Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Eifersucht

Das Gift, das die Gräfin Natterzunge ausgesprützt hatte, wirkte viel tödlicher auf Martiniz, als man hätte denken sollen. Ein anderer hätte entweder der Gräfin keinen Glauben beigemessen, hätte gedacht, nun das ist so das gewöhnliche Sekkieren und wieder Sekkieren unter den Damen, und damit holla; aber auf sein Gemüt, das kaum erst von seinem Trübsinn, von seinem Mißmut, seinem Unglauben an die Welt geheilt war, auf ihn machte es einen viel tieferen Eindruck; dieses Mädchen, das so hoch stand in seiner Meinung, auch diese sollte so leicht wägen wie alle; auch sie sollte so zwanzig, dreißig Liebschäftchen, und am Ende noch eine rechte tüchtige Amour mit einem leichten Rittmeister gehabt haben?

Aber wie? wenn er sich recht fragte, was ging es denn ihn an, ob ein Mädchen in der Residenz sich verliebt oder nicht, ob sie einem Rittmeister viel oder wenig Gehör gibt? was ging es denn ihn an? das flüsterte ihm sein tief zerrissenes Herz zu, das, daß sie die Maske der hohen, reinen Jungfrau so künstlich vorhielt, daß sie ihn begünstigte, ja er durfte sagen, an sich zog, während sie noch einen andern, wie es schien, Unwürdigen im Herzen trug; aber vielleicht es war ja doch möglich, vielleicht war es doch nicht wahr, vielleicht hatte jener nur sich eingebildet, von ihr geliebt zu werden, und er, er war vielleicht doch ihre erste Lie–

»Bitte untertänigst um Vergebung, wenn ich störe«, schnatterte ein Jockei, der während des Grafen Selbstgespräch ins Zimmer gekommen war, »der Herr Rittmeister von Sporeneck –«

Was Teufel! hatte nicht die Aarstein jenen Sporeneck genannt? sollte er hier sein? –

»– lassen sich Exzellenz zu Gnaden empfehlen«, fuhr jener fort, »und ob der Herr Graf dem Herrn Rittmeister nicht eines Ihrer Zimmer vornheraus abtreten wollten?«

Da hatte er es ja; ein Zimmer sollte er abtreten, weil gerade gegenüber Idas Boudoir, Besuch- und Schlafzim– nein, er konnte es nicht tun, diese Forderung war zu unverschämt – gedankenlos starrte er den Bedienten an, der ihm die Unglücksbotschaft hinterbracht hatte; dieser glaubte, der Graf wolle noch weitere Aufträge von seinem Herrn und schnatterte weiter:

»Die Zimmer im oberen Stock sind zwar auch nicht zu verachten, aber mein Herr hat gesagt, es seie ihm nur um die schöne Aussicht, und da hat er gemeint, Exzellenz könnten vielleicht eines von den drei –«

»Nein! –« rief der Graf mit einem so schrecklichen Ton, und rollte so finster die Augen dazu, daß dem armen Jockei ganz wind und weh dabei wurde, und er sich das Abschiedswinken des Grafen nicht zweimal vormachen ließ. –

