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Der Abend, an welchem der Ball bei Knoops stattfinden sollte, war herangekommen. Während in den Seitenflügeln: in dem Kontor und den übrigen Räumen noch die Arbeitslichter flammten und die Scheiben in den großen Gebäuden von oben bis unten erhellten, fuhren Equipagen auf Equipagen vor das Portal des Wohnhauses des Herrn Friedrich Knoop.

Und er und die Familie standen in ihren durch mächtige strahlende Kronenerleuchteten Gemächern, und warteten vorn bei der Eingangsthür der Gäste, bis sich alle mit Ordensbändern geschmückten Herren, und alle in ihren kostbaren Gewändern einherrauschenden Damen eingefunden hatten.

Nur Herr von Klamm fehlte noch. Er fehlte, obschon er die Anordnungen übernommen hatte. Freilich, seine eigentliche Thätigkeit nahm erst ihren Anfang nach dem Abendessen. Aber seine Anwesenheit beim Erscheinen der Gäste, war doch von Herrn Knoop vorausgeht worden, und sein Ausbleiben begann ihn zu beunruhigen.

»Er ist sicher noch im Kontor!« erklärte Margarete. »Er sagte neulich, er habe grade am Ballabend noch ziemlich spät im Geschäft zu thun, werde sich aber nach Möglichkeit einrichten.«

Als er noch immer nicht erschien, sandte Herr Knoop Adolf zu ihm.

Herr Knoop lasse freundlichst bitten, daß Herr von Klamm sogleich komme. Man wolle zu Tisch gehen.

Indessen war es überflüssig! Grade trat er durch die Mittelthür ein, sprach Herrn Knoop seine Entschuldigung aus und richtete seine scharfbeobachtenden Augen auf seine Umgebung.

»Die Sendung nach Frankfurt an der Oder wäre in der That nicht abgegangen, wenn ich nicht noch nachgetrieben hätte, Herr Knoop,« erklärte er. »Ich hatte die Absendung unbedingt versprochen; es war eine geschäftliche Pflichtsache. Auch wollte ich gern die Abendpost noch einsehen. Es war viel da und Eiliges. – Eine große Bestellung vom Reichstagbüreau ist eingelaufen.«

So begründete er seine Verspätung, küßte Frau Knoop die Hand, begrüßte Margarete mit warmherziger Vertraulichkeit, und warf einen forschenden Blick zu Ileisa hinüber, die sich nicht weitab mit einem Offizier unterhielt. –

Endlich ging's zu Tisch. Klamm führte die Tochter eines hohen Beamten im Ministerium. Herr Knoop hatte es so gewünscht, und es war auch richtig so. Klamm wußte die Menschen für sich einzunehmen, und es war klug, nichts zu versäumen, sich dieser Familie Gunst zu erwerben. Von dem Wohlwollen des Herrn Ministerialdirektors hing die Entscheidung über die Vergebung sehr umfangreicher Druckaufträge ab.

Bei Tisch warfen zwei Personen wiederholt forschende, von Eifersucht keineswegs freie Blicke zu ihm hinüber: Margarete und Ileisa!

Und Klamm bemerkte es jedesmal, wenn sie hinüberschauten, und jedesmal begegnete er ihnen mit irgend einer Aufmerksamkeit, indem er entweder das Glas erhob und ihnen zutrank, oder einen Ausdruck stillen Einverständnisses in seinen Augen erscheinen ließ.

Als seine Tischnachbarin, Fräulein von Wiedenfuhrt, dies einmal bemerkte, redete sie Klamm auf die beiden Damen an:

»Wie Fräulein Knoop sei? Sie habe sie nur einigemale bei Bazaren, wo sie zusammen gewirkt, gesehen. Ob sie ein liebenswürdiges, junges Mädchen wäre?«

»Fräulein Knoop ist eine jener tadellosen jungen Damen, an denen man nur bemängeln könnte, daß sie etwas kleinbürgerlich sind. Ihre Natürlichkeit, ihre Gradheit, ihr ungemein rechtschaffener Charakter verschmähen es, irgend welche Schminke zu gebrauchen Und doch würde ihre Anziehungskraft durch eine Milderung dieser Hausbackenheit um vieles gewinnen.«

»Also Sentiments haben Sie für die Tochter Ihres Chefs nicht, Herr von Klamm? Dann ist ja noch Hoffnung für die vielen, die ihr Auge mit Sehnsucht auf Sie richten!« warf das junge Mädchen neckisch hin.

