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Es gab eine Zeit, da er stolz auf ihre edle, schlanke Gestalt war; eine Zeit, wo er innerlich über ihr wunderbar schönes Antlitz jubelte, das so schnell den Ausdruck wechseln konnte und in einigen, flüchtigen Minuten Zorn, Freude, Bewunderung, Liebe, Furcht und selige Hingebung wiederspiegelte.
Das war in jener Zeit gewesen, wo er glaubte, daß alles Das nach einigen Jahren der Strebsamkeit und der Entbehrung sein werden würde.
Dann kam eine andere Zeit, da er in langen Decembernächten in seinem kleinen Zimmer im dritten Stock, wo er und seine Mutter in drei kleinen Stuben wohnten, auf und ab ging. Es war immer so düster in dem kleinen Zimmer aus Mangel an Sonnenschein und so kalt, weil Brennholz so theuer war, und er rang die Hände, verwünschte und beweinte diese Schönheit, die jetzt an einen Anderen verkauft wurde, der sie mit klingendem Gold bezahlte. Ja, er weinte. Es geht die Sage unter unseren männlichen Freunden und den unverheiratheten Frauen, daß wir Männer nicht weinen können, weil es Niemand gesehen hat. Doch wenn die ersten Nachtfröste auf des Lebens Illusionen fallen; wenn uns aus einem Schreibtischfach ein alter, liebevoller Brief mit unsicheren Schriftzügen entgegenfällt, der uns vom Vater oder der Mutter grüßt, die schon im Grabe schlummern; wenn wir unseres Erstgeborenen Geschrei hören, und oft auch aus anderen Gründen fließen die warmen Quellen der Augen auch bei uns. Aber, weil wir nicht wie die Frauen uns für die glitzernden Tropfen Etwas kaufen können, was wir für unser Leben gern hätten, so verbergen wir sie und erröthen, wenn wir dabei überrascht werden.
Er war ein armer Literat, der Unterricht in der Buchführung gab, ein »Handelslehrer«, wenn man sich fein ausdrücken will, und der alte Baron hatte ihn überboten.
Es geht so zu auf dem Ehestandsmarkte, auf dem Tattersall, wo man sich an zartem Jungfrauenfleisch freut.
»Zwanzigjähriges Mädchen. Kaukasische Rasse. Gute Figur und ehrenwerthe Eltern. Tadelloser Ruf und gesunde Zähne. Schöne Augen und langes, eigenes Haar. Pensionsbildung und Grübchen in den Wangen. Fromm und sittsam und wird sich nicht gegen ihren Herrn auflehnen. Wer bietet?«
Der junge Fredrikson bot sich selbst und sein ganzes Leben, sein junges Herz und seine warme Liebe. Sie sollte ihm Alles sein und er wollte sie auf Händen tragen. – Anna war mit dem Angebot zufrieden und wollte schon zuschlagen. Ihr kleines, warmes Herz schlug schon: »Zum Ersten – zum Zweiten – Niemand mehr?« – Aber Papa und Mama fanden Herrn Fredrikson's Werth ungenügend und meinten, es sei zu schwer, Etwas daraus zu machen. So ließen sie ihre Tochter noch einmal ausbieten und führten sie auf Bälle, Abendgesellschaften und Liebhabertheater. Sie war ja Primawaare, da mußte doch ein neues Angebot erfolgen.
Da hatte denn der alte Baron mehr geboten; er bot Wollmarsholm mit der ganzen Einrichtung; seine alten, guten Actien und seine großen, hellen, mit Kunstwerken gefüllten Räume. Sie sollte seine prächtigste Büste, sein feinster Studienkopf sein, und er wollte sie im seidengepolsterten Landauer mit dunkelbraunen Hannoveranern davor fahren. Das kleine, wachsgelbe Skelett in der linken Wagenecke mußte sie mit in Kauf nehmen; sie brauchte es ja nicht weiter zu taxiren, wenn sie nicht wollte, die Kaufsumme würde ja doch reichen.
Und sie reichte. – Natürlich sagte Anna: »Nein!« Aber freundlich und mild wurde ihr gesagt, daß sie nicht wisse, was zu ihrem Besten sei. Das half nicht. – Nun wurde sie gefragt, ob sie ihre liebevollen Eltern durch Kummer in ein frühes Grab bringen wollte. –
Anna fragte, ob sie sie in's Grab bringen wollten.
