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XXVI
Das Ende

Jedoch nach ein bis zwei Tagen verzogen sich die Wolken, und die Sonne leuchtete so strahlend wie je zuvor. Oscars Stimmung ließ sich nicht lange niederdrücken: er hatte eine kindliche Freude am Leben und an jedem seiner kleinen Ereignisse. Als ich mich etwa acht Tage später, mitten im Sommer, in Paris von ihm trennte, war er lustig und guter Dinge. Er plauderte ebenso köstlich wie zuvor, und der zynische Anflug seiner Worte verlieh seinem Witz überdies einen prickelnden Reiz. Bald nach meiner Ankunft in London teilte er mir brieflich mit, daß er krank wäre, und daß ich ihm wirklich etwas Geld schicken müßte. Die Summe, die wir zuerst für sein Szenarium Es handelt sich um das Lustspiel »Mr. and Mrs. Daventry« von Frank Harris. Oscar Wilde hatte das Szenarium, das seine Erfindung war, an Harris verkauft, war jedoch seinen Verpflichtungen, den ersten Akt selbst auszuführen, nicht nachgekommen. D. Ü. vereinbart hatten, war bereits überschritten; außerdem war ich selbst in Geldverlegenheit und befand mich in keinem guten Gesundheitszustand. Ich litt an einem chronischen Bronchialkatarrh, der mich in diesem Herbst zu wiederholten Malen sehr mitgenommen hat. Da ich von gemeinsamen Bekannten gehört hatte, daß Oscars Krankheit ihn nicht hinderte, auswärts zu speisen und Vergnügungen aufzusuchen, nahm ich seine Klagen und Bitten etwas unwillig auf und antwortete ihm in lakonischer Form, denn ich hielt diese Krankheit lediglich für einen Vorwand. Als ich nun mein Theaterstück untergebracht hatte, wurden seine Forderungen ebenso dringend wie übertrieben.

Schließlich fuhr ich im September nach Paris zurück, um ihn zu besuchen, und war überzeugt, innerhalb von fünf Minuten alles in freundschaftlicher Weise mit ihm regeln zu können; denn er mußte sich unserer Vereinbarung erinnern.

Als ich zu ihm kam, ging es ihm gesundheitlich gut, aber er ärgerte sich wie ein Kind, daß mein Stück aufgeführt werden sollte, und war entschlossen, mir so viel Geld als möglich abzunehmen – mochte es biegen oder brechen. Eine solche Hartnäckigkeit auf diesem Gebiet war mir noch niemals vorgekommen, und ich konnte nur durch Zahlung einer weiteren Summe, die denn auch erfolgte, eine leidliche Einigung mit ihm erzielen.

Bei diesem Feilschen und Bitten wurde es mir klar, daß er, im Gegensatz zu meiner früheren Anschauung, zum Freunde nicht geschaffen war und auf Freundschaft keinerlei Gewicht legte. Selbst seine Liebe zu Bosie Douglas war zum Haß geworden, denn die Grundlage seiner Neigung war niemals Verständnis oder Bewunderung, sondern fast nur Snobismus gewesen. Er liebte den Titel, den romantischen Namen – Lord Alfred Douglas. Robert Roß war der einzige Freund, von dem er stets mit Zuneigung und Wertschätzung sprach: Er pflegte ihn »einen der witzigsten Menschen« zu nennen und spottete gern, aber stets in gutmütiger Weise, über seine besonders schlechte Handschrift: »Ein Brief beweist nur, daß Bobbie etwas zu verheimlichen hat.« Aber dann fügte er wohl hinzu: »Wie freundlich, wie gut er ist«, als ob Roß' Hingebung für ihn etwas Erstaunliches wäre, was tatsächlich auch der Fall war. Roß hat mir später erzählt, daß Oscar sich nie viel aus ihm gemacht hat. Und Oscar hat sich wirklich aus allen so wenig gemacht, daß eine selbstlose Liebe ihn maßlos überraschte: er konnte in seiner eigenen Seele dafür keine Erklärung finden. Seine Eitelkeit war – wie bei den meisten Menschen – stets reger als seine Dankbarkeit. Zuweilen, wenn Roß ihn belehren oder zurechtweisen wollte, wurde er sofort gereizt und entgegnete beispielsweise: »Du verstehst dich so gut darauf, hoch zu Roß zu sitzen, und du tust es so gern, – es ist wirklich schade, Bobbie, daß du nie den Pegasus bestiegen hast.« Das war nicht gerade Spott, aber ein kleiner Seitenhieb, um seinen Schulmeister zur Ordnung zu rufen. Wie die meisten Menschen, die ein bestrickendes Wesen haben, war Oscar selbstsüchtig, auf sich bedacht und von der eigenen Wichtigkeit zu sehr durchdrungen, um viel an andere zu denken, aber gegen Hilfsbedürftige war er großmütig und gegen alle Menschen freundlich.

