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Das erste Ringen im Kampf mit dem Schicksal hatte keinen entscheidenden Ausgang. Oscar Wilde hatte es zuwege gebracht, daß sein Name genannt und besprochen wurde, er hatte sich ein paar Jahre über Wasser gehalten, während er das Leben ein wenig und sich selbst etwas eingehender kennen lernte. Andererseits hatte er fast sein gesamtes väterliches Erbteil verbraucht und überdies noch Schulden gemacht, – und doch schien er der Möglichkeit, die Mittel zu einer auskömmlichen Lebensführung zu verdienen, durchaus nicht nähergekommen zu sein. Die Aussichten waren beunruhigend.
Selbst als junger Mensch besaß Oscar ein sehr ausgeprägtes Verständnis für das Leben. Als Journalist konnte er nicht vorwärtskommen, und die Engländer machten sich nichts aus seinen Gedichten; aber das Vortragspodium stand ihm noch zu Gebote. Im stillen wußte er, daß er den mündlichen Ausdruck besser beherrschte als den schriftlichen.
So veranlaßte er seinen Bruder, in der »World« ganz dreist die Mitteilung zu veröffentlichen, daß Oscar Wilde infolge des »über Erwarten großen Erfolgs seiner Gedichte die Aufforderung erhalten habe, in Amerika Vorträge zu halten«.
Diese Aufforderung bestand nur in der Phantasie; aber Oscar war entschlossen, sich sein neues Gebiet zu erzwingen, er war überzeugt, daß da Geld zu holen sei.
Außerdem hatte er noch einen zweiten Pfeil im Köcher. Als das erste Grollen des sozialen Unwetters in Rußland nach England hinüberdrang, ergriff unser aristokratischer Republikaner die Gelegenheit beim Schopfe und schrieb ein Theaterstück über die nihilistische Verschwörung, das er »Vera« nannte. Dieses Drama atmete die in England volkstümliche freiheitliche Stimmung. »Vera« wurde im interessanten Lichte der neuesten Ereignisse im September 1880 veröffentlicht, erlitt aber ein Fiasko.
Jedoch die Ermordung des Zaren Alexander im März 1881, die Art, in der Oscars im Juni dieses Jahres veröffentlichte Gedichte von Miß Terry beurteilt und von der Presse angepriesen wurden, veranlaßten eine ganz tüchtige Schauspielerin namens Bernard Beere, »Vera« für die Bühne anzunehmen. So wurde denn plötzlich angezeigt, daß »Vera« von Mrs. Bernard Beere im Dezember 1881 im »Adelphitheater« aufgeführt werden würde, aber der Verfasser mußte sich mit dieser Ankündigung begnügen. Der Dezember ging ins Land, ohne daß »Vera« auf die Bühne kam. Oscar hielt es für wahrscheinlich, daß das Stück in Amerika untergebracht werden könnte; jedenfalls konnte ein Versuch nichts schaden, und so fuhr er nach Neuyork.
Es war leicht möglich, daß ihm dieses neue Wagnis glückte. Auf literarischem und künstlerischem Gebiet wird der Geschmack der Amerikaner immer noch vom englischen Geschmack stark beeinflußt, wenn nicht gar gemodelt, und wäre Oscar Wilde richtig eingeführt worden, so hätte seine außergewöhnliche Rednergabe ihm vermutlich in Amerika auf dem Vortragspodium Erfolg gebracht.