Aber Papa sei ruinirt.
So müsse er Concurs machen. Er habe einen Wechsel in der Bank mit Kaufmann Ek's und Director Bovall's Namen.
Und was macht das?
Aber Ek und Bovall hätten – hätten nicht – ihre Namen – darauf selbst – geschrieben. In seiner großen Noth hätte Papa – er hätte – Herr Gott! wollte denn Anna ihren eigenen Vater im Zuchthause sehen?
Nein, das wollte sie nicht, und so fiel der Hammer nieder. Das Auctionsprotocoll wurde aufgesetzt und sie wurde von der Kanzel herab aufgeboten. Aber in der Kirche wurde der Handel eine »christliche Eheschließung« genannt.
Damals wanderte der junge Fredrikson droben in dem kleinen Zimmer mit der sparsamen Sonne und der knappen Feuerung umher und verblutete beinahe innerlich vor Kummer darüber, daß Anna nicht ebenso häßlich war wie er. Er würde sie doch ebenso heiß und innig geliebt haben, das fühlte er jetzt, und dann hätte der alte Baron gewiß nicht geboten. Er würde sich weniger gegrämt haben, hätte er gewußt, wie Alles zusammenhing; aber er glaubte, Anna hätte selbst gewogen und das, was er ihr bieten konnte, zu leicht befunden.
Einmal trafen sie sich zufällig auf dem kleinen Eichenhügel vor der Stadt, und Anna wankte auf ihn zu, um an seinem treuen, wunden Herzen ihm Alles zu sagen. Doch er hielt sie zurück, und seine Stimme bebte vor Schmerz und Bitterkeit.
»Nicht so, Anna. Er hat Dich gekauft, wie Du gehst und stehst. Betrüge ihn nicht auch!« – So schieden sie.
Es ist nicht so schwer, wie man glaubt, einander in Freud und Leid zu lieben. Kommt auch die äußere Noth mit knapper Nahrung und dem Jammer des Krankenlagers, mit den Demüthigungen der Welt und blankgescheuerten Rockärmeln, so ist sie eben nur äußerlich. Aber die Lust gehört dem Innern und die Freude darüber, daß die Herzen in warmem, harmonischem Tact gegen einander schlagen, kann das Leid nicht zerstören.
Aber liegt unsere Lebensfreude in äußerlichen Gütern und unser Leid in der unbefriedigten Sehnsucht des Herzens, da wird der Trauschein zur Lüge und die Ehe zum Fluch.
So kam es. Der Baron wurde immer kränklicher und gelber; der jungen Baronin erschien jeder Monat wie ein Jahr. Die schönen Augen sanken immer tiefer unter der hohen, finster zusammengezogenen Stirn ein, und ihr trockner, anhaltender Husten machte dem Hausarzt Sorge. Ihr Leben war so leer, so inhaltlos und versteinert, daß sie oft dachte, sie würde eine bittere Wollust, eine Art schmerzlicher Zerstreuung daran finden, wenn ihr Mann sie geradezu schlecht behandelte. Aber er war viel zu kümmerlich, um sie ordentlich zu quälen, er war zu schwach, um etwas Anderes als Cynismus und Egoismus zu zeigen, und als er auch dazu nicht länger im Stande war, stieg er, gelb und stumm, in voller Uniform und kinderlos in die Familiengruft, nachdem er vorher bestimmt hatte, daß die Freiherrin ihren festen Wohnsitz auf Wollmarsholm behalten solle, so lange sie seinen Namen trüge. – Das war eine prächtige Bestimmung, um junge, wohlgekleidete Tröster männlichen Geschlechts von der jungen Wittwe fern zu halten.
Der Husten wurde schlimmer. Der Hausarzt murmelte etwas Allgemeines über milderes Klima und der Specialist in Stockholm sprach von der Riviera. Aber die Freiherrin reiste nicht, sie schwand mehr und mehr dahin und versank beinahe in Leichenstarre. Wäre der Gedanke nicht so verrückt gewesen, so hätte man glauben können, daß sie sich in Gram um den Baron verzehre.
