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gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827 von Wilhelm Hauff
Text: Ev. Matth. VIII. 31-32
Allen Verehrern der Claurenschen Muse widmet diese Blätter in bekannter Hochachtung der Verfasser |
Ehrwürdige Versammlung, andächtige Zuhörer!
Die Apostel, besonders der heilige Paulus, als er zu Rom predigte, verschmäheten es nicht, auch häusliche, bürgerliche Angelegenheiten der Gemeinde zu Gegenständen ihrer Betrachtungen zu machen. Es läßt sich zwar mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie belletristische Gegenstände nicht berührt haben, daß sie literarische Streitigkeiten nicht, wie man zu sagen pflegt, auf die Kanzel brachten; denn sie hatten Wichtigeres zu tun; nichtsdestoweniger aber geschah dies einige Jahrhunderte später, und man trifft in den Kirchenvätern nicht undeutliche Spuren, daß sie über allerhand literarische Subtilitäten, sogar über die Tendenz und den Stil ihrer Gegner auf dem kirchlichen Rednerstuhl gesprochen haben.
Berühmte Kanzelredner neuerer Zeit haben oft und viel, zum Beispiel über das Theater gepredigt, oder über das Tanzen am Sonntag, oder über das Singen unzüchtiger Lieder, andere wieder über das Spielen, namentlich das Kartenspielen, und einen habe ich gehört, der in einer Vesperpredigt das Schachspiel in Schutz nahm, und nur bedauerte, daß es ein Heide erfunden.
Und wenn es die Pflicht des Redners ist, meine Freunde, der Gemeinde darzutun, welchen Irrtümern sie sich hingebe, welche böse Gewohnheiten unter ihr herrschen, wenn es die Natur der Sache erfordert, bei einer solchen Aufdeckung von Irrtümern und böslichen Gewohnheiten bis ins einzelne und kleinste zu gehen, weil oft gerade dort, recht ins Auge fallend, der Teufel nachgewiesen werden kann, der darin sein Spiel treibt, so kann es niemand befremden, wenn wir nach Anleitung der Textesworte miteinander eine Betrachtung anstellen über:
Den »Mann im Monde« von H. Clauren
und zwar betrachten wir
I. Wer und was ist dieser Mann im Mond,
oder – was ist sein Zweck auf dieser Welt?
II. Wie hat er diesen Zweck verfolgt? und wie erging es ihm auf dieser Welt?
Andächtige Zuhörer! Kontroverspredigern, namentlich solchen, die vor einer so großen Versammlung reden, kommt es zu, den Gegenstand ihrer Betrachtung so klar und deutlich als möglich vor das Auge zu stellen, damit jeder, wenn ihn auch der Herr nicht mit besonderer Einsicht gesegnet hat, die Sache wie sie ist, sogleich begreife und einsehe. Es hat in unserer Literatur nie an sogenannten Volksmännern gefehlt, das heißt an solchen, die für ein großes Publikum schrieben, das, je allgemeiner es war, desto weniger auf wahre Bildung Anspruch machen konnte und wollte. Solche Volksmänner waren jene, die sich in den Grad der Bildung ihres Publikums schmiegten, die eingingen in den Ideenkreis ihrer Zuhörer und Leser, und sich, wie der Prediger Abraham a Sancta Clara, wohl hüteten, jemal sich höher zu versteigen, weil sie sonst ihr Publikum verloren hätten. Diese Leute handelten bei den großen Geistern der Nation, welche dem Volke zu hoch waren, Gedanken und Wendungen ein, machten sie nach ihrem Geschmack zurecht, und gaben sie wiederum ihren Leuten preis, die solche mit Jubel und Herzenslust verschlangen. Diese Volksmänner sind die Zwischenhändler geworden, und sind anzusehen wie die Unternehmer von Gassenwirtshäusern und Winkelschenken. Sie nehmen ihren Wein von den großen Handlungen, wo er ihnen echt und lauter gegeben wird; sie mischen ihn, weil er dem Volke anders nicht munden will, mit einigem gebrannten Wasser und Zucker, färben ihn mit roten Beeren, daß er lieblich anzuschauen ist, und verzapfen ihn ihren Kunden unter irgendeinem bedeutungsvollen Namen.
Diese Gassenwirte oder Volksmänner treiben aber eine schändliche und schädliche Wirtschaft. Sie fühlen selbst, daß ihr Gebräu sich nicht halten würde, daß es den Ruf von Wein auf die Dauer nicht behalten könnte, wenn er nicht auch berausche. Daher nehmen sie Tollkirschen und allerlei dergleichen, was den Leuten die Sinne schwindelnd macht. Oder, um die Sache anders auszudrücken: sie bauen ihre Dichtungen auf eine gewisse Sinnlichkeit, die sie, wie es unter einem gewissen Teil von Frauenspersonen Sitte ist, künstlich verhüllen, um durch den Schleier, den sie darüber gezogen haben, das lüsterne Auge desto mehr zu reizen. Sie kleiden ihr Gewerbe in einen angenehmen Stil, der die Einbildungskraft leicht anregt, ohne den Kopf mit überflüssigen Gedanken zu beschweren, sie geben sich das Ansehen von heiterem, sorglosem Wesen, von einer gewissen gutmütigen Natürlichkeit, die lebt, und leben läßt, sie sind arglose Leute, die ja nichts wollen als ihrem Nebenmenschen seine »oft trüben Stunden erheitern«, und ihn auf eine natürliche, unschuldige Weise ergötzen. Aber gerade dies sind die Wölfe in Schafskleidern, das ist der Teufel in der Kutte, und die Krallen kommen frühe genug ans Tageslicht.
