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Aber der Nachmittag war auch gar zu lange, die Stunden gingen so träge hin, sie konnte sich ordentlich über sich selbst ärgern, daß sie schon heute frühe das Teezeug gerüstet hatte, sie fing an zu arbeiten, zehnerlei nahm sie vor und legte es ebensoschnell zurück. Sie hatte ein Bouquet von Phantasieblumen angefangen, sie hatte sonst mit Lust und Liebe daran gearbeitet, aber nein! es war doch auch gar zu langweilig; erfunden war etwas bald, man malte seine Gedanken recht artig aufs Papier, aber bis man alle die Blätter und Blättchen zusammenband – zurückgelegt bis auf weiteres; sie nähte so wunderhübsche Tapisserien; sie machte ihre Kreuzstiche so fein und gleich, als habe sie in den besten Fabriken gelernt, und alles ging ihr so schnell von der Hand, daß es eine Freude war: Ihre Freundinnen in der Residenz hatten sich immer Stücke von Paris und London kommen lassen; da waren die schönsten Girlanden von Rosen, Astern, alle mögliche Blumen und Farben; in der Mitte war leerer Raum gelassen, daß die Damen nach ihrem Belieben hineinnähen konnten, was sie immer wollten; natürlich stachen meistens die schönen Pariser Girlanden sonderbar ab gegen die Dessins der Residenzdamen; Ida hatte immer nur ihr leeres Stickstramin vorgenommen, hatte sich selbst mit geübter Hand Zeichnungen entworfen und war noch vor ihren Freundinnen fertig, die Idas Arbeit für Zauber, für nicht möglich gehalten hätten, wenn sie nicht unter ihren Augen entstanden und vollendet worden wäre. Sie hatte noch in der Residenz ein prachtvolles Fußkissen für Papa angefangen, sie nahm es jetzt auch wieder vor, aber sie konnte sich selbst nicht begreifen, wie sie früher so langweilige Arbeiten machen, Stich über Stich und immer wieder Stich um Stich machen konnte – zurückgelegt bis auf weiteres. Sie zeichnete mit schwarzer Kreide so fein, so gefällig für das Auge, daß sie der Stolz ihres Zeichenlehrers war; auch hier war ihre Geduld unermüdlich gewesen; wenn andere ihre Kopien kaum durchgezeichnet und mit den ersten Schatten versehen schon weggeworfen oder dem Zeichenmeister zur Vollendung auf einen Geburts- oder Namenstag übergeben hatten, so hatte Ida fortgemacht und man sah allen ihren wunderlieblichen Bildern an, daß sie con amore ausgeführt waren; denn hatte sie einmal etwas angefangen, so mußte es auch vollendet werden. Sie hatte eine angefangene Madonna della sedia mitgebracht, sie öffnete jetzt die Mappe, breitete das Bild, das schon in seinen Umrissen viel versprach, vor sich aus, spitzte die Kreide, nahm sich vor, mit recht viel Geduld zu zeichnen, aber bald gab die Kreide keine Farbe, bald wurden die Striche zu dick und mußten verwischt werden, sie wurde von neuem gespitzt, aber war die Spitze zu fein, oder die Zeichnerin zu ungeduldig, oder die Kreide zu grobkörnig, alle Augenblicke brach sie unter dem Messer ab und Finger bekam man so schwarz, daß sie kaum mehr rein gemacht werden konnten; sie entsetzte sich wie Lady Macbeth vor ihren eigenen Händchen, packte die Madonna schnell ein und legte sie ad acta. Sie setzte sich vor ihre Kommode, zog alle Schubfächer heraus, wühlte in Blonden und Bändern und besah sich Stück vor Stück, auch der Schmuck wurde hervorgezogen und gemustert; aber hatte sie dies alles nicht hundertmal gesehen und wieder gesehen? schnell Schmuck, Bänder und Blonden in die Fächer und zugeschlossen, alle diese Herrlichkeiten wollten das unruhige Herzchen nicht zerstreuen.
Endlich, endlich schlug es fünf Uhr und sie konnte sich jetzt doch, ohne sich von ihrem Zöfchen auslachen zu lassen, zum Tee anziehen. Sie studierte jetzt recht ernsthaft, was sie wählen sollte; einen vollen Anzug oder ein Hausnegligé? In der Residenz hätte sie, ohne sich zu besinnen, das erstere gewählt. Dort fing ja der Tag eigentlich erst abends recht an und zur zweiten Toilette konnte sie dort kein Negligé wählen; aber hier in Freilingen, wo Morgen Morgen, der Mittag Mittag, der Abend nur Abend war, hier schien ein Negligé für den Abend ganz am Platz, um so mehr da die paar Fräulein, die sie geladen hatte, wahrscheinlich recht geputzt kommen würden. Sie wählte daher ein feines Hausnegligé, ein allerliebstes weißes Batistüberröckchen, das nach einem Muster, wie man es hierzuland noch nie gesehen hatte, gemacht war; und wie glücklich hatte sie gewählt! Das knappe, alle Formen hervorhebende Überröckchen zeigte den in jugendlicher Frische blühenden Körper, den Teint hob zwar keine Perle, kein Steinchen, aber er war so schneefrisch, so zart, so blendend weiß, daß er ja gar keines Schmuckes bedurfte. Aber das Haar wurde dafür so sorgfältig, so glänzend als möglich geordnet. Die seidenen Ringellöckchen schmiegten sich eng und zart um Schläfe und Stirne, die Pracht ihrer Haarkrone war so entzückend, daß sie sich selbst gestand, als sie beim Glanz der Kerzen in den Spiegel blickte, als sie ihre höher geröteten Wangen, ihr glänzendes Auge sah, mit Lust und heimlichem Lächeln sich gestand, heute ganz besonders gut auszusehen.
