Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Silberhochzeit

Das kleine, bescheidene, enge Heim in der Hinterstraße hatte sich vergrößert und den Platz gewechselt. Nun lag es an der breiten, hübschen Esplanade und blickte aus einer langen, glänzenden Fensterreihe auf dieselbe hernieder. Die alten, einfachen Möbel existirten freilich noch, doch die Wiener Stühle waren aus dem Eßzimmer in die »Stube der Jungen« und das Sopha der früheren »guten Stube« in das Zimmer der Töchter hinaufgebracht worden, und drunten in der eigentlichen Wohnung glänzte es von Nußbaum- und Birnbaumholz, da bauschten sich Plüsch und Seidendamast, da gaben große Pfeilerspiegel eine elegante und comfortable Einrichtung wieder.

Und dies war in fünfundzwanzig Jahren geschehen, und nun war die silberne Hochzeit!

Der hübsche Kassirer, der so reizend auf der Flöte blies, war Director geworden, war dick und fett und viel weniger hübsch und blies nie mehr auf der Flöte, und die kleine, schlanke, sylphidenhafte, blauäugige, schmachtende Modistin mit den rothen Rosen auf den sammetweichen Wangen und den goldgelben Locken über der blendendweißen Stirn, sie war Frau Direktorin geworden, hatte jetzt ein Doppelkinn und rauhe und etwas zu rothe Wangen. In die goldenen Locken war Silber gekommen und Falten in die blendendweiße Stirn, und willst Du dort im Hause eine Sylphide sehen, so mußt Du Dich vorsichtig nach oben schleichen, durch die Thürspalte in das Zimmer der Mädchen gucken und Dir Ida, Jenny und Katharine ansehen. Drei Sylphiden für eine!

Und das war Alles in fünfundzwanzig Jahren geschehen und nun war die silberne Hochzeit!

Es hatte nicht immer Sonnenschein und klaren Himmel gegeben. Ein Kassirergehalt ist klein, und Ida, Jenny und Katharine waren rasch auf einander gefolgt, und diese Reihenfolge war nur durch Karl, Adolf und Franz etwas unterbrochen worden. Es hatte Tage gegeben, wo die Speisekammer leer war, wo sich eine kleine, blendendweiße Stirn bedenklich runzelte und in stillen Grübeleien über dem Wirtschaftsbuch sich wehmüthig auf die fleischige Hand senkte. Und obgleich sie sich liebten, war doch die junge Frau nicht so ganz ein Engel, wenn sie auch so aussah, und der Kassirer nicht so ganz ein Philosoph, trotzdem es so aussah, wenn er steif und ernst an seinem Comptoirpulte saß. Und ehe es so weit gekommen war, daß Beide ihre Eigenheiten abgeschliffen hatten, prallten die Launen manchmal an einander, und da geschah es zuweilen, daß der Kassirer mit solcher Hast seinen Ueberzieher vom Nagel riß, daß das Anhängsel entzwei ging, und seine Frau so weinte, daß die Thränen auf die kleinen, weißen Sachen tropften, die sie gerade für die zu erwartende Jenny, Ida oder Katharine nähte.

Aber der Kassirer war tüchtig. Jede neue, kleine Stimme im Kinderstubenconcerte verlieh ihm doppelte Kraft und Energie, jedes neue Rosenmündchen, das »Papa« entgegenlächelte, schien ihm neue, vortreffliche Geschäftsideen zuzuflüstern, und so kamen denn die guten Tage, Tage des Wohlstandes und Comforts. Und während Mamachen ihre Schönheit immermehr einbüßte, wuchsen ihr dafür unsichtbare Flügel an den Schultern, mit denen sie der Häuslichkeit Frieden und Frohsinn zufächelte, und sie wurde innerlich immer mehr dem Engel gleich, den sie in ihrer Jugend äußerlich vorgestellt hatte. Und während Papa auf dem Comptoir immer bestimmter und energischer wurde, machte ihn die Herzensmassage der kleinen, runden Arme zu Hause immer weicher und milder. – Als man dann einen ganzen Monat lang für Jenny's Leben zusammen gezittert und mit einander an dem weißen Sarge des kleinen Adolf gekniet hatte – da war man wirklich erst, was man nach der Trauformel (die leider gelogen hatte) schon am Hochzeitstage sein sollte: ein Herz und eine Seele, eine Harfe, deren Saiten stets im selben Ton erklangen.

