Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der neue Nachbar

Es war, als seie ein feindlicher Dämon mit der Gräfin in Präsidents Haus eingezogen. In wenigen Stunden war alles, das ganze ruhige stille Leben des Hauses verändert. Alles rannte und flog, um den hohen Gast zu bedienen; es war ein Jagen und Treiben, ein Rennen und Laufen, daß man glaubte, der Feind sei vor den Toren. Der ärgste war der Präsident selbst; ganz stillverklärt schlüpfte er in allen Ecken des Hauses umher, zankte und hantierte, daß die Konfusion nur noch ärger wurde, und ihn sein Mädchen, das vor Haushaltungsgeschäften und Herzensangelegenheiten nicht wußte, wo ihr der Kopf stand, ihn um Gottes willen bat, sie doch ganz allein machen zu lassen. Es war aber auch kein Wunder, daß er sich ein wenig verrückt gebärdete. Der Himmel hing ihm voller eigenhändig – durchlauchtigster Belobungsschreiben, voll großer Verdienstkreuze mit breitem Band über die Brust, voll Dotationen und Standeserhöhungen; jetzt war er in seinem Esse, jetzt konnte er negocieren und zeigen, daß er nicht umsonst in Regensburg und Wetzlar in seiner frühen Jugend Diplomatie studiert hatte. Was er mit seinen kühnsten Wünschen nicht für möglich gehalten hätte, führte ihm ganz bequem der Zufall in die Hände. Der Staatssekretär hatte ihm aufgetragen, dafür zu sorgen, daß Martiniz sich ankaufe und für die Idee einer Verbindung mit der Aarstein gewonnen werde; es hatte ihm wahrhaftig schon manche Sorge gemacht, ob er diesen Ausbruch allerhöchsten Vertrauens auch gehörig rechtfertigen werde. Jetzt gab der Himmel der Gräfin ein, auf ihre Güter zu reisen. Was doch nicht der Zufall tut. Ohne daran zu denken, daß es wirklich einmal in Erfüllung gehen könne, denn der gerade Weg führte zwei Meilen seitwärts an Freilingen vorbei, hatte er einmal in der Residenz in einem Anfall von galanter Laune der Gräfin das Versprechen abgenötigt, einmal auf ihrer Reise bei ihm einzusprechen. Und wie glücklich fügte es sich jetzt; sie, die beim Herrn alles galt, die er behandelte wie seine eigene Tochter und ihr alles zu Gefallen tat, sie, nach deren Wink die ersten Chargen sich richten mußten, die, ohne daß man es merkte, an ganz geheimen Fäden das Land regierte, sie besuchte ihn.

Aber sie sollte auch gehalten werden, als wäre sie in ihrem eigenen Hause, daß sie recht viel Schönes und Gutes höheren Orts von ihm und seinem Hause sagen konnte. Kaum hatte sie geäußert, sie finde Idas Zimmer im ersten Stock so hübsch, so mußte das Fräulein das Feld räumen und in die zweite Etage wandern. Es kam dem Mädchen sauer an, als sie so die Plätze wechseln mußte, und in ihrem traurigen, ahnungsvollen Herzen wollte es ihr beinahe bedünken, als seie dies eine schlimme Vorbedeutung. Und es war ihr auch gar nicht zu verdenken; sie hatte das Fenster mit der Estrade so gerne gehabt, dort saß sie am liebsten, dort las, dort arbeitete sie, sie durfte ja nur das Köpfchen ein wenig heben, den blauseidenen Vorhang nur ein wenig aufheben, nur einen kleinen Viertelseitenblick hinüberwerfen, so sah sie ja auch schon ihn; und jetzt sollte sie der verhaßten Nebenbuhlerin, die ja offenbar nur gekommen war, um den Grafen in ihre Fesseln zu schlagen, jetzt sollte sie dem üppigen Weib, die gewiß alle Künste der Fenster-Koketterie aufbieten werde, ihr heimliches Plätzchen am Fenster, ihr lauschiges Schlafstübchen abtreten und dafür, weiß Gott wie lange in den weiten, unheimlichen Zimmern des obern Stockes wohnen. Mit Seufzen richtete sie ihre kleine Haushaltung oben ein. Der Stickrahmen, die Staffelei, die Toilette, die paar Kistchen und Kästchen waren bald gestellt; jetzt setzte sie einen Stuhl ins Fenster, sie probierte, ob man nicht auch von da in den ersten Stock des Mondes hinabsehen könne; es ging wohl; aber sie sah nichts, als die Wolken seiner Gardinen, er mußte schon herausschauen, wenn sie ihn von diesem Platz aus zu Angesicht bekommen sollte und das merkte sie schon, einen steifen Hals konnte sie sich füglich gucken, wenn sie immer das Köpfchen hinabbog; »Doch was schadet das«, lächelte sie, »das tu ich ihm schon zu Gef–«

Mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf; hatte sie recht gesehen oder hatte ihr nur die Phantasie diese Gestalt – als sie von der Beletage des Mondes zurückkehrte, und ihr Blick zufällig an den Fenstern des zweiten Stockes vorbeistreifte, erblickte sie – nein, was bin ich für ein Kind, dachte sie, wie wäre es möglich, was könnte er nur hier zu tun haben? Sie wagte noch einen Blick – richtig, der Rittmeister von Sporeneck lag geradeüber von ihr im Fenster und bückte und verbeugte sich herüber und tat und lächelte so vertraut und so freundlich, als hätte er sie jahrelang gekannt.

