Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Endlich sein!

Er war der Sohn des Zinngießers und sie war die Tochter des Schneiders, und es war eine Lücke im Staket zwischen dem Hofe des Zinngießers und dem baufälligen Hinterhause, in dem der Schneider zwei Zimmer und Küche gemiethet hatte.

Der Zinngießer hatte etwas Vermögen. Der Schneider hatte nichts weiter als Schulden und Kinder und eine große, lange, schwarze Stirnlocke, die bei jedem heftigen, nervösen Stiche, den der Meister an alten, mitgenommenen Schulknaben und Arbeiterkleidern that, auf und nieder flog. Denn Meister Juhlin war nur Flickschneider. Die Welt bestand für die kleine Laura aus den beiden Zimmern, der Küche, dem schmutzigen Hofe, der Zaunlücke, dem Zinngießerhofe und Karl.

Doch Zinngießer Bäcks Karl war ein erfahrener und weitgereister Knabe, der mit seinem Vater auf allen Märkten fünf Meilen im Umkreise gewesen war und Maaße und Käseformen verkauft hatte.

Und wenn Karl Bäck draußen in der großen, unermeßlichen Welt auf den Märkten in Wernamo und Skillingaryd gewesen war, so kroch er schnell durch das Staket und hinein in den Holzstall des Schneiders und dort saß er dann mit Laura im Arm und erzählte wunderbare Sachen von Ochsen, die vierzehn Ellen Umfang hatten und von dem reichen Schultheißen, der sechs große Zinnmaaße in Wernamo gekauft hatte. »Aber am lustigsten ist es doch, wenn ich nach Hause zu Dir komme«, schloß er immer und legte seinen kleinen, knochigen Arm um Laura's Hals und sah ihr gerade in die großen, braunen Augen. Aber das Küssen verstand er noch nicht, denn er war erst zehn Jahre alt.

Des Zinngießers Vermögen und des Schneiders Elend wuchsen gleichmäßig und in der schwarzen Haarlocke, die man durch's Hoffenster auf und niederfliegen sah, waren schon graue Streifen. Karl und Laura wuchsen gleichfalls. Er wurde ein langer, magerer, blasser Junge mit Flachshaar und schlechter Haltung. Sie, die Akazie unter dem Kehricht auf dem Hofe des Schneiders, trieb jedes Jahr schönere Blätter, und seine Herrschaften wandten sich auf den Straßen der kleinen Stadt nach ihr um, die Damen sagten: »ein hübsches Mädchen«, und die Herren murmelten etwas wie »Bastard«.

Bastarde singen am besten, das weiß jeder Vogelliebhaber; und immer frischere, klarere Triller kamen Karl aus der elenden Hofwohnung entgegen. – Da hatte Karl einmal eine ganze Mark von seinem Vater bekommen, und als bald darauf eine Theatergesellschaft zur Stadt kam, nahm er Laura mit. Zweiter Platz, wo es nur 50 Pf. kostet.

Damit war es gethan! Nun wußte Laura, wozu sie die großen, braunen Augen, ihre schlanke, herrliche Figur und ihre klare, einschmeichelnde Stimme bekommen hatte. »Sie«, hinter den Lampen, lief ja umher und geberdete sich wie ein Huhn, das den Pips hat, aber die Zuschauer klatschten doch in die Hände und brüllten vor Vergnügen. Wenn man sie draußen auf der Straße sah, machte sie den Eindruck einer alten Nähmamsell. Aber Laura war jung und glich der Frau mit dem Füllhorn an der Wand im besten Zimmer bei Zinngießers. Warum konnte Laura sich nicht ebenso gut ein hübsches Kleid machen lassen und zwischen den Coulissen herumlaufen und sich mit den Händen vor die Brust schlagen und vor Schmerz und Freude schreien? Und der Waschzuber und die Spültonne wurden aus dem Holzstalle fortgeschafft, und Karl packte alles Brennholz in eine Ecke und fegte aus und holte eine Lampe und zwei Litermaaße aus der Werkstatt. Und die Maaße wurden auf einen Hauklotz gestellt, den die Köchin aus dem ersten Stock brauchte, wenn sie den Hühnern den Kopf abhauen mußte, und dieser Klotz sollte einen Credenztisch vorstellen. Und dahinter stand Laura mit einem Barett von blauem Zuckerhutspapier auf dem Kopfe und dem besten, rothen Sonntagsunterrock ihrer Mutter um die Schultern geworfen und einer Kaffeetasse mit Brunnenwasser in der ausgestreckten Hand und sang:

»In der span'schen Sonne glüht
Dieser Wein zu unserm Trost,
Und die span'sche Sonne zieht
Diesen Ton aus meiner Brust.«

Karl weinte und sagte, daß die Mamsell hinter den Lampen auf dem Theater gegen Laura nichts wäre.