Als ich nach London zurückgekehrt war, hörte er nicht auf, mich fast mit jeder Post um Geld zu bitten. Sobald nun die Aufführung meines Theaterstücks öffentlich angezeigt wurde, belästigte und verfolgte mich eine ganze Schar von Menschen, die alle behaupteten, daß Oscar ihnen das Szenarium bereits verkauft hätte, ehe ich es von ihm erwarb. Verschiedene Leute drohten, ein gerichtliches Verbot gegen die Darstellung meines Stückes »Mr. and Mrs. Daventry« zu erwirken, wenn ich mich nicht zuerst mit ihnen einigte. Selbstverständlich schrieb ich Oscar einen ziemlich scharfen Brief, weil ich durch seine Schuld in dieses Wespennest geraten war.

Während sich diese ganzen unerfreulichen Vorgänge abspielten, benachrichtigte mich Turner – meines Wissens im Oktober –, daß Oscar ernstlich erkrankt sei, mit dem Bemerken, daß ich so freundlich sein möchte, ihm das Geld zu senden, das er nach seiner Behauptung noch von mir zu beanspruchen hätte, da er es dringend benötige. Als dieser Brief eintraf, war ich bettlägerig und kann jetzt nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, ob ich ihn beantwortet habe oder nicht. Er erregte meinen Unwillen; denn Oscars Freunde hätten wissen müssen, daß ich ihm kein Geld schuldig war. Aber nach einiger Zeit erhielt ich die telegraphische Mitteilung von Roß, daß Oscars Zustand hoffnungslos sei. Ich war krank und nicht imstande, das Zimmer zu verlassen, sonst wäre ich sofort nach Paris gefahren. Unter diesen Umständen ließ ich mir meinen Freund Bell kommen und übergab ihm etwas Geld und einen Scheck mit der Bitte, hinüberzufahren und mich zu benachrichtigen, ob Oscar wirklich in Lebensgefahr war, was mir kaum glaubhaft erschien. Das Schicksal wollte es anders; am nächsten Nachmittag, als ich Bell bereits unterwegs glaubte, kam seine Frau, um mir zu sagen, daß er einen schweren Asthmaanfall gehabt hatte, aber sobald sein Befinden es erlaubte, nach Paris fahren würde.

Ich war selbst in zu schlechten Verhältnissen, um auf telegraphischem Wege Geld zu überweisen, das vielleicht nicht benötigt wurde. Und Oscar hatte zu häufig in Bezug auf seine Gesundheit »blinden Lärm« geschlagen, um als glaubwürdiger Zeuge zu gelten. Dennoch war ich mit mir selbst unzufrieden und wartete sehnsüchtig auf Bells Abreise.

Ein Tag nach dem andern verging in quälender Unsicherheit und Angst; aber es währte nicht lange, da wurde meiner ganzen Sorge ein Ende gemacht: denn ich erhielt ein Telegramm, das mir seinen Tod meldete. Ich wollte meinen Augen nicht trauen: es schien unglaublich zu sein – der Bronnen der Lust und des Frohsinns, die köstliche Quelle geistigen Lebens und Strebens für immer versiegt! Durch Oscar Wildes Tod wurde die Welt trüber für mich.

siehe Bildunterschrift

Letzte Aufnahme (in Rom)

Erst nach Monaten erfuhr ich von Robert Roß die näheren Umstände seiner letzten Krankheit.

Roß traf im Oktober in Paris ein, und sobald er Oscar sah, war er von seinem veränderten Aussehen so betroffen, daß er darauf bestand, mit ihm zum Arzt zu gehen. Aber zu seiner Verwunderung fand der Arzt, daß im Augenblick kein Anlaß zur Sorge vorlag. Er meinte, daß Oscar noch jahrelang am Leben bleiben könnte, wenn er nur keinen Wein und »a fortiori« keine Spirituosen mehr trank. Absinth wurde ihm streng verboten. Aber Oscar beachtete die Mahnung nicht, und Roß konnte nichts anderes für ihn tun, als mit ihm spazieren zu fahren, sooft das Wetter es gestattete, und ihm harmlose Zerstreuungen zu verschaffen.

