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XI
Die bedrohliche Wolke zieht näher

In der Seele des Menschen lebt eine geheime Besorgnis, die ihn zur Besonnenheit und Mäßigung mahnt, eine von der Erfahrung gezeugte Furcht, die mit dem Gewissen, das auf ethischer Grundlage beruht, nichts zu tun hat, obwohl sie in enger Berührung mit ihr zu stehen scheint, da sie ebenfalls durch Warnungen und Hemmungen wirksam ist. Die Sage vom Ring des Polykrates ist ein Symbol des triebhaften Gefühls, daß jedes außergewöhnliche Glück verhängnisvoll ist und nicht von Dauer sein kann.

Etwa ein Jahr nach Oscar Wildes erster Begegnung mit Lord Alfred Douglas hörte ich, daß sie wegen einiger Liebesbriefe, die ihnen gestohlen worden waren, Ungelegenheiten hatten. Man sprach von Erpressungen und munkelte von einer interessanten Enthüllung.

Gegen Ende des Jahres wurde die Nachricht verbreitet, daß Lord Alfred Douglas nach Ägypten gereist sei. Aber diese »Flucht nach Ägypten«, wie man sich scherzhaft ausdrückte, wurde durch die Tatsache vergoldet, daß er etwas später zu Lord Cromers ehrenamtlichem Sekretär ernannt wurde. Ich betrachtete seine Abwesenheit als eine glückliche Fügung, denn wenn er in London war, hatte Oscar keine freie Zeit für sich übrig und zeigte sich öffentlich mit Bekannten, die er besser gemieden hätte. Zu wiederholten Malen hatte er mir gegenüber Lord Alfred Douglas als reizenden Menschen und Dichter gerühmt; über seine veilchenblauen Augen und sein honigfarbenes Haar war er ganz lyrisch geworden. Ich kannte Lord Douglas nicht und hatte von seiner dichterischen Begabung keine Ahnung. Oscar hatte ein paar besonders gute Freunde, die mir nicht gefielen, und gegen Lord Alfred Douglas' Vater hatte ich eine ausgesprochene Abneigung. Denn ich kannte Queensberry ziemlich gut. Er war Mitglied des alten Pelican-Club, den ich häufig besuchte, um mit Tom, Dick oder Harry über Sportangelegenheiten zu plaudern oder mit George Edwards eine Partie Schach zu spielen. Queensberry war fast jeden Abend dort, und irgend jemand stellte mich ihm vor. Ich war begierig, ihn kennen zu lernen, weil ich mich über ihn gewundert hatte. Bei irgendeiner Aufführung »The Promise of May« wurde im November 1882 aufgeführt. – ich glaube, es handelte sich um Tennysons Drama »The Promise of May« im Globe-Theater, ein Werk, das gegen die Atheisten gerichtet ist – war er in seiner Loge aufgestanden, hatte das Stück öffentlich gerügt und sich zum Atheismus bekannt. Ich wollte den Engländer gern kennen lernen, der sich in so geringschätziger Weise über die herkömmlichen Formen hinwegsetzen durfte. Hatte er sich aus aristokratischer Unverschämtheit so benommen, oder war er doch möglicherweise hochgesinnt? Jeder, der diesen Menschen kannte, muß diese Frage an sich schon lächerlich finden.

Queensberry war wohl 5,9 oder 5,10 Fuß groß, hatte ein unansehnliches, plumpes, ziemlich tückisches Gesicht und lebendige, leidenschaftliche Augen. Er war aus Eigendünkel zusammengesetzt, in Geldangelegenheiten von einer Vorsicht, die an Knauserigkeit grenzte, und strotzte geradezu von Argwohn. Auf Bücher legte er keinen Wert, liebte aber den Sport im Freien und verbarg sein reizbares, heftiges Temperament hinter einem ziemlich unverbindlichen, aber nicht unhöflichen Wesen. Er war streitbar und mutig, wie sehr nervöse Menschen es bisweilen sind, wenn sie zufällig starke Willenskraft besitzen. So glich er jenem Manne, der einen Stier bei den Hörnern packte, gerade weil er sich vor ihm fürchtete und sich die schreckliche Wunde ausgemalt hatte, die das Tier ihm zufügen konnte.