Und dies war in fünfundzwanzig Jahren geschehen, und heute strahlte der schöne Julitag, der Tag der silbernen Hochzeit!

Katharine erwachte zuerst. Mit einer schnellen Handbewegung warf sie eine glänzend braune Haarwelle aus der Stirn zurück, erhob sich, sah die Blumenkörbe, die das Dienstmädchen am Morgen leise gebracht hatte, lächelte und rief: »Jenny!«

Und dann wurden oben im Zimmer der Mädchen hübsche Sträuße und Guirlanden gebunden, und man zerbrach sich den Kopf darüber, was Papa dazu sagen würde, oder was Mama nur dazu meinen würde, und ob Papa wohl heute ein Bischen freundlich gegen Ingenieur Sköld sein würde und ob Ida bald mit den Kindern käme.

Denn um eine richtige Silberbraut sein zu können, muß man auch Großmutter sein; der junge Frühling muß mit den Herbstblumen auf den Wangen der Silberbraut spielen.

Mama pflegte sonst Morgens die Erste im Eßzimmer zu sein, aber heute beschloß sie, die Zeit zu verschlafen. Die Töchter wollten doch am liebsten Alles selbst arrangiren.

Papa hatte lange wach gelegen, aber seine Frau nicht stören wollen. Schließlich richteten sich zwei kleine, weiße, kugelrunde Gestalten auf einmal in dem großen, breiten Alkoven in die Höhe. –

»Lina.«

»Andreas.«

»Heute ist es, Lina!«

»Ja, heute ist es, Andreas.«

Und dann beugte sich die eine kleine, weiße Kugel über den Bettrand nach der Anderen hinüber und sagte:

»Dank, Dank für Alles, Lina!«

Und darauf erwiederte die andere kleine, weiße Kugel: »Gott segne Dich, Andreas!«

Draußen im Eßzimmer wurde es allmählich hübsch. Blumen und Grün, wohin man blickte, sogar um Papa's und Mama's Kaffeetassen. Und die Geschenke! Eine Meerschaumpfeife für Papa von Candidat Franz, natürlich eine silberbeschlagene Pfeife zur silbernen Hochzeit! Eine Fruchtschale von Jenny und Katharine für Mama. Natürlich auch von »Silber«, wenn auch nur von Neusilber, denn zu dem anderen hatte das Taschengeld nicht gereicht. Und dann kam Ida mit Mann und Kindern und einem großen Etui, das geöffnet und mit dem Ausrufe: »Entzückend!« begrüßt wurde. Darin lag ein Haarschmuck von Silberähren für Mama. Es wäre freilich naturgetreuer gewesen, wenn die reifen Aehren aus Gold gewesen wären, doch die Bedeutung des Tages und die Kasse des Schwiegersohnes harmonirten besser mit Silber.

Die alte Johanna öffnet die Thür so feierlich, als sei sie wenigstens Hofceremonienmeister, und zwei kleine Kugeln, aber nun nicht länger in Weiß, sondern in Schwarz, rollen in die Arme ihrer Kinder und Kindeskinder. Die Mädchen werden geküßt, der Sohn und Schwiegersohn umarmt, und Ida's kleiner Junge strengt sich an, zu sagen, wie ihn Mama gelehrt hat: »Gott segne Großpapa und Großmama!«

Papa und Mama strahlen vor Freude. Wie viel glücklicher sind sie nicht heute als vor fünfundzwanzig Jahren! Für wie viel haben sie nicht zu danken, und dennoch fährt plötzlich ein Schatten über die milden Gesichter, und dennoch zucken ihre Lippen unmerklich wie von unterdrücktem Schmerz, als sie sich im Kreise am Kaffeetische umsehen. – Da schleicht sich Katharine leise hinter die Beiden, legt ihnen den Arm um den Hals, hält ihnen einen Brief mit brasilianischer Postmarke vor die Augen und flüstert: »Karl's Geschenk zur silbernen Hochzeit für Papa und Mama!« – Und der Schatten weicht und die Augen glänzen wieder freudig. Mit bebender Stimme liest Papa den Brief laut vor, liest Worte der Liebe und der Reue, der Hoffnung und Theilnahme, des Kummers und der Dankbarkeit.

