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Sie brauchten auf nichts zu warten. – – Der Flügel in Säfby war größer als manches Herrenhaus und noch vollständig eingerichtet. Hier hatte der jetzige alte Graf mit seiner Familie gewohnt, so lange seine alte Mutter noch lebte, und erst nach ihrem Tode war er in das Hauptgebäude gezogen. Deshalb wurde auch die Verlobung veröffentlicht, nachdem der junge Axel sein heimliches Glück kaum eine Woche genossen hatte. Anna Axelsson, die schon zum nächsten Sommer eine Einladung nach Säfby angenommen hatte und verstohlen eine Grafenkrone auf Pausepapier gezeichnet hatte, um zu sehen, wie sich diese auf ihren besten Battisttüchern ausnehmen würde – »nur zum Spaß natürlich!« – mußte den Tag, als die Verlobung im Hause bekannt gemacht wurde, wegen heftiger Kopfschmerzen auf ihrem Zimmer bleiben, aber zur Verlobungsfeier war sie wieder gesund und umstrahlte den jungen Baron Gösta mit einem Feuerwerk von schelmischen und warmen Blicken, wie er sie nie bekommen hatte, so lange der Besitzer des langen, blonden Schnurrbarts noch zu haben war.
Zur Verlobungsfeier waren alle Standespersonen aus beiden Kirchspielen geladen, und Präpositus Strandin aus Sjöreda hielt die Tischrede.
»Willst Du nicht ein paar Worte sagen, weil die Braut doch zu Deiner Gemeinde gehört?« hatte er Arvid vorher gefragt.
»Nein, gewiß nicht, das kommt Dir zu, Onkel, wenn durchaus noch etwas mehr gesagt werden muß, als was der Baron selbst in seiner Rede sagt.«
»Ja, Bruder, die Kirche wird nun so von allen Seiten bedrängt, daß ihre Diener bei jeder möglichen Gelegenheit Gottes Segen und Gottes Mißfallen hervorheben sollten!« eiferte der alte Strandin, der wie so manche Prediger die lästige Manie hatte, bei allen Festlichkeiten eine Rede zu halten.
Und der gute, getreue Hirte schlug an's Glas, rückte sein Käppchen zurecht, hustete und gab den Verlobten von Amtswegen Gottes reiche Gnade und seinen Frieden in rundlichen Portionen, und versicherte unter Anderem, daß alle Väter und Mütter sich über eine so durchaus passende Partie freuen müßten. Und dabei glitten die milden, vom Château Beycheville schon ein wenig funkelnden Augen des Präpositus zu der Tischecke hinüber, wo seine Lotte neben Pastor Magnusson saß. Man konnte so gut sehen, daß hier der Alte noch weniger sparsam mit Gottes Segen und seinem eigenen sein würde, wenn Arvid nur wollte ...
»Nun, bist Du jetzt zufrieden?« hatte Schwager Gösta vor Tisch den Bräutigam gefragt und dabei den Arm brüderlich um seine Schultern gelegt.
»Sablamento, Gösta! Ich möchte ausschlagen und weder Zaum noch Gebiß gehorchen!«
Und die Braut? Ja, sie war etwas bleicher und stiller als sonst. Vorher war ihr die Sache so einfach und natürlich und gar nicht so schrecklich wichtig vorgekommen. Doch als die glänzende Fessel ihren Finger drückte, als Mama weinte und Papa mit zitternder Stimme von dem Tage sprach, wo sie die Heimat verlassen würde, und als Ellen sie in den Arm kniff und sagte: »Da bekomme ich wohl Dein feines Zimmer?« da schien sie mit einem Male den Ernst der Verbindung zu fassen, da blickte sie den jungen Grafen ängstlich und fragend an und wunderte sich, ob es doch nicht am Ende Liebe sei, was ihr Herz so klopfen machte. Ach keinen, keinen anderen Mann auf Erden hätte sie heute lieber an seiner Stelle gesehen. Da mußte sie ihn doch wohl lieben? Und so leerte sie ihr Glas, ließ sich von ihm noch etwas Cliquot einschenken, lächelte ihn an und machte ihn so himmlisch glücklich, daß er nachher dem alten Grafen folgende Beschreibung machte: »Ja. Papa, sie thaut so allmählich auf, das sollst Du sehen. Zum Teufel, sie machte mich so verrückt bei Tisch, daß mir zu Muthe war, als sollte ich beim Steeplechase einen Steigbügel verlieren.«
Und als der glückliche Bräutigam, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, fühlte, daß er sie sicher in der Hand hatte, breitete sich vor seinen Augen ein Rosenschimmer über alles, selbst über ein tiefes dunkles Augenpaar unten am Tisch, das oft auf dem jungen Paar ruhte.