Die Worte, die er bei der Landung an die Zollbeamten richtete: »Ich habe nur mein Genie zu verzollen, weiter nichts«, stellten ihn ins grelle Licht der Öffentlichkeit und bildeten das Thema lebhafter Kommentare und Erörterungen im ganzen Lande. Aber die Flügelmänner seiner Kaste, deren Verherrlichung ihn in England emporgebracht hatte, waren in Amerika kaum zu finden und keineswegs kühn genug, um Parteigänger zu sein. Oscar stand ohne seine gewohnte »Claque« vor dem amerikanischen Philisterpublikum, und unter diesen Umständen war schon ein geteilter Erfolg der Beweis für bedeutende Fähigkeiten. Er sprach über die »englische Renaissance« und »Häuserschmuck«. Der erste, am 9. Januar 1882 in der »Chickering Hall« gehaltene Vortrag erregte so viel Aufsehen, daß der bekannte Impresario, Major Pond, ihn zu einer Tournee verpflichtete, die jedoch wegen ihres pekuniären Mißerfolges auf halbem Wege unterbrochen werden mußte. Die Neuyorker Zeitschrift »The Nation« brachte einen recht anschaulichen Bericht über seinen ersten Vortrag: »Mr. Wilde ist von Natur ein Auslandsprodukt, das bei uns schwerlich Anklang finden wird. Was er zu sagen weiß, ist nichts Neues, und seine Verstiegenheit ist nicht verstiegen genug, um das amerikanische Durchschnitts-Publikum zu belustigen. Seine Kniehosen und sein langes Haar sind ganz gut und schön; aber Bunthorne hat dem Publikum für Wilde den Geschmack verdorben.«
Aber »The Nation« unterschätzte die Neugierde der Amerikaner. Oscar hielt vom Januar bis zum Juli, dem Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Neuyork, etwa neunzig Vorträge. Die Bruttoeinnahmen betrugen gegen £ 4000: er erhielt etwa £ 1200, und es verblieben ihm ein paar hundert Pfund Überschuß. In seinem Optimismus betrachtete er dieses Ergebnis als einen Sieg.
Man wird heutzutage zu dem Geständnis geneigt sein, daß diese Vorträge beim Lesen recht dürftig wirken. Sie enthalten keinen einzigen neuen Gedanken und nicht einmal einen bedeutsamen Ausdruck; sie sind nichts anderes als Schülerarbeiten, da die besten Stellen nur Variationen von Pater und Arnold sind, während die Titel von Whistler stammen. Dr. Ernest Bentz hat diese Tatsache in seiner Monographie »The Influence of Pater and Matthew Arnold in the Prose-Writings of Oscar Wilde« (Paters und Matthew Arnolds Einfluß auf Oscar Wildes prosaische Schriften) mit merkwürdiger Gelehrsamkeit und Gründlichkeit bestätigt.
Immerhin war der Redner eine schöne Erscheinung: seine Kniehosen und Seidenstrümpfe erregten Aufsehen bei den Frauen, – und er sprach mit liebenswürdiger Sicherheit. Selbst der Stumpfsinnigste mußte zugeben, daß die Art seines Vortrags vortrefflich war, und in Amerika wird sehr großes Gewicht auf die Ausdrucksform gelegt. In einigen Städten des Ostens, besonders in Neuyork, hatte er einen gewissen Erfolg zu verzeichnen, – den Erfolg des Aufsehenerregenden und Neuartigen, – einen Erfolg, den alles, was fremdartig und exzentrisch ist, in jeder Großstadt erzielt.
In Boston trug er durch seine persönliche Würde einen Erfolg davon. Fünfzig bis sechzig Studenten von der Harvard-Universität hatten sich in »Schwalbenschwanzröcken und Kniehosen, mit wallenden Perücken und grünen Binden« zu seinem Vortrag eingefunden, um ihn lächerlich zu machen. »Sie humpelten in den Saal und trugen alle eine große Lilie im Knopfloch und eine riesengroße Sonnenblume in der Hand.« Oscar war an diesem Abend im gewöhnlichen Gesellschaftsanzug erschienen und setzte seinen Vortrag fort, als ob er die Unmanierlichkeit nicht bemerkt hätte. Die bedeutendste Bostoner Zeitung trat mit folgenden Worten in gebührender Weise für ihn ein:
»Jeder, der am Dienstag Abend diesem Auftritt beigewohnt hat, muß unsere Empfindungen im großen und ganzen teilen, – und die Leute, die als Spötter gekommen waren, wurden zwar nicht zu Anbetern bekehrt, verließen aber wenigstens das Haus mit dem Gefühl herzlichen Wohlwollens, und – vielleicht zu ihrer eigenen Verwunderung – der Achtung vor Oscar Wilde Oscar vergalt Böses mit Gutem, denn er verehrte der Harvard-Universität einen Abguß der damals ausgegrabenen Hermesbüste..«
Als er westwärts nach Louisville und Omaha fuhr, verflog und versiegte seine Volkstümlichkeit, dennoch ließ er sich nicht beirren: nach seiner Abreise aus den Vereinigten Staaten besuchte er Kanada und traf im Herbst in Halifax ein.
