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Ein letztes Wort

In den wenigen Jahren, die seit der ersten Auflage dieses Buches verflossen sind, habe ich viele Briefe aus meinem Leserkreise erhalten, mit der Bitte um gewisse Auskünfte über Wilde, die ich mit Stillschweigen übergangen habe. Man hat mir mit einer gerichtlichen Klage gedroht, und ich darf mich nicht unumwunden äußern. Aber den Leuten, die behaupten wollen, daß Oscar gewichtigere Argumente zu seiner Rechtfertigung vorbringen konnte als die, welche von mir im 24. Kapitel angeführt worden sind, darf ich doch mit wenigen Worten antworten: Tatsächlich habe ich seine Überzeugungskraft größer dargestellt, als sie in Wirklichkeit war. Als Oscar (wie ich auf S. 371 berichtet habe) die Behauptung aufstellte, daß seine Schwäche »mit dem höchsten Ideal des Menschentums vereinbar, wenn auch nicht sein charakteristisches Merkmal« wäre, fragte ich ihn: »Würdest du diese Rechtfertigung auch für die Lesbierinnen anführen?« Da wandte er sich ab und drückte in Wort und Miene einen so starken Widerwillen aus, daß er meines Erachtens damit die ganze Sache preisgab.

Er hätte sich besser rechtfertigen können. Vielleicht durfte er sagen, daß wir uns – ebenso wie wir oft nur um des Genusses willen essen, trinken oder rauchen – auch anderen Sinnenfreuden hinzugeben vermögen. Und wenn er den Grund geltend gemacht hätte, daß seine Sünde verhältnismäßig entschuldbar und so ausschließlich persönlich war, daß sie für den normal veranlagten Mann keine Versuchung bedeutete, so hätte ich diesen Punkt nicht bestritten.

Überdies ist die Liebe im höchsten Sinne vom Geschlecht und von der Sinnlichkeit unabhängig. Seit Luthers Zeiten haben wir in einer vom Mittelpunkt fortstrebenden Entwicklung, in einem hemmungslosen Individualismus gelebt, der alle Bande der Liebe und Zuneigung gelockert hat. Und nun, da die zum Mittelpunkt hinstrebende Entwicklung in Kraft getreten ist, werden wir sehen, daß in ungefähr fünfzig Jahren Freundschaft und Liebe wieder zu Ehren kommen und die mannigfaltigsten Formen der gegenseitigen Anziehungskraft sich ohne Scheu und Furcht geltend machen werden. In diesem Sinne hätte Oscar sich als Vorboten betrachten dürfen, – und nicht als einen überlebten Typus oder eine »Spielart«. Und es mag wohl sein, daß irgendein derartiges triebhaftes Gefühl in seinem Unterbewußtsein lebte, wenn es auch zu schattenhaft war, um zu Worten gestaltet zu werden. Denn selbst, als wir diese Fragen erörterten (siehe S. 373), wandte er ein, daß die Welt duldsamer würde, – was hoffentlich wahr ist. Die erste Lehre, die uns die Religion der Menschlichkeit kündet, lautet, daß wir duldsamer gegen die Fehler der anderen sein sollen.

Ende

 

Ein Brief, den Lord Alfred Douglas an Oscar Wilde geschrieben hat, und den ich hier wiedergebe, spricht für sich selbst und erledigt, meines Erachtens, ein für allemal den Zweifel über ihre gegenseitigen Beziehungen. Wenn Lord Alfred Douglas die Wahrheit nicht geleugnet und sich als Oscar Wildes Gönner aufgespielt hätte, würde ich diesen Brief niemals veröffentlicht haben, obgleich er mir zur Feststellung der Wahrheit eingehändigt worden war. Dieser Brief wurde in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Gerichtsverfahren gegen Oscar geschrieben, – und zehn Tage später wurde Oscar Wilde zu zweijähriger Zuchthausstrafe und Zwangsarbeit verurteilt.

Frank Harris.

Paris, Mittwoch, den 15. Mai 1895.

Hôtel des Deux Mondes, Avenue de l'Opéra 22.

Mein liebster Oscar!

Bin gerade hier eingetroffen.

