Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Unschuld und Mut

Das erstere war jetzt nicht mehr möglich; seine Würde als Abkömmling so tapferer Männer ließ einen solchen Rückzug nicht zu, und was würden seine Ulanen gesagt haben, wenn er so vom Kampfplatz sich weggestohlen hätte. Die nächste schickliche Gelegenheit mußte entscheiden.

»Nun, Brüderchen«, sagte ein anderer zum Rittmeister, »wir sind hier so ziemlich unter uns, gib weich, beichte uns ein wenig, wie stehst du mit der kleinen Präsidentin.« Der Rittmeister spielte von Anfang den Zarten, Zurückhaltenden, endlich aber auf vieles Zureden gab er wirklich weich, und – rühmte sich heimlich von ihr erhaltener Begünstigungen, die Emils Blut zu Eis erstarren ließen. Plötzlich aber, wie eine Erleuchtung von oben, trat ihm das Bild des unschuldigen, engelreinen Kindes, mit ihrem sanften Blick, mit ihrem keuschen, jungfräulichen Erröten vor das Auge – nein! nein! rief es mit tausend Stimmen in ihm, es kann ja nicht wahr sein, so weit verfehlt sich der Himmel nicht, daß er die heiligste Unschuld auf die Züge einer Metze malte. Er stand auf, und stellte sich dicht vor den Rittmeister: »Von wem sprechen Sie da, mein Herr«, fragte er ihn. Der Rittmeister konnte sich nichts Erwünschteres denken, als daß endlich die Engelsgeduld von dem zivilen Gräfchen gewichen sei. Er wollte ihn mit einem Blicke einschüchtern, und setzte daher an, die Augen recht an ihn hinrollen zu lassen; da kam er aber an den Falschen.

Er begegnete einem jener Glutblicke, die dem Grafen so eigen waren; Hoheit, Mut, Zorn, alles sprühte auf einmal wie mit einem Feuerstrom aus diesen Augen auf ihn zu, daß er die seinigen betroffen niederschlug. »Was fällt Ihnen ein; was kümmert Sie unser Gespräch. Es ist hier niemand, der darnach zu fragen hätte.«

»Sie haben«, fuhr der Graf mit großer Mäßigkeit fort, »Sie haben dem ganzen Zimmer hier mit vernehmlicher Stimme ihre Sottisen erzählt, es hat also auch jeder das Recht zu fragen, von wem sie sprachen, und ich frage jetzt!«

»Mein Herr, das kommt mir schnackisch vor«, lachte der Rittmeister; »es kann doch wahrhaftig jeder von seinem Schätzchen reden, ohne daß ein anderer sich dareinzulegen hätte. Wenn Sie übrigens durchaus uns mit Ihrer Gesellschaft beehren wollen, Kellner, noch einen Kelch hieher für den Herrn da!«

»Ist unnötig«, rief der Graf, »es ist mir durchaus nicht um Ihre werte Gesellschaft zu tun, sondern nur die Frage, die ich an Sie tat, möchte ich gerne beantwortet haben.«

»Nun ja«, schnarrte Sporeneck, »wenn Sie sich durchaus in meine Herzensangelegenheiten mischen müssen, was ich übrigens nicht sehr delikat finde, ich habe von Fräulein Ida von Sanden, meiner Nachbarin gesprochen.«

»Und von dieser Dame wagen Sie auf so freche Weise zu sprechen, wie Sie vorhin taten?«

»Wer will es mir wehren?« lachte der Rittmeister, und maß den Grafen von oben bis unten, wobei er übrigens sich hütete, seinem Auge zu begegnen. »Wer will es mir wehren, ein jeder kann zu seinem Heu Stroh sagen!«

»Sie beharren also auf dem, was Sie von der Dame aussagten!«

»Dame hin oder her«, antwortete der Rittmeister, »Sie fangen an anmaßend zu werden; ich werde vor Ihnen und zehn solcher – Polacken behaupten, was ich sagte.«