Ein kleines Vorkommnis muß hier erwähnt werden: Am 6. September sandte Oscar £ 80 an Lady Wilde. Es ist mir gesagt worden, daß es sich bei dieser Summe nur um die Zurückerstattung des von ihr entlehnten Geldes gehandelt hätte. Aber es steht fest, daß Oscar, im Gegensatz zu seinem Bruder Willie, seine Mutter zu wiederholten Malen in sehr großherziger Weise unterstützte, trotzdem Willie stets ihr Liebling war.
Oscar kehrte im April des Jahres 1883 nach England zurück und hielt einen Vortrag im Klub der Kunstakademiker am Golden Square. Das führte sogleich zum Bruch mit Whistler, der ihn beschuldigte, ein Plagiat begangen zu haben: »Von unseren Schüsseln stiehlt er die Rosinen für die Napfkuchen, mit denen er in der Provinz hausieren geht.«
Man muß unbedingt zugeben, daß der Vorwurf gerechtfertigt war, wenn man diese Vorlesung mit dem Vortrag über die »englische Kunstrenaissance«, den Oscar erst ein Jahr früher in Neuyork gehalten hatte, und mit Whistlers allgemein bekannten Anschauungen vergleicht. Wenn er beispielsweise sagt: »Der Künstler darf die Schönheit nicht nachahmen, sondern muß sie schöpferisch erzeugen –«, oder »… ein Gemälde ist nur ein Dekorationsstück«, so verraten diese Worte ihre Herkunft.
Die langwierige Pressefehde zwischen beiden spitzte sich im Jahre 1885 zu, als Whistler seine berühmte »Ten o'clock«-Rede über die Kunst hielt. Sie war unvergleichlich besser als alle Wildeschen Vorträge. Whistler, der einige zwanzig Jahre älter war als Wilde, beherrschte seine Mittel meisterlich: er war nicht nur witzig, sondern besaß auch neue Anschauungen über die Kunst und schöpferische Ideen. Als bedeutender Künstler wußte er, daß »es nie ein künstlerisches Zeitalter und eine kunstliebende Nation gab«. Und es gelang ihm immer wieder, die reine Schönheit des Ausdrucks zu erzielen. Auch seine treffsichere Ironie erfüllte mich mit Bewunderung, und so erklärte ich, daß sein Vortrag den besten Reden, die London jemals vernommen hatte: Coleridges Vortrag über »Shakespeare« und Carlyles über »Helden«, ebenbürtig wäre. Aber zu meiner Überraschung wollte Oscar die Unübertrefflichkeit der Whistlerschen Worte nicht anerkennen; er fand seine Lehre paradox und die Verspottung der Professoren zu scharf. »Whistler ist wie eine Wespe«, rief er, »und trägt einen vergifteten Stachel bei sich.« Oscars gütig-liebenswürdige Natur empörte sich gegen die verächtliche Streitbarkeit in Whistlers Stellungnahme. Überdies war Whistlers Vorlesung im wesentlichen ein Angriff auf die von den Universitäten gelehrte Theorie, die selbstverständlich von einem jungen klassischen Kenner wie Oscar Wilde verfochten wurde. Whistlers Anschauung, daß der Künstler eine Einzelerscheinung, ein glücklicher Zufall, in Wirklichkeit eine »Spielart« sei, war etwas Neues, und Oscar hatte diesen Standpunkt noch nicht erreicht. Er kritisierte den Meister in der »Pall Mall Gazette«, eine Kritik, die beachtenswert ist, weil hier fast zum erstenmal jener fröhliche Humor durchblitzt, der später zu seiner charakteristischsten Eigenschaft wurde: »Whistler«, so drückte er sich aus, »ist nach meiner Meinung wirklich einer der allergrößten Meister der Malkunst. Und ich darf hinzufügen, daß Whistler selbst vollkommen mit dieser Meinung übereinstimmt.«
Darauf erschien in der »World« Whistlers Entgegnung, die wiederum von Oscar beantwortet wurde, aber schließlich behielt Whistler das letzte Wort: »… Oscar, der liebenswürdige, unverantwortliche, heißhungrige Oscar, – der von einem Bilde nicht mehr versteht als von dem Schnitt eines Rockes, hat den Mut – zu anderer Leute Meinung!«
Man muß dabei in Betracht ziehen, daß eine der schärfsten Zungen nicht umhin konnte, Oscars »Liebenswürdigkeit« anzuerkennen. Selbst Whistler zog es vor, ihn »liebenswürdig und unverantwortlich« zu nennen, als für seine Plagiate ein strengeres Beiwort zu wählen.