»Gerda, willst Du Deinem Sänger nicht zutrinken?« flüsterte er froh und freundlich.
Sie hob sofort ihr Glas:
»Herr Pastor Magnusson!«
Eine heftige Röthe färbte das dunkle Antlitz noch dunkler, und er warf Fräulein Lotte beinahe eine Apfelsine in den Schooß, als er sein Glas ergriff.
»Wie geht es Ihrer Mutter, Herr Pastor?« fragte Lotte gleich darauf.
»Danke bestens, seit das Thierchen nicht mehr die Egge zu ziehen braucht, hat sich seine Laune bedeutend verbessert.«
Fräulein Lotte schlug in voller Verzweiflung die Hände zusammen.
»Nein, Du mein Schöpfer! Was meinen Sie, Herr Pastor? Ich fragte ja nach dem Befinden Ihrer Mutter.«
»Oh, Verzeihung, entschuldigen Sie! Ich glaubte, es handle sich um Pålle. Sie hatten ja die Güte, sich so freundlich für ihn zu interessiren, als ich das Vergnügen hatte, in Sjöreda zu sein«, antwortete er und versuchte, aufmerksamer zu sein. Aber auch nicht einen einzigen Gedanken verschwendete er an seine kleine, freundliche Nachbarin, alle drehten sich um das schöne, stolze Haupt dort oben am Tische auf dem Ehrenplatze.
Wie seltsam, daß sie bei ihrem ersten Zusammentreffen schon verlobt war!
Nun gut; aber was geht das Dich eigentlich an, mein lieber Arvid Magnusson?
Der alte Präpositus, dessen Käppchen nun ganz schief saß, während seine Augen noch liebevoller als gewöhnlich blinzelten, schlug wieder an's Glas:
»Sst! bitte, warten Sie ein Bischen! Graf Svedenhjelm will einige Worte sagen.«
Und der alte Graf sprach einige Worte über die Freude, eine solche Tochter auf Säfby begrüßen zu können u. s. w.
»Hochverehrte Mitchristen, ich ...«
»Nein, aber Papa ...« warnte Strandin's Evchen, die innerhalb Hörweite saß.
Doch der alte Strandin war unverbesserlich und hielt an diesem Abend noch drei Reden.
Nach wenigen Tagen standen die Bäume in vollem Blätterschmucke und das üppige Gras breitete seinen grünen Teppich über Hjelmskog's wellenförmige Wiesen und Kleefelder. Die Bänke wurden aus dem Gartenhause geholt und in Park und Garten aufgestellt. Die Jugend schwärmte in der erwachten Natur umher, und das Krocketspielen begann.
Aber noch etwas Anderes war auch in die Welt gekommen: die Verlobungsanzeige, und die Hjelmskoger Posttasche reichte kaum hin für alle Glückwunschschreiben.
An einem warmen, sonnigen Nachmittage, als die Jugend mit allen Gästen nach dem See gegangen war, um nachzusehen, wie weit man die Boote schon in Stand gesetzt hatte, fuhr ein kleiner bestaubter Wagen vor dem Hauptgebäude vor, und eine kleine, elegante Dame eilte in zwei Secunden die hohe Treppe hinauf. Die Kammerjungfer stutzte vor dieser vielfarbigen Toilette, diesen Wolken von Schleifen und Spitzen. Das kleine braune Antlitz der Fremden war schön und die dunkeln Augen bohrten sich mit verzehrender Gluth in die des Mädchens.
»Je suis Mademoiselle de La Tour. Vicomte du Hjelmskog vara visible?«
»Ja, dies ist Schloß Hjelmskog.«
»Oui, oui, begripa, aber ich – ah, Vicomte de Stålsköld, Vicomte du Hjelmskog sjelf, nicht wahr?« rief sie, als der alte Baron sich in demselben Augenblicke auf der Treppe zeigte.
»Habe das Vergnügen! Womit kann ich Ihnen dienen, meine Gnädige?«
»Donnez-moi ett samtal deux minuten! Entre nous!«
»Bitte, treten Sie in mein Zimmer!« sagte der Baron ganz artig, obgleich er es nicht für passend ansah, den wunderlichen Besuch in den Salon zu führen.
