Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Die Freiwerber

Schon seit einer langen halben Stunde hatte am andern Morgen Ida an ihrem Fenster gelauscht. Um neun Uhr, ehe der Vater in die Session ginge, hatte Martiniz kommen wollen, um mit ihm zu sprechen, es war viertel, er kam noch nicht. Daß der Vater ihn erwarten würde, wußte sie wohl, denn der Graf hatte sich anmelden lassen, aber sie fürchtete, der Präsident mochte übler Laune werden, wenn er so lange warten müsse. Ihr Herzchen pochte so ungeduldig, alle Augenblicke wechselte das Rot auf ihren Wangen, der bräutliche Busen flog auf und nieder voll banger Erwartung. Es kann aber auch für ein Mädchen keine erwartungsvollere Stunde geben, als die, wenn der Geliebte zum Vater oder zur Mutter gehen will, um sein Mädchen anzuhalten. Freude und Angst, Besorgnis und frohe Hoffnung wechseln dann auf dem lieblichen Brautgesichtchen, ein tiefer Seufzer, wohl auch ein leises Gebet entsteigt dann dem kindlichen Herzen, das zum erstenmal geteilt ist, zwischen der Anhänglichkeit an die Eltern und der Liebe zu dem, der sie zu seinem Frauchen machen will.

Zwar konnte Ida nicht zweifeln, daß der Vater diese Partie für sie sehr anständig finden würde, aber sie kannte ihn, wie er alles nach den Dienstverhältnissen abwog. Konnte er nicht aus Furcht vor der allerhöchsten Ungnade nein sagen, weil man in der Residenz den Grafen für eine andere bestimmt hatte; und dann der Oncle des Grafen – sie hatte vom Hofrat gehört, daß es einen solchen gebe, einen ältlichen, etwas grämlichen Mann, von dem der Graf sehr abhängig sei; wird er auch seine Einwilligung geben? –

Auch vor der Gräfin war ihr bange. Zwar es lag kein geringer Triumph darin, die Gegnerin, die alle Höllenkünste aufgeboten hatte, Emils Herz von ihr abzureißen, überwunden zu haben, aber sie scheute sich doch beinahe ebensosehr vor dem Zorn der Gewaltigen, als sie sich freute zu sehen, was sie für ein Gesicht machen werde, wenn man ihr es ankündige.

Endlich – ja er war es; in seiner glänzenden Uniform wie gestern trat er heraus – mit ihm Ladenstein; nein, wie aber dieser geputzt war! Sie hatte, als sie sich bei Hof präsentieren ließ, einmal einen . . . . schen Gesandten gesehen, gerade so war er gekleidet; der Frack starrte von goldner Stickerei, ein handbreites Ordensband ging ihm über die Brust quer herab, auf der Brust – was tausend da hatte er ja sogar einen Stern! nun das muß doch ein vornehmer Herr sein, der Herr von Ladenstein, dachte Ida und machte große Augen, und sonst sieht er doch ganz schlicht aus. –

Es kam die Treppe herauf, es pochte an ihrer Türe, gewiß wollte Emil noch einmal – nein, es war nur Ladenstein, aber auch dieser war ihr willkommen. Aber so freundlich er lächelte, so war es ihr doch, als könne sie heut nicht so ungeniert sein, als früher. Sie machte einen tiefen, tiefen Hof-Gala-Knicks als er so bebändert, besternt und übergoldet zu ihr eintrat, und wußte nicht gleich recht, wie sie ihn empfangen sollte; er aber lachte ihr gerade ins Gesicht: »Ich weiß wohl, woran es liegt, daß mich Fräulein Ida nicht empfängt, wie einen alten Freund, die paar Ellen Band da! ei, ei, das hätte ich doch nicht gedacht, daß sich eine junge Dame dadurch gleich so einschüchtern ließe!« Sie sammelte sich, und lachte sich jetzt selbst recht aus, daß sie ihn so steif und förmlich wie eine ungeheure Respektsperson empfangen habe; er zog sie zutraulich zu sich auf den Diwan, und erzählte, daß Emil in diesem Augenblick mit seiner Werbung vor dem Papa stehe, und sie hoffentlich recht bald als Bräutchen umfangen werde. –

