Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Emils Kummer

»Mein Herr war nicht von jeher so, wie Sie ihn jetzt sehen; jetzt ist er bleich, still, finster, spricht wenig und lacht nie, geht langsam seine Straße und wenn er allein ist, so weint er. Ach! Sie hätten ihn sehen sollen, als noch die gnädige Frau Gräfin und die Fräulein Schwester lebten. Keinen frischeren, kräftigeren jungen Herrn gab es in ganz Polen nicht mehr; das sprang, ritt, tanzte, focht, liebte und lebte, lachte und tollte, wie man nur in der Jugend sein kann. Keinen schmuckeren Offizier habe ich mein Tage nicht gesehen und es traten mir immer die Tränen in die Augen, wenn er wie ein Hauptmann aus den himmlischen Heerscharen an der Spitze seiner Schwadron zur Parade zog, wenn die Trompeter an unserm Hotel aufbliesen, die Ulanen ihre Fähnlein senkten und der junge Graf zu seiner Fräulein Schwester herauflächelte wie verklärt und seinen Tigerschimmel dazu tanzen ließ.

Das ging nun so seinen guten Gang, bis der Teufel den Herrn Vetter Antonio nach Warschau führte. Das war ein Schwestersohn von der Frau Gräfin Exzellenz, ein schöner, schmucker Italiener mit braunroten Wangen, blitzenden Augen, und wenn er sprach, glaubte man, er singe. Der war eigentlich nur so weit herausgekommen aus seinem schönen Land, um die Familie seiner Frau Mutter zu besuchen, aber ehe man sich's versah, nahm er Dienste bei uns und blieb, denn er sagte, es gefalle ihm nirgends so, wie in Polen; muß auch so gewesen sein, denn wie sich nachher zeigte, er war zum Sterben verliebt in des Grafen Schwester, die junge Gräfin Crescenz. Im Hause hatte ihn jedermann lieb, absonderlich aber der junge Graf, mein Herr, war ihm mit übermenschlicher Freundschaft zugetan und tat ihm alles, was er ihm nur an den Augen absehen konnte.

Das ging nun lange Zeit gut; kein Mensch merkte, daß Herr Baron Antonio die junge Gräfin liebte; denn diese hatte viele Liebhaber, welche großes Geräusch und Aufsehen machten; der Italiener aber trieb seine Sache im stillen und kam wohl bälder ans Ziel als die andern; denn er hatte, ich stand dabei, eines Tages einen schönen Brillantring am Finger, der auch mir bekannt vorkam. Plötzlich faßte Graf Emil seine Hand und fragte, ›Wo hast du den Ring her?‹ Er aber sagte lächelnd und ganz gelassen: ›Von deiner Schwester.‹ Nun wußte ich, was die Stunde geschlagen hatte; der Graf sah ihn mit einem sonderbaren Blick an, gab ihm die Hand und sprach: ›Ich habe nichts dagegen, nur sei ihr treu.‹ Es verging wieder ungefähr ein Vierteljahr, da kam mein Herr auf einmal nach Hause, wie ich ihn noch nie gesehen hatte; seine Augen rollten und blitzten schrecklich, zweimal schnallte er den Säbel um, und ebensooft warf er ihn wieder hin. Ich fragte, was ihm wäre, er aber gab mir gar keine Antwort, was er sonst nie getan hatte; ich habe nachher den ganzen Handel erfahren und darf ihn wohl erzählen. Der Graf war an jenem Nachmittag in ein Kaffeehaus gekommen, da kam ein Offizier zu ihm, nahm ihn auf die Seite, zeigte ihm einen Ring und fragte, ob er ihn wohl kenne. Der Graf besah ihn genau und erkannte, daß es derselbe Ring sei, den seine Schwester dem Marchese geschenkt. Er äußerte dies aber nicht gegen den Offizier, sondern fragte nur, woher er den Ring habe; der Offizier sagte ihm, daß er diesen Ring an Personen gesehen habe, die dem Grafen Martiniz nahe angingen, er seie daher gekommen, um ihm freundschaftlich zu sagen, daß er diesen Ring auf eine Stunde von Madame Trizka entlehnt habe, die ihn vom Italiener, seinem Vetter, zum Präsent bekommen zu haben behaupte.

