Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der Gram der Liebe

Wie es an jenem Abend war, ebenso war es auch in den nächsten Tagen. Der Hofrat hätte vielleicht alles bald wieder ins Gleis bringen können, aber das Unglück wollte, daß er in wichtigen Angelegenheiten an demselben Abend verreisen mußte, an welchem die Gräfin ankam. Die Gräfin schrieb, sooft sie es unbemerkt tun konnte, an den Rittmeister in den Mond hinüber, und spornte ihn an, Ida nur noch immer mehr zu verfolgen. Nach den letzten Briefen schien es zwar wegen ihr selbst nicht mehr nötig zu sein, weil sie den Grafen schon so umgarnt zu haben glaubte, daß an kein Entrinnen zu denken sei. Dem war aber nicht also. Dem Grafen, der nur durch die Brille der Eifersucht sah, wollte es trotz seiner Resignation fast das Herz abdrücken, daß Ida in solchen Verhältnissen mit dem Rittmeister seie. Wenn er bei Präsidents war, ach es war ja nicht wie ehemals; sonst war sie ihm wohl bis an die Treppe entgegengesprungen, hatte mit lachendem Mund ihn geneckt, oder ihm eine neue Schnacke aufgetischt, hatte ihn dann unter Tollen und Lachen hereingezogen ins Zimmer, dort war dann das Mäulchen gegangen wie ein oberschlächtiges Mühlchen, und keine fünf Minuten hatte sie ruhig sitzen können, ohne daß sie aufgesprungen wäre, dort was zu holen, hier was zu zeigen, und welche Freude gewährte es dann, das Mädchen dahinhüpfen zu sehen, ihr Gang war dann Tanz, alles war Leben, alles Grazie und Anmut, es war wie wenn über die ganze Gestalt ein zauberisches Lächeln gewoben gewesen wäre, und jetzt – und jetzt?

Kalt und ernst sah sie ihn an, wenn er kam; oft wollte es ihn zwar bedünken, sie setze schon an, um ihm wie sonst entgegenzuhüpfen, da mußte sie aber wohl an den Sporenecker denken, denn sie neigte sich so abgemessen, als wäre er ihr ganz und gar fremde; oft kam es ihm sogar vor, als liege etwas so Wehmütiges in dem lieben Gesichtchen, das er sich nicht anders erklären konnte, als daß es sie reue, ihn so am Narrenseil geführt zu haben, daß sie sich schäme, so unverhofft demaskiert worden zu sein. Zuzeiten wünschte er sich auch den Hofrat herbei, um mit ihm über das Mädchen und seine grenzenlose Koketterie zu sprechen.

– Daß doch die Männer gewöhnlich so grausam sind, und nicht sehen, was so offen vor den Augen liegt! sie lesen in Taschenbüchern und Romanen alle Folgen unglücklicher, verschmähter Liebe, alle Zeichen eines gebrochenen Herzens; sie können es sich auch in der Phantasie recht lebhaft vorstellen, wie ein gutes, liebes Engelskind mit einem vom Gram der Liebe gebrochenen Herzen aussehen müsse, sie nehmen sich vor, das nicht zu vergessen, aber wenn es drauf und dran kommt, wenn sie selbst aus Übermut oder törichter Eifersucht ein schönes, nur für sie schlagendes Herz gekränkt – geknickt – gebrochen haben, da merken sie es nicht, sie können sogar noch ein recht ungläubiges Hohngelächter der Hölle aufschlagen, wenn man ihnen die stille Träne im trüben Auge, den wehmütig ansprechenden Zug um den Mund zeigt, wenn man sie aufmerksam macht, auf die immer bleicher werdenden Wangen; »Da wird man seine Gründe haben«, lachen sie, und gehen ungerührt vorüber, und denken nicht, daß man auch ohne Doktor und Apotheker am gebrochenen Herzen sterben könne.

Die Eifersucht macht blind; nirgends schien dieser Ausspruch besser in Erfüllung zu gehen, als hier bei Martiniz und Ida.