Fast alles, was Oscar Wilde auf dem Gebiete der Kunst und der Debatte verstand, hatte er von Whistler gelernt, aber auf beiden Gebieten blieb er stets der Schüler. Insbesondere zur Debatte hatte er wenig Begabung. Er besaß weder den Mut, noch die Verächtlichkeit, noch die Lust am Kampfe wie sein großes Vorbild.
Unbeirrt durch Whistlers Angriffe, setzte Oscar seine Vorlesungen über seine »persönlichen Eindrücke in Amerika« im ganzen Lande fort und fuhr im August zur Aufführung seines Dramas »Vera«, das Marie Prescott im Union Square-Theater auf die Bühne brachte, wieder nach Neuyork hinüber. Es erwies sich – was vorauszusehen war – als ein vollständiger Mißerfolg. Jeder begabte junge Mann hätte den ernsten Teil dieses Stückes schreiben können. Immerhin finde ich hier zum erstenmal einen charakteristisch-humoristischen Funken – sozusagen eine überraschende, leichte Beschwingtheit, die im Hinblick auf die Zukunft verheißungsvoll ist, damals jedoch nicht gewürdigt wurde.
Im September 1883 erschien Oscar wieder in England. Er hatte mehr pekuniäre Erfolge auf dem Rednerpodium als im Theater, aber sie reichten nicht aus, um ihm Unabhängigkeit oder ein behagliches Leben zu sichern. Es spricht um so mehr für ihn, daß er sich entschloß, die ersten paar hundert Pfund, die er erübrigen konnte, zu seiner geistigen Vervollkommnung zu verwenden.
Sein Verlangen nach einer vielseitigeren Bildung, teilweise wohl auch Whistlers Beispiel, trieb ihn nach Paris. Dort nahm er in dem kleinen spießbürgerlichen Hotel Voltaire am Quai Voltaire Wohnung und lernte bald alle in der literarischen Welt berühmten Persönlichkeiten, von Victor Hugo bis zu Paul Bourget, kennen. Er bewunderte Verlaines geniale Begabung restlos, aber die groteske körperliche Häßlichkeit des Mannes selbst (Verlaine ähnelte einer Sokratesmaske) und seine niedrige und unsaubere Lebensführung hinderten Oscar, ihm wirklich näher zu treten. Während seines Pariser Aufenthaltes las und lernte Oscar ungeheuer viel, und seine Kenntnisse in der französischen Sprache, die schülerhaft gewesen waren, besserten sich wesentlich. Er pflegte zu sagen, daß Balzac und insbesondere dessen Dichter Lucien de Rubempré seine Lehrmeister waren.
In Paris vollendete er sein in reimlosen fünffüßigen Jamben geschriebenes Stück »The Duchess of Padua« (Die Herzogin von Padua) und sandte das Manuskript an Miß Mary Anderson nach Amerika. Sie lehnte es ab, trotzdem er, wie er stets behauptete, das Trauerspiel in ihrem Auftrag geschrieben hatte. Ich finde es noch weniger interessant, – akademischer und weltfremder als sein Drama »Vera«, und die Aufführung, die im Jahre 1891 in Neuyork stattfand, war ein vollkommener Mißerfolg.