Na, es ging, wie es sollte. Ein paar Jahre später kam Herr Director Oskar Pettersson mit seiner aus vier Damen und sechs Herren bestehenden Truppe in die Stadt, und als er wieder abreiste, war Laura als Naive von Herrn Pettersson engagirt. Gage gab es nicht, aber dafür hatte sie die Verpflichtung, durch ihre Toilette das Ansehen der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, die leider nur schwache Einnahmen hatte.

Am Abende vor der Abreise der Gesellschaft öffnete sich die Planke vor der Staketlücke und Karl und Laura umarmten sich über dem Ascheeimer, der dort seinen Platz hatte. Karl hielt eine Düte Confect in der Hand und Laura hatte große, glänzende Thränen in den Augenwimpern.

»Morgen geht's fort, Karl, aber Du mußt mich nicht vergessen!« –

Nun wurde es für Karl zu viel. Er nahm sein Taschentuch und schneuzte sich lange und nachdrücklich und wischte sich die Augen.

»Laura, vergiß Du auch nicht, daß, wie es auch kommt, Du doch schließlich meine kleine Hausfrau werden mußt!«

Ja, dies versprach sie denn auch, wenn er nur etwas Anderes wie Zinngießer werden wollte, oder nach Stockholm gehen und Fabrikant werden könnte, und sie meinte es auch ehrlich damit. Aber die jungen Herren waren überall, wohin Director Pettersson kam, so sehr darauf versessen, für die Damen der Truppe Soupers zu geben, und dann war da ein Referendar mit Bariton in Jönköping und Director Pettersson bekam vom Thiergartentheater in Stockholm einen Komiker mit Weltschmerz und so – verbleichte allmählich das gerade nicht übermäßig schöne Bild Karl Bäck's. Karl schwitzte in der Werkstatt seines Vaters und machte Maaße und Formen. Ab und zu las er in den Provinzialzeitungen, daß Fräulein Juhlin flott dabei sei, eine große Künstlerin zu werden. Es war ihm, als entschwände sie ihm immermehr. Aber zu jedem Geburtstag, Namenstag, Weihnachten und Neujahr schickte er ihr eine Blumenkarte mit Engeln und Vergißmeinnicht, und einmal reiste er sogar nach Linköping, als sich die Truppe dort aufhielt, um zu hören, ob man sich seiner noch erinnere. Karl kam zur Theaterzeit, und Herr Oskar Pettersson, der sich vor Nichts scheute, gab Hamlet. Laura war schon zur Ophelia avancirt, und die Linköpinger waren hingerissen. Wie war es da erst mit Karl Bäck! Er brüllte, trampelte und applaudirte, und im Zwischenacte kam er hinter die Coulissen mit drei Flaschen Champagner. Die Künstler sollten doch sehen, daß ein Zinngießer auch zu leben weiß. Laura drückte seine beiden Hände an ihr Herz, himmelte und stellte ihren teuren Jugendfreund vor. Karl wurde sehr artig aufgenommen und machte Brüderschaft mit Director Pettersson. Doch als er mit Ophelia allein war und er sie fragte, ob sie nun nicht gleich auf der Stelle ihre Verlobung veröffentlichen wollten, brach sie in Thränen aus, schlang die Arme um seinen Hals und sagte, die dramatische Kunst sei unendlich hoch und edel, aber in der Provinz in entsetzlichem Verfall und darum habe sie nicht das Herz, die Kunst nun ihrem Schicksal zu überlassen, um so mehr da der Theaterrecensent in Söderlöping gesagt habe, daß Fräulein Juhlin ein aufgehender Stern sei, der sicherlich recht bald ein noch anspruchsvolleres Publikum blenden und erwärmen würde. Karl sollte zusehen, daß er nach der Hauptstadt übersiedeln könnte, sobald sie dort ein Engagement bekäme. Vielleicht würde er ihr auch 35 Mk. zu einem weißen Kleide für »Regina von Emmeritz« leihen. Doch nur jetzt nichts von Verlobung; es würde ihre ganze Künstlerlaufbahn zerstören.