Madame Trizka aber war die berüchtigste Courtisane der Stadt und um Geld zu haben. Der Herr Graf fragte den Offizier auf sein Ehrenwort, ob alles sich so verhalte, und nahm ihn auf seine Versicherung sogleich zum Sekundanten an. Er schickte ihn mit dem Ring an seinen Vetter, und ließ ihn fragen, ob die Trizka denselben von ihm bekommen habe? der Italiener antwortete mit einem kalten, einfachen: ›Ja!‹ das meinen Herrn nur noch wütender machte. Seiner Fräulein Schwester mochte er das Herzeleid nicht antun, ihr etwas von diesem Bubenstück zu sagen und beschloß daher, den treulosen Vetter so bald als möglich aus der Welt zu schaffen.

In einem Garten der Krakauer Vorstadt schossen sie sich gleich den Morgen darauf. Mein Herr wurde an der rechten Schulter leicht gestreift; er aber, der eine sichere Hand hatte und einen Rubel auf dreißig Schritte traf, schoß den Marchese durch die Brust, daß er keine Ader mehr zuckte. Man brachte beide in die Stadt und machte mit dem Italiener noch einige Versuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, aber alles vergeblich; es war zwar noch Leben in ihm, aber er lag ohne Besinnung und die Ärzte gaben gar keine Hoffnung.

Mein Herr, der den Herrn Vetter trotz seiner Schlechtigkeit dennoch beweinte, war so um ihn besorgt, daß er sogar nicht auf seine Rettung bedacht war, sondern sich an das Sterbebett des Vetters bringen ließ. Dieser lag immer ohne Besinnung und wie es schien, ohne Rettung. Mein Herr saß bis tief in die Nacht bei ihm, am Ende gegen zwölf Uhr hin in der Nacht war niemand mehr zugegen als er, zwei Freunde, der Wundarzt und ich. Mit dem Schlag zwölf Uhr aber schlug der Italiener seine greulichen, dunkeln Augen auf. Er richtete sich in die Höhe und sah sich im Zimmer um.

Uns alle wandelte ein Grauen an, denn man konnte glauben, er sei schon gestorben, so gestanden und gläsern war sein Blick. Endlich sah er meinen Herrn, wütend riß er seine blutigen Binden von der durchschossenen Brust, daß das Blut herausströmte; ›Maledetto diabolo!‹ brüllte er und warf dem Grafen die Binden an den Kopf, sank zurück auf die Kissen und als wir hineilten, um ihn zu unterstützen, hatte er seinen wilden Geist schon aufgegeben.

Mein Herr aber war bei dem schrecklichen Fluch des Toten in Ohnmacht gesunken. Er fiel in eine lange Krankheit, aus der er so unglücklich wieder erstand, wie Sie ihn jetzt sehen. Als er aber aus seinem Wahnsinnfieber, in welchem er drei Wochen gelegen, wieder aufwachte, da ging erst der Jammer von neuem an, denn während der Krankheit war er vollends ganz zur Waise geworden. Die junge Gräfin war ein paar Tage nach dem traurigen Vorfall plötzlich gestorben; man sagt arge Sachen in Warschau, von Gift und dergleichen, die aber ein alter Diener nicht glauben darf. Die Frau Gräfin Mutter, die immer gesiecht hatte, überlebte sie wenige Tage, dann trug man auch sie zu Grabe.

Der junge Herr vernahm dies alles mit großer Fassung, als man ihm aber einen Brief seiner Schwester brachte, da kam er außer sich, so daß wir fürchteten, er komme wieder vom Verstand.

Ich vermute, der Italiener war doch nicht so schuldig, als wir alle glaubten, denn der Graf ließ sich auf sein Grab führen, weinte dort lange und rief mit flehender Stimme in die Erde hinein, um Vergebung. Als ich in der nächsten Nacht neben dem Zimmer des Herrn zum erstenmal seit langer Zeit ruhig schlief, weckte mich ein schreckliches Geschrei – es kam aus seinem Zimmer – ich eilte hinein und sah ihn in Schrecken und Wahnsinn, denn er glaubte, der Italiener sei in seinem blutigen Hemde zu ihm gekommen, habe die Binden abgerissen, sie ihm an den Kopf geworfen und sein maledetto diabolo dazu geschrien. Mit dem Schlag ein Uhr hörte auch sein Wahnsinn auf. Aber seitdem kehrte er jede Nacht wieder. Er bekam wegen des Duells Begnadigung, mußte aber auf einige Zeit sich außer Landes begeben.

Diese Weisung kam erwünscht, denn die Ärzte rieten zu Zerstreuung durch eine Reise. Ach! wir fahren jetzt seit einem Jahr durch ganz Europa und dennoch kehrt sein Zustand jede Nacht wieder. Ich glaube nicht an Gespenster, Herr, aber oft ist es mir doch auch, als habe mein Herr recht und der selige Herr Antonio folge uns auf den Fersen. In Rom, wohin wir auf unserer Irrfahrt kamen, entwischte er mir in seinem Anfall und lief in eine Kirche; wie es nun sein mag, von da an behauptet er, der Spuk könne nicht zu ihm herein, wenn er am Altar sitze.

