Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Herrn Ek's neueste Eroberung

Die Familie hieß eigentlich anders und Tausende der schwedischen Leser würden den Namen wiedererkennen. Aber ich will nicht, daß Jemand meinen kleinen Willi wieder erkennen soll. Darum nenne ich seinen Papa und seine Mama Herrn und Frau Ek.

Willichen war der Neunte, und Herrn Ek's Stellung war derartig, daß das Stiefelversohlen sich nach Papas vierteljährlicher Gehaltszahlung richten mußte – und die Zweistüberzwiebäcke im Brodkorbe gezählt wurden.

Unter solchen Umständen ist es die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit des Neunten, ein kleiner, netter, fleißiger Knabe zu sein, der jeden Ostern versetzt wird und seine abgeschabte Jacke so in Acht nimmt, als wäre sie ein Krönungsmantel.

Aber es thut mir leid, gestehen zu müssen, daß Willichen sich eine äußerst unklare und falsche Vorstellung von seinen Pflichten als fünfter Knabe und neuntes Kind eines armen Papas machte. Er zerriß seine Anzüge zweimal wöchentlich und brauchte ein paar Jahre zu jeder Klasse, ganz als wenn er aus feiner Familie und der Fideicommißerbe eines großen, gemergelten und drainirten Stückes unseres Vaterlandes gewesen wäre. Dazu kamen noch verschiedene Katzenmorde und Fenster, in die Willichens Ball geflogen war, intimere Berührung mit diversen, frischgestrichenen Stacketen, Aepfel, deren rechtmäßige Erlangung gartenbesitzende Nachbarn für zweifelhaft hielten, und drei kleinere Tapeziernägel auf dem Sitze des Schulkatheders.

Papa prügelte und Mama weinte, die Geschwister kratzten und die Köchin brüllte: »Fort mit Dir, Du verdammter Bengel!« Die Einzige, die immer »nett« war, war Tante Luise.

Tante Luise hatte ein dunkles Zimmerchen nach der Brandmauer hinaus, eine weiche, warme Hand für die heißen Thränen auf den runden Wangen, milde Worte für ein kleines betrübtes Herz, Nadel und Faden für kleinere Risse in der Jacke, und ein Fleckwasser, das ganz vorzüglich war. Und dann hatte sie stets etwas Gutes in der Commode, und ein kleines Capital, eine noch kleinere Pension und eine Fertigkeit, weißwollene Strümpfe auf Bestellung zu stricken, die es ihr bisweilen ermöglichte, Willichen ein Zwölfschillingstück oder gar zwei zu schenken.

Ich denke, nun wißt Ihr ungefähr, wie Tante Luise war, obgleich ich weder ihr Profil noch die Farbe ihrer Wimpern beschrieben habe. Ja, Ihr wißt es, besonders wenn ich hinzusetze, daß sie ein tiefes Mißtrauen gegen die Fähigkeit der Lehrer, Willis Kenntnisse zu beurtheilen, hatte und fand, daß c doch eigentlich gar kein schlechtes Zeugniß sei, denn auf der Rückseite stand ja: c bedeutet: leidlich.

Als Willi zwölf Jahre alt war, begann er Verse zu machen. Ueber Tante Luisens Geburtstag und über einen Knaben, der auf dem Eise eingebrochen war. Und dann über Karl den Zwölften. Tante war entzückt und Mama weinte wie gewöhnlich, obgleich Papa sich höhnisch darauf berief, daß das halbjährliche Zeugniß auch c in der schwedischen Sprache aufwies.

Doch Willi machte es gerade wie die Werdandisten heutzutage; er schrieb einfach im Schweiße seines Antlitzes weiter und setzte sich über alle väterliche Zucht und Kritik hinweg. Schrieb Verse und Prosa durcheinander und hatte mit 16 Jahren das Vergnügen, seine Frühlingsgedanken bei der sehr kleinen und wohlwollenden städtischen Zeitung anzubringen.

»Aus dem Jungen wird einmal etwas Großes!« jubelte Tante Luise.

»Das ist er schon!« sagte der Papa.

»Nun, es ist gut, daß Du das wenigstens jetzt einsiehst«, erwiederte die Tante.

»Ja, ein sehr großer Faulpelz ist er, das läßt sich nicht leugnen«, meinte der Papa.