Im Laufe weniger Monate hatte Oscar Wilde sein Geld verbraucht und, wie er glaubte, das Beste genossen, was Paris zu bieten hat. Infolgedessen kehrte er nach London zurück und mietete sich diesmal in der Charles Street, in Mayfair, eine Wohnung. In den Jahren seit seinem Abgang von Oxford waren ihm ein paar herbe Lehren zuteil geworden, und die wichtigste und nachdrücklichste Lehre war die Furcht vor der Armut. Doch die Tatsache, daß er sich in dem elegantesten Stadtviertel eingemietet hatte, bekundete, daß er entschlossener war denn je, emporzusteigen und nicht herabzusinken.
Lady Wilde hatte ihn dringend gebeten, in ihre Nähe zu ziehen; sie zweifelte überhaupt nicht an seinem endgültigen Siege und hatte alle seine Gedichte auswendig gelernt. Seine Similisteine verwechselte sie mit echten Diamanten und freute sich über die Gelegenheit, ihren geistreichen Sohn mit den Mitgliedern der irischen Nationalpartei und anderen Talmi-Größen bekannt zu machen, die sich um sie scharten.
Ungefähr zu dieser Zeit sah ich Lady Wilde zum ersten Male. Oscars älterer Bruder Willie, mit dem ich in der Fleet Street zusammengekommen war, führte mich seiner Mutter zu. Willie war damals ein großer, gutgebauter junger Mensch von etwa dreißig Jahren, mit einem ausdrucksvollen, anziehenden Gesicht, in dem ein Paar dunkelblaue lachende Augen strahlten. Er besaß die größte körperliche Beweglichkeit und verstand es, mit ungeheurer Verve nette Geschichten zu erzählen, ohne jemals mehr als Alltägliches zu leisten. Den dilettantischen Journalismus des »Daily Telegraph« betrachtete er als Literatur. Aber er verfügte über die oberflächliche Gutmütigkeit und den guten Humor der gesunden Jugend und war allgemein beliebt. Eines Nachmittags nahm er mich in das Haus seiner Mutter mit; aber zunächst mußte hier etwas getrunken und dort ein bißchen geschwatzt werden, so daß wir erst nach sechs Uhr in Westend eintrafen.
Das Zimmer mit seinen Insassen machte auf mich einen unvergeßlich grotesken Eindruck. Es sah kleiner aus, als es in Wirklichkeit war, weil die zwanzig anwesenden Frauen und die sechs vorhandenen Männer kaum darin Platz hatten. Der Raum war sehr dunkel, überall standen leere Teetassen, überall lagen Zigarettenstummel umher. Hinter dem Teetisch thronte Lady Wilde, wie ein in Tücher gehüllter weiblicher Buddha: eine starke Frau mit plumpem Gesicht und stark hervortretender Nase. Sie sah Oscar wirklich sehr ähnlich, sie hatte dieselbe blaßgelbe Hautfarbe, die stets unsauber wirkte, und auch bei ihr verschönten die Augen die Gesichtszüge, sie waren lebendig und beweglich wie bei einem jungen Mädchen. Da sie sich wie eine Schauspielerin »zurechtmachte«, war ihr eine verschleierte Dämmerung selbstverständlich lieber als das Licht der Sonne. Sobald sie sprach, machte sich ihr Idealismus bemerkbar. Begeisterung war ihr ein Lebensbedürfnis; wenig wohlwollende Beurteiler bezeichneten sie als Hysterie, ich möchte sie aber lieber Affektiertheit nennen, die stets in Erscheinung trat, wenn sie etwas gern sah oder bewunderte. Im Unglück zeigte sie sich von der vorteilhaftesten Seite, denn ihre große Eitelkeit verlieh ihr einen gewissen stolzen Stoizismus, der bewundernswert war.
