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XXV
Hoffnungslos

(»Die Götter sind gerecht und machen unsere süßen Laster zum Werkzeug unserer Qual.«)

 

Es war Hochsommer geworden, ehe ich von neuem mit Oscar zusammenkam. Er war nach Paris zurückgekehrt und hatte wieder sein altes Quartier in dem elenden kleinen Hotel, Rue des Beaux Arts, bezogen. In gewohnter Weise speiste er mittags und abends mit mir, er war so humoristisch und bezaubernd wie zuvor und noch genau derselbe angenehme Gefährte. Aber zum erstenmal klagte er über sein Befinden:

»Ich habe in Italien ein paar Muscheln und Austern gegessen und muß mir eine Vergiftung zugezogen haben, denn meine Arme sind ganz mit großen, roten Flecken besät, ich habe diesen Ausschlag auch auf der Brust und dem Rücken und fühle mich nicht wohl.«

»Hast du einen Arzt um Rat gefragt?«

»Ach ja, aber die Ärzte taugen nichts: jeder verordnet dir etwas anderes; das beste an der Sache ist noch, daß sie alle so aussehen, als ob sie dir mit dem tiefsten Interesse zuhören, wenn du von dir selbst redest, – das ist ein vorzügliches Stärkungsmittel.«

»Manchmal sagen sie einem aber, um was es sich handelt, und geben dem, was man nicht versteht, einen Namen und eine Bedeutung«, warf ich ein.

»Sie sind mir lästig, weil sie mir das Rauchen und Trinken verbieten. Sie sind noch schlimmer als M., der mir seinen Wein nicht gegönnt hat.«

»Was meinst du damit?« fragte ich überrascht.

»Es ist eine tragikomische Geschichte, Frank. Du hattest M. ganz richtig erkannt, und ich habe mich in ihm getäuscht. Wie du weißt, wollte er, daß ich in dem Schweizer Ort Gland bei ihm wohnen sollte. Er bat mich hinzukommen und versprach mir, in jeder Weise für mich zu sorgen. Und als es in Genua zu warm wurde, fuhr ich zu ihm. Zuerst war er scheinbar sehr erfreut, mich zu sehen, und nahm mich freundlich auf. Die Beköstigung war nicht besonders, die Getränke waren nichts weniger als gut, aber schließlich konnte ich mich nicht beklagen und fand mich mit den Unzulänglichkeiten ab. Doch als nach ein bis zwei Wochen der Wein verschwand und das Bier anstatt dessen in Erscheinung trat, gab ich ihm zu verstehen, daß ich abreisen müßte. Da bat er mich so herzlich, es nicht zu tun, daß ich mich zum Bleiben bewegen ließ. Bald aber bemerkte ich, daß das Quantum Bier immer kleiner wurde, und als ich mir eines Tages beim Mittagessen erlaubte, um eine zweite Flasche zu bitten, sagte er mir, daß es sehr teuer wäre und er sich das nicht leisten könne. Selbstverständlich benutzte ich einen schicklichen Vorwand und verließ sein Haus so bald als möglich. Wenn man die Armut ertragen muß, erträgt man sie am besten allein. Aber es ist die größte Schande, sich solche Unzulänglichkeiten mit Widerstreben und aus Barmherzigkeit bieten zu lassen. Doch ich will es lieber von der anderen Seite auffassen: dieser M., der mir sein Dünnbier nicht gönnt, das ist ja die reine Posse!«

Er sprach so bitter und verächtlich, wie er sonst über keinen Menschen zu sprechen pflegte.

Ich konnte mein Mitgefühl nicht unterdrücken, obwohl man allmählich unverkennbar etwas mürbe wurde. Er bat mich nun sogleich um Geld und wiederholte sein Anliegen mehrmals in kurzen Zwischenräumen. Früher hatte er irgendeinen Vorwand ausfindig gemacht, wie z. B.: daß er seine erwartete Rente nicht erhalten hatte, oder daß ihm eine Rechnung Sorgen bereitete. Jetzt aber bettelte er ganz einfach immer von neuem und haderte dabei mit seinem Schicksal. Es war jammervoll. Unablässig gebrauchte er Geld und verschwendete es gedankenlos – wie Wasser.

Eines Tages fragte ich ihn, ob er seit seiner Rückkehr nach Paris seinen Soldatenjüngling häufig gesehen hätte.

»Gesehen habe ich ihn, Frank, aber nicht häufig«, und er lachte fröhlich. »Es ist ein possenartiges Lustspiel, – das Gefühl fängt stets mit der Romantik an und endet mit Gelächter – ›tabulae solvuntur risu‹. – Er hat so viel von mir gelernt, Frank, daß er Korporal geworden ist. Und da hat sich gleich ein Kindermädchen in seine Tressen verliebt. Er ist ihr zärtlich zugetan; ich glaube, es gefällt ihm, nun seinerseits den Lehrmeister zu spielen.«

»Und so kommt die große romantische Leidenschaft zu diesem harmlosen Abschluß?«

»Was willst du, Frank? Alles, was einen Anfang hat, muß auch ein Ende nehmen.«

»Ist jemand anders an der Reihe?« fragte ich, »oder bist du endlich vernünftig geworden?«

»Natürlich ist immer jemand anders an der Reihe, Frank; Abwechslung ist das Wesen der Leidenschaft. Die ›Vernunft‹, von der du sprichst, ist nur ein anderer Name für Impotenz.«

»Montaigne behauptet«, sagte ich, »daß die Liebe für die erste Jugend bestimmt ist, – für das auf die Kindheit folgende Lebensalter, wie er sich ausdrückt. Aber diese Anschauung stammt eben von einem Franzosen. Sophokles hatte die Wahrheit richtiger erfaßt, als er sich in jenem Alter glücklich nannte, das ihn von der Geißel der Leidenschaft befreit hatte. Wann wirst du zu jener Gelassenheit kommen?«

»Niemals, Frank, hoffentlich niemals. Ich würde das Leben ohne sinnliches Verlangen nicht lebenswert finden. Wenn man älter wird, ist man schwerer zu befriedigen: aber der Reiz des Genusses ist noch stärker als in der Jugend und viel mehr auf das eigene Ich beschränkt.