Da hat er es ja sonnenhell, daß ihm das Licht in den Augen weh tat, da hat er es; der Rittmeister, nichts Gewisseres, war bestellt worden, und hatte jetzt noch die Unverschämtheit, ihm ein Zimmer abzufordern, daß er besser hinüber zu seiner Dulcinea – Nein, in diesem Tone konnte es nicht fortgehen; die Wehmut war stärker als die Bitterkeit, und wurde Herr über sie; er warf sich in sein Sofa und weinte bitterlich. So war gewiß noch kein Mensch getäuscht worden, wie er; der Zufall, der blinde Zufall läßt ihn ein Mädchen finden, so hold, so schön, so ganz Unschuld und reine Jungfräulichkeit; er muß sie lieben, und wie glücklich ist er in dieser Liebe; Trost, Freudigkeit, Ruhe, Dinge, die er seit langer, langer Zeit nicht gekannt, ziehen wieder ein in sein Herz, er fühlt sich glücklich, wie er, selbst damals, als noch sein Haus in Fülle des Glücks und der Freude prangte, nie gefühlt hatte, er sah, ja er durfte es sich gestehen, er sah das Morgenrot der ersten, zarten, jungfräulichen Liebe auf ihren Wangen aufgehen, und diese Liebe galt ihm; mit einem Zauberschlag schuf sie aus ihm, dem Unglücklichsten der Sterblichen – den Glücklichsten. Jetzt hatte er ja alles, was die kühnsten Wünsche nur verlangen mögen; Gesundheit, Jugend, hohe Geburt, Ehre und Ansehen, Geld, daß er den Markt von Freilingen mit Talern hätte belegen lassen können, ohne daß er es sonderlich gefühlt hätte, es fehlte ihm nichts mehr als das eine, ein holdes, tugendsames Weib, und auch dieser hohe Wurf war ihm gelungen, er hielt im seligsten Moment seines Lebens ein Mädchen im Arm, ein Mädchen, für dessen Tugend er sein Leben gegeben hätte, da sendet in dem Augenblick, wo er sein Herz hingeben will, der Himmel eine Dame, die unwillkürlich den Schleier ein wenig lüftet, und ihn das Mädchen ein wenig näher kennen lehrt, die ihn merken läßt, daß dieses Auge nicht zum erstenmal von Liebe leuchte, dieser keusche Mund nicht zum erstenmal geküßt werde, die, wenn man es gleich in der großen Welt nicht so genau nimmt, doch selbst eingestand, daß es gut sei, daß man das Mädchen aus einem unschicklichen Verhältnis herausgerissen – abscheulich! ein Teufel in Engelsgestalt –, an eine Schlange, an eine Kokette hat er sein Herz verloren, da wo er schüchtern mit der verschämten Zartheit erster Liebe um ein einziges Küßchen gebeten hatte, da hatten andere geschwelgt! er schämte sich wie ein Primaner, der die Rute bekommen hatte, so betrogen, so schnöde angeführt worden zu sein; er gönnte ihr, obgleich sein Herz dabei blutete, er gönnte ihr den Rittmeister, es reute ihn beinahe, daß er ihm sein Logis versagt hatte, alle Zimmer hätte er ihm geben sollen, er wollte morgen in alle Weite fortziehen. – Und dennoch drängte es ihn, noch dazubleiben; wenigstens rächen wollte er sich an ihr, er wollte hinüber zu ihr, wollte sehen, wie sie sich jetzt gegen ihn betragen würde, wollte sehen, ob sie jetzt, da der rechte Liebhaber gekommen, ob sie jetzt noch die Stirne habe, ihn wie bisher an der Nase herumzuziehen; tausenderlei nahm er sich vor, ihr zu sagen, aber das eine war ihm zu spitzig und schneidend, er wollte ihr nicht so arg wehtun, das andere war ihm zu weich, zu gefühlvoll, er wollte ihr nicht zeigen, wie tief sie sein Herz verletzt habe – das beste schien ihm, er wollte ganz und gar nichts mit ihr reden, wollte tun, als ob gar keine Ida in der Welt seie, oder als seie sie ihm wenigstens sehr gleichgültig, wollte ihr zeigen, daß er sie verachte.

Die Stunde, zu der man gewöhnlich beim Präsidenten Tee trank, hatte schon geschlagen; er wischte sich daher schnell die letzte Träne, die er der Dirne geweint haben wollte, hinweg, besorgte eilends seine Toilette, warf sich in die Kleider, preßte das weich gewordene Herz mit beiden Händen zusammen und ging dann den schweren Gang hinüber in jene Zimmer, wo er einst so unendlich glücklich gewesen war. –


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