Eines Tages ließ sie anspannen und fuhr zur Stadt. Nicht nach einem Modebazar, denn sie trug noch Trauer, nicht zu Papa und Mama, denn die waren todt; nein, nach einem alten, verfallenen, düsteren, dreistöckigen Hause in einer Seitenstraße, wo die freiherrliche Equipage unter der neugierigen, barfüßigen Jugend großes Aufsehen erregte. Zwei Treppen hinauf! O, wie es in der kranken Brust brannte und stach! Manchmal stand sie still, legte die Hand auf's Herz und trocknete sich die feuchte Stirn mit einem Spitzentuche ab. Schließlich las sie an einer rissigen Thür:
Johann Fredrikson,
Handelslehrer.
Er war in diesen Jahren nicht im Wohlstande gestiegen und nicht mit der Wohnung heruntergezogen. Vielleicht würde er es nie dahin gebracht haben, vielleicht hatte ihm nur ein Zweck gefehlt, für den er streben mußte, und dessen Mangel ihn nun hier festgehalten hatte. Die Thür ging auf und da saß er am Schreibtisch, ein wenig gebeugt und grau an den Schläfen. Nun in seinen Freistunden trug er eine schäbige, schwarze Sommerjoppe. Er wandte sich hastig um und hielt sich am Korbstuhl fest. Die Schläfe klopften und die Pulse flogen. Röthe und Blässe wechselten auf seinem Antlitz. Schließlich erhob er sich.
»Frau Baronin, was ...«
»Johann!«
So erfuhr er denn endlich Alles, erfuhr, um welchen Preis ihr beiderseitiges Leben zerstört war; und demüthig, reuevoll, niedergeschmettert bat er ihr jeden bitteren Gedanken der letzten Jahre ab. Durch die abgebrochenen Worte brach die nie erloschene Liebe hervor wie der Fluß im Mai, wenn die Sonne lacht und die Eisdecke bricht. Und sie erzählte ihm, daß sie unheilbar krank sei und nicht mehr lange leben könne, wenn sie nicht auf immer fortgehe von unseren kühlen Tagen und kalten Wintern, unserem Nordwind und unserem Eisgang. Aber sie wolle nicht reisen, was solle sie auch in der Fremde anfangen, sie wolle hier sterben. Plötzlich blitzte es in den dunklen Augen, sie richtete sich auf, und die Gestalt erschien wie ein Schatten in ihrer früheren Weichheit und Anmuth. Sie blickte ihn an, als wolle sie ihm gerade in's Herz sehen.
»Johann, laß mich Dein Weib sein für die kurze Zeit, die ich noch zu leben habe. Deine Anna bittet Dich darum!«
Er wankte und fuhr mit beiden Händen über das Gesicht. »Du redest irre, mein Lieb. Du, an ein reiches, bequemes Leben gewöhnt, dabei krank und der sorgfältigsten Pflege bedürftig! Und ich – so arm, so arm! Nein, Anna, sei barmherzig, zerstöre die grausame, bethörende Gluth, die Dein Wort in meiner Seele weckte!«
Doch sie schlang die Arme um seinen Hals, ihr braunes, feuchtes Haar fiel über seine gefurchte Stirn, ihr heißer Athem liebkoste seine Wange und sie nannte ihn »Bräutigam!« –
Der Parquettfußboden in Wollmarsholm brannte unter ihren Füßen, das dicke, schwarze Seidenkleid schien sie todt zu drücken. Mit schnellen Schritten suchte sie in der Garderobe umher, bis sie die einfacheren, alten Kleider fand, die sie als junges Mädchen getragen hatte. Da ist noch ein perlgraues mit Plüsch, und im Halsausschnitt sitzt noch die Krause. Die Trauer wird abgelegt! Das Trauerjahr ist zu Ende. Die Herrin auf Wollmarsholm, »nur so lange sie seinen Namen trüge«, wollte nicht einen Tag länger auch nur einen Faden tragen, den der da unten in der Familiengruft ihr gegeben hatte. Nichts, was an das Kaufgeld erinnerte, sollte ihr in das kleine Heim zwei Treppen hoch in der Stadt folgen. Die Kleidertaille mußte viel enger genäht werden. Sie war nicht mehr dieselbe, die volle, blühende Anna, wie auf dem Balle, den sie zum ersten Mal besuchte und wo sie mit ihm tanzte. Aber das machte nichts. Er würde es nicht sehen! – Die Haushälterin wollte ihr helfen. »Nein, danke, es ist ein Vergnügen, es selbst zu thun.«