»Man begreift allmählich den Marquis de Sade und jene merkwürdige blutrote Geschichte des Kardinals de Retz, – den Genuß, den sie empfanden, wenn sie Schmerz bereiten konnten, diese seltsame, mächtige Unterwelt der Grausamkeit –«

»Das sieht dir nicht ähnlich, Oscar«, unterbrach ich ihn. »Ich habe gedacht, daß du es stets mit Scheu vermieden hast, Schmerz zu verursachen, – nach meinem Empfinden ist's eine unverzeihliche Sünde.«

»Nach meinem auch«, versetzte er sogleich, »verstandesgemäß kann man es wohl begreifen, aber in Wirklichkeit ist's entsetzlich. Ich will, daß mein Genuß durch keinen Tropfen Wermut verbittert wird. Dabei fällt mir ein, daß ich neulich ein schreckliches kleines Buch von Octave Mirbeau gelesen habe: ›Le jardin des supplices‹, – grauenhaft ist es; – es atmet eine sadistische Freude am Schmerz, – aber trotzdem wundervoll. Des Dichters Seele scheint furchtbare Stätten durchwandert zu haben. Du, der du die Furcht verachtest, wirst das Buch mit Mut betrachten, – ich aber …«

»Ich konnte es überhaupt nicht lesen«, erwiderte ich, »ich habe es empörend, unmöglich gefunden –«

»Wie eine graue Natter«, lautete sein Schlußurteil, und ich nickte als Zeichen meiner restlosen Zustimmung.

Den nächsten Winter verbrachte ich an der Riviera. Ein Unternehmen, an dem ich mich dort beteiligt hatte, brachte mir schwere Verluste und große Sorgen. Als ich im Frühjahr nach Paris zurückkehrte, forderte ich Oscar selbstverständlich auf, mit mir zusammenzusein. Er war viel frischer als seit langer Zeit. Es stellte sich heraus, daß Lord Alfred Douglas ein großes Legat aus dem Besitze seines Vaters zugefallen war und Oscar etwas Geld gegeben hatte. Und so war seine Stimmung viel fröhlicher. Wir nahmen ein festliches Mittagessen bei Durand ein, und er zeigte sich von seiner allerbesten Seite. Auf meine Frage nach seinem Befinden gab er zur Antwort:

»Es geht mir ganz gut, Frank, nur der Ausschlag kommt immer wieder, – es ist ein gespenstiger Gast, Frank. Ich fürchte, die Ärzte stehen mit dem Teufel im Bunde. Gewöhnlich zeigt er sich nach einem guten Abendessen als eine Art Nachwehe des Champagners. Die Ärzte sagen, ich soll keinen Champagner trinken und nicht mehr rauchen, diese albernen Menschen, die den Genuß als ihren geborenen Feind betrachten, während unsere Genüsse ihnen doch zum Lebensunterhalt verhelfen.«

Ich fand, daß er ziemlich wohl aussah, er war zwar etwas stärker geworden und seine Haut etwas unreiner als früher, auch seine Schwerhörigkeit hatte bedeutend zugenommen. Sonst schien er aber in jeder Beziehung auf der Höhe zu sein, trotzdem er zweifellos zu unbeherrscht trank und sowohl Wein bei den Mahlzeiten, als Spirituosen in der Zwischenzeit zu sich nahm.

Da ich im Winter an der Riviera gehört hatte, daß Smithers sich bemüht hatte, ein Theaterstück von ihm zu erwerben, brachte ich eines Tages diese Angelegenheit zur Sprache.

»Nebenbei bemerkt sagt Smithers, daß du an deinem Theaterstück gearbeitet hast; du weißt schon, welches ich meine, das mit der großartigen Szene hinter dem Wandschirm.«

»Ja, richtig, Frank«, bemerkte er gleichgültig.

»Willst du mir nicht erzählen, was du gemacht hast?« fragte ich. »Hast du weiter daran geschrieben?«

»Nein, Frank«, erwiderte er obenhin, »Smithers hat das Szenarium gemeint.«

Bald darauf bat er mich um Geld. Ich sagte ihm, daß ich im Augenblick nichts erübrigen könnte, und ersuchte ihn dringend, sein Stück zu schreiben.

»Ich werde nie wieder etwas schreiben, Frank«, lautete die Antwort. »Ich kann nicht, ich kann überhaupt das Denken nicht ertragen. Du mußt das nicht verlangen.« Und dann plötzlich: »Weshalb willst du das Szenarium nicht kaufen und das Stück selbst schreiben?«

»Die Bühne ist nichts für mich«, erwiderte ich, »dazu braucht's so eine Art Unterglasurmalerei, die mir nicht gefällt, – ihre Wirkungen sind theatralisch!«

»Weißt du, ein Theaterstück macht sich doch aber viel besser bezahlt als ein Buch –«

Ich hatte kein Interesse dafür. Als ich aber abends über seine Worte nachdachte, wurde es mir plötzlich klar, daß eine Erzählung, die ich zu schreiben gedachte, sehr gut zu der »Wandschirmszene« in Oscars Szenarium passen würde. Weshalb sollte es nicht ein Theaterstück anstatt einer Erzählung werden? und als ich am nächsten Tage mit Oscar zusammenkam, erwähnte ich diesen Gedanken.