Wem unter euch, meine Andächtigen, sollte bei dieser Schilderung nicht vor allem jener beifallen, der alljährlich im Gewande eines unschuldigen Blumenmädchens, auf die Messe zieht, und »Vergißmeinnicht« feilbietet. Ich weiß wohl, daß dort drüben auf der Emporkirche, daß da unten in den Kirchstühlen manche Seele sitzt, die ihm zugetan ist, ich weiß wohl, daß er bei euch der Morgen- und Abendsegen geworden ist, ihr Nähermädchen, ihr Putzjungfern, selbst auch ihr sonst so züchtigen Bürgerstöchterlein, ich weiß, daß ihr ihn heimlich im Herzen traget, ihr, die ihr auf etwas Höheres, von Bildung und Geschmack Anspruch machen wollet, ihr Fräulein mit und ohne »von«, ihr gnädigen Frauen und andere Mesdames. Ich weiß, daß er das A und das O eurer Literatur geworden ist, ihr Schreiber und Ladendiener, daß ihr ihn beständig bei euch führt, und wenn der Prinzipal ein wenig beiseite geht, ihn schnell aus der Tasche holt um eure magere Phantasie durch einige Ballgeschichten, Champagnertreffen und Austerschmäuse anzufeuchten; ich weiß, daß er bei euch allen der Mann des Tages geworden ist, aber nichtsdestoweniger, ja, gerade darum und eben deswegen will ich seinen Namen aussprechen, er nennt sich Clauren. Anathema sit!
Vor zwölf Jahren laset ihr, was eurem Geschmack gerade keine Ehre machte, Spieß und Cramer, mitunter die köstlichen Schriften über Erziehung, von Lafontaine; wenn ihr von Meißner etwas anders gelesen, als einige Kriminalgeschichten etc., so habt ihr euch wohl gehütet, es in guter Gesellschaft wiederzusagen; einige aber von euch waren auf gutem Wege, denn Schiller fing an, ein großes Publikum zu bekommen. Gewinn für ihn und für sein Jahrhundert, wenn er, wie ihr zu sagen pflegt, in die Mode gekommen wäre; dazu war er aber auch zu groß, zu stark. Ihr wolltet euch die Mühe nicht geben, seinen erhabenen Gedanken ganz zu folgen. Er wollte euch losreißen aus eurer Spießbürgerlichkeit, er wollte euch aufrütteln aus eurem Hinbrüten, mit jener ehernen Stimme, die er mit den Silberklängen seiner Saiten mischte, er sprach von Freiheit, von Menschenwürde, von jeder erhabenen Empfindung, die in der menschlichen Brust geweckt werden kann – gemeine Seelen! Euch langweilten seine herrlichsten Tragödien, er war euch nicht allgemein genug. Was soll ich von Goethe reden? Kaum, daß ihr es über euch vermögen konntet, seine »Wahlverwandtschaften« zu lesen, weil man euch sagte, es finden sich dort einige sogenannte pikante Stellen – ihr konntet ihm keinen Geschmack abgewinnen, er war euch zu vornehm.
Da war eines Tages in den Buchladen ausgehängt: »Mimili, eine Schweizergeschichte.« Man las, man staunte. Siehe da, eine neue Manier zu erzählen, so angenehm, so natürlich, so rührend und so reizend! Und in diesen vier Worten habt ihr in der Tat die Vorzüge und den Gehalt jenes Buches ausgesprochen. Man würde lügen, wollte man nicht auf den ersten Anblick diese Manier angenehm finden. Es ist ein ländliches Gemälde, dem die Anmut nicht fehlt, es ist eine wohltönende leichte Sprache, die Sprache der Gesellschaft, die sich zum Gesetz macht, keine Saite zu stark anzuschlagen, nie zu tief einzugehen, den Gedankenflug nie höher zu nehmen als bis an den Plafond des Teezimmers. Es ist wirklich angenehm zu lesen, wie eine Musik angenehm zu hören ist, die dem Ohr durch sanfte Töne schmeichelt, welche in einzelne wohllautende Akkorde gesammelt sind. Sie darf keinen Charakter haben, diese Musik, sie darf keinen eigentlichen Gedanken, keine tiefere Empfindung ausdrücken, sonst würde die arme Seele unverständlich werden, oder die Gedanken zu sehr affizieren. Eine angenehme Musik, so zwischen Schlafen und Wachen, die uns einwiegt und in süße Träume hinüberlullt. Siehe, so die Sprache, so die Form jener neuen Manier, die euch entzückte.
