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In der vornehmen Welt erregte es großes Aufsehen, daß die Verlobung zwischen Graf Axel Swedenhjelm auf Säfby und Baronesse Gerda Stälsköld aufgehoben worden war.
Daß ein in der Klemme sitzender Adeliger sein Wappenschild gegen klingende Münze austauscht und später, wenn er die »Mamsell«, die die nothwendige Zugabe bildet, zu ungenießbar oder die Vergoldung zu dünn findet, sein Versehen verbessert, nun, das mag hingehen. Aber zwei alte Familien, Kinder von Ehrenmännern, selbst Jugendfreunde, nein, das war zu stark.
Jeder wußte natürlich ganz genau, wie das zugegangen war. Der Eine hatte es aus sicherer Hand, daß Fräulein Gerda die Pocken gehabt, und Graf Axel's Liebe vor den Narben nicht Stich gehalten hatte. Einem Andern war es ganz klar, daß die Braut, die sich noch nicht ganz wieder erholt hatte, die Hochzeit bis zum nächsten Frühling hatte hinausgeschoben wissen wollen, daß der Bräutigam seine getäuschten Hoffnungen gerade nicht in zartester Form ausgedrückt, daß ein Wort das andere gegeben und es so zum Bruche gekommen wäre. Ein Dritter zuckte die Achseln über diese Albernheiten und fand es merkwürdig, daß »die Herrschaften nicht wußten, daß Fräulein Gerda alles Haar durch die Krankheit verloren hatte, nun mit einem Netze ging, gräßlich aussah, Pietistin geworden war und mit Graf Axel gebrochen hatte, weil er sich dagegen auflehnte, in Gesellschaft der Mägde allabendlich Betstunde zu halten.«
Damit wir nicht länger im Unklaren bleiben, müssen wir eine große Indiskretion begehen. Wir beugen uns über Baronesse Gerda's Schulter, während sie, noch sehr schwach und bleich, an einem Augustmorgen, da die ersten Herbstwinde über die Felder streichen, am Fenster ihres kleinen Zimmers sitzt und schreibt:
»Axel!
Diesen Brief schreibe ich, ohne daß meine Eltern darum wissen. Sie würden sonst Alles thun, damit er ungeschrieben bliebe. Ich ertrage keine Bitten und Stürme; ich muß eine feststehende Thatsache zu meiner Stütze haben, um ihnen damit zu begegnen, und erwarte darin Hülfe von Dir, sollte sie mir auch nur auf Grund des verletzten Mannesstolzes werden. Weiter begehre ich nichts von Dir, Axel. Ich kann nicht Dein Weib werden! Vergieb mir, daß ich es so lange geglaubt habe, daß ich durch diesen Irrthum unbewußt einen edlen Mann betrogen habe, den ich – ich rufe Gott zum Zeugen dafür an – glücklich zu machen fest entschlossen war!
Mein Herz schlägt vor Rührung bei dem Gedanken an Deine Zärtlichkeit und Besorgniß, als Papa's Telegramm Dich an mein Krankenbett rief. Du verdienst eine Frau, die die Zuneigung Deines guten Herzens voll und ganz erwidern kann. Ich kann das nicht; gerade diese Krankheit, die mich zum ernsthafteren Nachdenken über das Leben und die Zukunft gebracht hat, hat mir wohl gezeigt, daß ich Achtung und Neigung zu Dir fühlte und stets fühlen werde, aber auch, daß dieses Gefühl zu wenig ist, um ein eheliches Glück darauf zu bauen. Ich glaube, daß es in der Ehe Prüfungen giebt, denen gegenüber es nicht Stand halten würde.
Ich erinnere mich mit Schmerz Deines forschenden Blickes, als Du mich verändert fandest obgleich ich wohl stets eine Braut war, die Deiner Nachsicht bedurfte. Mit Wehmuth erinnere ich mich auch Deiner Trauer über den Aufschub des Festes, das uns vereinen sollte.
Hätte es sich nur um meine Zukunft gehandelt, so würde ich vielleicht mein Wort nicht zurückgenommen haben. Ich glaube nicht, daß ich jemals für einen Menschen die Gefühle werde hegen können, mit denen sich ein gemeinsames Glück bauen läßt. Doch Du bist eines besseren Schicksals werth als des kühlen häuslichen Behagens, das Dir die Pflichterfüllung Deiner Gattin vielleicht schenken könnte. Vielleicht hat Dir Dein eigenes Herz schon Etwas davon gesagt, was ich Dir nicht so klar legen kann, wie ich möchte, weil mich die Unmöglichkeit, die rechten Worte, die am wenigsten verletzenden Ausdrücke zu finden, daran hindert.
Könntest Du mich ohne Bitterkeit sehen, und erlaubte die Convenienz, der wir schon durch die Auflösung unseres Verhältnisses einen Schlag versetzen, vor dem ich als Frau zurückbebe, erlaubte sie uns, noch ein Mal zusammenzutreffen, so glaube ich, daß ich Dir mündlich besser erklären könnte, was mich zu diesem Schritte getrieben hat.
Demüthig und innig bitte ich Dich noch ein Mal, mir den Schmerz zu verzeihen, den ich Deinem guten redlichen Herzen zufüge! Ich hoffe aufrichtig, daß der Tag kommen wird, wo Du in der Verbindung mit einer Deiner würdigen Gattin ein Glück finden wirst, so groß, daß Du mir für das danken kannst, was ich heute mit schwerem Herzen thue.