»Ich habe eine Erzählung im Sinn«, sagte ich, »die sich nach dem, was du mir in großen Zügen entworfen hast, für dein Szenarium eignen würde. Ich könnte sie in Form eines Theaterstücks schreiben und den zweiten, dritten und vierten Akt sehr schnell erledigen, da ich mit allen handelnden Personen vertraut bin. Könntest du den ersten Akt übernehmen?«

»Natürlich könnte ich das, Frank.«

»Aber willst du es auch?« sagte ich.

»Was würde das nützen, du könntest ihn doch nicht unterbringen, Frank.«

»Auf jeden Fall«, fuhr ich fort, »könnte ich's versuchen; aber ich würde es bei weitem vorziehen, wenn du dich entschließen könntest, das ganze Stück zu schreiben, dann würde es recht schnell untergebracht werden.«

»Ach, Frank, das mußt du nicht verlangen.«

Der Gedanke an diese gemeinsame Arbeit war verfehlt, aber im Augenblick erschien er mir als das beste Mittel, ihn zur Tätigkeit zu veranlassen. Plötzlich bat er mich aber, ihm sogleich £ 50 für das Szenarium zu zahlen, damit ich dann nach Belieben darüber verfügen könnte.

Nach einer ziemlich langen Auseinandersetzung willigte ich ein, ihm £ 50 zu zahlen, wenn er mir versprechen wollte, den ersten Akt zu übernehmen. Das tat er, und ich gab ihm das Geld.

Bald darauf machte sich in seinem Verhältnis zu Lord Alfred Douglas eine gewisse Spannung bemerkbar. Eines Tages erzählte er mir ganz aufrichtig, daß Lord Douglas in den Besitz eines Vermögens von £ 15-20 000 gelangt sei, mit dem Bemerken: »Selbstverständlich kann er sich jederzeit Geld verschaffen und eine amerikanische Millionärin oder irgendeine reiche Witwe heiraten.« (Oscars Begriffe vom Leben bewegten sich fast alle in herkömmlichen Bahnen und waren aus Romanen und Theaterstücken entnommen.) »Ich wollte nun, daß er mir eine Summe gibt, die zu einem behaglichen Leben ausreicht, daß er mir eine Rente aussetzt, die mir eine anständige Lebensform ermöglicht. Es würde ihn höchstens zwei bis dreitausend Pfund, vielleicht sogar weniger, gekostet haben. Ich bekomme jährlich £ 150, nun wollte ich, daß er diese Summe auf £ 300 abrundet Oscar bezog bereits von seiner Frau und Robert Roß jährlich £ 300, ganz abgesehen von den Hunderten, die ihm andere Freunde von Zeit zu Zeit zuwandten.. So viel habe ich eingebüßt, weil ich zu ihm nach Neapel gegangen bin. Ich finde, das ist wirklich das allermindeste, was er mir geben müßte, findest du nicht auch? Willst du nicht mal mit ihm sprechen, Frank?«

»Da kann ich mich unmöglich einmischen«, versetzte ich.

»Ich habe ihm alles gegeben«, fuhr er in niedergedrücktem Ton fort. »Wenn ich Geld besaß, brauchte er mich nicht erst darum zu bitten; alles, was mein war, war auch sein. Und jetzt, da er reich ist, läßt er mich betteln und speist mich mit kleinen Summen ab. Es ist schrecklich von ihm, es ist wirklich sehr, sehr unrecht von ihm.«

So bald als möglich ging ich zu einem anderen Thema über. Seine Worte hatten einen bitteren Klang, der mir nicht gefiel, und den ich bereits früher bei ihm bemerkt hatte.

Es sollte mir bald beschieden sein, die Gegenpartei zu hören. Nach ein bis zwei Tagen erzählte mir Lord Alfred Douglas, daß er ein paar Rennpferde gekauft hatte, die in Chantilly zugeritten wurden. Ob ich hinkommen wollte, um sie mir anzusehen?

»Ich verstehe nicht viel von Rennpferden«, erwiderte ich, »und weiß mit dem Rennsport nicht recht Bescheid, aber habe nichts dagegen, einmal abends hinzukommen. Ich könnte in einem Hotel übernachten und die Pferde sowie Ihren Rennstall am nächsten Morgen besichtigen. Die englischen Stallburschen müssen in Frankreich ein ziemlich eigenartiges Leben führen.«

»Es ist wirklich spaßhaft«, sagte er, »sie bilden eine ganze englische Kolonie in Frankreich. Es gibt tatsächlich keine französischen Jockeis oder Trainer, die was taugen; da ist alles englisch: englischer ›slang‹, englische Sitten, sogar englisches Essen und selbstverständlich englische Getränke. Ein französischer Junge hat scheinbar nicht genug Nerv, um ein guter Reiter zu werden!«

Ich verabredete mich mit ihm und fuhr hinüber. Da ich den Zug versäumte, traf ich sehr spät ein, so daß Lord Alfred Douglas bereits gespeist hatte und ausgegangen war. Ich ließ mir also etwas zu essen geben und stieg gegen Mitternacht in mein Zimmer hinauf. Nach einer halben Stunde wurde an meine Tür geklopft und als ich öffnete, stand Lord Alfred Douglas vor mir:

»Darf ich eintreten?« fragte er. »Es freut mich, daß Sie noch nicht im Bett sind.«

»Selbstverständlich«, erwiderte ich, »um was handelt es sich denn?« Er sah bleich aus und schien überaus aufgeregt zu sein.

