Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der polnische Gardist

Dies alles hatte die Wirtin dem Hofrat erzählt, der sich in dem schönen Speisesaal wohl eine Stunde früher als die übrigen Gäste zur Abendtafel eingefunden hatte, um so allerlei Nachrichten, die ihm dienen konnten, einzuziehen. Er hatte sie ganz aussprechen lassen und nur hie und da seinen Graukopf ein wenig geschüttelt; als sie zu Ende war, dankte er für die Nachrichten. »Und ihn selbst, Ihren wunderlichen Gast haben Sie noch nicht gesprochen oder beobachtet; ich kenne Ihren Scharfblick, Sie wissen nach der ersten Stunde gleich, was an diesem oder jenem ist und auch über Leben und Treiben fangen Sie hie und da ein Wörtchen weg, aus dem sich viel schließen läßt.«

Die Geschmeichelte lächelte und sprach: »Es ist wahr, ich betrachte meine Gäste gern und wenn man so seine acht oder zehn Jährchen auf einer Wirtschaft ist, kennt man die Leute bald von außen und innen. Aber aus dem da droben in der Beletage werde ein anderer klug. Mein Mann, der sich sonst auch nicht übel auf Gesichter versteht, sagt: ›Wenn es nicht ein Polack wäre, so müßte er mir ein Engländer sein, der den Spleen hat.‹ Aber nein, wir hatten auch schon Engländer, die den Spleen faustdick hatten, tage-, wochenlang bei uns, aber die sehen griesgrämig, unzufrieden in die Welt hinein; aber die Frauen, nehmen Sie nicht übel, Herr Hofrat, haben darin einen feinern Takt, als mancher Professor.

Der Graf sieht nicht spleenigt und griesgrämig aus, nein da wette ich, der hat wirkliches Unglück, denn die Wehmut schaut ihm ja aus seinen schwarzen Guckfenstern ganz deutlich heraus. Denke ich den Nachmittag, du gehst einmal hinauf und sprichst mit ihm, vielleicht daß man da etwas mehr erfährt, als von dem alten Burrewisl. Im Teezimmer sitzt mein stiller Graf am Fenster, die Stirne in die hohle Hand gelegt, daß ich meine, er schläft oder hat Kopfweh. Drüben spielte gerade die Fräulein Ida auf dem Flügel so wunderschön und rührend, daß es eine Freude war. Dem Grafen mußte es aber nicht so vorkommen, denn die hellen Perlen standen ihm in dem dunklen Auge, als er sich nach mir umsah.«

»Wann war denn dies?« fragte der Hofrat.

»So gegen vier Uhr ungefähr; wie ich nun so vor ihm stehe und er mich mit seinem sinnenden Auge maß, da muß ich feuerrot geworden sein, denn da fiel mir ein, daß doch nicht so leicht mit vornehmen Leuten umzugehen sei, wie man sich sonst wohl einbildet; er ist auch nicht so ein Herr Obenhinaus und Nirgendan wie unsere jungen Herren, mit denen man kurzen Prozeß macht, nein, er sah gar zu vornehm aus. ›Ich wollte nur gefälligst fragen, ob Ew. Exzellenz mit Ihrem Logis zufrieden seien?‹ hub ich an.

Er stand auf, fragte mich, ob ich Madame wäre, holte mir, denken Sie sich, so artig als wäre ich eine polnische Prinzeß einen Stuhl und lud mich zum Sitzen ein. Es ist erstaunend, was der Herr freundlich sein kann, aber man sieht ihm doch an, daß es nicht so recht von Herzen gehen will.

An dem Logis hatte er gar nichts auszusetzen und auch die Straße gefiel ihm. Das Gespräch kam auf die Nachbarschaft und auch auf Präsidents Haus; ich erzählte ihm von dem wunderschönen Fräulein, die erst aus der Pension gekommen, und wie sie so gut und liebenswürdig sei; von dem alten Herrn drüben und daß die gnädige Frau schon so lange tot sei; und ich hatte mich so ins Erzählen vertieft, daß ich gar nicht merkte, wo die Zeit hinging und statt ihn auszufragen hatte ich die Gelegenheit so dumm verplaudert!«

»Schade! Jammerschade!« lachte Berner über die sprachselige Wirtin.

»Und wie gut der Herr ist; denken Sie sich nur, hinten im Garten wo es nun freilich zu jetziger Jahreszeit nicht mehr schön ist, sitzt mein Luischen; das Dingelchen ist jetzt acht Jahre und schon recht vernünftig, sitzt es im Garten und weiß nicht, daß ein so vornehmer Herr hinter ihm steht. Ich war in der Küche und sah alles mit an; mein Luischen kann allerhand schnackische Lieder, auch ein schwäbisches, ich weiß nicht wer sie es gelernt hat; wie nun der Graf hinter ihr steht fängt der Unband an zu singen:

›'n bissel schwarz und 'n bissel weiß
'n bissel polnisch und 'n bissel deutsch,
'n bissel weiß und 'n bissel schwarz
'n bissel falsch ist mei Schatz!‹

Ich glaube, ich muß vor Scham in den Wurstkessel springen, daß mein Kind so ungebildetes Zeug singt, was mußte nur der Graf von meiner Erziehung denken! Ihm aber schoß das helle, klare Schmerzenswasser in die Augen; er bog sich nieder, nahm das Dingelchen auf den Arm, herzte und küßte es, daß mir brühsiedheiß wurde und fragte, wo sie das Liedchen herhabe!

Das Kind weiß vor Schrecken gar nicht zu antworten; mein Herr Graf aber langt in die Tasche, kriegt einen blanken Taler heraus und verspricht, wenn es das Verschen noch einmal deutlich sage und zweimal singe, so bekomme es den Taler. Ich hätte ihm befehlen mögen wie ich hätte mögen, es hätte nicht gesungen. Der Taler aber tat seine Wirkung; sie sagte ihr Sprüchlein ganz mir nichts dir nichts auf und sang nachher das ›bissel polnisch und e bissel deutsch‹, wie wenn es so sein müßte. Den Taler bekam es richtig; er liegt in der Sparbüchse in ein Papier geschlagen und drauf steht deutlich, daß sie es in zwölf Jahren noch lesen und einmal ihren Kindern noch zeigen kann: › Den 12. November 1825 bekommen vom Polnisch-Gardeoffizier, Grafen von Martiniz‹.«


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