Oscars Wille zum Leben war fast vollkommen geschwunden: so lange er angenehm und ohne Anstrengung zu leben vermochte, war er zufrieden. Aber sobald sich gesundheitliche Störungen und Schmerzen oder selbst nur ein Unbehagen einstellte, sehnte er sich nach Erlösung.

Doch bis zuletzt blieb ihm sein Frohsinn und seine bestrickende Heiterkeit erhalten. Seine Krankheit verursachte einen gewissen Hautreiz, der weniger schmerzhaft als lästig war. Als er eines Morgens Roß nach einer vierundzwanzigstündigen Trennung wiedersah, bat er ihn um Entschuldigung, weil er sich kratzen mußte:

»Ich hab' wirklich mehr Ähnlichkeit denn je mit einem großen Affen«, rief er, »aber ich hoffe doch, Bobbie, daß du mir keine Nuß, sondern ein Mittagessen vorsetzen wirst.«

Auf einer der letzten Spazierfahrten, die er mit seinem Freunde unternahm, bestellte er sich Champagner, und als er ihm gebracht wurde, meinte er: »Ich sterbe ebenso, wie ich gelebt habe – über meine Verhältnisse.« Sein lachender Humor verklärte sogar seine letzten Stunden.

Anfang November reiste Roß aus Paris ab, um mit seiner Mutter nach der Riviera zu fahren, da Reggie Turner sich bereit erklärt hatte, bei Oscar zu bleiben. Er schildert uns, daß Oscar allmählich immer schwächer wurde, obwohl er seine Umgebung bis zum Schluß durch seinen alten, noch aufflackernden Humor überraschte. Er behauptete andauernd, daß Reggie sich vorzüglich zum Arzt eignete, weil er ihm unablässig etwas verbot. Dann sagte er wohl: »Wenn du es fertig bringst, dem Hungrigen das Brot und dem Durstigen den Trank zu entziehen, dann darfst du dich um dein Diplom bewerben, Reggie.«

Gegen Ende November sandte Reggie ein Telegramm an Robert Roß, um ihn nach Paris zu berufen; Roß ließ alles im Stich und traf am nächsten Tage dort ein.

Als alles vorüber war, sandte er einem seiner Freunde einen ganz ausführlichen Bericht über Oscar Wildes letzte Stunden, den er mir in hochherziger Weise zur Verfügung gestellt hat.

Wer sich mit Studien über Oscar Wilde befaßt, sollte Roß' Brief lesen, aber manche seiner Schattierungen sind zu zaghaft, und gewisse Erlebnisse, die stark hervorgehoben werden müßten, zu oberflächlich behandelt. Die mündlichen Mitteilungen, die ich von ihm erhalten habe, waren eingehender und besser im Ausdruck.

So erwähnt er z. B. beiläufig, wenn er von seinen Spazierfahrten mit Oscar spricht, daß Oscar »darauf bestand, Absinth zu trinken« – und läßt es dabei bewenden. In Wirklichkeit ließ Oscar den Wagen ungefähr beim ersten Kaffeehaus halten, stieg aus und trank ein Glas Absinth. Zwei- bis dreihundert Meter weiter ließ er die Victoria wieder halten, um das zweite Glas Absinth zu trinken, und als ein paar Minuten später wieder halt gemacht wurde, wagte Roß, Einwendungen zu machen:

»Du wirst dich umbringen, Oscar«, rief er, »du weißt doch, daß dir die Ärzte gesagt haben, Absinth sei Gift für dich!«

Oscar blieb am Bürgersteig stehen:

»Und wozu soll ich leben, Bobbie?« fragte er in ernstem Ton. Da blickte Roß ihn an und bemerkte den Verfall – die Symptome des Alters und der zerstörten Gesundheit – und konnte nur den Kopf neigen und schweigend mit ihm weitergehen. Wozu sollte er wirklich leben, er, der alle vornehmen Lebensgewohnheiten aufgegeben hatte?