Durch sein tolles Temperament wurde der Mann wiederholentlich in lärmende Auftritte im Pelican-Club verwickelt. Ich entsinne mich, daß er eines Abends einen gewissen Haseltine beleidigte, den ich besonders gern hatte. Soviel ich weiß, war er Fondsmakler, – ein starker, netter, schöner Mensch, der Queensberrys Beleidigungen eine Zeitlang mit belustigter Verachtung hinnahm. Mit einem artigen Wort lenkte er Queensberrys Zorn immer wieder ab, doch Queensberry redete sich immer mehr in seine Wut hinein und stürzte schließlich auf ihn los. Haseltine hatte seine Bewegungen beobachtet und parierte den Schlag zur rechten Zeit. Er traf Queensberry gerade ins Gesicht und warf ihn buchstäblich Hals über Kopf zu Boden, so daß er übel zugerichtet wurde. Als er wieder aufstand, war die Nase verschwollen, ein Auge blaugeschlagen und das Oberhemd ganz mit Blut bedeckt, denn er hatte so eilig an den Flecken gerieben, daß sie sich nur noch vergrößert hatten. Jeder andere würde den Kampf fortgesetzt oder sich sofort aus dem Klub entfernt haben. Queensberry aber ließ sich an einem Tisch nieder und blieb dort stundenlang schweigend sitzen. Ich konnte mir nur vorstellen, daß sein Verlangen, dem Schauplatz seiner Schande ungesäumt zu entfliehen, sehr stark war und er ihm eben deshalb nicht nachgab. So beschloß er denn, nicht vom Platze zu weichen, und wurde nun für alle, die den Klub im Laufe der nächsten zwei bis drei Stunden betraten, zur Zielscheibe spöttischer Blicke und zischelnder Bemerkungen. Gerade er gehörte zu den Leuten, die ein kluger Mensch meiden und ein geschickter Mensch ausnutzen würde – wie ein gefährliches, scharfes, schlecht gefaßtes Werkzeug.

Es lag mir nichts daran, mit Oscars neuestem Freund, Lord Alfred Douglas, zusammenzukommen, da ich seinen Vater nicht leiden konnte.

Nach dem Erfolg, den sein erstes Theaterstück erzielt hatte, sah ich Oscar seltener; er bedurfte meiner journalistischen Dienste nicht mehr und war überdies sehr in Anspruch genommen. Aber ich kann einen hübschen Zug von ihm berichten: Vor einiger Zeit hatte ich ihm £ 50 geliehen, und solange er selbst in Verlegenheit war, erwähnte ich nichts von diesem Darlehen. Aber als sein zweites Theaterstück erfolgreich gewesen war, schrieb ich ihm, daß ich die £ 50 gut gebrauchen könnte, wenn es ihm möglich wäre, sie zu erübrigen. Sofort sandte er mir einen Scheck mit einem reizenden Brief.

Er war jetzt dauernd mit Lord Alfred Douglas zusammen, der sich anscheinend mit Lord Cromer überworfen hatte und nach London zurückgekehrt war. Und fast unverzüglich wurden allerhand Lästergeschichten über sie verbreitet: »Wissen Sie schon das Neueste von Lord Alfred Douglas und Oscar? Wie ich höre, werden sie polizeilich überwacht.« In dieser Tonart ging es ohne Ende weiter. Und eines Tages wurde mir eine Geschichte mit so vielen unheimlichen Einzelheiten zugetragen, daß sie sicherlich zum mindesten eine tatsächliche Grundlage haben mußte. Oscar sollte Lord Douglas ganz merkwürdige Briefe geschrieben haben: ein junger Mann namens Alfred Wood hatte diese Briefe aus Lord Alfred Douglas' Wohnung in Oxford gestohlen und sie zu Erpressungsversuchen gegen Oscar ausgebeutet. Die Tatsachen waren so eigenartig und so bestimmt, daß ich Oscar darüber befragte. Er widerlegte die Beschuldigung ohne weiteres, und meines Erachtens in sehr einwandfreier Form, und erzählte mir die ganze Geschichte, die seine sieghafte Macht und Geschicklichkeit so stark beleuchtet, daß ich sie hier in seiner eigenen Lesart wiedergeben will:

»Als ich die Proben des Lustspiels ›A Woman of no Importance‹ (Eine Frau ohne Bedeutung) im Haymarket-Theater abhielt«, begann er zu erzählen, »zeigte mir Beerbohm Tree einen Brief, den ich vor ungefähr einem Jahre an Lord Alfred Douglas geschrieben hatte. Er schien ihn für bedenklich zu halten, aber ich lachte ihn aus und las den Brief mit ihm gemeinsam durch, so daß er dann natürlich verstand, wie er eigentlich gemeint war. Nach einiger Zeit kam ein gewisser Wood zu mir und sagte, daß er in einem Anzug, den ihm Lord Alfred Douglas geschenkt hatte, einige von mir an Lord Alfred Douglas gerichtete Briefe gefunden hatte. Ein paar von diesen Briefen gab er mir zurück und ich schenkte ihm etwas Geld. Aber der Brief, dessen Abschrift Beerbohm Tree zugeschickt worden war, befand sich nicht darunter.

»Bald darauf kam ein gewisser Allen eines Abends zu mir in die Tite Street und teilte mir mit, daß er einen Brief von mir hätte, den ich zurückerhalten müßte.

»Aus dem Benehmen dieses Mannes ersah ich, daß ich es mit dem wirklichen Feind zu tun hatte. ›Vermutlich meinen Sie den schönen Brief, den ich an Lord Alfred Douglas geschrieben habe‹, sagte ich. ›Wenn Sie nicht so töricht gewesen wären, eine Abschrift an Mr. Beerbohm Tree zu schicken, hätte ich Ihnen mit Vergnügen eine große Summe dafür gezahlt, denn ich halte diesen Brief für einen der besten, die ich jemals geschrieben habe.‹ Allen blickte mich mit trotzigen, listigen Augen an und sagte:

»›Man könnte aus diesem Briefe seltsame Schlüsse ziehen.‹

»›Ganz gewiß‹, erwiderte ich obenhin; ›in Verbrecherkreisen herrscht für die Kunst kein Verständnis.‹ Er sah mir herausfordernd ins Gesicht und sagte:

»›Jemand hat mir £ 60 dafür geboten.‹

»›Sie sollten das Gebot annehmen‹, erwiderte ich in ernstem Ton; ›£ 60 ist ein guter Preis. Ich selbst habe für keine Prosaschrift von diesem Umfang eine so hohe Summe erhalten. Aber ich freue mich, daß es in England jemand gibt, der bereit ist, für einen Brief von mir eine so große Summe zu zahlen. Ich weiß nicht, weshalb Sie zu mir gekommen sind‹, fügte ich hinzu und stand auf; ›Sie sollten den Brief ohne weiteres verkaufen.‹

»Während ich sprach, Frank, packte mich natürlich die blasse Angst. Denn der Brief konnte falsch gedeutet werden, und ich habe so viele mißgünstige Feinde. Aber ich wußte, dagegen gab es als einziges Mittel eine prahlerisch herausfordernde Haltung. Als ich zur Tür ging, stand Allen ebenfalls auf und bemerkte, daß der Mann, der ihm das Geld geboten hätte, nicht in London wäre. Da sagte ich zu ihm:

»›Er wird gewiß wiederkommen, und mir ist an dem Briefe gar nichts gelegen.‹

»Darauf zeigte Allen ein anderes Gesicht: er sagte mir, daß er sehr arm war, daß er keinen Pfennig besaß und große Unkosten gehabt hatte, um mich aufzufinden und mir diese Mitteilung zu machen. Ich erwiderte ihm, daß ich bereit wäre, ihm in seiner Not beizustehen, und schenkte ihm einen halben Sovereign mit der Versicherung, daß der Brief demnächst als Sonett in einer vorzüglichen Zeitschrift erscheinen würde. Ich begleitete ihn zur Haustür, und er ging fort. Dann machte ich die Tür zu, ohne sie gleich fest zu schließen, denn plötzlich hörte ich die Schritte eines Polizisten, die sich behutsam mit dumpfem Schall meinem Hause näherten! Ein schrecklicher Augenblick, – dann ging der Mann vorüber. Ganz außer mir, betrat ich mein Zimmer, wußte ich doch nicht, ob ich richtig gehandelt hatte oder ob Allen mit dem Brief überall hausieren gehen würde, – mich quälten tausend unbestimmte Befürchtungen.