Ich finde es zu schrecklich, daß ich ohne Dich hier sein muß; aber hoffentlich wirst Du in der nächsten Woche nachkommen. Dieppe war so fürchterlich, daß man gar nichts anfangen konnte; es ist der trübseligste Ort in der Welt. Nicht einmal »Petits Chevaux« konnte man spielen, denn das Kasino war geschlossen. Hier sind die Leute sehr nett, und ich kann bleiben, solange ich will, ohne meine Rechnung zu bezahlen. Und das ist gut, denn ich habe nicht einen Penny.

Der Besitzer ist sehr nett und höchst verständnisvoll. Er hat sich gleich nach Dir erkundigt und sein Bedauern und seine Entrüstung über die Behandlung geäußert, die Dir widerfahren ist. Ich werde diese Zeilen per Droschke nach dem Bahnhof »Gare du Nord« schicken müssen, damit sie noch zur Post kommen, denn ich möchte, daß Du sie morgen mit der ersten Post erhältst.

Ich werde versuchen, Robert Sherard morgen anzutreffen, wenn er in Paris ist.

Charlie ist bei mir und sendet Dir die besten Grüße.

Von More (Adey) habe ich heute morgen einen langen Brief über Dich erhalten. Verliere den Mut nicht, mein teuerster Liebling. Ich denke unentwegt, Tag und Nacht, an Dich und sende Dir von ganzem Herzen meine Grüße.

Ich verbleibe stets

in Liebe und Hingebung Dein Junge
Bosie.

Der folgende, zum erstenmal veröffentlichte Brief ist der charakteristischste, den ich von Oscar Wilde in den Jahren nach seiner Gefangenschaft erhalten habe. Ich glaube, er datiert vom Winter des Jahres 1897 und ist also ungefähr acht Monate nach seiner Entlassung geschrieben worden.

F. H.

Paris, Hôtel de Nice, Rue des Beaux Arts.

Mein lieber Frank!

Ich kann Dir nicht in Worten sagen, wie tief mich Dein Brief bewegt hat, – er ist »une vraie poignée de main«. Ich habe richtige Sehnsucht, Dich zu sehen und mit Deiner starken, gesunden und herrlichen Persönlichkeit wieder in Berührung zu kommen.

Die Sache mit dem Gedicht (»Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading«) ist mir unverständlich. Mein Verleger teilt mir mit, daß er meinem Wunsche folgend die beiden ersten Exemplare an die »Saturday« und die »Chronicle« geschickt hat. Und außerdem teilt er mir mit, er hat von Arthur Symons erfahren, daß er eigens an Dich schrieb, damit Du ihm gestattest, einen Artikel mit seiner Namensunterschrift zu bringen.

Vermutlich sind die Verleger unzuverlässig. Zweifellos machen sie immer diesen Eindruck. Hoffentlich wird eine Rezension erscheinen, denn Deine Zeitschrift – oder vielmehr Du selbst – ist in London eine große Macht. Und wenn Du sprichst, hören die Menschen zu.

Selbstverständlich habe ich die Empfindung, daß das Gedicht zu autobiographisch ist, und daß jedes äußere Erleben etwas Wesensfremdes ist und den Menschen überhaupt nicht beeinflussen soll. Aber diese Dichtung ist mir aus dem Herzen gedrungen – wie ein Schmerzensschrei –, wie Marsyas' Schrei, nicht wie Apollos Lied. Dennoch enthält sie manches Gute. Ich habe das Gefühl, daß ich aus der Gefängnissuppe ein Sonett gemacht habe, und das ist immerhin etwas.

Wenn Du aus Monte Carlo zurückkehrst, laß es mich bitte wissen. Ich habe Sehnsucht, mit Dir zu speisen.

Aber für ein Lustspiel, meiner lieber Frank, habe ich die Haupttriebfedern des Lebens und der Kunst – »la joie de vivre« – eingebüßt, es ist schrecklich. Genüsse und Leidenschaften stehen mir zu Gebote, aber die Lebensfreude ist geschwunden. Ich gehe unter, die Morgue will mich verschlingen. Und ich gehe, um mir dort mein Zinkbett anzusehen. Schließlich habe ich doch ein herrliches Leben gehabt, – ich fürchte, daß es zu Ende ist. Aber erst muß ich noch einmal mit Dir speisen.

Allezeit der Deinige
Oscar.


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