Wer war froher als ich über dieses Auskunftsmittel! Aber auch nicht jede Kirche war ihm recht, bald ist sie zu groß, bald zu klein, wie es so mit kranken Leuten geht. Hier geht es nun unbegreiflich gut. Die Kirche behagt ihm wie beinahe keine und seit acht oder zehn Tagen hat er gar nicht mehr gewütet, sondern nur geweint.«

Der alte Diener hatte, oft unterbrochen von dem Hofrat, seine Erzählung beendigt; Berner konnte kaum seine Rührung zurückhalten; es wollte ihm das Herz abdrücken, daß ein Mensch, so schön, mit allen Gaben des Glückes so reichlich versehen, mit einem Schlage in so namenloses Unglück stürzen sollte. Er war voll Eifer zu helfen, aber welchen Weg konnte man einschlagen, um dem Grafen seinen schrecklichen Wahn zu benehmen? Waren nicht gewiß alle Mittel schon versucht worden, ihn zu heilen? Er fragte den Alten, wozu er ihm behülflich sein könnte bei dieser Sache.

Der alte Brktzwisl lächelte geheimnisvoll vor sich hin und begann dann: »Wenn ich recht gesehen habe, so ist mein Herr auf dem besten Wege zur Heilung und der Herr Hofrat können als Arzt dabei dienen. Vor allem muß ich um Verzeihung bitten, wenn ich etwa nicht recht gesehen hätte; einem alten Diener, der nur für das Wohl seines Herren besorgt ist, kann man ja schon etwas zugut halten. Der Herr Oncle des Grafen, ein steinreicher Mann, der jetzt auch das Vermögen des Grafen verwaltet, hatte mich mit reichlichen Mitteln versehen, daß ich jeden berühmten Arzt um Rat fragen konnte. Überall, wohin wir kamen und uns auch nur zwei Tage aufhielten, befragte ich gleich die Ärzte; die einen wollten dies, die andern jenes, was man schon oft probiert hatte, die meisten aber rieten Reisen und Zerstreuung.

In einer kleinen deutschen Stadt, wo ich gar keinen Arzt gesucht hätte, traf ich durch Zufall einen in unserm Wirtshaus; es war ein kleiner alter Mann mit einem klugen Gesicht, das mir sogleich Vertrauen zu ihm einflößte. Er gab nicht gleich eine Antwort, sondern betrachtete den Kranken in seinem Zustand, aber von ihm ungesehen. Den andern Tag sagte er zu mir: ›Höre, Alter! dein Herr ist unheilbar, wenn ihn nicht Liebe heilt; und zwar recht innige, warme Liebe zu einem Mädchen, das sie erwidert. Hat ihn erst einmal eine recht gefaßt, so ist es unzweifelhaft, daß sein Wahnsinn sich zerstreut und nach und nach vergeht.‹

Diese Nachricht war mir nun von Anfang ein Donnerschlag, denn ich wußte, wie wenig er sich aus den Frauenzimmern macht; wenn er durch Liebe geheilt werden soll und durch nichts anders, so ist er verloren, dachte ich; denn wo soll er sich verlieben. Er ging an keinen Ort, wo schöne Mädchen waren, in keiner Stadt wollte er über einen oder zwei Tage bleiben; kurz, dieser Rat brachte mich erst recht zur Verzweiflung. Aber dennoch schrieb ich es treulich dem alten Herrn Oncle.

Diesem aber leuchtete das Ding ein; er schrieb mir, er wolle seinem Neffen eine rechte gute Partie suchen und wir sollen einstweilen hieher ins —sche gehen.

Hier in Freilingen geschah nun, was ich für meine Seele nicht für möglich gehalten hätte; er blieb vor vierzehn Tagen bis nach eilf Uhr auf dem Ball, daß ich ihn sogar abrufen mußte; nach der Kirche geht er wieder auf den Ball, was er in einem Jahr nie getan und kommt ganz stillselig nach Haus. Gleich den andern Morgen läßt er mich das Logis im Goldenen Mond auf vier Wochen bestellen, ich glaubte, mir solle Hören und Sehen vergehen; er merkte auch, daß ich mich so verwundere, und gab vor, daß ihm die Kirche so wohl gefallen habe. Aber wie ich aus unserem mittleren Zimmer einmal hinausschaue, werde ich in dem Haus drüben einen Engel gewahr, der so holdselig herüberlächelte, daß mir alten Kerl ganz warm ums Herz wurde. Da ging mir denn ein Licht auf! Schon auf der Herreise hatten wir dieses Fräulein gesehen; auf dem Ball war sie auch gewesen und tagelang schaute jetzt mein Herr hinter dem Vorhang nach dem Fenster im Haus gegenüber.