»Ich habe einen bösen Auftritt mit Oscar gehabt« – er stieß diese Worte heraus und ging nervös im Zimmer auf und ab – (es fiel mir ein, daß ich dieses verzerrte blasse Gesicht bereits einmal im Café Royal gesehen hatte), »ja, einen bösen Auftritt, – ich möchte gern mit Ihnen darüber sprechen. Sie wissen natürlich, daß er in früherer Zeit, als seine Theaterstücke in London aufgeführt wurden, reich gewesen ist und mir etwas Geld gegeben hat. Nun behauptet er, ich müßte ihm eine große Summe aussetzen. Ich halte das für lächerlich, finden Sie das nicht auch?«

»Ich möchte mich darüber lieber nicht äußern«, erwiderte ich. »Ich weiß mit den näheren Umständen nicht genügend Bescheid.«

Er war von dem Gefühl der erlittenen Kränkung zu sehr beherrscht, zu erregt, um meine Tonart zu empfinden und aus meinem Verhalten einen Vorwurf zu entnehmen.

»Oscar ist wirklich zu gräßlich«, fuhr er fort, »und hat schon jedes Schamgefühl verloren. Er bettelt und bettelt unentwegt, und selbstverständlich habe ich ihm Geld gegeben, Hunderte habe ich ihm gegeben, – genau soviel, wie ich jemals von ihm bekommen habe. Aber er ist unersättlich und außerdem verschwenderisch bis zum Leichtsinn. Selbstverständlich will ich mich ihm gegenüber durchaus anständig benehmen und habe ihm schon alles zurückgegeben, was ich von ihm erhalten habe. Finden Sie nicht, daß man nicht mehr von mir verlangen kann?«

Ich blickte ihn erstaunt an und sagte:

»Das müssen Sie mit Oscar abmachen, kein anderer kann da Schiedsrichter sein.«

»Weshalb nicht?« fuhr er mich in seiner gereizten Art an. »Sie kennen uns beide und unser Verhältnis.«

»Nein«, erwiderte ich, »ich kenne nicht Ihre sämtlichen Verpflichtungen und die damit eng verbundenen gegenseitigen Verbindlichkeiten. Außerdem könnte ich in diesem Falle kein gerechter Schiedsrichter sein.«

Zornig fiel er über mich her, trotzdem ich mich so freundlich als möglich ausgedrückt hatte.

»Er schien Sie aber zum Schiedsrichter zwischen uns aufrufen zu wollen«, schrie er. »Mir ist's gleich, wer das ist. Ich finde, wenn man jemand das zurückgibt, was man von ihm erhalten hat, so kann er nicht mehr verlangen. Es ist ne verfluchte Menge mehr, als die meisten Leute auf Erden zu erwarten haben.«

Nach einer Pause ging er sprunghaft zu einem anderen Gedankengange über:

»Als ich das erstemal an Oscar etwas auszusetzen fand, handelte es sich um die ›Salome‹-Übersetzung, denn er ist gräßlich eingebildet. Sie wissen doch, daß ich das Stück ins Englische übertragen habe. Ich fand die Auswahl seiner Worte dürftig und durchaus nicht gut, seine Prosa ist steif …

»Selbstverständlich ist er kein Dichter«, brach er verächtlich ab, »das müssen Sie selbst zugeben.«

»Ich weiß wohl, was Sie meinen«, erwiderte ich, »trotzdem ich mir einen großen Vorbehalt zugunsten des Mannes ausbitten muß, der ›Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading‹ geschrieben hat.«

»Durch eine Ballade wird ein Mann noch nicht zum Dichter«, sagte er unwirsch. »Unter einem Dichter verstehe ich einen Menschen, dem der Vers Kraft verleiht; in diesem Sinne ist er kein Dichter, und ich bin einer.« Seine Tonart klang herausfordernd trotzig.

»Gewiß sind Sie das«, erwiderte ich.

»Nun habe ich die Übersetzung der ›Salome‹ mit großer Sorgfalt ausgeführt, niemand könnte mir das nachmachen«, sagte er und errötete vor Zorn, »und immerfort hat Oscar daran herumgeändert und sie dadurch verschlechtert. Schließlich mußte ich ihm die Wahrheit sagen, und es gab einen Auftritt. Er bildet sich ein, daß er der bedeutendste Mensch auf Erden ist, der einzige, der überhaupt in Betracht kommt … Sein Eigendünkel ist albern. Bei dieser ›Ballade vom Zuchthaus zu Reading‹, die Sie immer so rühmen, habe ich ihm verschiedentlich geholfen Die Wahrheit über diesen Punkt habe ich bereits festgestellt., – ich nehme an, daß er das jetzt in Abrede stellt.