Das zweite, was euch gefiel, hängt mit diesem ersteren sehr genau zusammen, diese Manier war so natürlich. Es ist etwas Schönes, Erhabenes um die Natur, besonders um die Natur in den Alpen. Schiller ist auch einmal dort eingekehrt, ich meine mit »Wilhelm Teil«. Sein Drama ist so erhaben, als die Natur der Schweizerlande, es bietet Aussichten, so köstlich und groß, wie die von der Tellskapelle über den See hin, aber nicht wahr, ihr lieben Seelen, der ist euch doch nicht natürlich genug? Zu was auch die Seele anfüllen mit unnützen Erinnerungen an die Taten einer großen Vorzeit? Zu was Weiber schildern wie eine Gertrude Stauffacher oder eine Berta, oder Männer wie einen Tell, oder einen Melchthal? Da weiß es Clauren viel besser, viel natürlicher zu machen! Statt großartige Charaktere zu malen, für welche er freilich in seinem Kasten keine Farben finden mag, malt er euch einen Hintergrund von Schneebergen, grünen Waldwiesen mit allerlei Vieh; das ist pro primo die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit, mit schlanker Taille von acht Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg mitgemacht), das Eiserne Kreuz im Knopfloch etc. Das ist der Held des Stückes. Eine interessante Figur! nämlich Figur als wirklicher Körper genommen, mit Armen, Taille, Beinen etc. und interessant, nicht wegen des Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein Eisernes Kreuz trägt, und so ein Ding von einem preußischen Husaren war. Neben diesen Helden kommt ein frisches, rundes »Dingelchen« zu stehen, mit kurzem Röckchen, schönen Zwickelstrümpfen etc. Kurz, das Inventarium ihres Körpers und ihres Anzuges könnt ihr selbst nachlesen, oder habt es leider im Kopfe. Das Schweizerkind, die Mimili, ist nun so natürlich als möglich; d. h. sie geniert sich nicht, in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lüften und ihn den Schnee und dergleichen sehen zu lassen, daß ihm »angst und bange« wird, einiger Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens etwas unnatürlich klingt; kurz, es ist nichts vergessen, die Natur ist nicht nur nachgeahmt, sondern förmlich kopiert und getreulich abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittelst einer Camera obscura abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist, der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostüm der Natur kopierte. Zeichnet die nächste beste Schweizer Milchmagd ab, so habt ihr eine Mimili, und freilich alles so natürlich als möglich.
Das dritte, was euch so gut mundete an dieser Geschichte, war – das Rührende. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht rührend? Es ist ein Motiv, das jedem Roman als Würze beigegeben wird, wie bittere Mandeln einem süßen Kuchen, um das Süße durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhörerinnen, und ich habe dies zu öfteren Malen an euch gerügt, versetzt euch gar zu gerne in ein solches Liebesverhältnis, wenn nicht dem Körper, doch dem Geiste nach. Wenn ihr so dasitzet, und nähet oder stricket, und über eure Nachbarn gehörig geklatscht habt, kommt gar leicht in eurer Phantasie das Kapitel der Liebe an die Reihe, und ihr träumet und träumet und vergesset die Welt und die Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag; gerade so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von welchem ihr leset, desto angenehmer fühlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr keine Natürlichkeit, da soll es recht arg und türkisch zugehen, und wie den spanischen Inquisitoren, so ist euch ein solches Autodafé ein Freudenfest. Je länger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten, je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto rührender kömmt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost in petto, daß der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet nicht gerührt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene Mollakkorde anschlagen, die durch die Seele zittern, wer wollte auch mit einer Äolsharfe auf einer Kirchweihe aufspielen! da ist der schnarrende Contrebaß Meister, und je »gräßlicher« es zugeht, desto rührender ist es.
Ich komme aber auf den vierten Punkt der Mimilis-Manier, nämlich auf – das Reizende. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid, das ist aber die Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt, jenes war die Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch einführt, aber siehe da, das ist der Pferdefuß, und an seinen Spuren wirst du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich, zu sehen, daß ihr, da unten, die Augen nicht aufschlagen könnet; es freut mich, zu sehen, daß hin und wieder, auf mancher Wange die Röte der Beschämung aufsteigt; es freut mich, daß Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren, wenn ich diesen Punkt berühre. Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzu wohl, was ich meine.
Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis, ein Herder waren doch wahrhaftig große Dichter, und habt ihr je gesehen, daß sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mußten, um sich ein Publikum zu machen? oder wie? sollte es wirklich wahr sein, daß jene edleren Geister nur für wenige Menschen ihre hehren Worte aussprachen, daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche Zoten spricht, und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht? Armseliges Männervolk, daß du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knieen, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus vulgivaga. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schöpfen wollet. Errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt, als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kränkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen, geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von anderen geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergißmeinnichtblümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist.