Als wir ins Zimmer traten, wurde gerade die Landliga und Parnells Stellungnahme zu dieser Frage besprochen. Lady Wilde hielt ihn für den auserwählten Retter ihres Vaterlandes. »Parnell – sagte sie mit besonderer Betonung der ersten Silbe – »ist der vom Schicksal ausersehene Mann; er wird die Fesseln abschütteln, Irland befreien und es zum König machen unter den Völkern.«
Eine schmächtige Frau, die wie ein Vögelchen aussah und der Wirtin gegenüberstand, gab murmelnd ihrem Beifall Ausdruck. In einem petersiliengrünen Gewande, das sie wie ein Schirmfutteral umspannte, schwebte sie auf uns zu; wenn sie überhaupt eine Figur gehabt hätte, wäre dieses Kleid unanständig gewesen.
»Das sieht ›Speranza‹ ähnlich«, girrte sie, »meine teure Lady Wilde!« Ich beobachtete, daß sie zu Willie hinüberäugte, der auf der anderen Seite neben seiner Mutter stand und mit einem großen, schönen Mädchen plauderte. Willies Bekannte schien sich über den lyrischen Erguß der grünen Jungfrau zu belustigen, denn mit leisem Lächeln bat sie ihn um Auskunft:
»Heißt Lady Wilde ›Speranza‹?« fragte sie in einer kaum merklich amerikanischen Aussprache.
Lady Wilde teilte den Anwesenden mit der ganzen Nachdrücklichkeit, die ihr zu Gebote stand, mit, daß sie an diesem Nachmittag nicht auf Oscars Besuch rechnete: »Wissen Sie, er ist durch seine neuen Dichtungen so sehr in Anspruch genommen. Man sagt, daß seit Byrons Zeit nichts so viel Furore gemacht hat«, fügte sie hinzu, »es wird bereits allgemein darüber gesprochen.«
»Ach ja!« seufzte die grüne Lilie, »erinnern Sie sich, teure Speranza, an das, was er uns über die ›Sphinx‹ sagte, die er uns vorgelesen hat. Er erzählte uns, daß die handschriftliche Dichtung sich genau ebenso von dem gedruckten Gedicht unterscheidet wie das Tonmodell des Bildhauers von seinem Marmorwerk. Wie feinfühlig – nicht wahr?«
»Und auch vollkommen wahr!« rief ein Mann mit einer Fistelstimme, der in den Kreis der Sprechenden trat. »Das hätte Leonardo selbst sagen können.«
Der ganze Auftritt kam mir gekünstelt, spießbürgerlich und salopp vor und hatte dabei ein etwas ungewandtes Gepräge, das durchaus nicht der englischen Tonart entspricht. Die ästhetischen Gewänder waren auffallend, die Begeisterung gespreizt und übertrieben. Und ich war froh, als ich mich heimlich entfernen konnte.
Anläßlich dieses oder eines späteren Besuchs bei Lady Wilde hörte ich zum erstenmal von jenem andern Gedicht, »The Harlot's House« (Das Hurenhaus), das Oscar ebenfalls in Paris geschrieben haben soll. Obwohl es in einem Winkelblättchen veröffentlicht wurde und an sich recht alltäglich ist, erregte es ungewöhnliches Aufsehen. – Die Zeit und die Reklame hatten das ihrige für ihn getan. Seine akademischen Vorlesungen und desgleichen seine nachgeahmten Dichtungen hatten seinen Namen in weiten Kreisen bekannt gemacht. Und dank der kleinen Gemeinde seiner begeisterten Verehrer, die ich bereits oben erwähnt habe, war sein Ruf nicht geschwunden, sondern gewachsen, wie der böse Geist, wenn er aus der Flasche befreit ist.