»Er hat sein Geld zurückerhalten; was will er also noch mehr? Er ist mir ekelhaft, wenn er bettelt.«

Ich konnte mich nicht vollkommen beherrschen:

»Er scheint es Ihnen zum Vorwurf zu machen«, sagte ich gelassen, »daß Sie ihn zu dieser tollen Klage gegen Ihren Vater aufgehetzt haben, die ihn zugrunde gerichtet hat.«

»Ich bezweifle nicht, daß er irgendeinen Grund zum Vorwurf finden wird«, warf er mir bissig zu. »Konnte ich vielleicht wissen, wie die Sache ablaufen würde? … Weshalb hat er meinen Rat befolgt, wenn er's nicht gewollt hat? Er war doch wohl alt genug, um zu wissen, was in seinem Interesse lag … Er ist jetzt geradezu ekelhaft; er wird so dick und aufgedunsen, – und wie eine von den ›Töchtern des Blutegels‹ verlangt er Geld und immer wieder Geld, – als ob es sein gutes Recht wäre.«

Ich konnte es nicht mehr mit anhören und mußte versuchen, ihn zur Güte zu bewegen.

»Zuweilen beschenkt man einen Mann, von dem man nie etwas gehabt hat, aus freien Stücken. Wenn aber jemand, den wir lieben und bewundern, in Elend und Not ist, so berechtigt ihn das zu sehr gewichtigen Ansprüchen.«

»Ich erkenne in diesem Fall überhaupt keine Ansprüche an«, schrie er so erbittert, als ob das Wort an sich ihn zur Raserei triebe, »und ich werde ihn künftig nicht mehr vollpfropfen. Wenn er nur wollte, könnte er mit seiner Schriftstellerei so viel Geld verdienen, wie er braucht; aber er will nichts tun. Er ist träge, er wird von Tag zu Tag immer träger und trinkt viel zu viel. Unerträglich ist er. Als er mich heute abend unentwegt um Geld bat, kam er mir wie eine alte Dirne vor.«

»Großer Gott!« rief ich, »großer Gott! Ist es zwischen Ihnen so weit gekommen?«

»Ja«, wiederholte er, ohne meine Worte zu beachten, »er kam mir genau wie eine alte, dicke Dirne vor«, und er weidete sich an diesem Ausdruck, – »ich hab's ihm auch gesagt.«

Ich blickte den Mann an, doch sprechen konnte ich nicht; da gab es wirklich nichts zu sagen. Und ich dachte, nun hat Oscar Wilde wohl endlich die niedrigste Stufe erreicht. Mit all meinen Gedanken war ich bei Oscar. Dieser gefühllose, kleinliche, böse Charakter erklärte mir das, was Oscar gelitten hatte.

»Da ich hier nichts nützen kann«, sagte ich, »haben Sie wohl nichts dagegen einzuwenden, daß ich mich schlafen lege, denn ich bin wirklich todmüde.«

»Das tut mir leid«, sagte er und sah sich nach seinem Hut um. »Wollen Sie morgen früh mitkommen und sich die ›Hottehüs‹ ansehen?«

»Ich glaube kaum«, erwiderte ich, »ich bin jetzt nicht in der Lage, mich zu entscheiden, – ich bin so müde, daß ich lieber schlafen möchte. Ich glaube aber, daß ich morgen früh nach Paris zurückfahren werde, da ich eine ziemlich dringende Sache zu erledigen habe.«

Er sagte mir »Gute Nacht« und entfernte sich.

Ich lag wach, meine schlaflosen Augen schmerzten aus Mitgefühl, aus Kummer um den armen Oscar, der im Elend und in der Armut beleidigt und von dem Manne, den er geliebt hatte, schmählich behandelt und mit Füßen getreten wurde, – von dem Manne, der ihn in die Hölle getrieben hatte … Obwohl ich dieses Gespräch so wortgetreu als möglich wiedergegeben und den Eindruck, den Lord Alfred Douglas damals auf mich machte, tatsächlich gemildert habe, bin ich mir doch bewußt, ihm vielleicht Unrecht zu tun. Ich habe in Wirklichkeit niemals Verständnis für seine Art gehabt, und so wäre es möglich, daß ihn meine Schilderung von seiner schlechtesten Seite zeigt. Denn ich weiß, daß dieser Zwischenfall nicht seine beste Seite zu erkennen gibt. Er hat später durch seine Schriften, und insbesondere durch einige herrliche Sonette, bewiesen, daß er für Oscar Wilde wirklich Zuneigung und Bewunderung empfand. Wenn ich ihm irgendwie nicht gerecht geworden bin, so kann ich das meines Erachtens am besten dadurch ausgleichen, daß ich hier sein edles Sonett auf Oscar Wildes Tod wiedergebe. Durch seine reine Schönheit und die Aufrichtigkeit des Empfindens ist es Shelleys Elegie auf Keats' Tod an die Seite zu stellen.

Der tote Dichter

Nachts träumte ich von ihm – sah sein Gesicht
Ganz strahlend, nicht im Schatten trüber Qual.
Wie einst in Melodien ohne Zahl
Hört' ich die goldne Stimme, und sie spricht. – –
Er schürfte Anmut aus des Alltags Schicht
Und schaffte aus dem Nichts ein Wundermal,
Bis sich in Schönheit hüllt, was bleich und kahl,
Und uns die Welt erglänzt im Zauberlicht.

Doch – als ich vor verschloßnem Tore stand,
Da trauert' ich um manch verlornes Wort, –
Verschollne Sagen, rätselhafte Not, –
Manch Wunder, das noch nie die Sprache fand, –
Gedankenvögel, die erstickt im Mord,
Dann wacht' ich auf und wußte: – er war tot! Dieses Sonett wurde von der Übersetzerin gemeinsam mit Mr. Herman George Scheffauer ins Deutsche übertragen.

