins Freie, in die Natur! –

Diesmal wählte sie aber einen anderen Weg wie jüngst.

Sie wollte unter allen Umständen vermeiden, Adelgunde zu begegnen. Schon bei der bloßen Vorstellung, sie könne ihr wieder gegenübertreten, überlief sie ein angstvolles Gefühl. So nahm sie die Richtung nach einem kleinen Walde, der zu dem Gute gehörte. Man mußte ihn durchschreiten, wenn man zur Eisenbahn wollte.

Während sie noch – alles wieder überdenkend – dahinwandelte, auch übersann, daß sie doch noch heute eine Unterredung mit ihren Schwiegereltern über die Geschehnisse herbeiführen müsse, begegnete ihr eine ältere Frau, die aus dem Dorf gebürtig war und fast täglich bei Klamms Dienstleistungen verrichtete. –

Sie gehörte zu den gutherzigen, aber zugleich schwatzlustigen Personen, denen man lieber ausweicht. Heute nun hatte sie etwas ganz Besonderes zu berichten und nahm, nachdem sie Ileisa ehrerbietig gegrüßt, unaufgefordert das Wort, und sagte eifrig:

»Haben gnädige Frau schon gehört, daß auf der Bahn ein Unglück passiert ist?!«

»Nein, nichts habe ich gehört. Was ist denn geschehen?«

»Ja, eben erzählte es mir der Jäger vom Grafen drüben in Edelmark. Unser Herr Baron ist noch glücklich davon gekommen, er hat es sogar zuerst gemerkt und hat gleich vorgebeugt. Er ist während des Fahrens auf das Trittbrett geklettert und ist nach der Maschine gegangen.

»Da hat der Lokomotivführer den Zug zum Halten gebracht.

»Nu ist man einiges Vieh verunglückt; wären sie noch etwas weiter gefahren, hätte es ein großes Malheur gegeben.«

»So – so –! Das ist ja sehr erfreulich, daß alles so gut abgegangen ist. Wo kam denn Herr von Klamm her? Von Berlin?« forschte Ileisa. Und gleich fügte sie hinzu:

»War Frau Baronin auch mit im Zug?«

»Ach, nein! Die nicht! Die ist ja schon gestern nach Berlin abgereist, ganz plötzlich! Wissen gnädige Frau das gar nicht?«

Ileisa verneinte. Es bemächtigte sich ihrer eine starke Spannung. Ein ahnendes Gefühl sagte ihr, daß Adelgundens Entfernung mit der Unterredung in Verbindung stehe, die zwischen ihr und Alfred stattgefunden hatte.

»Weshalb ist denn Frau von Klamm so plötzlich abgereist?« warf sie, im Ton gelassen, hin.

Die Frau machte eine geheimnisvolle Miene.

»Ich weiß es nicht genau. Ich hörte man, daß sie in der Küche allerlei sprachen. Der gnädige Herr und die gnädige Frau sollen sich mächtig erzürnt haben. – Sie bleibt auch in Berlin, er bleibt aber noch hier. Er kommt gleich; er ist schon unterwegs. Der Jäger sagte es.«

Ileisa hätte noch mehr fragen mögen. Aber es widerstand ihr, die Neugierige zu spielen. Auch beunruhigte sie der Gedanke, daß sie Klamm begegnen könne. Sie fertigte deshalb die Frau mit einigen Worten ab und schlug einen Seitenpfad ein.

Aber nachdem sie kaum fünfzig Schritt gegangen war, kam Klamm ihr entgegen.

Er schritt nachdenklich einher und sah Ileisa erst, als sie eben in den Nebenweg einbiegen wollte.

Beide waren verwirrt, fast bestürzt. Aber Klamm faßte sich rasch, lüftete den Hut, und sagte in einem warmen Ton:

»Welch ein abermaliger, glücklicher Zufall, gnädige Frau! Wollen Sie nach Hause? Darf ich Sie begleiten?«

Ileisa hätte lieber »nein« gesagt, aber sie fügte sich, da sie keinen Ablehnungsgrund fand, und schloß sich Klamm an.

»Ich hörte eben, daß sich ein Eisenbahnunglück ereignet hat,« nahm Ileisa das Wort, um das Gespräch gleich auf ein möglichst unpersönliches Gebiet zu leiten.

Klamm nickte und berichtete.

Wie immer war, was geschehen, von dem Berichterstatter stark übertrieben; aber es bestätigte sich, daß Klamm, da keine Notleine im Coupé gewesen, letzteres geöffnet und bis zur Maschine geklettert war.

»Das können doch auch nur Sie thun,« stieß Ileisa unwillkürlich heraus. »Ich würde es vor Angst nicht wagen. Andere würden es auch nicht versuchen –«

»Das Gefahrvolle liegt doch nur in der Vorstellung,« entgegnete Klamm. »Die Schaffner revidieren doch während der Fahrt die Billete –«

»Ja, die – sie sind's gewohnt,« meinte Ileisa.

Für Augenblicke stockte das Gespräch. Klamm hatte nichts erwidert, und die junge Frau war gesenkten Hauptes neben ihm hergeschritten.