»Plötzlich klopft's an der Haustür! Ich erschrak furchtbar, aber ich ging doch hinunter, um aufzumachen. Da stand ein Mann, ein gewisser Cliburn:

»›Ich bringe Ihnen einen Brief von Allen!‹

»›Ich will mit diesem Brief nicht mehr belästigt werden‹, rief ich, ›mir ist nicht das geringste daran gelegen. Mag er damit machen, was ihm beliebt!‹

»Zu meiner Verwunderung brachte Cliburn den Brief zum Vorschein und sagte:

»›Allen hat mich gebeten, Ihnen den Brief zurückzugeben.‹

»›Weshalb gibt er ihn mir zurück?‹ fragte ich unbekümmert.

»›Er sagt, Sie wären so freundlich zu ihm gewesen, und es hätte keinen Zweck, wenn man versucht, Sie auszuräubern, Sie lachen uns nur aus!‹

»Ich sah mir den Brief an, der sehr schmutzig war, und sagte:

»›Ich finde es unverzeihlich, daß mit einem Manuskript von mir nicht vorsichtiger umgegangen worden ist.‹

»Er sagte, es täte ihm leid, aber der Brief wäre durch viele Hände gegangen. Ich nahm ihn und sagte obenhin:

»›Schön, ich werde den Brief zurücknehmen. Sie können Herrn Allen in meinem Namen danken.‹ Dann gab ich Cliburn einen halben Sovereign für seine Bemühung und bemerkte:

»›Ich fürchte, daß Sie ein schrecklich gottloses Leben führen.‹

»›Wir haben alle unsere guten und schlechten Seiten‹, erwiderte er. Ich machte irgendeine Bemerkung über sein philosophisches Talent, und dann ging er fort. So, Frank, das ist die ganze Geschichte.«

»Aber der Brief?« fragte ich.

»Der Brief ist ganz bedeutungslos«, erwiderte Oscar; »ein Gedicht in Prosa. Ich werde dir eine Abschrift geben.«

Er lautete folgendermaßen:

»Mein einzig geliebter Junge, Dein Sonett ist ganz entzückend, und es ist ein Wunder, daß Deine roten Rosenblattlippen für berauschende Musik und Dichtkunst nicht minder geschaffen sind als für berauschende Küsse. Deine zart-vergoldete Seele schreitet zwischen Liebe und Dichtkunst. Hyakinthos folgte der Liebe nicht so berauscht in Griechenlands Tagen wie Du. Weshalb bist Du allein in London, und wann gehst Du nach Salisbury? Gehe hin und kühle Deine Hände im grauen Zwielicht der Gotik. Komm zu mir, wann Du willst. Es ist entzückend hier, nur Du fehlst. Aber geh zuerst nach Salisbury. Stets in unvergänglicher Liebe

Dein Oscar.«

Dieser Brief befremdete mich; »zart-vergoldet« und »berauschende Küsse«: diese Ausdrücke waren dazu angetan, daß man bedenklich wurde; aber letzten Endes – so dachte ich – ist es vielleicht nur ein Künstlerbrief, halb Pose, halb leidenschaftliche Verehrung. Doch ein anderer Gedanke machte mich stutzig, und ich rief:

»Wie konnte aber solch ein Brief jemals Erpressern in die Hände fallen?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte er achselzuckend: »Lord Alfred Douglas ist sehr nachlässig und unbegreiflich kühn. Du müßtest ihn kennen lernen, Frank, er ist ein wundervoller Dichter.«

Doch ich ließ mich nicht beirren: »Wie kam er denn dazu, solch eine Kreatur wie Wood kennen zu lernen?«

»Woher soll ich das wissen, Frank«, antwortete er etwas kurz. Und so ließ ich das Thema fallen, obwohl ein gewisser Zweifel, ein unbehaglicher Argwohn in mir zurückblieb.

Die Lästergeschichten nahmen mit jeder Stunde zu, und die Flut des Hasses stieg in hohen Wellen.

Eines Tages speiste ich mittags im Hotel Savoy, und während ich mit dem Oberkellner Cesari sprach, der später das Elysée Palast Hotel in Paris leitete, kam es mir so vor, als ob Oscar und Douglas zusammen hinausgingen. Da ich etwas kurzsichtig bin, fragte ich:

»War das nicht Mr. Oscar Wilde?«

»Ja«, sagte Cesari, »er und Lord Alfred Douglas. Uns wäre es lieb, wenn sie nicht herkämen. Wir haben dadurch viel Schaden.«

»Wie meinen Sie?« fragte ich in scharfem Ton.