Und das ist niemand als die wunderschöne Fräulein Ida; meinen Sie, mein Herr seie früher in Gesellschaft gegangen; zu keiner Seele, obgleich ich für jede Stadt eine Handvoll Empfehlungsbriefe hatte; aber ich will die Tasse Tee mit Löffel und Stiel aufessen, die er seit einem Jahr in Gesellschaft getrunken hat, und seit er ins Haus hinüberkommt, geht er alle Abende, die Gott gibt, zum Tee hinüber.

Seit der Zeit läßt aber auch sein Zustand mehr und mehr nach; er raset gar nicht mehr, er richtet sich nicht mehr auf; er bleibt ganz ruhig am Altar sitzen, und weint aber nur desto mehr. Ich hatte eine Freude, als ich dies bemerkte, daß ich dem alten Doktor auf der Stelle mein Hab und Gut geschenkt hätte, dem Engelsfräulein aber, das dies Wunder bewirkte, möchte ich, sooft ich sie sehe, vor purer Freude zu Füßen fallen.

Wenn es nun Gottes Wille wäre, daß das Fräulein meinen Herrn liebte, ach da wäre ihm geholfen, so gewiß ich selig werden will! Und wenn sie nicht schon einen andern hat, der kann ihr ja doch gewiß recht sein. Lassen Sie ihn nur wieder einmal zu roten Wangen kommen, lassen Sie ihn nur ein wenig lächeln wie früher, lassen Sie ihn erst einmal wieder in die Uniform schlupfen statt des schwarzen Zeugs, das er anhat – da muß er ja einem Mädel gefallen und wenn sie einen Marbelstein in der Brust hätte, statt eines Herzens. Über das Vermögen will ich gar nichts sagen; sehen Sie, da ist das herrlich eingerichtete Hotel in Warschau, da sind die Güter Ratitzka, Martinizow, da ist Flazizhof, da –«

»Laß gut sein, Alter«, bat der Hofrat, »mit einem davon könnten wir samt und sonders zufrieden sein. Was deinen Herrn betrifft, so glaube ich selbst, daß er das Fräulein gerne sieht; wie das Fräulein über ihn denkt, weiß ich nicht so genau, doch kann sie ihn nicht übel leiden. Das Ding muß sich übrigens bald geben, glaube mir. Hat dein Herr das Fräulein recht von Herzen lieb, so soll er, merke wohl auf, so soll er es ihr sagen; ich meine, ich könnte dafür stehen, daß sie nicht nein sagt.«

Der alte Brktzwisl war außer sich vor Freude, als er dies hörte; »Nun, das muß wahr sein, wenn sich vernünftige Menschen miteinander besprechen, gibt es ein Stück; mein Herr soll dran, soll Hochzeit haben und wieder fröhlich sein, und der alte Brktzwisl will kuppeln und all sein vierzigjähriges Dienen soll umsonst sein, wenn er nicht, ehe acht Tage ins Land kommen, den Herrn Grafen auf der rechten Fährte hat.«

»Aber meinst du auch, du verdienst dir beim alten Oncle Dank, wenn du den Herrn Neveu verheiratest? das Fräulein ist eigentlich doch keine rechte Partie für einen polnischen Grafen –«

»Wird ihm wohl an ein paar hunderttausend Taler mehr liegen, als an der gesunden Vernunft seines Brudersohnes? Nein, der alte Graf ist ein räsonabler, nobler Herr, der nicht auf solche Sachen viel sieht. ›Mache mir meinen Emil gesund‹, hat er zu mir gesagt, als wir abfuhren, ›bringe ihn vernünftig zurück à tout prix.‹ Da darf man ja wohl auch eine Heirat dazu rechnen! Und überdies bekümmern wir uns eigentlich nicht sehr viel um den alten Herrn; der junge Graf ist eigentlich sein eigener Herr und der Oncle hat ihm nicht so viel zu gestatten oder zu verbieten. Doch besser bleibt besser und daß der Alte mit Freuden seinen Segen gibt, dafür stehe ich; ach wenn er nur das liebe Engelskind selbst sehen könnte!« Dem alten Mann schien der Mund zu wässern; er bat den Hofrat noch einmal, recht zu sorgen, und ging.


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