Siehe da die Anmut, die Natürlichkeit, das Rührende und den hohen Reiz der Mimilis-Manier. Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr Erfinder machte. Wie das Unkraut üppig sich ausbreitet, so ging es auch mit dieser Giftpflanze in der deutschen Literatur. Die Mimili-Manier wurde zur Mimili-Manie, wurde zur Mode; was war natürlicher, als daß Clauren eine Fabrik dieses köstlichen Zeuges anlegte, und zwar nach den vier Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner »Mimili« fanden. Bei jener Klasse von Menschen, für welche er schreibt, liegt gewöhnlich an der Feinheit des Stoffes wenig; wenn nur die Farben recht grell und schreiend sind. Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Fäden spinnen, keine zarteren Nüanzen der Farben geben, sein Stoff ist gewöhnlich so unkünstlerisch und grob als möglich angelegt; ein fadengerades Heiratsgeschichtchen, so breit und lange als möglich ausgedehnt, von tieferer Charakterzeichnung ist natürlich keine Rede; Kommerzienräte, Husarenmajors, alte Tanten, Ladenjünglinge comme il faut, etc. Die Dame des Stückes ist und bleibt immer dasselbe Holz- und Gliederpüppchen, die nach Verhältnissen kostümiert wird, heiße sie nun Mimili oder Vally, Magdalis oder Doralice, spreche sie Schweizerisch oder Hochdeutsch, habe sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem geringen Maßstabe angelegt, so kommen die Ingredienzien.
Bei den Ingredienzien wird, wie billig, zuerst Rücksicht genommen auf das Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens, einige artige Kupfer mit schönen »Engelsköpfchen«, angetan nach der »allernagelfunkelneuesten« Mode. Diese werden natürlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt und gestochen, und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben. Sündigerweise benützt der gute Mann auch die Porträts schöner fürstlicher Damen, die er als Quasi-Aushängeschild vor den Titel pappt. So hat es uns in der Seele wehe getan, daß die Großfürstin Helena von Rußland, eine durch hohe Geistesgaben, natürliche Anmut und Körperschönheit ausgezeichnete Dame, bei dem Tornister-Lieschen (im »Vergißmeinnicht« 1826) gleichsam zu Gevatter stehen mußte.
Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die er trotz den ersten Modehändlerinnen zu machen versteht. Wer wollte es Virgil übelnehmen, wenn er den Schild seines Helden beschreibt; wer lauscht nicht gerne auf die kriegerischen Worte eines Tasso, wenn er die glänzenden Waffen seines Rinaldo oder Tankred singt. Es sind Männer, die von Männern, es sind edle Sänger, die von Helden singen. Überwiegt aber nicht der Ekel noch das Lächerliche, wenn man einen preußischen Geheimen Hofrat hört, wie er den Putz einer Dame vom Kopf bis zu den Zehenspitzen beschreibt; es kömmt freilich sehr viel darauf an, ob auf dem hohlen Schädel seiner Mimilis ein italienischer Strohhut oder eine Toque von Seide sitzt, ob die Federn, die solche schmücken, Marabout- oder Straußfedern, oder gar Paradiesvögel sind; und dann die niedlichen »Sächelchen« von Ohrgeschmeide, Halsbändern, Bracelets et cetera, daß »einem das Herz puppert«, und dann die Brüßler-Kanten um die wogende Schwanenbrust, und das gestickte Ballkleid, und die durchbrochenen Strümpfe, und die seidenen Pariser Ballschuhe, oder ein Negligé wie aus dem leichtesten Schnee gewoben, und dieses Überröckchen, und jenes Mäntelchen, und dieses Spitzenhäubchen, aus dem sich die goldenen Ringellöckchen hervorstehlen. O sancta simplicitas! und ihr kneipt, um mich seiner Sprache zu bedienen, ihr kneipt die Knie nicht zusammen, meine Damen, und wollet euch nicht halb zu Tode lachen über den köstlichen Spaß, daß ein preußischer Geheimer Hofrat eurer Zofe ins Handwerk greift, und euch vorrechnet, was man im Putzladen der Madame Prellini haben kann? Leider ihr lachet nicht! Ihr leset den allerliebsten Modebericht mit großer Andacht, ihr sprechet, »das ist doch einmal eine Lektüre von Geschmack; nichts Überirdisches, Romantisches, tout comme chez nous, bis aufs Hemde hat er uns beschrieben, der deliziöse Mann, der Clauren!«
Ein drittes Ingredienz für Mädchen sind die magnifiken Bälle die er alljährlich gibt. Hu! wie da getanzt wird, daß das Herzchen »im Vierundsechzigsteltakt pulsiert!« Wie schön! vornehme Damen, die bei Präsidents A., bei Geheimrats B., bei dem Banquier C., oder gar bei Hofe Zutritt haben, finden alles »haarklein« beschrieben, von der Polonaise bis zum Kotillon. Arme Landfräulein, die nur in das nächste Städtchen auf den Kasinoball kommen können, lesen ihren Clauren nach, ihre Phantasie trägt sie auf den herrlichen Ball bei Hof und »der Himmel hängt ihnen voll Geigen«. Putzjungfern, welche Ballkleider verfertigen, ohne sich selbst darin zeigen zu können, Kammermädchen, die ihre Dame zu dem Ball »aufgedonnert« haben, nehmen beim Schein der Lampe ihren Clauren zur Hand, treten unter dem Tische mit den tanzlustigen Füßen den Takt eines Schnellwalzers, und träumen sich in die glänzenden Reihen eines Fastnachtballes! Treffliches Surrogat für tanzlustige Seelen, köstliche Stallfütterung für Schafe, die nicht auf der Weide hüpfen können!