Karl war das Sorgenkind; alle Liebe um ihn schien umsonst und schließlich mußte er fort, weit fort, um dort zu versuchen, ein neues Leben zu beginnen. Sein leerer Stuhl am Tische hatte den silbernen Hochzeitstag bewölkt, aber von weit her sandte er nun die Botschaft über's Meer, daß die Elternliebe doch nicht vergeblich war. »Gott sei Dank!« seufzen Eltern und Geschwister. »Will Onkel Karl jetzt wieder artig sein?« fragt der kleine Andreas und blickt mit seinen großen, klaren Augen der Großmutter in's Gesicht.

Zu Mittag kommen Gäste im Frack und mit Orden geschmückt, mit Juwelen und in Schleppkleidern; zu Mittag kommt Ingenieur Sköld und pflanzt abwechselnd Rosen und Lilien auf Katharinens Wangen. Zu Mittag kommt der Pastor und hält eine Rede im Kanzelton über Silber auf dem Scheitel und Silber im Silberschrank, über den Herbst des Lebens und die frischen Blumenkränze, die ihn dem Silberpaare erheitern. Beim Mittagsmahle soll auch Kandidat Franz eine Festrede im höheren, poetischen Stil halten, und er sollte es eigentlich wohl können, denn in Upsala glückt es ihm stets; doch als er nun hier steht, in dem alten Eßsaal, und die lieben, alten Gesichter sich gerade gegenüber sieht, und alle Kindheitserinnerungen ihm die Brust zu zersprengen drohen, da verfliegen die eingelernten, feinen Redensarten, da wird es ihm trübe vor den Augen und Candidat Franz hält eine sehr, sehr »schlechte« Rede. Aber Papa und Mama murmeln: »Gott segne Dich, Junge!«

Die Gäste gehen, und die Kinder sagen gute Nacht. Der kleine Andreas hat gebetet »Gott, der Du die Kinder liebst« und ist auf dem Sopha in dem Zimmer der Tanten eingeschlummert. Papa und Mama sitzen ein Bischen müde im Salon.

Da kommen wieder die Erinnerungen, und die »Alten« möchten sich so gerne ein paar warme, herzliche Worte sagen.

Papa möchte gerne sagen, daß sie Beide zwei alten, entlaubten Bäume glichen. Die Töchter würden sie sicher nicht mehr lange behalten. Wie hatte Ingenieur Sköld sich heute um Katharine bemüht! Grade wie ein gewisser Kassirer vor fünfundzwanzig Jahren um eine kleine Modistin. Dann wären sie wieder allein wie zuerst, aber er würde sich doch reich und glücklich fühlen, wenn er nur die kleine Mama behalten dürfte.

Etwas Derartiges möchte er sagen, aber es ist so lange her, daß der Director in dem Tone sprach, daß er es nicht herausbringen kann und statt dessen sagt:

»Hast Du die Lampe im Cabinett ausgelöscht, Lina?«

Es braust und siedet in der Brust der Directorin unter dem Silberbrokat. Es ist ihr gerade, als müßte sie von den Kahnfahrten des Kassirers und der Modistin an den warmen Sommerabenden unter Flötenspiel reden, von dem ersten, kleinen Heim mit der Flickendecke im Schlafzimmer und den Wienerstühlen in der Eßstube. Sie hätte sagen mögen, wie viel mehr sie den alten, plumpen Großvater mit dem kleinen Mondschein im Nacken jetzt liebte, als einst den jungen »schneidigen« Kassirer. Aber sie ist so müde und sagt nur:

»Andreaschen, Du hast doch den Benedictiner eingeschlossen?«

Doch als dann die beiden kleinen Kugeln zugleich die Sophatischlampe ausbliesen und nach der Schlafstube rollten, und der Silberhochzeitstag zu Ende war, die Flügelthür und die Portieren sich schlossen und Alles still wurde ... still ... ganz wie vor fünfundzwanzig Jahren, da wurde es dem Silberbräutigam zu eng um's Herz; stürmisch, jubelnd schloß er seine Lina in die treuen Arme, und der alte, strenge, barsche Direktor schluchzte:

»Gott segne Dich, liebe, kleine Mama!«


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