Gerda.«
Der alte Graf war auf einem der Vorwerke gewesen und traf Graf Axel erst am Mittage desselben Tages, als Gerda's Brief in Säfby angekommen war. Axel sah verstört aus. Das Antlitz war leichenblaß, und der riesenhafte blonde Schnurrbart zitterte. Beide Herren waren im Reitanzuge.
»Im Namen des Herrn! Was ist das, Axel? Was ist mit Dir? Ist Saïda ein Unglück passirt?«
»Nein, Papa, aber ...«
»Geht sie nicht gut? Kannst Du ihr nicht die Unmanier abgewöhnen, daß sie beim Traben den Kopf zu sehr hängen läßt? Etwas ist los, Axel!«
Auf dem feingezeichneten Kopfe des alten Grafen schwollen die Stirnadern, während er las; dunkle Wolken zogen über sein Gesicht und zu jedem Worte schlug er den Tact mit seiner Reitgerte auf dem blanken Schafte seines hohen Stiefels.
»Welche Beleidigung! Wir wollen ihnen ... Oder liebst Du sie noch, das launenhafte, verrückte Mädchen?«
Es fuhr ein Leuchten über das bleiche Antlitz, und die hübsche, schlanke Gestalt schien um einige Zoll zu wachsen.
»Ja, Papa!«
»Na na, mein Junge! Vergiß, was ich sagte. Ein Bischen Schwäche und Nervenüberreizung nach der Krankheit. Grillen, weißt Du. Da steht ja mit deutlichen Buchstaben, daß sie sich aus keinem Anderen Etwas macht, und einen muß ein gesundes, ausgewachsenes, dreiundzwanzigjähriges Mädchen doch wohl lieben. Folglich liebt sie Dich!«
Stolz über die schlagende Logik dieses Beweises spazierte der alte Graf die Allee hinauf. Die Reitgerte peitschte noch fortwährend den Stiefelschaft, und er murmelte tröstend:
»Ruhig, mein Junge! Meiner Seel', ich werde meinem Freunde Casimir den Standpunkt klar machen. Was der Tausend! wie kann der Narr seine Kinder so erziehen! Du siehst wohl nach, daß Palmerston's Vorderbeine jeden Morgen gewickelt werden? Und dann Massage. Sakramentischer Sehnenklapp! Ja, ja, das Leben hat seine Prüfungen, mein Sohn!«
Baron Casimir war in Verzweiflung, konnte aber bei der Sache selbst nichts mehr thun.
»Lieber Bruder«, so schloß seine Antwort, »ich bin gezwungen, einzugestehen, daß ich mit meinem eigenen Kinde Nichts anfangen kann. Außer der Stålstöld'schen Gewissenhaftigkeit hat sie mütterlicherseits den Gripenstam'schen Eigensinn geerbt, und mit Trauer sehe ich eine der schönsten Hoffnungen meines Lebens zusammenbrechen. Ich bin machtlos, und Julie ist es ebenfalls. Behalte trotzdem noch ein wenig Freundschaft für Deinen alten Jugendfreund Casimir.«
Es wurde still im Familienkreise in Säfby, als der alte Graf diesen Brief laut vorlas.
Graf Axel stützte den Kopf in die Hände, und als sein Vater zu Ende gelesen hatte, trocknete er verstohlen eine Thräne und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.
Die Alten schwiegen und sahen einander betrübt an. Plötzlich fuhr die Gräfin auf:
»Mein Gott, Axel sah so seltsam aus! Er wird sich doch kein Leid anthun! Axel, Axel!!«
Draußen im Vorsaal erreichte sie ihn.
»Axel, wohin gehst Du?«
Er lehnte sein feines, bleiches Gesicht an die Schulter der Mutter, und sie fühlte, wie seine Gestalt unter konvulsivischem Schluchzen erzitterte.
»Mama, sie hat mein Herz gebrochen! Ich gehe ...«
»Um Gottes Willen, wohin?«
»Ich gehe ... ich will ... Bianca und Fatima vor den Jagdwagen spannen lassen. Ich bedarf der Zerstreuung, Mama.«
Zehn Minuten später standen die beiden Alten am Salonfenster und sahen ihren theuren Sohn die Allee hinunterfahren. Bianca sträubte ihre silberweiße Mähne und setzte ihre gelbweißen Hufe so kokett und graziös, als sei sie ein Fräulein von Swedenhjelm auf einem Hofhalte. Fatima war Feuer und Flamme und biß so in das vernickelte Geschirr, daß der Schaum die kastanienbraune Brust bespritzte. Stolz wie ein Gott zügelte Graf Axel die beiden Rosse. Die bleichen Wangen hatten Farbe bekommen, und ein befehlender Zug lag um den Mund.
»Und einen solchen Mann hat sie verschmäht!« seufzte die Gräfin in mütterlichem Kummer und Stolz.
»Ja, Weiber sind Weiber, man weiß nie, wie man mit ihnen daran ist«, meinte der alte Graf.
»Nun, aber, Hugo! ich habe doch nie solche Ausflüchte gemacht!«
Der Graf blickte das gelbe, kantige, verwitterte Gesicht seiner kleinen Gemahlin, die eigentlich nie anders ausgesehen hatte, ein wenig von der Seite an und dachte daran, wie schwer es ihm seiner Zeit geworden war, sich zu »Mamsell« Bergmann zu bequemen, trotzdem sie eine halbe Million hatte und er die Hypotheken seines Fideikommisses einlösen mußte. Ein leichtes Lächeln spielte unter dem grauen Schnurrbart, und er klopfte sie freundlich auf die Achsel, als er antwortete:
»Nein, den Vorwurf kann ich Dir wirklich nicht machen, mein süßer Schatz!«