Das Dämchen schwebte hin und ließ sich ohne Weiteres in dem Schaukelstuhle des Barons nieder, ein Paar kleine, charmante Füßchen ungenirt über einander legend.
»Pardon, monsieur, ich bin fräulein Margaretha Thor und ...«
»Ei der Tausend, ich hielt Sie für eine Französin.«
»Oui, mon père et ma mère vara französisches leut, aber mon grossmaman une deutsches kone, og jeg troede at ...«
»Halt, halt! Sind Sie auch Dänin?«
»Ja wohl, mon Bedstefader est arrivé fra Jutland, aber das ist nicht derom jeg ville tale med dem. Aber dette mariage mellem comtesse du Hjelmskog et vicomte Svedenhjelm vara ett perfidie, en unmöglichheit.«
»Wa–as, was sagten Sie? Was haben Sie mit der Verlobung meiner Tochter zu thun, Mademoiselle?«
»O mon Dieu! er hatte sagt att han skulle taga mich zur Ägtefaelle, er hatte ...«
»Wer, zum Teufel, hat das gesagt?«
»Oui, jeune vicomte de Svedenhjelm. Je suis une chansonette, aber ich ist ein feines mädchen, og det er ingem, den kan tale det ringeste paa min bag. Parole d'honneur! Det maa De stole paa. Oh, pauvre petite Madeleine La Tour«
Hier brach sich ihre Stimme in Schluchzen.
»Sind Sie denn rein toll? Eben hießen Sie Margaretha Thor!«
»Oui, ich haben in Deutschland gewesen, och daa maa man rette navn efter Byen, i saer da de Franske, S' Gu slet ikke ere godt lidne in Deutschland.«
Der Baron klingelte.
»Laufe nach der Bootbrücke und bitte die beiden Grafen Svedenhjelm herzukommen. Aber leise, hörst Du, damit die Uebrigen nichts merken.«
Die Kammerjungfer verschwand mit einem zögernden, skandalhungrigen Blick auf die fremde Dame, die noch immer das Gesicht im Taschentuche verbarg.
»Verdammtes Abenteuer!« murmelte der Baron und steckte sich inzwischen eine Cigarre an. Doch dabei blinzelte er seitwärts nach der kleinen schluchzenden Gestalt mit den ausgestreckten charmanten Füßchen hin. Der alte Adam erwachte in ihm und er flüsterte mit einer Stimme, die väterlich sein sollte, während er sich ihr langsam näherte und mild über die schwarzen Locken strich: »Armes Kind, ich ... hm ... armes Kind ...«
»Ah, monsieur vicomte du Hjelmskog! Pauvre la petite fille Madeleine!« Und damit warf sie sich ihm heftig an die Brust und legte dem »alten« Baron beide Arme energisch um den Hals. So fanden ihn die beiden Grafen Svedehjelm.
»Hi, hi, hi, Du alter Ravaillac! Bist Du rein von Sinnen? Hier in Deinem eigenen Hause!« sagte der alte Graf.
Baron Stålsköld richtete sich würdevoll und verletzt auf.
»Dabei ist wirklich nichts zu lachen, mein Freund!«
Kaum hatte das Dämchen einen Schimmer von Graf Axel erblickt, als sie ihm schluchzend in die Arme stürzte.
»Mon Axel, mon ange, mon dieu! o du undankbarer! Husker De da slet ikke hvad De har lovet mig und meine kleine garçon?«
»Was denn? Ist da auch ein Junge?« brach der alte Baron aus.
»St! still! Bist Du toll? Schweig'! Ich werde freigebig sein – später. Mache mich nicht unglücklich, Madeleine!« flüsterte Axel, dem der Angstschweiß in großen, klaren Tropfen auf den blonden Schnurrbart perlte. Und dabei machte er sich behutsam von ihr los.
Mademoiselle setzte sich auf dem Schreibtischsessel zurecht und bemerkte dabei ein Cigarrenetui.
»Excusez-moi« lächelte sie dem alten Baron zu, zündete rasch eine Cigarette an und steckte sie in das zierliche Mündchen.
»Meine Freunde, Ihr sprecht wohl gewiß lieber einen Augenblick allein mit Mademoiselle. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen. Wir treffen uns nachher!« sagte der Baron mit einem nicht allzufreundlichem Blick auf den jungen Grafen.
Draußen stand die Baronin in Feuer und Flammen.