Nun aber blieb Klamm stehen, sah sich um, ob er mit Ileisa allein sei, und sagte:

»Erinnern Sie sich noch, daß wir schon einmal so neben einander hergingen, gnädige Frau? Sie entwichen mir damals rasch. Sie waren mir nicht wohlgesinnt, und nun, da Ihre guten Gesinnungen zurückgekehrt sind, trotz der Erregung meiner Frau, werden wir durch andere Umstände getrennt.

»Sie werden sich wundern, daß ich auf alte Zeiten zurückkomme. Aber ich habe den heißen Drang nach Aussprache. Ich bitte, gehen wir noch eine Weile hier, machen wir einen kleinen Umweg. Fürchten Sie nichts« – fügte Klamm bitter lächelnd hinzu –«meine Frau ist in Berlin. Sie wird uns nicht wieder beobachten. –

»Und Sie – Sie? – Ich hörte auf dem Bahnhof, daß Ihr Herr Gemahl zur Stadt gefahren sei. So wird auch er nicht schmollen können, daß ich die Gelegenheit ergreife, mich von alten Zeiten wieder mit Ihnen zu unterhalten – Nicht wahr, Herr von Knoop ist nicht auf dem Gute?«

»Nein – – Und er wird auch« – Ileisa sprach's, obschon sie es eigentlich nicht wollte, obschon sie es, nachdem es geschehen, schon bereute –«er wird auch nicht mehr zurückkehren –«

»Wie? Er wird nicht mehr zurückkehren?«

»Nein! – Wenigstens nicht zu mir –«

»Gnädige Frau! – Was Sie mir sagen. Bitte, reden Sie. – Schenken Sie mir Ihr Vertrauen.«

Ileisa zauderte, sie hob die Schultern und atmete tief auf. Aber in der Ueberlegung, daß ihr Mann ihr ihre Freiheit bereits zurückgegeben, überwand sie alle Bedenken. Auch drängte es sie, wie ihn, nach Aussprache, nach Ablösung von der Qual ihres Innern.

»Mein Mann erklärte mir vor einigen Stunden, daß er sich mit seinem Vater überworfen habe, daß er sich auf eigene Füße stellen, aber auch, daß er die Ehe mit mir wieder lösen wolle. –«

»Wie? Das that er? Das ist geschehen? Und die Gründe?«

Ueber Ileisas Angesicht flog ein hartes Lächeln.

»Gründe? Er erklärte mir, daß er mir durchaus nichts vorzuwerfen, daß er aber eingesehen habe, daß wir nicht für einander passen. Er berief sich bei seinen kaltherzigen Erklärungen auf den Umstand, daß ja – auch – ich – ihn nicht liebe – –«

»Und das stimmt mit den Thatsachen überein?«

Statt zu antworten, senkte Ileisa das Haupt, und ihre Hand strich über ihre Augen, aus denen es unaufhaltsam hervortropfte. –

»Ah – Sie arme, liebe Frau,« flüsterte Klamm weich.

»Wie fühle ich mit Ihnen – doppelt, da ich mich in gleicher Lage befinde.

»Ja, in demselben Vertrauen, das Sie mir geschenkt haben, und das ich ehren werde, bekenne ich Ihnen, daß ich fast vor einer gleichen Entscheidung stehe, insofern schon, als auch ich nicht glücklich bin.

»Seien Sie nicht traurig, wenn sich alles friedlich lösen kann. Sie sind die Bevorzugte. – Ich – ich vermag mich niemals von meiner Frau zu trennen, es sei denn, sie legte diesen Wunsch an den Tag.

»Mein freier Wille ist durch das Gefühl der Dankbarkeit, das ich ihr für ihre aufopfernde Pflege in meiner lebensgefährlichen Krankheit schulde, gebunden. Eben dies Gefühl war's ja auch, das mich damals veranlaßte, ihr meine Hand zu reichen. –

»Ja, gnädige Frau – wir sind beide den falschen Weg gegangen, Sie, indem Sie, statt Ihr Herz sprechen zu lassen, damals Ihrer Umgebung allzu viel Gehör über mich schenkten, und ich, indem ich zu weich an unrechter Stelle war – etwas that, das, ich wußte es, mich einst gereuen würde. Nun ist für mich ein Glück in der Ehe dahin. Selbst meine Arbeit, die mich entschädigen könnte, macht mich nicht froh, weil meine Frau auch auf sie scheel herabsieht, sie mir fortwährend zu verleiden sucht.

»Doch ich spreche von mir; – reden Sie – ich bitte Sie – von sich. Nur das allerwärmste Interesse leitet mich. Ich möchte Sie ja so gern glücklich wissen –«

Er sprach die letzten Worte so weich und herzlich, und seine Empfindungen waren so lebhaft, und seine Gefühle quollen so stark über, daß er ihr näher trat und sie unwillkürlich sanft an sich zog.

Und da neigte sie stumm das Haupt, und weinte sich aus wie ein schluchzendes Kind. –


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