»Glauben Sie wirklich, daß sich jetzt noch jemand aus Ihren Kreisen für mich interessiert?« gab Klamm auf diese, der verstandesmäßigen Richtung des Fräuleins entsprechende, Rede zurück.

»Ich bin Prokurist in einer Buchdruckerei geworden. Das ist eigentlich so unerhört, daß man die Pflicht hat, von meiner Existenz auf Erden Abstand zu nehmen.«

»Es würde so sein, wenn Sie nicht eben Herr von Klamm wären,« fiel die Dame mit ehrlicher Anerkennung ein. »Es giebt Ausnahmemenschen, denen alles wohl ansteht, zu denen infolgedessen auch jeder – und wenn er sich noch so sehr sträubt – Stellung nehmen muß. Jüngst wurde Ihr Artikel über gesellschaftliche Arten und Unarten in den Täglichen Nachrichten vielfach besprochen. Ich kann Ihnen verraten, daß er allen ausnehmend gefallen hat, natürlich abgesehen von jenen jungen Zweibeinigen in Frack und Lackschuhen, die alles besser wissen, nur das Allernächstliegende nicht merken, daß sie nämlich recht lächerliche und überflüssige Erscheinungen in der Schöpfung sind.«

»Im übrigen! Wir sind noch nicht am Ende. Sie wollten mir auch noch etwas über das schöne Fräulein von Oderkranz sagen.«

Klamm zuckte die Achseln. »Wenn ich ehrlich sein soll, so läßt mich meine Menschenkenntnis bisher in Stich. Ich weiß nicht sicher, wie sie ist. Ich vermute nur, daß mein Urteil zutrifft. Ich sehe, daß sie sich erstaunlich zu fügen weiß, zu schweigen, ihr eigentliches Wesen zu verbergen versteht. Ganz präzise gefaßt, würde ich sagen:

»Sie besitzt die Kunst, mit ihren Eigenschaften zu ökonomisieren, immer nur das zu geben und zu thun, was am Platz ist. Und doch – und doch –«

»Nun?«

»Ja, und doch gewinnt man keine rechte Beziehung zu ihr, und doch kann man ihr nicht näher kommen.«

»Was vermuten Sie denn?«

»Alles!« betonte Klamm beinahe feurig. »Ich glaube, daß sich in diesem Mädchen alle jene Eigenschaften finden, die einen Mann in der Ehe glücklich zu machen im stande sind. Sie ist weiblich, sittlich, häuslich, treu und arbeitsam, daneben voll Tiefe und Wärme, und nicht minder voll Begeisterung für alles Schöne und Gute, sofern ihr Gelegenheit geboten wird, es zu bethätigen. Auf ihr ruht aber die Bürde der Abhängigkeit.«

»Ah! Sie schwärmen ja gewaltig, Herr von Klamm. Fast könnte man glauben, Sie legten eine unfreiwillige Beichte ab.«

Die junge Dame sprach die Worte in einem von Eifersucht nicht freiem Tone.

»Sie irren durchaus, gnädiges Fräulein! Wenn ich überhaupt meiner Passion nachgeben dürfte – ich werde nämlich sicher niemals heiraten – so würde ich eines Tages ein gewisses Haus betreten, dort nach dem Ministerialdirektor von Wiedenfuhrt fragen, und ihn bitten, bei seiner überaus schönen und überaus klugen Fräulein Tochter Margot ein gutes Wort für mich einzulegen.«

Kaum, nachdem Klamm so gesprochen hatte, erhob das junge Mädchen den Kopf und sah Klamm mit einem durchdringenden Blick an.

»Daß auch Sie, Herr von Klamm« – begann sie steif im Ton –«zu den Leuten gehören, die selbst in ernsten Augenblicken fade Spielereien treiben, hätte ich nicht gedacht. Ich bin heute um eine Erfahrung reicher geworden.«

»Aber mein Fräulein – mein gnädiges Fräulein« – fiel Klamm nicht wenig überrascht, ja, bestürzt ein. »Ich bitte! Welche Sprache! Wodurch gab ich Ihnen Anlaß, so mit mir ins Gericht zu gehen?«