Schließlich waren die »Acht« zu nützlichen Menschen erzogen, zu Richtern, Kaufleuten, Studenten, Mantelschneiderinnen, Telephonistinnen &c., doch da der Neunte nicht »einschlagen« wollte, starben Mama und Papa ihm einfach weg und ließen ihn allein in der Welt. Allein mit Tante Luise.

Und die Alte that weniger Zucker in den Kaffee und die Finger flogen schneller als je bei den Rändern und Fersen der weißwollenen Strümpfe, das kleine Capital wurde ein Bischen angegriffen und so wurde Willi endlich Student.

Aber da hatte Mutter auch einen ganzen Commodenauszug mit Gedichtmanuscripten und vieler unreifer poetischer Prosa.


Im Schauspielhause gab man eine Premiere. Ein zeitgemäßes Drama mit Gestalten aus dem gegenwärtigen Leben. »Schwedisches Original in fünf Acten.« Verfasser unbekannt. Neugierde und Erwartung. Mißtrauen und Achselzucken.

Der Vorhang ging auf, der erste Act begann. Die Einleitung war schwach und nicht gut erfunden. Man fing im Theater an, halblaut zu plaudern. Man besah sich Frau Hartmann's Frisur und Herrn Petterson's Kragen. Das Achselzucken nahm zu und über die Gesichter einer Anzahl verhungerter, verkannter Genies im Parterre, die zehn Jahre lang Schauspiele geschrieben hatten, ohne daß je ein einziges angenommen worden war, ergoß sich ein sonniges, überlegenes Lächeln.

Doch sie hatten sich zu früh gefreut, die armen, verkannten Genies. Es handelte sich nicht um ein Fiasko, nur die ersten Schritte des Novizen im Vorhofe des Tempels der heiligen Kunst waren etwas unsicher. Später erhielten die Gestalten Leben, der Dialog floß schnell und leicht, so pointirt, wie man ihn in ganz Schweden nur auf dieser Bühne hört, die Handlung spitzte sich zu, der Schluß des Actes war besser als der Anfang, der Vorhang fiel unter Applaus.

Das wurde ein Triumph! Klar und scharf waren Rede und Gegenrede, das Publikum wurde hingerissen; die Künstler, die alten, den Stockholmern so theuren Lieblinge, fühlten mehr und mehr, daß sie hier eine ihrer würdige Aufgabe erhalten hatten; mit Lust und Leben gossen sie die Gedanken des Dichters in seine, den Stempel der Genialität tragende Formen; es waren Gestalten von Fleisch und Blut, die wie Menschen dachten und fühlten, wie wir im Leben fühlen. Keine Idealisirung, aber auch nicht die moderne Rohheit, welche die Koryphäen des Lazareths und des Spinnhauses auf die Bühne bringt.

»Der Verfasser! Der Verfasser!«

Todtenbleich und verwirrt, als wäre er wieder ein Kind und es handle sich nun um einen Ritt auf dem Zaune mit zerrissener Jacke, wankte – Willi Ek auf die Bühne, machte mit herabhängenden Armen eine ungeschickte Verbeugung und schlich nach der Coulisse zurück. Dann erinnerte er sich, daß man bei solchen Gelegenheiten die Hand auf's Herz zu legen und mit den Augen nach den Damen in den Logen zu himmeln pflegt; er kehrte wieder um und schlug sich mit gespreizten Fingern vor die Brust. Aber diesmal war er glühend roth.

Und das Publikum jauchzte wieder und immer wieder.

Dann stürmte er die Treppe zum ersten Range hinauf, um seine Loge aufzusuchen. Er mußte dort Etwas vergessen haben.

»Einige Freunde der einheimischen Schauspielkunst bitten sich die Ehre aus, Herrn Ek zu einem kleinen, improvisirten Souper bei Grand einladen zu dürfen!«

»Ich bin ... es thut mir sehr leid und ich bitte um Entschuldigung, aber ich bin schon versagt ...«

Und er stürmt weiter und ihm ist, als sei ihm das Herz viel zu groß für die breite Brust.

»Du mußt wohl die Künstler, die Deinem Werke den Erfolg gesichert haben, auf ein Gläschen einladen?«

»Später ... später ... ein andermal ... nun muß ich fort ... heute Abend habe ich mich versagt ... gute Nacht!«

Er wird ungeduldig, wild und beginnt die, die ihm im Wege stehen, bei Seite zu drängen.

