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Erinnerungen an Oscar Wilde

Von G. Bernard Shaw

Einleitung

Sobald die Veröffentlichung des von mir verfaßten Buches »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« angezeigt wurde, bestellte sich Bernard Shaw ein Sonderexemplar. Und ich sandte es ihm mit der Bitte, mir seine Meinung über das Buch mitzuteilen.

Zur entsprechenden Zeit erhielt ich von ihm das nachfolgende Manuskript, in dem er seine Ansicht über mein Werk dahin äußert: »Es ist das beste Lebensbild von Wilde … Wildes Andenken wird mit ihm stehen oder fallen.« Dann spricht er von allen seinen persönlichen Begegnungen mit Wilde, von dem Eindruck, den er dabei empfangen, und dem Urteil, das er sich über Wilde als Schriftsteller und als Mensch gebildet hat.

Er hat sich – wie er sagt – diese Arbeit gemacht, damit ich seine Anschauungen im Anhang meines Buches veröffentlichen kann, wenn ich es für angemessen halte – ein Vorschlag, der nicht nur Shaws Verständnis und Großherzigkeit, sondern zugleich die Sorglosigkeit beweist, mit der er seine eigenen Guttaten verschwendet.

Nun freue ich mich sehr, daß ich Shaws besonnenes Urteil über Wilde zum Nutzen meiner Leser meinem eigenen Urteil an die Seite stellen kann. Denn wenn ich bei Wilde irgend etwas falsch aufgefaßt oder falsch beurteilt, oder irgendeinen besonderen Zug seines Wesens nicht aufgezeichnet habe, so wäre meine Unterlassungs- oder Begehungssünde diesem zweiten scharfen Augenpaar wohl kaum entgangen. Jetzt darf diese Wilde-Biographie wirklich als abgeschlossen gelten.

Shaw behauptet, daß er Wilde strenger beurteilt als ich, »viel härter«, wie seine Worte lauten. Aber ich weiß nicht genau, ob diese Einschätzung stimmt.

Während Shaw Wildes Snobismus unterstreicht, schmälert er seine »irische Anmut«, und obwohl er seine Gaben als dramatischer Schriftsteller und Geschichtenerzähler in hohem Maße rühmt, legt er wenig Gewicht auf die echte Güte seines Wesens und die liebenswürdig lächelnde Art, die ihn zu einem so unvergleichlichen Gefährten und Vertrauten machte.

Andererseits entschuldigt er Wildes Perversität als pathologisch – als hereditären »Gigantismus« – und erhellt somit die dunklen Schatten in demselben Maße, wie er die Lichter abgeschwächt hat.

Ich habe bei Oscar Wilde, weder körperlich noch seelisch, nie etwas Abnormes bemerkt, abgesehen von einer übermäßigen Sinnlichkeit und einer bedingungslosen Verehrung der Schönheit und der gefälligen Formen. Und so mußte ich angesichts seiner eigenen Bekenntnisse und Gepflogenheiten – um in der Malersprache zu reden – die rohen Umrisse seines Bildes mit schwarzen Schatten anlegen und war sehr erfreut, helle Lichter zum Ausgleich zu finden, – das Licht seiner Liebenswürdigkeit, seiner Anmut und seiner selbstlosen Herzensgüte.

Ich glaube, daß sich unsere beiden Darstellungen im ganzen sehr ähnlich sehen, und bin überzeugt, daß viele Leser Shaw für seine Beteiligung und Bestätigung beinahe ebenso dankbar sind, wie ich es bin.

Nachschrift

Nachdem ich dieses Vorwort geschrieben hatte, erhielt ich die Korrekturen der Shawschen Arbeit und übersandte sie dem Verfasser. Er hat einige kleine Verbesserungen am Text vorgenommen – die selbstverständlich berücksichtigt worden sind – und die Fußnoten, die ich als Herausgeber angebracht habe, mit einigen Anmerkungen versehen. Natürlich war es mein Wunsch, auch diese zu verwerten, und so habe ich sie, um Verwechslungen zu vermeiden, in Kursivschrift, mit den Anfangsbuchstaben seines Namens, hinzugesetzt. Hoffentlich werden sie für den Leser in dieser Anordnung verständlich sein.


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