Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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IV.

Was die Gäste auf Hjelmskog nicht zu sehen bekamen.

Als der Pastor abgefahren war, saßen die Herrschaften Stålsköld und die Gäste noch einige Zeit im Salon. Es ist zuweilen ein wenig verhängnißvoll, zuerst aus einer Gesellschaft aufzubrechen, doch Arvid würde sich im Großen und Ganzen nicht durch das Urtheil, das über ihn auf Hjelmskog gefällt wurde, herabgesetzt haben fühlen können. Nicht als ob dasselbe gerade wohlwollend gewesen wäre, aber die Kritik über seine Erscheinung, die mißglückenden Versuche des Majors und des jungen Grafen, ihn lächerlich zu machen, würden ihm geschmeichelt haben. Ein Jeder fühlte, daß man in ihm auf einen Mann der neuen Zeit gestoßen war, der mit dem traditionellen Dorfpfarrer nichts gemein hatte. Die beiden Fräulein Axelsson ließen die Köpfchen hängen und gähnten verstohlen. Als sie sich in ihrer Hoffnung, mit dem Grafen Axel zusammen die Treppe zu den Schlafzimmern emporzusteigen – oben an der Treppe war ein Erkerfenster, von wo aus man noch ein wenig gemeinsam den See betrachten konnte – betrogen sahen, sagten sie schließlich gute Nacht und folgten ihren Eltern. Zuletzt war nur noch die Gräfin und ihr Axel da.

Das wachsgelbe Antlitz und die funkelnden grauen Augen der grauhaarigen Dame bekamen plötzlich Wärme und Leben. Es war, als hätte sie eine Maske abgeworfen.

»Gute Nacht, Du mein theures, theures, geliebtes Kind! O, wie grausam war es, daß man sich den ganzen Tag Zwang auferlegen mußte!« rief sie aus, schloß Gerda gewaltsam in die Arme und bombardirte ihre Wange mit Küssen.

Als sie sie endlich nach einer langen Umarmung freigab, stand Graf Axel neben ihnen. Seine blauen Augen flammten in dem bleichen Antlitz und es fuhr wie Phosphorleuchten über den blonden Schnurrbart. Dann – legte auch er den Arm um Gerda's Taille, drückte einen leidenschaftlichen Kuß auf ihre Lippen, wobei er seine zierliche Gestalt etwas in die Höhe recken mußte, und flüsterte ihr in's Ohr: »Mein Lieb'!«

Ja, sie war sein; sein, seit vierundzwanzig Stunden. Gestern Abend, in diesem Zimmer, während der junge Baron die Uebrigen am oberen Fenster mit der schönen Aussicht festhielt, waren die Pläne, die Svedenhjelm's mit der weiten Reise verbanden, geglückt, und die Baronin hatte Axel freudig als Sohn begrüßt, während Gerda als die künftige Gräfin Svedenhjelm auf Säfby von einem Arm in den andern ging.

Graf Axel liebte sie heiß und innig mit allen Gefühlen, die ihm blieben, nachdem er sich selbst vor Allem aufrichtig liebte. Er selbst war seine eigene erste Liebe, und Niemand von seinen Bekannten zweifelte daran, daß er seiner ersten Liebe bis in den Tod getreu bleiben würde. Aber danach liebte er Gerda und fühlte sich grenzenlos glücklich, als er ihr Jawort bekommen hatte. Sie hatte dies Wort vollkommen freiwillig gegeben, wenn auch weder Vater und Mutter ihr verhehlt hatten, welche Freude ihnen diese Partie machen würde. Doch ihr Herz war nicht dabei, es schlummerte noch bei der Dreiundzwanzigjährigen. In anderen Dingen war sie früh gereift, und in ihrer Ruhe und klaren Lebensauffassung den meisten ihrer gleichalterigen Bekannten voraus; doch die Liebe war nicht gekommen, obgleich sie mindestens fünf oder sechs Jahre darauf gewartet hatte, wie man auf einen Brief oder einen Bahnzug wartet. Masern und Scharlachfieber hatten sich ihrer Zeit bei ihr wie bei anderen Kindern eingestellt. Sie hatte rechtzeitig die Zähne geschichtet und mit sechzehn Jahren für das Tanzen geschwärmt wie alle Anderen. Nur Liebe und Bleichsucht, die letzten in der langen Reihe der Kinderkrankheiten, schienen nichts über das kräftig, harmonisch entwickelte Mädchen zu vermögen. Nun begann sie wie Jemand, der nie Zahnweh gehabt hat, an dem Vorhandensein dieser Krankheit oder doch jedenfalls an ihrer Empfänglichkeit für dieselbe zu zweifeln.

