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Es war vierundvierzig Minuten auf Mitternacht, als aus des Präsidenten Haus ein paar dunkle Gestalten traten; die eine größere war in einen dicken Überrock geknöpft, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, die andere kleinere hatte einen Shawl von dunkler Farbe um den Kopf geschlagen, war tief in einen Carbonaro eingewickelt, der aber zu lang schien, denn die Person die ihn trug, mußte ihn alle Augenblicke aufnehmen. Die beiden Gestalten schlichen sich dicht an den Häusern hin, gingen mehrere Straßen entlang, und verschwanden endlich im Portal der Münsterkirche.
Bald darauf kam ein Mann mit einer Laterne über den Münsterplatz; es war der Freilinger Küster; er schloß schweigend die große, garrende Kirchtüre auf, und winkte den beiden Gestalten einzutreten. Die kleinere schien zu zögern, als scheue sie sich in den nacht-raben-schwarzen Dom zu treten, als aber der Küster mit seiner Laterne voranleuchtete, schien sie mutiger zu werden und folgte, doch sah sie bei jedem Schritt unter dem Shawl hervor, als fürchte sie irgend etwas Greuliches hinter den großen Säulen hervorgucken zu sehen.
Am Altar machten sie halt. Der Küster zeigte auf einen breit vorspringenden Pfeiler, von wo aus man den Altar und einen großen Teil der Kirche übersehen konnte, und die beiden Verhüllten nahmen dort ihren Platz; die Laterne gab übrigens so wenig Licht, daß man ohne näher zu treten, die an dem Pfeiler Sitzenden von dem übrigen Dunkel nicht unterscheiden konnte. Indem hörte man den Glockenhammer im Turme surren, und zum Schlag ausholen, der erste Glockenschlag von Mitternacht rollte dumpf über die Kirche hin, und zugleich hallten eilende Schritte den mittleren Säulengang herauf dem Altar zu. Es war Martiniz mit seinem Diener.
Blaß und verstört setzt sich jener, wie er alle Nacht zu tun pflegte, auf die Stufen des Altars.
Zuerst sah er still vor sich hin, er weinte und seufzte, und, wie in jener Nacht, da ihn der Küster zum erstenmal gesehen hatte, rief er mit wehmütiger, bittender Stimme: »Bist du noch immer nicht versöhnt? kannst du noch immer nicht vergeben, Antonio?« Seine Stimme tönte voll und laut durch die Gewölbe der Kirche, aber kaum war der letzte Laut verhallt, da rief eine silberreine, glockenhelle Stimme, wie die eines Engels, vom Himmel: »Er hat vergeben!« Freudiger Schrecken durchzuckte den Grafen, seine Wangen röteten sich, sein Auge glänzte, er streckte seine Rechte zum Himmel hinauf, und rief: – »Wer bist du, der du mir Vergebung bringst von den Toten?« da rauschte es an jenem vorspringenden Pfeiler, eine dunkle Gestalt trat hervor, der Graf trat bebend einen Schritt zurück, sein Haar schien sich emporzusträuben, sein Blick hing starr an jeder Bewegung des Nahenden, die Gestalt kam näher und näher, der milde Schein der Laterne empfing sie, noch einige Schritte und – der dunkle Mantel fiel, ein seraphähnliches Wesen, – Ida – mit der Taubenfrommheit eines himmlischen Engels schwebte auf den Grafen zu. Dieser war in ein willenloses Hinstarren versunken, noch immer glaubte er einen Bewohner höherer Räume zu sehen, bis ihn die süße, wohlbekannte Stimme aus der Betäubung weckte:
»Ich bin es«, flüsterte als sie ganz nahe zu ihm getreten war, das mutige, engelschöne Mädchen, »ich bin es, die Ihnen die Vergebung eines Toten verkündigt. Ich bringe sie Ihnen im Namen des Gottes, der ein Gott der Liebe und nicht der Qual ist, der dem Sterblichen vergibt, was er aus Übereilung und Schwachheit gesündigt, wenn ernste Reue den Richter zu versöhnen strebt. Dies lehrt mich mein Glaube, es ist auch der Ihrige; ich weiß, Sie werden ihn nicht zuschanden machen. Du aber«, setzte sie mit feierlicher Stimme hinzu, indem sie sich gegen das Schiff der Kirche wandte, »du der du durch die Hand des Freundes fielst, wenn du noch diesseits Ansprüche hast an dieses reuevolle Herz, so erschein in dieser Stunde, zeige dich unseren Blicken, oder gib ein Zeichen deiner Nähe!« Tiefe Stille in dem Gotteshause, tiefe Stille draußen in der Nacht, kein Lüftchen regte sich, kein Blättchen bewegte sich. Mit seligem Lächeln, mit dem Sieg der Überzeugung in dem strahlenden Auge wandte sich Ida wieder zum Grafen: »Er schweigt«, sagt sie, »sein Schatten kehrt nicht wieder – er ist versöhnt!«
»Er ist versöhnt«, jubelte der Graf, daß die Kirche dröhnte, »er ist versöhnt und kehrt nicht wieder! O Engel des Himmels, Sie, Sie haben ihn gebannt, Ihre treue Freundschaft für mich Unglücklichen, die ebenso hoch, ebenso rein ist als Antonios Treue und Großmut, sie hat den blutigen Schatten versöhnt, wie kann ich Ihnen danken –«
»Danken Sie dem, der stark war in mir Schwachen«, sagte Ida, indem sie ihm sanft die Hand entzog, die er gefaßt und mit glühenden Küssen bedeckt hatte, »wollen Sie aber mir etwas mehr gönnen, als das Bewußtsein, dem Freunde genützt zu haben, so danken Sie mir dadurch, daß Sie sich wieder den Menschen schenken, daß Sie wieder heiter und froh sind, wie es Menschen gebührt, denen Gott die schöne Erde zu einem Ort der Freude geschenkt hat.« Sprachlos faßte er das zarte Händchen wieder und drückte es an sein klopfendes Herz, sein freudiges Lächeln, ein seliger Blick sagten ihr, daß er erfüllen wolle, was sie ihm geheißen.