Karl reiste heim, machte wieder Maaße und Becher und hörte zu, wie sein Papa sich bei allen unterirdischen Mächten verschwor, daß keine Schneidergören oder Comödiantinnen jemals als Schwiegertochter auf dem Sopha der besten Stube Platz nehmen sollten.

Die Zeit verrann und das Herz litt.

Ein paar Jahre darauf schrieb Karl an Laura und fragte sie zum letztenmal, ob sie nun sein werden wollte. Papa Bäck war todt und das Haus zu ihrem Empfange bereit.

Es vergingen acht Tage, vierzehn Tage; keine Antwort. Karl schrieb seinen Brief noch einmal und ließ ihn recommandiren. Doch als nun ebenfalls keine Antwort kam, verkaufte er Werkstatt und Lager an seinen Altgesellen, kaufte ein hübsches, kleines Gut in einer andern Provinz, begann die Menschheit zu verachten und baute Klee, was gegen Herzleiden ausgezeichnet sein soll.

Fräulein Juhlin feierte einige Zeit lang Triumphe auf kleinen Bühnen, nachher hörte man nichts mehr von ihr. Sie hatte es in Stockholm versucht, aber die Stockholmer haben nun einmal ihren Geschmack für sich. Die Recensenten sprachen ihr jeden Funken von Talent ab, und von da an war es für sie auch in der Provinz nichts mehr gewesen.

Wieder vergingen einige Jahre. Karl reiste zu einer Thierschau nach Stockholm. Dort angekommen ging er in ein Zeitungsbureau und fragte, bei welcher Gesellschaft Fräulein Juhlin nun sei. Der Corrector bat ihn Platz zu nehmen und fragte alle Herren in der Redaction nach Fräulein Juhlin, aber die Herren waren noch zu jung, und Keiner von ihnen konnte sich erinnern, je von dieser Künstlerin gehört zu haben.

»Sie ist also nicht beim Königlichen Theater angestellt worden?« fragte Karl.

Nein, dafür wollten sie garantiren.

Am Abende war eine Varietétheatervorstellung im Rathskeller. Gutsbesitzer Bäck machte sich eigentlich nichts aus Tingeltangelvergnügungen, aber der Abend mußte ja todtgeschlagen werden. Er ließ sich an einem Tische an der Thür nieder und warf einen gleichgültigen Blick auf das Programm. Da zuckte er zusammen, erbleichte und erhob sich so hastig, daß Tisch und Stuhl umfielen. Der Pianist spielte, die jungen Herren fluchten, die Groglöffel klapperten und der Kellner jagte zwei Hunde heraus, die sich unter einem Tische bissen.

Aber der Vorhang ging noch immer nicht auf. Schließlich kam »Europa's anerkannt erster Trapezkünstler« Herr Brytnacki und kündigte an, daß Fräulein Juhlin, die die erste Nummer des Programms hatte singen sollen, leider plötzlich erkrankt sei, und er deshalb das Publikum um Erlaubniß bäte, statt dessen Fräulein Ritzki ein ungarisches Volkslied singen zu lassen.


Drinnen im Zimmer der »Künstler« saß Karl Bäck neben einer geschminkten Dame unbestimmten Alters. Die Schminke rann in zwei hellrothen Bächen über die Wangen der Dame. Denn sie weinte, weinte unaufhaltsam und heftig aus großen, braunen Augen und küßte Karl, so daß sein Backenbart ganz hellroth wurde. Und Karl zitterte convulsivisch und trocknete sich mit seinem blaucarrirten Taschentuche die Stirn.

»Wir sind nicht mehr jung; Laura, aber willst Du ... willst Du ... doch nun endlich mein werden?«

»Und Du fragst nicht, was ich alle diese Jahre gewesen bin, und kümmerst Dich nicht darum, was ich jetzt ...«

»Was Du gewesen bist, das will ich nicht wissen. Was Du bist? Für mich bist Du stets die kleine Laura, die mir an der Zaunlücke entgegentrat und im Holzstall an meiner Seite saß. Willst Du, Laura?«

Ja, nun wollte sie, und während Herr Brytnacki drinnen auf der Bühne sein Bestes that und das Publikum vor Entzücken mit den Füßen stampfte, schlich sich die Primadonna aus dem Restaurant, hinaus in die Welt, um ein neues Leben zu beginnen; und das wird schon angehen, denn sie schmiegt sich so dicht an ein redliches Männerherz, das nie vergessen lernte, aber so gern vergeben will.


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