»Sie werden eher begreifen, wenn ich Ihnen mitteile,« fuhr sie unbeirrt fort, »daß man allgemein davon spricht, daß Sie verlobt sind und alles daran setzen, diese Verlobung mit einem armen Mädchen rückgängig zu machen, deshalb nämlich, um Fräulein Knoop zu heiraten. So spielen Sie also nun jedenfalls mit dreien: mit Ihrer Braut, mit Fräulein Knoop, mit Fräulein von Oderkranz, und wenn ich natürlich Ihre an mich gerichteten Worte als einen, wenn auch recht ungeschickt gewählten Scherz betrachte – mit mir!«

Klamm erschrak. Unversehens that sich vor ihm ein bisher gar nicht vermuteter Abgrund auf. Aber noch mehr! Ehe er etwas zu entgegnen vermochte, fuhr die junge Dame fort:

»Ich will ganz offen sein! Ich will alles sagen, Herr von Klamm. Neulich hat mein Vater einen anonymen Brief empfangen, in dem er vor Ihnen gewarnt wird.«

»Ah! Die alte Infamie einer mich rachsüchtig verfolgenden Persönlichkeit!« fiel Klamm, nachlässig verächtlich im Ton, ein.

»Das schreckt mich nicht, gnädiges Fräulein. Ich wäre im stande, Ihnen den Wortlaut dieses Schriftstücks – es hat nämlich immer den gleichen Inhalt – aus dem Kopfe wiederzugeben. Anders aber ist es mit dem, was Sie sonst äußerten. Hier bedarf es dringend der Aufklärung. Ich bitte, daß Sie mir einmal nächstens eine Unterredung gewähren.

»Ich weiß bestimmt, daß Sie dann anders urteilen werden.«

Da Klamm in einem sehr gemessenen Tone, da er wie ein Mann sprach, der um seine Ehre ficht, so gewann er das Spiel.

Schon begann sich in ihr die Reue zu regen, sich so haben hinreißen zu lassen. Aber es reizte sie auch nicht wenig, von ihm selbst zu erfahren, was Wahrheit, was Geschwätz war; es schmeichelte ihr, daß er sie zu seiner Vertrauten machen wollte.

Aber an diesem Abend geschah noch etwas, das Klamm mindestens ebenso sehr zum Nachdenken Anlaß gab.

Die Tafel war aufgehoben, schon hatte die Musik den Gästen zu einer Reihe von Tänzen aufgespielt. Eben sollte ein Kotillon getanzt werden, den Herr von Klamm einen anwesenden Offizier deshalb zu leiten gebeten hatte, weil er dessen Ehrgeiz: in der Gesellschaft bei solchen Gelegenheiten eine Hauptrolle zu spielen, Rechnung tragen wollte. Aber er hatte auch die Absicht, dadurch Zeit und Gelegenheit zu finden, sich mit Ileisa zu beschäftigen.

Er forderte sie zu diesem Tanz auf, wählte einen entfernteren Eckplatz, woselbst ein ruhiges Plaudern eher möglich war, und sagte, nachdem er eben mit ihr eine Runde gemacht hatte:

»Sie machen alles vortrefflich, gnädiges Fräulein! Auch eben zeigten Sie sich wieder als Meisterin.«

»Das möchte ich, ohne Komplimente, Ihnen sagen, Herr von Klamm –«

»So beschäftigen wir uns also gegenseitig mit einander, ohne daß wir es uns eingestanden haben –«

Er sah sie bei diesen Worten mit einem werbenden Blick an. Er that's, obschon ihm grade die Unterredung mit seiner Tischdame heute hätte eine Zurückhaltung auferlegen sollen. Aber auch ihm geschah's, daß häufig das menschliche Ich grade dann zu einer Auflehnung gegen die bedachte Mutter Vernunft gelangt, wo es am allerwichtigsten ist, auf ihre Stimme zu hören.

Er fand Ileisa heute schöner denn je. Sie war auch an diesem Abend der Mittelpunkt. Jedermann drängte sich zu ihr, und auch dadurch wurden des Mannes Sinne angefacht.

Bisher war ihm niemand in den Weg getreten. In das stille Knoopsche Haus traten wenige ein, nur bei solchen Gelegenheiten wurden die Staatszimmer geöffnet.

Statt auszuweichen, gab ihm Ileisa einen Blick zurück, der sein Inneres in Aufruhr versetzte. Dann sagte sie kurz, bestimmt:

»Ja, Herr von Klamm!«

Diese Antwort riß Klamm fort.

Er überflog ihre Gestalt mit seinen Augen. Er sah, wie sich unter dem seidenen Ballmieder die Büste hob und senkte. Er umfing mit seinen Blicken all die Reize, die ihr die Natur verschwenderisch verliehen hatte, und forschte noch einmal in ihren Augen, in Augen, in denen eine versteckte Glut loderte.