Als ein viertes treffliches Hauptingredienz für liebevolle, weibliche Seelen ist das vollendete Bild eines Mannes, wie er sein soll, zu rechnen, das Clauren zu geben versteht. In der Regel zeichnen sich diese Leute nicht sehr durch hohe Verstandesgaben aus, doch wir wollen diesen Fehler an Clauren nicht rügen; wo nichts ist, sagt ein altes Sprüchwort, da hat der Kaiser das Recht verloren. Statt des Verstandes haben die »Vergißmeinnicht«-Männer herrliche Rabenlocken, einen etwas schwindsüchtigen Teint, der sie aber schmachtend und interessant macht, unter fünf Fuß sechs Zoll darf keiner messen; kräftige, männliche Formen, sprechende Augen, die Hände und Füße aber wie andere Menschen. Sie sind gerade so eingerichtet, daß man sich ohne weiteres auf den ersten Augenblick in sie verlieben muß. Dabei sind sie meistens arm, aber edel, stolz, großmütig, und heiraten gewöhnlich im fünften Akt. Auf welche edle weibliche Seele sollte ein solcher Held neuerer Zeit nicht den wohltuendsten Eindruck machen, wenn sie von ihm liest? Sie schnitzelt das Bild des Obergesellen, oder Jagdschreibers, oder Apothekergehülfen, das sie im Herzen trägt, so lange zurecht, bis er ohngefähr gerade so aussieht, wie der Allerschönste im allerneuesten Jahrgang des allerliebsten »Vergißmeinnicht«.
Fünftens: von schimmernden Lüstres, von deckenhohen Trumeaux, von herrlichen Sofas, von feengleicher Einrichtung, von Sepiamalerei u. dgl. wäre hier noch viel zu reden, wenn es die Mühe lohnte.
Gehen wir, andächtige Versammlung, über zu den Ingredienzien und Zutaten für Männer, so können wir hier leicht zwei Klassen machen; 1) Zutaten, die für das Auge reizen, 2) Zutaten, die den Gaumen kitzeln.
Unter Nro. 1 ist vor allem zu rechnen die Art, wie Clauren seine Mädchen beschreibt. Um zuerst von ihrem geistigen Wert zu sprechen, so gilt hier dasselbe, was von den Männern gesagt wurde, eine tiefe, edle, jungfräuliche Seele weiß kein Clauren zu schildern, und wenn er es wüßte, so hat er ganz recht, daß er nie eine Thekla, eine Klotilde, oder ein Wesen, das etwa ein Titan oder Horion lieben könnte, unter seiner Affenfamilie mittanzen läßt. Was das Äußere betrifft, so macht er es wie jener griechische Künstler, der aus sieben schönen Mädchen sich eine Venus bilden wollte. Aber, er vergißt den hohen Sinn, der in der Sage vor dem Künstler liegt. Sechs zogen vorüber und zeigten dem entzückten Auge, stolz die entfesselten Reize ihrer Jugend. Die siebente, als die Gewänder fallen sollten, errötete und verhüllte sich, und der Künstler ließ jene sechs vorübergehen und bildete nach diesem Vorbild jungfräulicher Hoheit seine Göttin. Nicht also Clauren; die sechs hat er wohl aufgenommen, der siebenten, als sie verschämt, verhüllt, errötend nahte, hat er die Türe verschlossen.
Und jetzt, meine Herren, setzet euch her, macht es euch bequem, der große Meister gibt ja das Panorama aller weiblichen Reize. Siehe die entfesselten Locken, die auf den Alabaster der Schultern niederfallen, siehe – doch wie? soll ich alle jene erhabenen, ausgesuchten Epitheta wiedergeben, die sich mit Schnee, mit Elfenbein, mit Rosen gatten? Ich bin ein Mann und erröte, erröte darüber, daß ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die sittenlose Frechheit hat, alljährlich ein ausführliches Verzeichnis von den Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand!
Als Tasso jene Strophen dichtete, worin die Gesandten Gottfrieds am Palast der neuen Circe die Nymphen im See sich baden sehen, glaubet ihr, seine reiche, glühende Phantasie hätte ihm nicht noch lockendere Bilder, reizendere Wendungen einhauchen können, als einem Clauren? Doch, er dachte an sich, er dachte an die hohe, reine Jungfrau, für die er seine Gesänge dichtete, er dachte an seinen unbefleckten Ruhm bei Mit- und Nachwelt, und siehe, die reichen Locken fallen herab, und strömen um die Nymphen und rollen in das Wasser, und der See verhüllt ihre Glieder. Aber, si parva licet componere magnis, was soll man zu jener skandalösen Geschichte sagen, die H. Clauren in einem früheren Jahrgang des »Freimütigen«, eines Blattes, das in so manchem häuslichen Zirkel einheimisch ist, erzählt.