»Werden Frau Baronin verreisen?«
»Ja, in einer Stunde.«
»Darf man fragen, ob Frau Baronin lange fort bleiben?«
»Ja, ich komme nie, nie wieder.«
»Herr Gott, so wäre es ja wahr, was der Inspector sagte, daß Frau Baronin nach den warmen Ländern ziehen würden?«
»Ja, in ein sehr warmes, sonniges Land, Mamsell Liese!«
Dann kam Johann in einem in der Stadt gemietheten Einspänner und holte sie ab. Sie sollte während des Aufgebotes bei ihm und seiner Mutter wohnen. Sie hatten so lange auf einander gewartet, sie konnten sich auch nicht für eine einzige Stunde trennen. Als sie unten in den Hausflur kamen, umfaßte er die zarte, überschlanke Gestalt mit beiden Armen. »So nun halte Dich an meinem Halse fest, Anna, die Treppen sind zu viel für Deine Brust!«
Oben in der offenen Thür stand seine alte Mutter in einer frisch geplätteten, weißen Haube. Die kleine Braut ging aus einem Arm in den anderen und durfte kaum ihren Fuß auf die dürftigen Teppiche setzen, die den unebenen Fußboden bedeckten. Es roch nach Scheuerluft und frisch gebranntem Kaffee. Beides nicht gut für Brustkranke; aber Anna hustete weniger als seit langer Zeit. Sie umarmte die beiden Lieben auf einmal und flüsterte: »O, wie herrlich, hierher zu kommen und bei Euch in Frieden zu sterben!« Johann fuhr zusammen: »Anna, mein Lieb, sprich nicht so! Es geht zum Frühling, und Leben sprießt aus jedem Halm; sollte Gott da so grausam sein und uns aus einander reißen! Ich lasse Dich nicht, ich werde selbst mit Gott um Dich kämpfen!« –
Die Alte legte die Hand mild auf seine Schulter: »Still, Johann. Stürme nicht so! Aber danke dem Himmel für jede Stunde, die Du sie besitzest, und laß uns zu Gott beten, daß es deren mehr sein mögen, als wir zu hoffen wagen!«
Auf dem polirten Tannentisch prangte Frau Fredrikson's beste, gelbe Kaffeekanne, das Feuer flackerte lebenslustig in den dürren Birkenreisern, so daß die buckeligen Eisenthüren des Kachelofens klapperten; frische, im Ofen gebackene Kringel thronten in dem stattlichen, bemalten Korbe von Eisenblech, und es begann um die Drei zu dämmern. Anna wurde müde, und auf seinen starken Armen trug Johann sie in die Sophaecke. Dort lag sie still und blickte ihn mit großen, dunklen, glänzenden Augen an, bis sie in einen leichten Schlummer fiel, den liebevolle Blicke bewachten. Im Schlafe zeichneten sich die mageren Backenknochen so scharf ab, die starke, abgegrenzte Röthe, womit die Schwindsucht so oft ihre Opfer schmückt, trat so erschreckend deutlich hervor; die Adern lagen so blau und abgezeichnet auf der kleinen Hand, und man sah, wie sich die Brust unter dem perlgrauen Kleide mühsam hob und senkte.
Fredrikson wandte sich zu seiner alten Mutter; eine stumme Frage lag in seinem Antlitz. Die Mutter schwieg und beugte sich tiefer auf ihren Strickstrumpf, damit er nicht sehen sollte, daß Thränen ihre Augen füllten.
»Glaubst Du nicht, Mutter, daß sie jetzt ein wenig stärker aussieht? Es scheint so, Mutter, meinst Du es nicht auch?«
»Ja, lieber Johann!«
»Man hört so oft, daß die Aerzte sich irren und die geringste Brustaffection gleich für Schwindsucht halten.«
»Ja, Johann, das hört man oft.«
»Nein, sieh nur Mutter, wie ihr liebes Gesicht strahlt! Nun sieht sie nicht aus, als sei sie sehr krank.«
»Das macht die Abendsonne, Johann!«