»Was bedeutet dies, Casimir? Diese fremde, merkwürdige Dame und dies ... wer ist sie?«
»Beruhige Dich, Julie. Das ist wirklich gar nichts, das ...«
»Was ist das für eine Person, Casimir?«
»Es ist – es ist – eine Kunstreiterin, glaube ich. Jaha, das wird sie sein, jaha ...«
»Kuuunstreieieiterin! Was will sie von Svedenhjelm's?«
»Ja–ja–ja, siehst Du, mein Schatz ... hm ...«
»Willst Du mir antworten? Casimir!«
»Ja gewiß, mein Engel, was wolltest Du wissen?«
»Was die Kunstreiterin von Svedenhjelm's wollte!«
»Ja–so. Ja, siehst Du, Julie, Du weißt, daß in Säfby eine Manege ist.«
»Nun, und?«
»Jaha, und so – da – dann ist da Thierschau – nächste Woche auf dem Säfbyer Bahnhofe. Sie will die Manege miethen und während dieser Zeit einige Vorstellungen geben.«
»Circus für die Bauern! Wird auch ein feiner Circus sein! Und darum ist sie hierher gereist?«
»Die haben Pech gehabt, Julchen, abscheuliches Pech, und sind nun wohl ein wenig herunter gekommen. Zwei Pferde sind ihnen gestorben – ich meine, so sagte sie – und die Primadonna hat sich den Fuß verrenkt oder wie es nun war. Nein, durchaus nicht, sie ist gar nicht weit gereist, um Svedenhjelm's zu treffen. Die Gesellschaft kommt nun von Malmö – nein, von Båstad war es.«
»Still, Casimir! Die Person weint ja.«
»Thut sie das? Ja, freilich! Ja, dann erzählt sie gewiß gerade von den todten Pferden. Solche Leute halten entsetzlich viel von den Thieren, mit denen sie arbeiten. Willst Du nicht auch ein Bischen in's Freie gehen, Julchen?« schlug der Baron vor und ging wieder in sein Zimmer.
»St!! Tausend noch einmal, seid doch wenigstens still. Julie ist draußen, furchtbar aufgeregt, und die Anderen können jeden Augenblick vom See zurückkommen.«
»Ach, Bruder, ich bin außer mir vor Zorn und Betrübniß«, rief der alte Graf aus. »Nun sind wir endlich zu einem Resultat mit – mit – dieser Person gekommen.«
Am Kachelofen stand Graf Axel mit Madeleine La Tour und legte die letzte Hand an den Friedenstractat.
»Nein, Madeleine, nein, sechstausend für Dich, wie wir abgemacht haben, aber nichts Besonderes für den Knaben. Ihn will ich selbst unterbringen und versorgen.«
»Ah, Du Biest! så hor daa De slemme karl att – der kleine Bube ist gestorben for lange, lange siden. Da jeg kein Geld bekommen können for hanen, kann De lige saa gerne faa den hele Sanning att vide. Adieu, mon ami!«
Und dabei knixte Mademoiselle La Tour, alias Fräulein Thor, zierlich und malitiös und trippelte zu ihrem in der Allee wartenden Wagen.
Auf den gewöhnlich so bleichen Wangen Axel's brannte tiefe Gluth und er kaute in voller Verzweiflung an seinem langen rothblonden Schnurrbart.
»Kannst Du mir dies jemals verzeihen, Onkel?« murmelte er mit auf den Boden gehefteten Augen.
»Das werden wir sehen, mein feines Herrchen«, zischte der alte Baron wüthend. »Ich bin auch kein Heiliger in meiner Jugend gewesen, und wir Männer können einander wohl zugestehen, daß wir auf die Sache an und für sich kein so großes Gewicht legen. Aber daß man mit einer solchen Liebschaft solche Rechte über sich einräumt, daß man sich wie ein Missethäter freikaufen muß, das ist zu leichtsinnig, Axel!«
»Ich verdiene den Vorwurf, Onkel. Ich bin ein wilder Schlingel gewesen, den Niemand hat im Zaum halten können. Aber Dein Vertrauen soll mir ein Sporn zu einem neuen Leben sein. Die Liebe zu einem edlen Mädchen zügelt jeden ehrenhaften Mann, und wenn Du »dies« vergessen willst, so schwöre ich, nie wieder aus der Bahn zu weichen oder über die Schranken zu setzen.«
Das Gesicht des alten Barons erhellte sich.
»Komm her, Junge! Zum Teufel, man kann Dir nicht länger böse sein. Sie – die da – sie ist nun wohl wirklich fort?«
»Jaha, Gott sei Dank!« seufzte der alte Graf und wischte sich energisch den Schweiß von der Stirn.