Manchmal wurden ihr von ihren Freundinnen Herzenssachen anvertraut. Im vorigen Sommer waren Axelsson's in Hjelmskog zu Besuch gewesen. Damals war sie eines Nachts davon erwacht, daß Lina Axelsson im Nachtkleide und in schwanbesetzten Pantoffeln ganz leise in ihr Zimmer trat. Das war jedoch nicht das Einzige, Lina kletterte zu ihr in's Bett, liebkoste und küßte sie, und erzählte ihr halb lachend, halb weinend von dem ausgezeichneten, neuen Doctor in ihrem Heimathsorte.

Gerda streichelte theilnehmend das kleine verweinte, so hülflos aussehende Gesichtchen und war halb verwundert, halb neidisch über die unbekannte Gefühlswelt, in die sie hier blickte, ungefähr so wie ein junger Nichtraucher seinen Freund eine Regalia reina genießen sieht.

Da kam Axel Svedenhjelm. Sie hatte ihn schon als Gymnasiast und Cadett gekannt und ihn stets gern gemocht. Er war äußerlich ein Gentleman, correct in jeder Hinsicht und selbst viel zu reich, als daß ihn Jemand in Verdacht haben konnte, in ihr besonders die Erbin zu schätzen. Er warb acht Tage um sie, war zärtlich und aufmerksam, sang Duette mit ihr und verbesserte ihren Steigbügel. Er gab einer armen Tagelöhnerfrau, der sie unterwegs begegneten, zwei Thaler, und er züchtigte Baldur, der sich sogar unterstand, mit Baron Gösta einfach im Birkenwäldchen umzukehren. Dann hielt er um sie an, und sie sagte »ja«. Hatte sie wohl Grund, ihn abzuweisen? Das »Andere«, das Unaussprechliche, Süße, Berauschende würde sie ja doch nie kennen lernen. Sie war eben nicht so wie andere Mädchen!

Doch als er flammenden Auges von ihren Lippen den Kuß nahm, der die nothwendige Folge des Jawortes ist, und als er heute Morgen im Parke den zweiten begehrte, da fühlte sie einen kalten Schauder, ein leichtes Unbehagen; keinen Ekel, o nein! aber ungefähr dasselbe, was man empfindet, wenn man spürt, daß man eine Schleife verliert, während man eine Theetasse in der Hand hat, oder daß das Schuhband auf der Promenade aufgeht.

Lina Axelsson hatte ihr erzählt, daß sie beinahe vor Lust geschrieen hätte, als der junge Doctor sie im Cotillon an sich drückte ... Merkwürdig! nein, sie war nicht so wie andere Mädchen. Und als er sich ihr nun wieder mit leuchtenden Augen näherte und der lange blonde Schnurrbart sich wie die Schnurrhaare einer Katze sträubte, die eine delicate Milchsuppe wittert, als er flüsterte »Mein Lieb!« da schloß sie leicht die Augen und dachte: »Ach, wäre es doch erst überstanden.«

Als sie in ihr Zimmer trat, feuchtete sie halb unbewußt den äußersten Zipfel ihres Taschentuches in der Wasserkanne an und fuhr damit nachdenklich über die breiten rothen Lippen, während sie murmelte: »Hm, an so Etwas muß man sich bestimmt gewöhnen können.«

Als Graf Axel die Thür des kleinen Doppelzimmers öffnete, das er mit seinem Vater theilte, stand dieser Ehrenmann halb ausgekleidet und trank ein Glas Wasser nach dem andern.

»Nun, mein Junge, wie fühlst Du Dich als Bräutigam?«

»Ach, sie ist herrlich. Papa! Welcher Nacken und welche Kopfhaltung! Grade wie ein Remontepferd, das eben angefangen hat, mit Gebiß zu gehen. Schönen Schritt ... hm – sie hat auch einen anmuthigen Gang. Etwas kalt ist sie, freilich ...«

»Jaha, sie hat so etwas unbegreiflich »Jungfräuliches« an sich oder wie soll ich mich ausdrücken –. Nun, das thut ja nichts, wenn es sich um ein Mädchen von Familie handelt. Das giebt sich, mein Junge, das giebt sich.«

»Geniert es Dich, Papa, wenn ich das Fenster öffne und noch eine Cigarre rauche? Ich glaube nicht, daß ich heute Nacht ein Auge zuthun kann.«

»Ha, ha, ha, die Jugend!«

Doch Gerda schlief schon so gut, ruhig und tief, wie nur wenig Bräute in der zweiten Nacht nach ihrer Verlobung schlafen können. Der runde, weiße, prächtige Arm lag über dem Haupte, regungslos, wie in Mamor gemeißelt; das kecke, dunkle Haupt lag so still und ruhig wie das eines Kindes auf dem weißen Kissen, und wenn Traumbilder unter der breiten Wölbung der niedrigen Stirn spielten, so hatten sie nur wenig mit dem Erben von Säfby, dem flinken upländischen Dragonerlieutenant, zu schaffen.


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