Voll Unmut über den Unverschämten riß sie an der seidenen Schnur, welche den Store am Fenster emporhielt und rauschend rollte der Vorhang zwischen sie und den verhaßten Lüstling. Dieser Mann war ihr der widerwärtigste auf der Erde; er war ein schöner, kräftiger Soldat, gebildet, von glänzendem Witz, angenehm in der Unterhaltung; er wußte den Bescheidenen zu spielen, aber nicht länger als ein paar Tage, dann – das Mädchen, das er belagerte, mußte ja in dieser Frist kirre gemacht sein, dann kehrte er seine wahre Seite heraus, sein Auge wurde lüstern, seine Reden lockend, schlüpfrig, mußten jedes zarte, weibliche Ohr aufs tiefste beleidigen, wenn es nicht schon ganz für ihn gewonnen war. So hatte er sich auch Ida genähert. Das unschuldige Kind hatte Gefallen an seinen Gesprächen, die ihr ein wenig mehr Gehalt zu haben schienen, als die der übrigen jungen Herrn, sie ging oft in seinen Witz, in seine heitere Laune ein. Er aber hatte sich ein rasendes Dementi bei diesem Mädchen gegeben. Er hatte sie in eine Klasse gerechnet mit den verdorbenen Kindern der Residenz, die, zur Jungfrau herangewachsen unter dem Schleier der Sittsamkeit, eine kaum verhaltene Lüsternheit, ein sündiges Sinnen und Begehren verbergen. Diese hatte er immer bald aufs Eis geführt und waren sie nur einmal in einem Wörtchen geglitscht und geschlüpfert, husch –; so hatte er auch bei Ida endlich, nachdem er alle edlern Farben hatte spielen lassen, die herausgekehrt, die jede andere geblendet hätte, aber vor dem strengen Blick der reinen Jungfrau nicht Farbe hielt. Mit Schanden, man sagt sogar mit einer tüchtigen Ohrfeige war er abgezogen, erklärte Ida überall für ein Gänschen, schwor ihr bittere Rache und warf sich in die Arme der Aarstein, wo ihm ohne langweilige Präliminarien bald wurde, was er bei Ida durch tausend Künste umsonst gesucht hatte.

Das ist aber auch zu abscheulich, dachte Ida, so wenig sich zu genieren! Denn daß die Gräfin ihren Liebhaber mitgenommen, daß er auf keinem andern Wege nach Freilingen gekommen sei, das hatte sie gleich weggehabt. Weiter dachte sich aber das gute, unschuldige Kind nichts dabei. Sie kannte zwar die grundlose Schlechtigkeit der Aarstein so ziemlich, sie wußte, daß diese gekommen sei, um den Grafen zu gewinnen; aber das ahnete sie nicht, daß man den Rittmeister nur dazu mitgenommen haben könnte, um sie von Martiniz' Herzen loszureißen, um sie in eben jenem Lichte zu zeigen, in welchem sie die Gräfin sah. Nein an diesen wahrhaft höllischen Plan dachte das engelreine Herzchen, das allen Menschen gerne ihr Gutes gönnte, nicht. Und wie sollte sie auch daran gedacht haben. Sie glaubte ja gar nicht anders, als die Gräfin könne von ihrer Liebe zu Martiniz auch nicht die leiseste Ahnung haben, wußte ja sogar sie kaum seit Stunden, daß sie ihn so recht innig liebe, hatte sie ja doch all ihre Sehnsucht, alle ihre Liebe recht tief und geheimnisvoll im Herzchen verschlossen, und niemand könne, glaubte sie, da hineinsehen, als vielleicht höchstens Mart– ja er mußte ja gefühlt haben, daß sie ihm gut seie, sonst hätte er wohl nicht jenes Geständnis gewagt, daß er sie lie–

Aber da schellte es schon zum zweitenmal in des Vaters Zimmer; wahrhaftig die Teestunde war da, und noch manches war zu rüsten; die Gedanken an Rum und Zitrone, Zucker und Tee, Milch und Brötchen, Tassen und Löffelchen, verdrängten alle andern; sie flog die Treppe hinab, um schnell alles zu ordnen. Dort stand schon Papa und flüsterte ihr zu: »Schicke dich nur; es sind allerhand Besuche da, und du könntest leicht mehr Rum brauchen, als das Bouteill'chen da!«


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