Das Mädchen ward feuerflammrot, sie hatte sich noch von keinem Menschen Braut nennen hören, es war ihr ein so ungewohntes Wörtchen, und doch kam es ihr selbst wieder vor, als seie es ihr recht bräutlich zumut; –

Er selbst, fuhr der freundliche Alte fort, seie als Reservebataillon und Hinterhalt aufgestellt; er habe sich darum mit all seinem Flitterputz angetan, um damit dem Herrn Papa-Präsidenten wenn er etwa noch einiges Bedenken tragen sollte, über den Hals zu fallen.

Ida ward recht nachdenklich, als sie aus Ladensteins Mund hörte, daß es denn doch fehlen könne, und sagte, »Ach, vor meinem Vater ist mir nicht so bange, der gibt am Ende schon nach, wenn ich ihn recht schön bitte, aber der Oncle –« »Nun was für ein Oncle ist denn das«, fragte Ladenstein aufmerksam und neugierig.

»Emils Oncle, wissen Sie denn nichts von dem? ach Gott! das soll ein gar böser alter Herr sein (Ladensteins Gesicht zog sich immer mehr in die Länge bei diesen Nachrichten), das hat mir Hofrat Berner, der den jungen Grafen und seine Verhältnisse kennt, gesagt; von ihm hängt Emil ab, denn er soll ihn so lieb haben wie seinen Vater, und der alte Herr soll auch sehr viel an dem Neffen tun – (es zuckte wie tiefe Rührung in Ladensteins Gesicht) wenn nun dieser die Sache erfährt«, setzte sie traurig hinzu, »wenn er dem Grafen eine Schönere, eine Bessere ausgesucht hätte, wenn er nein sagt –«

»Oh, er sagt nicht nein, er kann keine Bessere finden«, unterbrach sie der alte Herr voll wunderbarer Rührung.

»Keine Treuere wenigstens nicht, keine die ihn mehr ehren würde; ach wenn man nur den erweichen könnte; sehen Sie, Ladenstein«, sagte sie unter Tränen lächelnd, »ich habe mir eine kleine List ausgedacht, es ist zwar eine Kriegslist, aber doch wohl eine erlaubte, und Sie habe ich dazu ausersehen, daß Sie mir dabei helfen. Sie kennen die Szene aus der Kirche, die ich Ihnen gestern zeigte, die habe ich nun ganz eigentlich für den alten Martiniz entworfen. Sehen Sie, wenn er etwa zweifelt, daß ich seinem Neffen so recht von Herzen gut bin, so – das tun Sie mir schon zu Gefallen, und Sie kennen den alten Herrn gewiß –so zeigen Sie ihm die Gruppe da, sagen Sie ihm, ich seie es gewesen, die seinen Emil von dem schrecklichen Wahn befreite; wollen Sie?« –

Der alte Herr nickte ihr stumm seine Einwilligung zu, die hellen Tränen rollten ihm durch die gefurchten Wangen, er war so tief gerührt, daß er nicht sprechen konnte; er faßte ihre Hand, und zog sie an seine Lippen. Endlich faßte er sich doch wieder, er wischte die Tränen hinweg, er war freundlich wie zuvor, und fand auch die Sprache wieder:

»Ich will es ihm geben, dem alten Gesellen«, sagte er lächelnd, »ich kenne ihn so gut wie mich selbst, und darf sagen, daß ich sein innigster – bester Freund bin; haben Sie keine Sorgen, Töchterchen, der Alte schlägt mit Freuden ein, aber das Bild da soll er haben, und wie ich ihn kenne, wird er es hoch anschlagen, es wird sein bestes Kabinettstück sein.« –


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