»Heißa, alter Junge! Gratulire aus vollstem Herzen! Nun sind wir hier, das ganze Quartett der alten »Rolle« und nehmen Dich im Triumph mit nach der Hamburger Börse zu einem Becher!«

»Dank Euch, Ihr Jungen, aber nicht heute Abend, nicht heute Abend! Mich erwartet Jemand den ich am wenigstens von Allen verfehlen möchte. Nehmt mir's nicht übel!«

»Ein kleines Herzchen, das den Triumph theilen will, was? Ha, ha, ha!«

Ohne zu antworten, stieß er sie bei Seite.

Aber draußen sahen sie denn richtig, wie Freund Ek ein kleines, zierliches, sylphidenhaftes, weibliches Wesen behutsam in eine von Räck's besten Droschken hob und dann ging es fort.


Später, als die Nacht schon weiter vorgeschritten war, füllten sich die kleinen Zimmer des Restaurants. Das Gas schien trübe, und die Kellnerinnen begrüßten die ankommenden Gäste.

»Sonne meines Lebens, vergönnt mir einen Liter Cederlunds-Punsch, drei Gläser und einen halben Blick aus Euren schönen Augen!« declamirte lispelnd ein Mitglied des Quartetts, das Willi Ek vergebens zu der Abendkneiperei eingeladen hatte.

»Und sagt uns aus alter Anhänglichkeit, wer die beiden Turteltauben sind, die über dem Roederer und den Haselhühnern, die Ihr eben hineinbrachtet, girren sollen?« fiel ein Anderer der Gesellschaft ein und deutete auf die Thür eines der kleinen Zimmer.

»Darin? Ja, das soll der Herr sein, der das Stück geschrieben hat, was sie heute Abend im Schauspielhause gegeben haben, und dann ist da ... hi, hi, hi!«

»... eine schlanke Dame im Pelzmantel mit einem dicken Schleier vor dem holden Gesicht, was?«

»Stimmt. Aber das Lustigste ist ... hi, hi, hi ...«, kicherte die Hebe.

»Ist etwas besonders Lustiges mit der Dame los?«

»Ha, ha, ha! Ja, das ist nicht so ohne ...«

»Hört nun, Jungen, es wäre doch zu herrlich, ein halbes Auge auf Freund Willi's neueste Eroberung zu werfen. Seien Sie so gut, Fräulein, und lassen Sie die Thür nach dem Corridor offen und wenn es auch nur ein ganz kleines Ritzchen ist, wenn Sie dem jungen Paare das Eis bringen!«

»O ja, da die Herren einander ja doch kennen, so ...«

Die Augen des zweiten Tenors funkelten vor ungeduldiger Neugierde, und er schlich sich leise in den Corridor. Aber als er zurückkam, war er bedeutend ernster gestimmt.

»Na–a–a?«

»Ich kenne die Dame nicht, aber ich glaube doch, daß ich weiß, wer sie ist. Wollt Ihr wie ich, Bursche, so lassen wir den Punsch zum Kuckuck fahren und machen lieber einen Gang durch den Königsgarten. Guten Abend, Fräulein!«

»Guten Abend! Na, sind die Herren nun sehr neidisch? Ha, ha, ha!« lachte das Mädchen.


Drinnen vor einem leckeren Souper mit perlendem Champagner saßen Willi Ek und seine Dame. Sie waren vom Tische aufgestanden, hatten sich auf das Sopha gesetzt und flüsterten leise, ganz auf die gewöhnliche Weise, Ihr wißt ja. Willi preßte sie an sich und sie verbarg das Haupt an seiner Brust. Sein Auge glänzte und seine Stimme zitterte.

»Du Liebe, Theure, die mir am nächsten auf der Welt steht. Dank Dir dafür, daß Du gut von mir dachtest, als mich die Andern verhöhnten. Dank Dir dafür, daß Du meine Freude theilen wolltest, als sie endlich kam. Dank dafür, daß Du meinem kindischen Einfall nachgabst und zum ersten Male in Deinem Leben aus Deinem stillen Heim da draußen auf dem Lande hierher kamst, um meinen Sieg zu feiern!«

»Mein lieber Willi«, jauchzte die kleine, schlanke Dame, schlang die Arme um seinen Hals und erhob ihr Gesicht zu dem seinen.

Schön war sie und ihre Augen strahlten vor Liebe.

Doch die Wangen waren welk und der Kopf grau, denn es war – Tante Luise.


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