Rechne man es nicht uns zur Schuld, wenn wir Schändlichkeiten aufdecken, die jahrelang gedruckt zu lesen sind. Eine junge Dame kömmt eines Tages auf Claurens Zimmer. Sie klagt ihm nach einigen Vorreden, daß sie zwar seit 14 Tagen verheiratet, und glücklich verheiratet, aber durch einen kleinen Ehebruch von einer Krankheit angesteckt worden sei, die ihr Mann nicht ahnen dürfe. H. Clauren erzählt uns, daß er der engelschönen Dame gesagt, sie sei nicht zu heilen, wenn sie ihm nicht den Grad der Krankheit et cetera zeige. Die Dame entschließt sich zu der Prozedur. Ich dächte, das Bisherige ist so ziemlich der höchste Grad der Schändlichkeit, zum mindesten ein hoher Grad von Frechheit, dergleichen in einem belletristischen Blatt zur Sprache zu bringen. Eine Dame, glücklich verheiratet, seit 14 Tagen ein glückliches Weib und Ehebrecherin! Aber nein! Der Faun hat hieran nicht genug; er ladet uns zu der Prozedur selbst ein; er rückt den Sessel ans Fenster, er setzt die Dame in Positur, er beschreibt uns von der Zehenspitze aufwärts seine Beobachtungen!!!
Ich wiederhole es, man kann von einem solchen Frevel nur zu sprechen wagen, wenn er offenkundig geworden ist, wenn man die Absicht hat, ihn zu rügen. Warum in einem öffentlichen Blatte etwas erzählen, was man in guter Gesellschaft nicht erwähnen darf? Aber das ist H. Clauren, der geliebte, verehrte, geachtete Schriftsteller, der Mann des Volkes. Schande genug für ein Publikum, das sich Schändlichkeiten dieser Art ungestraft erzählen läßt!
In die eben erwähnte Kategorie von berechnetem Augenreiz für Männer gehören auch die Situationen, in welchen wir oft die Heldinnen finden. Bald wird uns ausführlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralicens Angst, zu zwei schlafen zu müssen, bald hört man Vally im Bade plätschern, und möchte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein Kammermädchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet, der glühenden, durch alle Nerven zitternden Küsse, der Blicke beim Tanze abwärts auf die Wellenlinien der Tänzerinnen u. dgl, nicht zu gedenken; Honigworte für Leute, die nichts Höheres kennen als Sinnlichkeit, köstlich kandierte Zoten für einen verwöhnten Gaumen, treffliches Hausmittel für junge Wüstlinge und alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind, um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen!!
Ein zweites Reizmittel für Männer sind jene Zutaten, die den Gaumen kitzeln. »Heda Kellner, hieher sechs Flaschen des brüsselnden Schaumweins; ha, wie der Kork knallend an die Decke fährt! eingeschenkt, laßt ihn nicht verrauchen; jetzt für jeden zwei, drei Dutzend Austern draufgesetzt.« Ist diese Sprache nicht herrlich? wird man nicht an Homer erinnert, der immer so redlich angibt, was seine Helden verspeisten; freilich gab er ihnen nur gewöhnliches »Schweinefleisch«, und die Weinsorten rühmt er auch nicht besonders; aber ein Clauren ist denn doch auch etwas anderes als Homer; wer wollte es übelnehmen, wenn er die Korke fliegen läßt und Austern schmaust, 500 Stück zum ersten Anfang?
Ich kannte einen jener bedauerungswürdigen Menschen, die man in glänzendem Gewand, mit zufriedener Miene auf den Promenaden umherschlendern sieht. Ihr haltet sie für das glücklichste Geschlecht der Menschen, diese Pflastertreter; sie haben nichts zu tun und vollauf zu leben. Ihr täuschet euch; oft hat ein solcher Herr nicht so viel kleine Münze, um eine einfache Mittagskost zu bezahlen, und was er an großem Gelde bei sich trägt, kann man nicht wohl wechseln. Einen solchen nun fragte ich eines Tages: »Freund, wo speiset Ihr zu Mittag? Ich sehe Euch immer nach der Tafelzeit mit zufriedener Miene die Straße herabkommen, mit der Zunge schnalzend, oder in den Zähnen stochernd, bei welchem berühmten Restaurant speiset Ihr?«
»Bei Clauren«, gab er mir zur Antwort.