Die zweite Szene ist entsetzlich, aber sozusagen die unvermeidliche Folge der ersten: sie enthält ihre besondere, grausige Moral. Roß erzählt, daß er eines Morgens an Oscars Sterbebett trat und ihn tatsächlich bereits bewußtlos fand; er schildert das furchtbare, laute Todesröcheln und fügt hinzu: »es mußten ihm schreckliche Handreichungen gemacht werden!«

Aber die Wirklichkeit ist noch entsetzlicher. Oscar hatte seit der Katastrophe in Neapel fast gewohnheitsmäßig zu stark gegessen und zu viel getrunken. Die furchtbare Krankheit oder die Nachwirkungen, an denen er litt, schwächen alle Gewebe des Körpers, eine Schwäche, die durch den Genuß von Wein, besonders aber von Spirituosen, verschlimmert wird. Als die beiden Freunde in banger Sorge an seinem Bette saßen, erfolgte plötzlich eine geräuschvolle Entladung: Schleim drang aus Oscars Mund und Nase, und – …

Selbst die Betten mußten verbrannt werden …

Wenn es in Wahrheit so ist, daß alle, die das Schwert nehmen, durch das Schwert umkommen sollen, so ist es ebenso gewiß, daß alle, die für ihren Leib leben, durch ihren Leib umkommen sollen – und es gibt keine entehrendere Todesart.

*

Noch eine Szene – die letzte –, dann bin ich zu Ende.

Als Robert Roß alle Vereinbarungen traf, um Oscar in Bagneux zu beerdigen, war er bereits entschlossen, die Leiche so bald als möglich nach dem Kirchhof »Père Lachaise« zu überführen und dort, wo seine sterblichen Überreste ruhen sollten, ein würdiges Denkmal zu errichten. Es wurde sein Lebenszweck, die Schulden seines Freundes zu begleichen, die Konkurserklärung rückgängig zu machen und seine Werke in geziemender Form zu veröffentlichen, – kurz, Oscars Andenken von jedem Makel zu reinigen und seinem liebenswerten Wesen nur die leuchtenden Gewänder der Unsterblichkeit zu erhalten. In wenigen Jahren hatte er seine edle Aufgabe bis auf den letzten Teil erfüllt: er hatte nicht nur Oscar Wildes gesamte Schulden getilgt, sondern es sogar ermöglicht, seinen Kindern große Summen zu überweisen, und die Berühmtheit seines Namens auf der ausgedehntesten und sichersten Grundlage gefestigt.

Nun fuhr er mit Oscars Sohn Vyvyan nach Paris hinüber, um seinem Freunde den letzten Dienst zu erweisen. Als die Leiche vor Jahren zur Grabesruhe hergerichtet wurde, hatte sich Roß über die zur Ermöglichung seiner Absichten erforderlichen Maßnahmen von medizinischer Seite belehren lassen. Und die Ärzte hatten ihm den Rat gegeben, die Leiche in gebrannten Kalk zu betten, – wie Oscar Wilde es in seiner »Ballade vom Zuchthaus zu Reading« schildert. Denn dieses Präparat sollte die Fleischteile zerstören und die weißen Knochen – das Skelett – unversehrt erhalten, somit würde ihm eine Überführung leicht ermöglicht werden.

Als das Grab geöffnet wurde, sah Roß zu seinem Entsetzen, daß die Fleischteile durch den gebrannten Kalk nicht zerstört, sondern in gutem Zustande erhalten worden waren. Oscars Gesicht war kenntlich, nur Haar und Bart waren lang geworden. Roß bat den Sohn sogleich, sich zu entfernen, und als die Totengräber sich anschickten, ihre Spaten in Tätigkeit zu setzen, gebot er ihnen Einhalt. Dann stieg er selbst in die Gruft hinunter und legte, in liebevoller Ehrfurcht, den Leichnam mit eigener Hand in den neuen Sarg.

Die Menschen, welche unsere sterbliche Hülle um des Geistes willen in Ehrfurcht halten, werden Robert Roß für dieses höchste Zeichen der Verehrung, die er den irdischen Überresten seines Freundes erwiesen hat, Dank wissen: bei ihm war wirklich die Liebe stärker als der Tod.

Und man darf auch versichert sein, daß der Mann, dem diese glühende, selbstlose Zärtlichkeit zuteil wurde, sie verdient und durch den Reiz seiner Kameradschaft oder durch die Zauberkraft seines liebreichen Wesens ins Leben gerufen hatte.


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