»Manche Leute können sie nicht leiden«, gab der gewandte Italiener sofort zur Antwort.

»Ich bin mit Oscar Wilde sehr befreundet«, bemerkte ich wie beiläufig, aber der überschlaue Italiener war bereits im Bilde.

»Ein geschickter Schriftsteller, nicht wahr?« sagte er lächelnd in geschmeidiger Fügsamkeit.

Ich ließ mir diesen Zwischenfall gesagt sein, und er verstärkte wieder die bestimmten Befürchtungen und den Argwohn, den der an Lord Alfred Douglas gerichtete Brief in mir geweckt hatte. Wie ich wußte, war Oscar zu selbstsüchtig und zu viel von Verehrern umringt, um für das Empfinden des Publikums Verständnis zu haben. Er war der letzte, dem es zum Bewußtsein kommen würde, wie grausam der Haß, die Bosheit und die Mißgunst gegen ihn wüteten. Ich wollte ihn warnen, wußte aber kaum, wie das in wirksamer Weise und ohne Kränkung zu machen war. So beschloß ich, die Augen offenzuhalten und die Gelegenheit abzupassen.

Kurze Zeit darauf veranstaltete ich ein Abendessen im Hotel Savoy und lud ihn ein. Er war ganz köstlich, sein lebensvoller Frohsinn wirkte erheiternd wie Wein. Aber mehr denn je glich er einem römischen Imperator. Er war dick geworden, er aß und trank zu viel. Er war nicht berauscht, aber erhitzt, und trotz seines fröhlichen und anregenden Plauderns machte er einen etwas unangenehmen Eindruck auf mich: ich fand ihn plump geworden und aufgeschwemmt. Aber er führte uns ein paar Schauspieler mit ihrer unerhörten Eitelkeit in ganz wohlgelungenen Momentaufnahmen vor. Er fand es sehr bedauerlich, daß die Schauspieler im Lesen und Schreiben unterrichtet werden müssen: sie sollten ihre Stücke mündlich von den Lippen des Dichters lernen.

»Ebenso wie die Arbeit für die Trinkerkreise in unserem Lande ein Fluch ist«, sagte er lachend, »ist die Bildung der Fluch der schauspielernden Kreise.«

Aber auch bei diesem Scherz, der den Komödianten galt, machte sich eine neue anmaßende und geringschätzige Tonart bemerkbar. Auch wenn er jemand auslachte, pflegte er stets harmlos und gutmütig zu sein, – jetzt war er unverkennbar hochmütig. Und zwar weil sein außerordentlich aufnahmefähiger Geist mit einer noch ungewöhnlicheren Aufnahmefähigkeit des Gemütes Hand in Hand ging: denn im Gegensatz zu den meisten besonders begabten Menschen ließ er sich von den Leuten beeinflussen, mit denen er umging. Diese Neigung, seine Vorliebe für Schmeicheleien und sein Widerwille gegen rohe Worte, war eine merkwürdig weibliche Eigenart. Der Verkehr mit Beardsley z. B. hatte seine humorvolle Milde gewissermaßen mit trotzigem Mute gestählt, und seine neue Vertraulichkeit mit Lord Alfred Douglas, die seinem Erfolg als Schauspieldichter die Krone aufsetzte, verlieh ihm ein streitbares Selbstvertrauen. Er hatte jene »βρις« (den frevelhaften Übermut), die dem Griechen Furcht einflößte, jenen Hochmut, der vor dem Fall kommt. Ich bedauerte die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, und wurde ängstlich besorgt.