Für ihren tränenschweren Blick, für ihren wehmütigen Ernst wußte er tausend Gründe anzugeben, wußte sich mit wieder tausend Vermutungen zu quälen und zu härmen, die rechte fand er nicht. Es war eine wunderbare Veränderung vorgegangen mit diesem Mädchen in den paar Tagen. Sonst das Leben, die Fröhlichkeit selbst, jetzt ernst und abgemessen. Die bleicheren Wangen, das trübere Auge, das ja so deutlich von tränenvollen Nächten, von gramerfüllten Träumen sprach, wollte niemand verstehen, am wenigsten der, um welchen diese stille Tränen flossen. Es war ihr oft zumut, als sollte sie nur eben die heißen, ausgeweinten Augen zuschließen, und sich in das Grab legen lassen; dort wenn die Erde so kühl um die vier Bretter und zwei Brettchen, welche die arme Ida umschließen, sich legen werde, dort wo sie nicht mehr gefoltert werde von dem Anblick, wie ihr geliebter Jüngling näher und näher, enger und enger in die Schlingen jener Sirene sich verwickele – dort, dachte sie, müsse es gut schlummern sein. Denn das war ihr ja das ärgste nicht, daß sie zurückgesetzt war, nicht daß sie es war, die er verließ, um sich dem Triumphzug der allgemeinen Siegerin anzuschließen, nicht das brach ihr das Herz; zwar es hatte ihr Mühe und Tränen gekostet, bis sie es dahin gebracht hatte, daß sie nicht mit Bitterkeit daran dachte, daß er, als kaum das Geständnis seiner Liebe über seinen Lippen war, schon andern Sinnes sein konnte; aber sie hatte überwunden; sie war tief in sich eingekehrt, aus den geheimnisvollen, unergründlichen Tiefen der heiligen jungfräulichen Brust hatte sie Mut heraufgeholt, um den Gedanken zu ertragen, daß der, den sie liebe, einer andern angehören könne.

Aber dagegen sträubte sich mit aller Macht ihr keusches, bräutliches Herz, daß er jene, auf welche die Kinder in der Residenz mit Fingern deuteten, und sich ihre Schandtaten erzählen, daß er an jene verlorengehen sollte. Wäre er ein Mann gewesen, der frech mit ihrem armen, unerfahrenen Herzchen gespielt hätte, sie hätte es ertragen, daß er bei der Gräfin dafür büßen sollte; aber Emil – ihr feiner, weiblicher Takt, der darin so weit und so scharf sieht, sagte ihr, daß er noch ein Neuling in der Liebe sei, daß er sein Herz frei bewahrt habe, bis sie ihn kennengelernt habe, daß sie seine erste Neigung gewesen sei; und doch er, der so namenloses Unglück schon erduldet hatte, auch er sollte durch dieses Weib unglücklich werden? Ach wie oft wünschte sie sich ihren alten Freund den Hofrat herbei. Ihm hätte sie alles, alles vertraut, auch jenen Augenblick der seligen Liebe, wo er ihr gestand, daß er sie liebe, wo er sie umschlang und an sein pochendes Herz drückte, wo er sie mit den süßesten Schmeichelnamen der Zärtlichkeit genannt, wo ihr Mund sich schon zum ersten, heiligen Kuß der Liebe ihm entgegengewölbt hatte; dies alles war ja längst vorüber, war begraben, tief, tief in ihrem Herzen, mit aller Hoffnung, aller Sehnsucht, die es einst erweckt hatte; aber Berner durfte es wissen, ihm hätte sie alles gesagt, und ihn dann zum warnenden Schutzgeist für den Grafen aufgerufen.

Aber er war noch nicht zurück, darum verschloß sie ihren Schmerz in die Seele; aber mit Angst und Zittern sah sie, wie der Graf um die Aarstein flatterte, wie die Fliege um das Licht. Alle Beispiele von den sinnlichen Lockungen dieser Sirene, die man sich in der Residenz in die Ohren geflüstert, fielen ihr bei: wie leicht konnte er in einem unbewachten Augenblick, hingerissen von den verführerischen Reizen der üppigen, buhlerischen Dame, Potiphar – sie errötete von dem Gedanken, und preßte die Augen zu, als sollte sie was Schreckliches sehen. Wenn etwas solches geschah – dann war er der Gräfin und dem Satan auf ewig verschrieben.


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