»Nun ja«, sagte der Graf, indem er sich stolz aufrichtete und an die übrigen Offiziere, die bisher mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatten, wie der Graf geschraubt würde, sich wandte, »nun ja, so muß ich nur Sie bedauern, meine Herrn, daß Sie sich auf diese Art unterhalten lassen, von diesem erbärmlichen Lügner.«

»Donner und alle Teufel«, fuhr der Rittmeister auf, »wie kommen Sie mir vor, Herr! ich glaube Sie haben Platz zwischen den Rippen für blaue Bohnen.«

»Tun Sie was Ihnen beliebt«, sagte der Graf, »ich wohne hier und bin auf Nro. 2 zu finden.« Er ging, der alte Theresienritter mit ihm. »Das ist spaßig«, lachte der Rittmeister, obgleich es ihm nicht recht frei von der Brust wegging, »das ist spaßig, daß ich in Freilingen einen kleinen Gang zu machen habe!«

Die Dragoner saßen noch ganz verdutzt über den schnellen Ausgang der Schrauberei; »Hol mich der Teufel«, sagte ein alter Lieutenant, »das Kerlchen nahm sich doch so übel nicht bei der Sache; er hat einen verfluchten Anstand, und es ist, als wäre er schon mehr dabei gewesen!«

Man beriet sich jetzt was zu tun sei, man verteilte die Rollen, Schulderoff sollte des Rittmeisters Sekundant sein, den alten Lieutenant bestimmte man, Martiniz denselben Dienst zu leisten, wenn er nicht sonstwo einen Sekundanten auftreiben könnte. Der Rittmeister zeigte eine ungemeine, spaßige Fröhlichkeit, meinte, es müsse sich ganz herrlich ausnehmen, wenn so ein Herrchen vom Zivil eine Pistole losbrenne; den übrigen war es übrigens nicht so ganz wohl zumut; das schnelle Ende des Streites hatte aus allen Köpfen den Champagnerdampf weggeblasen, man dachte doch ernstlich an die Affäre, und manchen wollte es bedünken, daß sie doch im heillosen Übermut herbeigeführt worden sei. Man äußerte dies auch unverhohlen gegen Sporeneck, und auch er schien so etwas zu denken; doch versteckte er diese Gedanken hinter lustigem Lachen, und beauftragte Schulderoff, sogleich zum Grafen zu gehen, um die Sache ins reine zu bringen. Nach einer Viertelstunde kam dieser wieder sehr ernst zurück, und sagte: »Sporeneck; morgen früh acht Uhr, auf Pistolen.«

Diese lakonische Meldung machte einen ganz eigenen Eindruck auf die Gesellschaft; es war allen, als seie doch etwas Ungerechtes vorgefallen, und keinem war es recht behaglich, an morgen zu denken. Man bestürmte Schulderoff mit Fragen, wie er es aufgenommen und dergleichen, er erzählte:

Die beiden Fremden seien in ziemlich ruhigem Gespräch miteinander im Zimmer auf und ab gegangen, als er eingetreten sei. Sie haben ihn sehr höflich und zuvorkommend empfangen, er aber habe seinen Auftrag ausgerichtet, und den Grafen zuerst gefragt, ob er seine Beleidigung zurücknehmen wolle. Dieser habe ganz ruhig mit Nein geantwortet, worauf er ihn gefordert; sie seien auf Pistolen einig geworden, und haben die Wiese hinter dem Gottesacker zum Kampfplatz ausgewählt. Für einen Sekundanten lasse er danken, der alte Herr, der bei ihm ist, werde ihm sekundieren. Der Rittmeister schien vor Freude außer sich zu sein, daß er seinem Rivalen mit guter Manier eines auf den Pelz brennen könne; er wollte mit dem Champagner weitermachen, die nüchtern gewordenen Kameraden ließen es aber nicht zu, baten ihn auf morgen recht fest auszuschlafen, und versprachen, um sieben Uhr allesamt bei Schulderoff zu frühstücken.


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