Nach dem Essen verließen wir alle das Hotel durch die Tür, die auf den Themse-Kai führt, denn es war bereits gegen 1 Uhr. Ein Teilnehmer der Gesellschaft machte den Vorschlag, ein bis zwei Minuten, wenigstens bis zum »Strand«, zu Fuß zu gehen, ehe wir nach Hause fuhren. Oscar sträubte sich dagegen. Denn das Gehen war ihm zuwider und, wie er sich ausdrückte, ein Frondienst für das tierische Teil im Menschen. Aber trotzdem willigte er lachend »unter Protest« ein. Als wir aber die Treppe zum »Strand« hinaufstiegen, sträubte er sich von neuem und führte Dantes berühmte Zeilen an:

»Tu proverai si comme sa di sale
Lo pane altrui; e com' è duro calle
Lo scendere e'l salir per l'altrui scale!«

Oscar machte an diesem Abend nicht nur den Eindruck der Zügellosigkeit, sondern der Überhebsamkeit, und ich konnte nicht begreifen, wie er zu dieser dreisten Selbstgefälligkeit gekommen war. Ich hatte den Wunsch, allein zu sein und nachzudenken. Die Gunst des Schicksals bekam ihm sicherlich nicht gut.

Ich merkte auch, daß die gegen ihn gerichtete Feindseligkeit inzwischen üppig ins Kraut schoß. Und ich fragte mich, wie ich diesen Eindruck auf seine Richtigkeit nachprüfen konnte, um ihn in nachdrücklicher Weise zu warnen.

So beschloß ich denn, ihm zu Ehren ein Mittagessen zu geben und schrieb absichtlich auf die Einladungen den Zusatz: »Um mit Mr. Oscar Wilde zusammen zu sein und eine neue Erzählung zu hören.« Von den zwölf Herren, an die ich meine Einladungen ergehen ließ, erhielt ich in sieben oder acht Fällen ablehnende Antworten; drei oder vier teilten mir in aller Freundlichkeit mit, daß sie nicht gern mit Oscar Wilde zusammen sein wollten. Das bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen: wenn der Engländer sich in dieser Weise ausspricht, muß seine Abneigung an Empörung grenzen.

Das Mittagessen fand statt, und ich erkannte deutlich, daß meine Ahnungen gerechtfertigt waren. Oscars Selbstbewußtsein war größer, seine Nichtachtung gegen jeden Tadel stärker, seine Gestalt plumper denn je, aber seine Redekunst war unbeeinträchtigt geblieben, sie schien sich sogar zu vervollkommnen. Bei diesem Mittagessen trug er die entzückende Fabel von »Narziß« vor, die zweifellos eine seiner charakteristischsten kleinen Erzählungen ist:

»Als Narziß starb, waren die Blumen auf dem Felde in Kummer versunken und baten den Fluß, ihnen Wassertropfen zu geben, damit sie ihn betrauern könnten.

»›Ach‹, erwiderte der Fluß, ›wenn nur meine Wassertropfen zu Tränen würden, so hätte ich selbst nicht genug, um Narziß zu beweinen, – denn ich habe ihn geliebt.‹

»›Wie hättest du Narziß nicht lieben sollen?‹ sagten die Blumen, ›da er so schön gewesen ist.‹

»›Ist er schön gewesen?‹ fragte der Fluß.

»›Wer kann das besser wissen als du?‹ sagten die Blumen, ›hat er doch jeden Tag, als er an deinem Ufer lag, seine Schönheit in deinem Wasser gespiegelt.‹«

Hier hielt Oscar inne, um dann fortzufahren:

»›Wenn ich ihn geliebt habe‹, erwiderte der Fluß, ›so tat ich es, weil ich den Widerschein meiner eigenen Lieblichkeit in seinen Augen erblickte, als er sich über mich neigte.‹«

Nach dem Mittagessen zog ich Oscar beiseite, bemühte mich, ihn zu warnen, und erzählte ihm, daß allerhand unerfreuliche Geschichten über ihn verbreitet würden; aber er wollte nicht auf mich hören:

»Nichts als Mißgunst und Bosheit, Frank. Was mache ich mir daraus? Ich gehe im Sommer zu Clumber, außerdem arbeite ich an einem neuen Theaterstück, das mir ganz gut gefällt. Ich habe es immer gewußt, daß die dramatische Schriftstellerei mein Gebiet ist. Als junger Mensch habe ich versucht, Versstücke zu schreiben, aber das war ein Mißgriff. Jetzt weiß ich's besser, ich bin meiner selbst und meines Erfolges sicher.«

Ich hatte ein unerklärliches Gefühl, daß er trotz seiner scheinbaren Sicherheit in Gefahr war, und zweifelte an seiner Tauglichkeit zum Kampf. Aber schließlich war das nicht meine Sache: der Eigenwillige muß seinen selbsterwählten Weg gehen.