Der Hofrat war indes näher getreten, und hatte mit freudiger, zuweilen etwas schalkhafter Miene die schöne Gruppe betrachtet. Man konnte aber auch nichts Schöneres sehen. Der hohe schlanke junge Mann mit dem zarten, sprechenden Gesicht, aus dem jetzt alle Wehmut, alle Trauer gewichen war, das jetzt nur Freude und Glück aussprach, an seiner Seite die feine Seraphgestalt mit dem lieblichen Engelsköpfchen, das aus den sinnigen, schmelzenden Augen so freudig, so schmachtend an jenem hinaufsah – sie beide umstrahlt von dem ungewissen milden Schein der Laterne an den Seiten und im Hintergrund der Altar und die wunderlich geformten Bogen und Säulen des majestätischen Tempels. Nun, dachte Berner, sei es um ein paar Wochen, dann sind wir zu guter Tageszeit wieder hier am Altar, dort auf den Stufen steht dann der Herr Pastor primarius und weiter unten müssen mir die beiden Leutchen dort knien; der Herr Pastor spricht dann den Segen und sie sind kopu–
Es zupfte ihn etwas am Rockschoß, er sah sich um. Der alte Brktzwisl stand hinter ihm und wischte sich einmal über das andere die alten Augen, die vor seliger Rührung übergingen. »Das ist Ihr Werk, Herr Hofrat«, schluchzte er, »möge es in Zeit und Ewigkeit –« »Sei still«, flüsterte Berner, »dein Werk ist es, denn hättest du nicht endlich geschwatzt, so spukte der Herr Antonio nach wie vor.«
Der alte treue Diener nahm aber das Lob nicht an, »Nun, am Ende ist es doch der Himmelsengel dort«, schluchzte er weiter, »der es vollbracht hat, ohne sie hätten wir anzetteln können, was wir hätten wollen, wir hätten doch nichts zuwege gebracht. Morgenden Tages schreibe ich alles dem alten Herrn Oncle und der kann nicht anders, er muß seinen Segen zu der holdseligen, zukünftigen Frau Gräf–« Ein Wink seines Herrn unterbrach ihn, er eilte zu ihm hin, küßte die Hände des Grafen und den Saum von Idas Gewand und brachte dann, wie ihm der Graf befahl, Idas Mantel. Scherzend, als ging es von einem Ball nach Hause, hing Martiniz dem holden Mädchen den Mantel um, und hüllte ihr das Köpfchen so tief in den Shawl, daß nur noch das feine Näschen hervorsah; der Hofrat führte sie, der stillselige Graf ging neben seiner Retterin her, und Berner wurde gar nicht eifersüchtig, daß diese das Gesichtchen immer nur dem Grafen und viel seltener ihm zuwandte.
Brktzwisl und der Küster, der ganz traurig schien, daß seine Talerquelle doch endlich versiegt war, schlossen den Zug. »So Gott will«, sagte zu ihm der alte Diener, als er die Türe schloß, »sind wir zum letztenmal nachts da drinnen gewesen; dir soll es übrigens dennoch nichts schaden, alter Kauz; wenn deine durstige Seele nach einem Glas Wein verlangt, so komme nur zum alten Brktzwisl in den Mond, da setzen wir uns denn hinter den Tisch, die Frau Wirtin muß Alten geben und wir trinken dann aufs Wohlsein meines Herrn und des schönen Fräuleins.«