Ich entschloß mich, Oscar sofort aufzusuchen und mich zu bemühen, ihn ein wenig zu trösten. Schließlich, – sagte ich mir, macht's nicht sehr viel aus, wenn ich ihm noch einmal so ungefähr fünfzig Pfund gebe. Und ich gedachte der vielen köstlichen Stunden, die wir in heiterem Geplauder und hohen geistigen Genüssen zusammen verbracht hatten.

Mit dem Frühzug kehrte ich nach Paris zurück und fuhr über die Seine in Oscars Hotel, wo er zwei Zimmer – ein kleines Wohnzimmer und ein angrenzendes, noch kleineres Schlafzimmer – bewohnte.

Als ich eintrat, lag er halb angekleidet auf dem Bett. Die Räume machten einen unangenehmen Eindruck auf mich. Es waren gewöhnliche, schäbige, enge französische Zimmer mit einer geschmacklosen Einrichtung: die üblichen Mahagonistühle, die vergoldete Uhr auf dem Kamin und eine unnatürlich quittengelbe Tapete an der Wand. Aber die überall herrschende Unordnung wirkte befremdend. Auf dem runden Tisch, auf den Stühlen und auf dem Fußboden lagen Bücher verstreut, und in buntem Durcheinander hier ein Paar Strümpfe, dort Hut und Stock, während der Überzieher sich auf der Erde befand. Hier ließ er den Ordnungssinn und das Stilgefühl, die in seinen Räumen in der Tite Street walteten, ganz vermissen. Hier lebte er nicht mit dem festen Willen, seine Lage nach Möglichkeit zu bessern, hier vegetierte er ziel- und planlos.

Ich sagte ihm, daß ich ihn zum Essen mitnehmen wollte. Und während er sich fertig anzog, fiel mir an seiner Kleidung so ziemlich dieselbe Veränderung auf wie in seiner Wohnung. In seinen goldenen Londoner Tagen hatte er recht viel vom Dandy an sich; da trug er am Abend gewöhnlich weiße Westen und war sehr wählerisch in Bezug auf die Blumen in seinem Knopfloch, seine Handschuhe und seinen Spazierstock. Jetzt war das alles nur gerade anständig und stand so weit unter dem Durchschnitt, wie es früher darüber hinausging. Offenbar hatte er sich vernachlässigt und an diesen Eitelkeiten keine Freude mehr, was mir als ein schlechtes Zeichen erschien.

Ich hatte ihn stets für sehr gesund gehalten und geglaubt, daß er wohl sechzig bis siebzig Jahre alt werden könnte. Nun hatte er sich aber selbst nicht mehr in der Gewalt, und das betrübte mich. Eine Wurzel seiner Lebenskraft schien zermalmt zu sein. Der zweite Verrat, den Bosie Douglas an ihm begangen hatte, war der »coup de grâce«.

Im Wagen war er versonnen und mißgestimmt und fing sofort an, sich zu entschuldigen.

»Ich werde ein unerfreulicher Gefährte sein, Frank«, kündigte er mir mit zitternden Lippen an.

Die würzige Sommerluft in den Champs-Elysées schien ihn ein wenig zu beleben, aber er war augenscheinlich in bittere Betrachtungen versunken und bemerkte kaum, wohin der Weg uns führte. Von Zeit zu Zeit seufzte er tief, als ob ein Druck auf ihm lastete. Ich plauderte, so gut ich konnte, von diesen und jenen Dingen und versuchte, ihn von der abscheulichen Angelegenheit abzulenken, die, wie ich wußte, sein Gemüt beschwerte; aber alles war vergebens. Als unser Mittagessen zur Neige ging, sagte er in ernstem Ton:

»Ich möchte etwas von dir wissen, Frank, ich möchte, daß du mir ehrlich sagst, ob du mich für den schuldigen Teil hältst. Ich wünschte, es verhielte sich wirklich so … Du weißt doch, daß ich neulich mit dir über Bosie gesprochen habe; er ist jetzt reich geworden und gibt sein Geld mit vollen Händen beim Rennsport aus.

»Ich habe ihn gebeten, mir £ 1500 oder 2000 auszusetzen, damit ich mir eine Annuität kaufen oder etwas unternehmen kann, das mir jährlich £ 150 einbringt. Da du ihn nicht gern darum bitten wolltest, habe ich es getan und ihm gesagt, daß es wirklich seine Pflicht wäre, mir sofort eine Summe zu verschreiben. Da hat er sich umgedreht und mir in seiner Wut Worte gesagt, die wie Peitschenhiebe waren. Er hat mich furchtbar beschimpft, – er hat mir furchtbare Dinge gesagt, Frank. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ich noch mehr leiden würde als im Gefängnis, aber er hat mich verbluten lassen …«, und die Tränen traten in seine schönen Augen. Als er bemerkte, daß ich schwieg, rief er laut:

»Frank, um unserer Freundschaft willen, du mußt mir's sagen: ist's meine Schuld? War er im Unrecht oder ich?«

Seine Schwäche war ergreifend, – oder war seine Zuneigung noch so groß, daß er lieber sich selbst als seinen Freund bezichtigen wollte?