Ich möchte jetzt fast glauben, daß mein Mißtrauen bei jener zweiten Pressefehde mit Whistler begonnen hatte, aus der Oscar zur allgemeinen Verwunderung nicht als Sieger hervorgegangen war. Sobald er auf Widerstand stieß, schien seine Schlagfertigkeit ihn im Stich zu lassen, und Whistler, der nur grobe Mittel und den Scharfsinn des Menschenkenners zu Hilfe nahm, behauptete das Feld. Oscar war augenscheinlich an sich keine Kämpfernatur.

Ich fragte ihn einmal, weshalb er Whistler so leichten Kaufes freigab. Da zuckte er die Achseln und schien etwas gereizt zu sein:

»Was konnte ich denn sagen, Frank? Weshalb sollte ich über den Besiegten herfallen? Der Mann ist eine Wespe, und es macht ihm Freude, seinen Stachel zu benutzen. Vielleicht habe ich mehr als irgend jemand zu seinem Ruhme gewirkt und hatte auch nicht den Wunsch, ihn zu verletzen.«

War es Großmut, war es Schwäche oder, wie ich glaube, eine durch seine Veranlagung bedingte weibliche Scheu vor Kampf und Hader? Gleichviel, welcher Art die Ursache gewesen sein mag, Oscar war offenbar nach Shakespeares auf sich selbst gemünztem Wort »ein unschädlicher Gegner«.

Es ist leicht möglich, daß Oscar sich besser bewährt hätte, wenn er von Angesicht zu Angesicht angegriffen worden wäre. Im Hause der damaligen Mrs. Grenfell, die sich jetzt Lady Desborough nennt, hatte er einst ein Scharmützel mit dem Premierminister und trug den Sieg davon. Asquith machte den Anfang, indem er ihn anscheinend harmlos, aber im Grunde genommen ernstlich neckte, weil er manche seiner Sentenzen in Kursivschrift setzte.

»Wer der Kursivschrift bedarf«, sagte der Staatsmann, »gleicht dem Menschen, der sich bei der Unterhaltung bemerkbar macht und mit erhobener Stimme spricht, um sich Gehör zu verschaffen.«

Es war der wohlbekannte Einwand, den Emerson gegen Carlyles verkünstelten Stil geltend gemacht hatte, und den er vermutlich deshalb zugespitzt hatte, weil ihm Oscars Art, die Unterhaltung an sich zu reißen, mißfiel.

Mit lächelndem Gleichmut beantwortete Oscar den keineswegs originellen Angriff:

»Es ist reizend von Ihnen, Mr. Asquith, daß Sie das beachtet haben! Eine geistreiche Wendung bedarf ebenso wie ein guter Wein keines Aushängeschildes. Aber gerade wie der Redner seine treffenden Bemerkungen durch eine dramatische Pause, durch das Heben und Senken der Stimme oder durch die Gebärde unterstreicht, so benutzt der Schriftsteller die Kursivschrift, um seine Epigramme hervorzuheben. Er macht es wie der Juwelier und gibt seinen kleinen Edelsteinen sozusagen eine Fassung. Ich möchte glauben, das ist eine entschuldbare Liebe zu der eigenen Kunst – nicht Eitelkeit allein« – das wurde alles mit dem freundlichsten Lächeln und der gewinnendsten Art geäußert.

Je mehr ich Oscars Fähigkeit zum Kampf mißtraute und die Liebenswürdigkeit seines Wesens bewunderte, desto wärmer nahm ich für ihn Partei, desto mehr wünschte ich ihm zu helfen. Eines Tages hörte ich im Pelican-Club ein Gespräch, das mich um seinetwillen mit Sorge erfüllte und in meinem Entschluß bestärkte, ihn zur Vorsicht zu mahnen. Gerade als ich eintrat, verließ Queensberry mit zwei oder drei besonders vertrauten Freunden den Klub, und ich hörte, wie er schrie:

»Ich werde es tun! Ich will den Burschen lehren, daß er meinen Sohn in Ruhe läßt. Ich will nicht, daß ihre Namen zusammengekoppelt werden.«

Ich warf einen Blick auf das herausfordernde, kampflustige Gesicht und die leidenschaftlichen grauen Augen.