Die Flügelmänner waren entschlossen, an allem, was er tat, etwas Wunderbares zu finden, und der Titel »The Harlot's House« (Das Hurenhaus), den die Philister anstößig fanden, bot ihnen einen gewissen Anlaß, den sie bis aufs äußerste ausnutzten. Von allen Seiten wurde man gefragt: »Kennen Sie das Allerneueste von Oscar?« Und dann wurde die letzte Strophe zitiert:
»Und durch die lange Straße nun
Kroch grau der Tag auf Silberschuhn
Wie ein verschüchtert Mädchen her
Aus dem von Otto Hauser ins Deutsche übertragenen Gedichtband..«
»Finden Sie das nicht himmlisch?«
Trotz dieser übertriebenen Lobeserhebungen waren Oscars erste Theaterstücke und Gedichte ebenso unbedeutend wie seine Vorlesungen. Der kleine noch in England vorhandene Kreis jener Leute, die wirklich Liebe für alles Geistige empfinden, war davon enttäuscht und vermißte hier die geniale Begabung, die so geräuschvoll und anmaßend gepriesen wurde.
*
Aber wenn Oscar Wildes erste Schriften auch mißglückt waren, so erzielte seine mündliche Ausdrucksform mehr Erfolg denn je. Noch immer bemühte er sich, bei jeder Gelegenheit zu glänzen, und fiel infolgedessen zuweilen ab; aber seine Mißerfolge auf diesem Gebiet waren gering und nur relativ; seine ungewöhnliche angeborene Begabung wurde durch unablässige Übung vervollkommnet. Und zu derselben Zeit entfaltete sich allmählich im Gespräch auch jene humoristische Ader, die seinen Stegreif-Bemerkungen später eine besondere Eigenart verlieh.
Seiner Unterhaltungsgabe verdankte er viele Einladungen zu Abend- und Mittagsgesellschaften, sie erschloß ihm einige der vornehmsten Londoner Häuser, – aber sie brachte kein Geld ein. Er verdiente sehr wenig und brauchte Geld, – er brauchte von einer Woche zur anderen verhältnismäßig große Summen.
Oscar Wilde war in fast jeder erdenklichen Hinsicht verschwenderisch. Er wollte gut essen, gut gekleidet sein, gute Weine trinken und mit »Trinkgeldern« um sich werfen. Er wollte sich die Erstausgaben der Dichterwerke anschaffen, hatte eine Vorliebe für antike Möbel und altes Silber, für schöne Bilder, orientalische Teppiche und Bronzen aus der Renaissancezeit. Kurz, er wünschte sich alles, was sich ein Künstler, was sich ein Dichter und was sich ein Lebemann wünschen kann.
So war er denn dauernd in ärgster Geldverlegenheit und trug kein Bedenken, sich fünfzig Pfund von jedem zu borgen, der bereit war, sie ihm zu leihen. Er fing an, die Wahrheit des alten Spruchs zu erproben:
Gar herrlich bedünkt dich die Erdenwelt,
Reicht zum Leben, zum Leihen, zum Schenken dein Geld.
Doch erbettelst und borgst du von andern einmal,
Wird die herrliche Welt dir zum Jammertal!
Die Schwierigkeiten des Lebens lasteten immer mehr auf ihm. Er verschmähte Brot und Butter und sprach nur von Champagner und Kaviar. Aber wenn es kein Brot gibt, stellt sich der Hunger ein, und der Sieg schien ihm nicht mehr verbürgt zu sein. Es war möglich und wurde sogar fast wahrscheinlich, daß das stolze Schiff seines Ruhms auf der Sandbank der Armut stranden könnte.
So kam er denn zu der schmerzlichen Erkenntnis, daß er ungesäumt etwas tun, – daß er entweder die Armut bezwingen oder darüber hinwegkommen mußte. Sollte er wohl seine Wünsche zügeln, sparsam leben und mit Ausdauer literarisch arbeiten, bis sein Name so groß wurde, daß es ihm gestattet war, verschwenderisch zu sein und seinen Neigungen nachzugehen? Er war klug genug, um die Vorteile dieser Richtlinie einzusehen. Von Tag zu Tag steigerte sich der Ruf seiner rednerischen Begabung. Hätte er ein wenig mehr Selbstbeherrschung besessen und sich ein wenig länger geduldet, bis seine gesellschaftliche Stellung gefestigt war, so hätte er mit Leichtigkeit ein Mädchen aus reichem und gutem Hause heiraten und für immer der elenden Sorgen und Befürchtungen ledig werden können. Aber er war nicht imstande, sich zu gedulden; er war ungeheuer eitel, er wollte sich zu jeder Zeit und um jeden Preis spreizen wie ein Pfau; außerdem war er höchst genußsüchtig; sein Mund lechzte nach jeder Frucht. Und wenn die Gläubiger vor der Tür standen, konnte er nicht schriftstellerisch arbeiten, wie Bossuet, wenn er von kleinlichen Wirtschaftsnöten geplagt war: s'il était à l'étroit dans son domestique.