»Selbstverständlich bin ich der Meinung, daß er im Unrecht, ganz und gar im Unrecht ist«, sagte ich. Ich konnte nicht anders, ich mußte es sagen und fuhr dann fort:

»Aber du weißt doch, daß er ganz tolle Wutausbrüche bekommt. Auch wenn er sich selbst lobt, wie kürzlich im Gespräch mit mir, wird er dabei ganz wild, – und vielleicht hast du ihn unbewußt durch die Form deiner Bitte verdrossen. Wenn du es seiner Großmut und Eitelkeit anheimstellen wolltest, würdest du mehr erreichen, als wenn du auf sein Gefühl für Recht und Billigkeit baust. Er hat nicht viel sittliches Empfinden.«

»Ach, Frank«, unterbrach er mich in ernstem Tone, »ich habe es ihm, so gut ich konnte, ganz ruhig und freundlich vorgestellt. Ich habe von unserer alten Zuneigung, von den guten und schlechten Tagen gesprochen, die wir zusammen verbracht haben: du weißt, ich könnte nie und nimmer hart gegen ihn sein.«

Und mit einer gewissen leidenschaftlichen Erregung brach er in die Worte aus:

»Noch nie, noch nie hat es auf Erden einen solchen Verrat gegeben. Weißt du noch, du hast mir einmal gesagt, daß die einzige Unvollkommenheit, die du in der vollendeten Symbolik der Evangelien finden könntest, die Tatsache wäre, daß Jesus von Judas, dem Fremdling aus Kerioth, verraten wurde, nicht aber von seinem geliebten Jünger Johannes, – denn nur die Menschen, die uns lieben, können an uns zum Verräter werden? Welch eine Wahrheit, welch eine tragische Wahrheit ist das, Frank! Die Menschen, die wir lieben, verraten uns durch einen Kuß.«

Er schwieg eine Weile und sprach dann in mattem Tone weiter: »Ich wünschte, Frank, du würdest mit ihm reden und ihm klarmachen, wie ungerecht und lieblos er gegen mich ist.«

»Das ist ganz unmöglich, Oscar. Alle die Beziehungen, die zwischen euch bestehen, und die zahllosen Bande, die euch verknüpfen, entziehen sich meiner Kenntnis. Ich würde nur Schaden anrichten und nichts nützen können.«

»Doch, Frank«, rief er, »du kennst sie, du mußt wissen, daß er für alles, für meinen Sturz und mein Elend verantwortlich ist. Er hat mich in den Kampf gegen seinen Vater getrieben. Ich bat ihn, es sein zu lassen, aber er hat mich hineingehetzt und mich gefragt, was sein Vater wohl dagegen machen sollte. Er hat mir voller Geringschätzung vorgerechnet, daß er gar nichts beweisen könnte. Er hat behauptet, daß sein Vater der widerwärtigste, abscheulichste Mensch auf Erden und daß ich verpflichtet wäre, ihn zum Schweigen zu bringen. Wenn ich das nicht täte, so würden mich alle Leute auslachen, und mit einem Feigling könnte er überhaupt nicht befreundet sein. Auch seine ganze Familie, der Bruder und die Mutter, baten mich, gegen Queensberry einzuschreiten, alle sagten mir ihren Beistand zu, und nachher – –

»Du weißt doch, Frank, wie Bosie im Café Royal vor der Gerichtsverhandlung mit dir gesprochen hat, als du mich gewarnt und inständig gebeten hast, die verrückte Klage zurückzuziehen und ins Ausland zu gehen; du weißt doch, daß er böse geworden ist und gesagt hat, du könntest nicht mein Freund sein. Er hat mich ins Elend getrieben, um sich an seinem Vater zu rächen, und mich dann allein dafür büßen lassen.

»Und das ist noch nicht das Schlimmste, Frank; als ich aus dem Zuchthaus kam, war ich entschlossen, ihn nie wiederzusehen, denn ich gab meiner armen Frau das Versprechen, ihn nicht mehr wiederzusehen. Ich hatte ihm verziehen, aber ich wollte ihn nicht sehen. Ich hatte zu viel, – viel zu viel durch ihn und um seinetwillen gelitten. Und dann fing er an, mir zu schreiben, und schrieb mir immer wieder von seiner Liebe, stündlich rief er sie mir voller Sehnsucht zu, bat mich, zu kommen, und versicherte mir, daß er nur mich, mich allein unter allen Menschen zu seinem Glück brauchte. Wie sollte ich ihm da nicht glauben, wie konnte ich ihn da wohl meiden? Schließlich gab ich nach und ging zu ihm. Aber sobald sich die ersten Mißhelligkeiten einstellten, fiel er in Neapel wie ein wildes Tier mit Vorwürfen und Beleidigungen über mich her.

»Ich mußte nach Paris flüchten, da ich durch ihn alles verloren hatte, – meine Frau und mein Einkommen und meine Selbstachtung – alles. Aber ich habe immer geglaubt, daß er wenigstens großmütig wäre, wie es sich für einen Mann gebührt, der den Namen Douglas trägt. Ich hatte ja keine Ahnung, daß er knauserig und erbärmlich sein könnte. Jetzt aber ist er verhältnismäßig reich, und da ist's ihm lieber, sein Geld für Jockeis, Trainer und Pferde zu vergeuden, von denen er nichts versteht, als mir aus der Not zu helfen. Es ist doch wahrlich nicht zu viel verlangt, daß er mir ein Zehntel gibt, da ich ihm alles gegeben habe? Willst du ihn nicht darum bitten?«

»Ich finde, er hätte ungebeten das tun müssen, was du wünschst«, gab ich zu, »aber ich bin überzeugt, daß mein Reden nichts nützen würde. Er wird schon immer feindselig, wenn ich anderer Meinung bin. Und Feindseligkeit steht mit seinem Wesen stets besser im Einklang als Wohlwollen: er ist der Sohn seines Vaters, Oscar, und da kann ich nichts machen. Ich kann nicht einmal mit ihm darüber sprechen.«

»Ach, Frank, du müßtest es tun«, sagte Oscar.