»Was soll das heißen?« fragte ich und erhielt von einem der Anwesenden zur Antwort:

»Nichts weiter, als daß Queensberry schwört, Oscar Wildes Verkehr mit seinem Sohn, dem Alfred Douglas, ein Ende zu machen.«

Plötzlich nahmen meine Befürchtungen greifbare Gestalt an; gleichsam im Lichte eines aufzuckenden Blitzes sah ich, wie Oscar unbekümmert und lächelnd mit dem Kopf in der Luft einherging und dieser heftige, kampflustige, tolle Mensch über ihn herfiel. Sofort setzte ich mich hin und lud Oscar schriftlich ein, am nächsten Mittag ganz allein mit mir zu speisen, da ich ihm etwas Wichtiges mitzuteilen hätte. Er erschien sichtlich gespannt und, wie mir schien, etwas beängstigt, in Park Lane.

»Was gibt's, Frank?«

Ich erzählte ihm in sehr ernsten Worten, was ich gehört hatte, und verhehlte ihm überdies nicht, welchen Eindruck ich von Queensberrys Charakter und seiner tollen Streitsucht empfangen hatte.

»Was soll ich denn machen, Frank?« sagte Oscar in bedrückter und besorgter Stimmung. »Alles wegen Bosie.«

»Wer ist Bosie?« fragte ich.

»Das ist ein Kosename für Lord Alfred Douglas. Alles ist Bosies Schuld. Er hat sich mit seinem Vater gezankt, oder vielmehr, sein Vater hat sich mit ihm gezankt. Er zankt sich mit jedem: mit Lady Queensberry, mit Percy Douglas, mit Bosie, mit jedem. Er ist ein ganz unmöglicher Mensch. Was soll ich denn machen?«

»Meide ihn«, sagte ich, »verkehre nicht mit Lord Alfred Douglas. Gönne Queensberry diesen Triumph. Wenn du willst, kannst du ihn dir ganz mühelos zum Freunde machen. Schreib' ihm einen versöhnlichen Brief.«

»Aber er wird von mir verlangen, daß ich Bosie aufgebe und meine Besuche bei Lady Queensberry einstelle, und ich habe sie alle gern, denn sie sind reizend zu mir. Weshalb soll ich vor diesem Verrückten kriechen?«

»Eben weil er verrückt ist.«

»Ach, Frank, das kann ich nicht«, rief er. »Bosie würde es nicht dulden.«

»Nicht dulden?« wiederholte ich ärgerlich. »Das ist Unsinn. Dieser alte Queensberry wird Gewalt anwenden und bis zum äußersten gehen. Misch' du dich nicht in anderer Leute Händel. Du wirst vielleicht eines Tages mit deinen eigenen genug zu tun haben.«

»Du hast gar kein Verständnis, Frank«, schalt er in seiner willenlosen Art. »Ich weiß, du meinst es gut, aber es ist mir unmöglich, deinen Rat zu befolgen. Ich kann meinen Freund nicht im Stich lassen. Ich kann es wirklich nicht dulden, daß Lord Queensberry mir meine Freunde aussucht. Das ist zu unsinnig.«

»Aber klug ist's«, erwiderte ich. »In einem Stück von Victor Hugo steht ein sehr schlechter Vers, der mir immer Spaß gemacht hat. Er vergleicht die Armut mit einer niedrigen Tür und behauptet, wenn wir hindurchgehen müssen, so sei der Mensch der klügste, der sich am tiefsten bücke. Wenn du es nun mit einem Verrückten zu tun hast, ist's das klügste, daß du ihn meidest und dich nicht mit ihm zankst.«

»Das ist sehr schwer, Frank, ich will mir natürlich alles durch den Kopf gehen lassen, was du mir sagst. Aber Queensberry gehört wirklich ins Irrenhaus. Er ist zu unsinnig.« In dieser Stimmung verließ er mich, äußerlich mit vollem Selbstvertrauen. Aber er hätte an Chaucers Worte denken sollen:

»Drum schlag' nit wider den Nagel mit der Hand,
Kämpf' nit wie der Krug mit der steinern Wand.
Tu andern, so du magst, daß man dir tut,
Und Wahrheit soll dir helfen, des sei wohlgemut.«


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