Und nun musterte sie noch einmal mit Kennerblicken den Teetisch. Der große Lüstre verbreitete eine angenehme Helle über das ganze Zimmer. Die Sitze waren im Kreise gestellt: ihr Platz neben dem Sofa, neben ihr mußte der Graf sitzen; die silberne Teemaschine, den Hahn ihr zugekehrt, dampfte und sang lustige Weisen, die Tassen standen in voller Parade, die goldenen Löffelchen alle rechts gekehrt. Die Vasen mit Blumen von ihrer eigenen Arbeit nahmen sich gar nicht übel zwischen dem Backwerk und den Kristallflaschen mit Arrak und kaltem Punsch aus. Die kleineren Partien, als Zucker, geschlagener Rahm, kalte und warme Milch, Zitronen waren in ihren silbernen Hüllen gefällig geordnet – es fehlte nichts mehr, als, weil es einmal in Freilingen Ton war, beim Tee zu arbeiten, eine geschickte Arbeit für sie; auch diese war bald gefunden und kaum hatte sie einige Minuten in Erwartung gesessen, so fuhr ein Wagen vor.
»Wenn dies Marti–« doch nein, er konnte es nicht sein; die paar Schritte aus dem Goldenen Mond herüber machte er wohl ohne Wagen; die Flügeltüre rauschte auf – Fräulein von Sorben. Wenn nur die andern auch bald kämen, dachte Ida, indem sie das Fräulein empfing, denn diese war nicht die angenehmste ihrer Freilinger Bekannten. Sie war wenigstens acht Jahre älter als Ida, spielte aber doch immer noch das naive, lustige Mädchen von sechzehn Jahren, was ihr bei ihrer stattlichen Korpulenz, die sich für eine junge Frau nicht übel geschickt hätte, schlecht paßte. Sie mußte übrigens von Präsidents mit Schonung und Achtung behandelt werden, weil sie einigermaßen mit ihr verwandt waren und ihr Oheim in der Residenz eine der wichtigsten Stellen bekleidete. Sie flog, als sie eingetreten war, Ida an den Hals, nannte sie Herzenscousinchen und gab ihr alle mögliche süße verbrauchte Schmeichelnamen. Nachdem sie ihr Haar vor dem deckenhohen Spiegel ein wenig zurechtgeordnet, die Falten des Kleides glattgestrichen hatte, fragte sie, wer heute abends mit Tee trinken werde. Kaum hatte Ida zögernd, als würde er dadurch entheiligt, den Namen Martiniz ausgesprochen, so machte sie einige mühselige Entrechats und küßte Ida die Hand: »Wie danke ich dir für deine Aufmerksamkeit, daß du mich zu ihm eingeladen hast, du bemerktest gestern gewiß auch, wie er mich mit seinen schwarzen Kohlenaugen immer und ewig verfolgte? Und heute früh, ich hatte mich kaum frisieren lassen, war schon mein guter Graf zu Pferd vor meinem Haus; das macht sich herrlich, so ein kleiner Liebeshandel en passant. Lache mich nur nicht aus, Herzenscousinchen, aber du weißt, junge Mädchen wie wir plaudern gern und die andern nehmen es nicht so genau, wenn eine eine Eroberung gemacht hatte.«
Ida hatte zwar auch die Kohlenaugen leuchten sehen, aber nicht nach der alten gelblichen Cousine; sie stand noch neben ihr vor dem Trumeau, sie warf einen Blick in das helle, klare Glas und überzeugte sich, daß Emil nicht nach der Cousine geschaut haben könne. Das »mein guter Graf« und das »wir jungen Mädchen« aus dem Munde der alten schnurrenden Hummel kam ihr so possierlich vor, daß sie, statt in Eifersucht zu geraten, des heitersten, fröhlichsten Humors wurde. »O du Glückliche«, sagte sie boshaft, »wer auch so im Flug Eroberungen machen könnte!« »Es gehört nichts dazu, mein Kind, als Routine, nichts als eine gewisse Gewandtheit, die man freilich so schnell nicht erlernt; die Gewohnheit, der Geist muß sie geben. Du bist hübsch, Cousinchen, du bist gut gewachsen, an Anstand, an schönen gesellschaftlichen Formen fehlt es dir auch nicht, ehe drei Jährchen ins Land kommen, angelst du Grafen, als hättest du von Jugend auf gefischt.«
Ida brach, weil sie das Lachen nicht mehr halten konnte, in lauten Jubel aus; »Das wäre schön, das wäre herrlich, Grafen fangen!« rief sie, nahm ihre naive Lehrerin unter dem Arm und flog mit ihr im rasenden Schnellwalzer um den Teetisch.
Von Anfang ließ sich die Sorben diese rasche Bewegung gefallen, obgleich ihr, da sie bei ungemeiner Korpulenz bis zum Ersticken geschnürt war, der Walzer nicht sehr behagte, aber sie wußte, wenn man nur erst aufhöre zu tanzen, so werde man gleich unter das alte Eisen gezählt, und gab sich also alle Mühe, leicht zu tanzen. Als aber das Teufelskind, dem der Schelm aus Augen, Mund und Wange hervorsah, immer rasender walzte, immer rascher im Wirbel tollte, da stöhnte sie: »Ich kann nicht mehr–o–hö–re auf!« Aber Idchen riß sie noch einmal herum und ließ sie dann, weil sie das Geräusch der Kommenden hörte, atemlos und bis zum Tod gepreßt vor der Flügeltüre stehen, die in diesem Augenblick von zwei Lakaien aufgerissen wurde.