»Nun, nimm einmal an, er würde mir dagegen vorhalten, daß du ihn verführt hast. Was könnte ich darauf erwidern?«

»Ich ihn verführt!« rief Oscar auffahrend, »das glaubst du doch selbst nicht. Das kannst du dir doch nicht einreden lassen. Es ist nicht wahr. Er hat mich immer geleitet und beherrscht, denn er ist so selbstherrlich wie Cäsar. Er hat unsere vertraulichen Beziehungen angeknüpft und ist in London zu mir gekommen, als ich ihn gar nicht sehen wollte, oder – besser gesagt – ich wollte schon, aber ich hatte Angst, Frank. Von Anfang an habe ich Angst gehabt, wohin das alles führen würde, und bin ihm aus dem Wege gegangen. Sein rücksichtsloser Adelsstolz, sein furchtbar dreistes, herrschsüchtiges Wesen hat mich abgeschreckt. Aber er kam nach London und ließ mich rufen oder sagte, daß er mich in meinem Hause aufsuchen würde, wenn ich nicht zu ihm kommen wollte. Und so bin ich hingegangen, weil ich glaubte, daß ich ihn zur Vernunft bringen könnte, aber es war unmöglich. Als ich ihm sagte, daß wir sehr vorsichtig sein müßten, weil ich Angst vor den Folgen hatte, machte er sich über meine Befürchtungen lustig und stärkte meine Zuversicht. Denn er wußte, daß niemand es wagen durfte, ihn zu bestrafen; – er ist ja mit dem halben Hochadel verschwägert, und was aus mir wurde, war ihm gleichgültig …

»Er hat mich zuerst auf die Gasse geführt und mich mit den Londoner prostituierten Männern bekannt gemacht. Von Anfang bis zu Ende hat er mich wie die Stechfliege gehetzt, – der οίστρος, von dem die Griechen erzählen, daß er die Unglücklichen ins Verderben trieb.

»Und jetzt behauptet er, daß er mir nichts schuldig ist; ich soll keine ›Ansprüche‹ haben, – ich, der ich ihm immer gegeben habe, ohne zu zählen, wieviel es gewesen ist; er behauptet, daß er sein ganzes Geld für sich gebraucht. – Er möchte Wettrennen gewinnen und Dichtungen schreiben, Frank, – seine niedlichen Verse, die er für Dichtungen hält!

»Mit Leib und Seele hat er mich zugrunde gerichtet; und jetzt will er mich übertrumpfen und sagt, daß sich die Wagschale zu seinen Gunsten neigt. Ja, Frank, das tut er; er hat mir neulich erklärt, daß ich kein Dichter, kein wahrer Dichter bin, und daß er, Alfred Douglas, größer ist als Oscar Wilde.

»Ich habe auf dieser Welt nicht viel geleistet«, fuhr er leidenschaftlich fort, »das weiß ich am besten von allen, nicht den vierten Teil von dem, was ich zu leisten verpflichtet war, aber manches ist doch darunter, was die Welt nicht vergessen wird – und schwerlich vergessen kann. Wenn die ganze Douglas-Sippe von Anfang an mit all ihren Taten zusammengetan und auf die Wagschale gelegt wird, so wiegt sie im Vergleich damit noch weniger als Staub. – Und doch, Frank, hat er mich geschmäht, gegeißelt und geschändet … Er hat mich vernichtet, er hat mich vernichtet, der Mann, den ich geliebt habe; – selbst mein Herz ist in mir zur toten Masse erstarrt! …« und er stand auf und wandte sich ab, während ihm die Tränen über die Wangen strömten.

»Nimm's dir nicht so sehr zu Herzen«, sagte ich nach ein bis zwei Minuten und ging ihm nach, – »die verlorene Liebe kann ich dir nicht ersetzen, aber so etwa hundert Pfund im Jahre, das ist nicht viel, – und ich will dafür sorgen, daß du sie jährlich regelmäßig bekommst.«

»Ach, Frank, das Geld macht es nicht; seine Ablehnung, seine Beleidigungen, seine Feindseligkeit, – die bringen mich um; die Tatsache, daß ich mich für jemand zugrunde gerichtet habe, dem es ganz gleichgültig ist, der mir ein bißchen Geld hinschiebt; – mir ist zumute, als wenn ich im Kot ersticke …

»Einst habe ich geglaubt, daß ich mein Leben meistern, über mein Schicksal gebieten könnte, daß ich tun dürfte, was mir beliebt, und alles erreichen würde. Ich glich einem gekrönten König, bis ich ihn kennen lernte, – und nun bin ich verbannt, verfemt und verachtet.

»Ich bin auf den Irrweg des Lebens geraten; alle, die an mir vorübergehen, höhnen mich, und der Mann, den ich geliebt habe, geißelt mich mit gemeinen Beleidigungen und straft mich mit Verachtung. Solch ein Verrat steht beispiellos und ohnegleichen in der Geschichte da. – Ich bin erledigt. Nun ist alles für mich aus – alles! Hoffentlich wird das Ende bald kommen«, – und er trat ans Fenster und weinte bitterlich.


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