»Bei Clauren?« rief ich verwundert, »erinnere ich mich doch nicht, einen Straßenwirt oder Garkoch dieses Namens in hiesiger Stadt gesehen zu haben.«
»Da habt Ihr recht«, entgegnete er, »es ist aber auch kein hiesiger, sondern der Berliner, H. Clauren –«
»Wie, und dieser schickt Euch kalte Küche bis hieher?«
»Kalte und warme Küche nebst etzlichem Getränke. Doch ich will euch das Rätsel lösen«, fuhr er fort, »ich bin arm, und was ich habe, nimmt jährlich gerade der Schneiderkonto und die Rechnung für Zuckerwasser im Kaffeehause weg; nun bin ich aber gewöhnt, gute Tafel zu halten, was fange ich in diesen Zeiten an, wo niemand borgt und vorstreckt? Ich kaufe mir alle Jahre von ersparten Groschen das herrliche ›Vergißmeinnicht‹ von H. Clauren, und ich versichere Euch, das ist mir Speisekammer, Keller, Fischmarkt, Konditorei, Weinhandlung, alles in allem. Ihr müßt wissen, daß in solchem Büchlein auf zwanzig Seiten immer eine oder zwei, wie ich sie nenne, Tafelseiten kommen. Ich setze mich mittags mit einem Stück Brot, zu welchem an Festtagen Butter kömmt, nebst einem Glase Wasser oder dünnem Biere an den Tisch, speise vornehm und langsam, und während ich kaue, lese ich im ›Vergißmeinnicht‹, oder in ›Scherz und Ernst‹. Seine Tafelseiten werden mir nun zu delikaten Suppentafeln, denn mein Teller ist nicht mehr mit schlechtem Brot besetzt, meine Zähne malmen nicht mehr dieses magere Gebäck, nein, ich esse mit Clauren, und der Mann versteht, was gute Küche ist. Was da an Fasanen, Gänseleberpasteten, Trüffeln, an seltenen Fischen, an –«
»Genug«, fiel ich ihm ein, »und Eure Phantasie läßt Euch satt werden, aber könntet Ihr hiezu nicht das nächste beste Kochbuch nehmen? Ihr hättet zum mindesten mehr Abwechslung.«
»Ei, da ist noch ein großer Unterschied! Sehet, das verstehet Ihr nicht recht; in den Kochbüchern wird nur beschrieben wie etwas gekocht wird, aber ganz anders im ›Vergißmeinnicht‹; da kann man lesen, wie es schmeckt, Clauren ist nicht nur Mundkoch und Vorschneider, sondern er kaut auch jede Schüssel vor und erzählt, so schmeckte es; und wie natürlich ist es, wenn er oft beschreibt, wie diesem die Sauce über den Bart herabgeträufelt sei, oder wie jener vor Vergnügen über die Trüffelpastete die Augen geschlossen. Überdies hat man dabei den herrlichsten Flaschenkeller gleich bei der Hand, und wenn ich das Glas mit Dünnbier zum Munde führe, schiebt er mir immer im Geiste Trimadera, Bordeaux oder Champagner unter.«
So sprach der junge Mann und ging weiter, um auf sein großes Claurensches Traktament, der Verdauung wegen, zu promenieren.
Was ist Rumford gegen einen solchen Mann, sprach ich zu mir; jener bereitet aus alten Knochen kräftige Suppen für Arme und Kranke; ist aber hier nicht mehr als Rumford und andere? Speist und tränkt er nicht durch eine einzige Auflage des »Vergißmeinnicht« fünftausend Mann? Wenn nur die Phantasie des gemeinen Mannes etwas höher ginge, wie wohlfeil könnte man Spitäler, ja sogar Armeen verproviantieren? Der Spitalvater oder der resp. Lieutenant nähme das »Vergißmeinnicht« zur Hand, ließe seine Compagnie Hungernder antreten, ließe sie trockenes Kommißbrot speisen, und würde ihnen einige Tafelseiten aus Clauren vorlesen.
Doch von solchen Torheiten sollte man nicht im Scherz sprechen, sie verdienen es nicht, denn wahrer bitterer Ernst ist es, daß solche Niederträchtigkeit, solche Wirtshauspoesie, solche Dichtungen à la carte, wenn sie ungerügt jede Messe wiederkehren dürfen, wenn man den gebildeten Pöbel in seinem Wahn läßt, als wäre dies das Manna, so in der Wüste vom Himmel fällt, die Würde unserer Literatur vor uns selbst und dem Auslande, vor Mit- und Nachwelt schänden!
Doch, ich komme, meine verehrten Zuhörer, noch auf einen andern Punkt, den man weniger Ingredienz oder Zutat, sondern Sauce piquante nennen könnte; das ist die Sprache. Man wirft, nicht mit Unrecht, den Schwaben und Schweizern vor, daß sie nicht sprechen wie sie schreiben, aber wahrhaftig, es gereicht H. Clauren zu noch größerem Vorwurf, daß er so gemein schreibt, wie er gemein und unedel zu sprechen und zu denken scheint. Man hat in neuerer Zeit manches verschrobene und verschränkte Deutsch lesen müssen, waren es Wendungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, waren es Sätze aus einer spanischen Novelle, es wollte sich in unserer reichen, herrlichen Sprache nicht recht schicken. Ohrzerreißend waren auch die Kompositionen, die Voß nach Analogie Homers vornahm; aber man kann Männer dieser Art höchstens wegen ihres schlechten Geschmacks bedauern, anklagen niemals; denn es lag dennoch ein schöner Zweck ihrem wunderlichen Handhaben der Sprache zugrunde. Was soll man aber von der geflissentlichen Gemeinheit sagen, womit der Erfinder der Mimilis-Manier seine Produkte einkleidet? König Salomo, wenn er noch lebte, würde diesen Menschen mit einem Freudenmädchen vergleichen. Sie geht einher im Halbdunkel, angetan mit köstlichen Kleidern, mit allerlei Flimmer und Federputz auf dem Haupte. Du redest sie an mit Ehrfurcht, denn du verehrst in ihr eine wohlerzogene Frau aus gutem Hause, aber sie antwortet dir mit wieherndem Gelächter, sie gesteht, sie müsse lachen, daß »sie der Bock stößt«; sie spricht in Worten, wie man sie nur in Schenken und auf blauen Montagstänzen hören konnte, sie enthüllt sich ohne zu erröten vor deinen Augen, und spricht Zoten und Zötchen dazu. Wehe deinem Geschmack, wehe dir selbst und deinem sittlichen Wert, wenn dir nicht klar wird, daß die, welche du für eine anständige Frau gehalten, eine feile Dirne ist, bestimmt zum niedrigsten Vergnügen einer verworfenen Klasse.