Dann sprach er entschlossen:

»Wohlan denn, da es so ist, da wir uns verstehen, ja, da wir uns einig sind, so wollen wir Kameraden werden, gemeinsam unser Ziel verfolgen. Es bedarf keiner Erklärung, warum es sich handelt. – Nicht wahr, Fräulein von Oderkranz?«

Und indem er die Stimme dämpfte, dasselbe in einem weichen Tone wiederholte, sich zu ihr drängte mit seinem Ich: »Nicht wahr, Fräulein Ileisa?«

Abermals vernahm er ein festes Ja und fühlte, als er nach ihrer Hand tastete, einen Gegendruck, der ihm das Blut durch die Adern jagte.

»Wann und wo wollen wir uns morgen sprechen?« ergänzte Klamm, indem er um der Umgebung willen seinen Mienen einen durchaus gleichgültigen Ausdruck verlieh.

»Ich werde bitten, ehestens meine Tante besuchen zu dürfen. Wird mir dies erlaubt, so werde ich an einem Ihnen noch schriftlich mitzuteilenden Tage gegen ein Uhr auf dem Potsdamer Platz am Rundteil sein können.«

Als Herr von Klamm eben antworten wollte, stand Margarete Knoop vor ihnen.

»Darf ich stören?« fragte sie mit künstlicher Schelmerei im Ton. Sie hatte beide seit langem beobachtet und schon große Qualen empfunden. Auch sie hatte sich vorgenommen, heute einmal mit allem zwischen sich und Klamm aufzuräumen.

»Bitte, kommen Sie nach Beendigung des Kotillons eine Weile in den Wintergarten,« bat sie, während er mit ihr tanzte.

»Sie müssen mir bei der Bowle behilflich sein.«

»Zu Ihrem Befehl, gnädiges Fräulein,« betätigte Klamm und zog sie unwillkürlich fester an sich.

Er stand zwischen drei Feuern.

Seine Tischnachbarin beargwöhnte ihn, nachdem er sich unvorsichtigerweise in ihre Hand begeben hatte. Ileisa gegenüber hatte er sich von seinen bisher zurückgedrängten Gefühlen fortreißen lassen.

Nun kam ihm Margarete in solcher Weise entgegen! –

Als sie später nebeneinander standen und Moselwein in eine Punschbowle füllten, sagte Klamm:

»Ich stehe unter dem Eindruck, daß Sie auch sonst noch über mich zu befehlen wünschen. Darf ich fragen, womit Ihnen Ihr gehorsamer Diener zu willen sein kann?«

»Ja, Herr von Klamm! Ich muß endlich einmal eine Frage an Sie richten. Es muß um Ihretwillen geschehen, da ich auch heute wiederholt in einer mich ärgernden Weise angesprochen bin:

»Wie heißt Ihr Fräulein Braut? Woher stammt sie? Weshalb führen Sie sie nicht uns und der Gesellschaft zu? Ist sie wirklich krank? Und wollen Sie sich, wie man sagt, wieder entloben?

»Nicht Neugierde treibt mich, ich betone dies. Die angeführten Gründe und das warme Interesse, das ich für Sie empfinde, lassen mich sprechen.« –

Schon wollte Klamm antworten, er wollte ihr bekennen, wie es stand und wodurch die Unwahrheit hervorgerufen worden war. Aber dann wählte er doch einen anderen Weg, den, zu dem ihn bei Fräulein von Wiedenfuhrt die Umstände getrieben, den er auch Ileisa vorgeschlagen hatte.

»Zuerst meinen aufrichtig empfundenen Dank, gnädiges Fräulein,« entgegnete er. »Und um alles nach Ihren Wünschen zu erledigen, bitte ich Sie, in eine zeugenlose Unterredung zwischen uns zu willigen. Hier – heute – ist nicht der Ort, Ihnen alles zu erklären. Ich muß weit ausholen.

»Also, ich bitte. – Wann wollen Sie mir diese Vergünstigung gewähren?«

»Sonnabend mittag bin ich allein in unserer Wohnung. Meine Mutter will dann Besuche machen!

»Wohlan! Abgemacht!« Sie reichten sich die Hand.

»Aber bitte, gehen Sie jetzt, ich sehe verschiedene unserer Gäste kommen,« betonte sie, und Klamm verneigte und entfernte sich. –


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