Was sollte er wohl tun? Plötzlich machte er kurzen Prozeß und heiratete Miß Constance Lloyd, die Tochter eines königlichen Rates (Queen's Counsel), eine junge Dame, die keine besonderen inneren und äußeren Vorzüge besaß, und die er auf einer Vortragstournee in Dublin kennen gelernt hatte. Miß Lloyd verfügte über eine Jahresrente von einigen hundert Pfund, eben genug, um einigermaßen auszukommen. Das junge Paar bezog ein bescheidenes kleines Haus in der Tite Street in Chelsea. Immerhin aber wurde durch Godwins Kunst das Gesellschaftszimmer verschönt und erwarb sich bald eine gewisse Berühmtheit. Es war auch wirklich ein entzückender Raum, der künstlerische Vornehmheit mit einem eigenartigen Gepräge verband.
Oscar fing an, recht viel in Gesellschaft zu gehen, sobald die furchtbare Last der Armut von ihm genommen war. Zweifellos wäre auch seine Gattin eingeladen worden, wenn er die an ihn allein gerichteten Aufforderungen abgelehnt hätte. Aber gleich zuerst sagte er ohne weiteres zu; infolgedessen lebte seine Frau, nachdem die ersten Monate ihrer Ehe vorüber waren, ziemlich zurückgezogen, und später stellten sich Kinder ein, die sie ans Haus fesselten. Da Oscar durch seine Heirat die Sorgen eine Zeitlang verscheucht hatte, tat er in den nächsten drei Jahren, abgesehen von seinen mündlichen Leistungen, nur wenig. Und so gewann jeder kritische Beobachter bald die Überzeugung, daß er ein Redner und kein Schriftsteller sei. »Er war eine Macht auf dem Gebiete der Kunst«, wie de Quincey von Coleridge sagte, »und er führte eine neue Kunst zur Macht.« – Mit jedem Jahr wurde diese Begabung größer; mit jedem Jahr plauderte er glänzender und geistreicher, nun durfte und sollte er sogar das Wort führen.
In London gibt es im eigentlichen Sinne keine Plauderei. Hin und wieder hört man eine kaustische oder witzige Bemerkung, und das ist alles. In der guten Gesellschaft ist es überall üblich, angenehm zu wirken, ohne sich hervorzutun. Während man in allen anderen europäischen Ländern darauf hält, begabte Menschen plaudern zu hören, hält man sie in England davon zurück. In der Gesellschaft wird ein verunstaltetes Kauderwelsch oder »slang« gesprochen, das größtenteils aus Snob-Stichwörtern besteht; und die Mehrheit vermerkt es übel, wenn ein einzelner die Aufmerksamkeit für sich allein in Anspruch nimmt. Oscar Wilde wurde diese Ausnahmestellung jedoch eingeräumt, man hielt darauf, daß er etwas zum besten gab, um die Gäste zu belustigen, ebenso wie man einen Sänger nach beendigter Mahlzeit vorführt.
Obwohl er von einer Woche zur anderen als witziger, köstlicher Plauderer immer berühmter wurde, brachte selbst seine Ehe die verborgene feindselige und widerwillige Stimmung nicht zum Schweigen. Bald mit entrüsteten, bald mit verächtlichen Worten nannten die Menschen ihn ein verworfenes, ein pervers veranlagtes Wesen. Und manches Haus, das zu den besten Londoner Gesellschaftskreisen gehörte, blieb ihm verschlossen.