Wozu ein langes Verzeichnis dieser Sprachsünden hieher setzen, da ja das Buch, über welches wir sprechen, der »Mann im Monde«, ein lebendiges Verzeichnis, ein vollständiger Katalog seiner Worte, Wendungen, Farben und Bilder ist? Es ist die Sauce, womit er seine widerlichen Frikasseen anfeuchtet, und je mehr er ihr jenen echten Wildbretgeschmack zu geben weiß, der schon auf einer Art von Fäulnis und Moder beruht, desto mehr sagt sie dem verwöhnten Gaumen seines Publikums zu.
Noch ist endlich ein Zutätchen und Ingredienzchen anzuführen, das er aber selten anwendet, vielleicht weil er weiß, wie lächerlich er sich dabei ausnimmt; ich meine jene rührenden erbaulichen Redensarten, die als auf ein frommes Gemüt, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut, erscheinen sollen. Als uns der Fastnachtsball und das erbauliche Ende der Dame Magdalis unter die Augen kam, da gedachten wir jenes Sprichworts, »Junge H . . . n, alte Betschwestern«, wir glaubten, der gute Mann habe sich in der braunen Stube selbst bekehrt, sehe seine Sünden mit Zerknirschung ein, und werde mit Pater Willibald selig entschlafen. Das Tornister-Lieschen, Vielliebchen und dergleichen, überzeugten uns freilich eines andern, und wir sahen, daß er nur per anachronismum den Aschermittwoch vor der Fastnacht gefeiert hatte. Wie aber im Munde des Unheiligen selbst das Gebet zur Sünde wird, so geht es auch hier; er schändet die Religion nicht weniger als er sonst die Sittlichkeit schändet, und diese heiligen, rührenden Szenen sind nichts anders, als ein wohlüberlegter Kunstgriff, durch Rührung zu wirken; etwa wie jene Bettelweiber in den Straßen von London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen, und mit den unglücklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen.
Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte erzählen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt in die gute Gesellschaft zu verschaffen wußte. Dieser Mensch betrug sich von Anfang etwas linkisch, doch so, daß man manche seiner Manieren übersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gewöhnlich zu den Frauen und Mädchen, weil ihm das Gespräch der Männer zu ernst war, und jene lauschten gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und nach aber fand es sich, daß dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser Gesellschaft wohl nur Zwang angetan hatte; er sprach freier, er schwatzte den Ohren unschuldiger Mädchen Dinge vor, worüber selbst die älteren hätten erröten müssen. Wie es aber zu gehen pflegt: das Lüsterne reizt bei weitem mehr, als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber offenem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die für eine Bierschenke derb genug gewesen wäre, bewahrten sie in feinem Herzen. Der fremde Mann wurde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den Männern nach und nach auf, daß ihre Frauen über manche Verhältnisse freier dachten als zuvor, daß selbst ihre Mädchen über Dinge sprachen, die sonst einem unbescholtenen Kind von 15–16 Jahren fremd sein müssen.
Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden, »Es ist der liebenswürdige angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat.« Viele der Männer versuchten es mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schüttelte die Pfeile ab und plauderte fort. Die Männer wußten nicht, was sie tun sollten, denn es ist ja gegen die Sitte der guten Gesellschaft, selbst einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer einen anderen Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen auf die Rede des Mannes, und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst seine Stimme. Und eines Abends kam er, angetan wie jener Verderber, setzte sich an seine Seite, ließ ihn nicht zum Worte kommen, sondern erzählte den Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu tun pflegte. Da fanden die vernünftigeren wenigstens, wie lächerlich und unsittlich dies alles sei. Sie schämten sich, und als jener Mensch dennoch in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab, er aber stand beinahe allein, und zog beschämt von dannen.
»Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hilfe« dachte jener, und wohl ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen.
Meine Freunde! dasselbe, was in dieser Geschichte erzählt ist, dasselbe wollte auch »Der Mann im Monde«, und das war ja unsere erste Frage, er wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Literatur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte, lächerlich machen.
Wie er diesen Zweck verfolgte? ob es ihm gelingen konnte? ist der Gegenstand der folgenden Fragen.