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13

Ah … endlich –! endlich –! …

Der Mensch, der fremde, weg! Kein Schritt mehr zu hören … Nur der eigene – langhuschend, laufend – fluchtartig …

Aber nun konnte er sich Ruhe gönnen … Ja, nun konnte er sich Zeit lassen … Nun war er ja allein …

Diese verdammte Spürnase, die ihm ewig im Nacken herumgeschnüffelt hatte … Konnte man ihn nicht in Frieden seiner Wege gehen lassen? Diese seit Ewigkeiten vertrauten Wege seiner Sehnsucht … Verirren? … Leichter verirrt sich ein Vogel auf dem Heimflug zum Nest, als er sich verirren konnte auf seinem goldenen Monde …

Schwarze Schlucht umgab ihn, in die er tiefer und tiefer eindrang. Schroff wuchs Gestein um ihn auf, türmte sich nadelschmal, spießte sich finster empor in kaum mehr sichtbaren Himmel. Von hoch, hoch oben tropfte fahlgelbes Licht, gespeert von den Spitzen der Felsen, und konnte den Grund nicht erreichen.

Wie sonderbar, sonderbar ging es sich hier auf dem Monde … leicht, schwebend, mühelos … man war versucht, zu tanzen … Ein Sprung! – hoho –! Kein Preisspringer konnte das besser! Noch einer –! Das förderte, das fraß den Weg –

Ja, welchen Weg? Zum Ziel! – Zu welchem Ziel?

Professor Manfeldt lächelte vor sich hin. Es war das Lächeln eines Kindes, das Gott vertraut – und eines alten Mannes, der durch viel Leiden schlau und listig geworden ist und sich um keinen Preis mehr übertölpeln läßt. Vierzig verdammte Jahre … vierzig Höllenstufen … aber über ein kleines, dann war er am Ziel!

Wozu brauchte er die Wünschelrute? War sein Herz nicht eine tausendmal zuverlässigere Wünschelrute? Oh, er wußte – er wußte: sein Wünschelrutenherz würde es ihm mit heftigem Erzittern, mit heftigsten Schlägen anzeigen, wenn er dem Ziele nahe war …

Er hängte die Rute an einer Steinnadel auf … Aber das war kein Stein … oder wurden die Steine lebendig hier auf dem Mond, wenn eine Menschenhand sie berührte? War das eine Pflanze? War das ein Tier?

Es glich einem Stein in Farbe und Form und sah aus, als habe es sich seit der Erschaffung der Welt nicht von diesem ihm zugewiesenen Platze gerührt. Aber es atmete doch? Sehr langsam – unsäglich langsam dehnte sich das Gebilde und zog sich wieder zusammen … An den Spitzen der Schroffen traten kleine phosphoreszierende Punkte hervor.

Oh, Vorsicht – Vorsicht –! Man befand sich in einer unbekannten Welt, und diese Welt, so schien es, empfand das Auftauchen des Menschen als Störung. Manfeldt sah sich nach allen Seiten um. Die Schlucht, das war klar, begann aus dem Schlaf zu erwachen. Vielleicht hatte sie Millionen von Jahren geschlafen. Doch nun war der Mensch gekommen; da hatte der Schlaf ein Ende … Oder war es die Kraft der Wünschelrute, die mit ihrer Berührung Millionen Jahre alten Schlaf zerstieben machte? Es juckte ihn, das herauszubekommen! Aber da hieß es einen diebesschnellen Griff tun, die aufgehängte Wünschelrute herunterreißen von dem Stein-Pflanze-Tier, bevor das zuschnappen konnte mit Gott weiß was für verborgenen Fangarmen – und dann auf und davon! – laufen, laufen, was die Füße hergaben –

Mit einem Sprung, der ihn hoch aufschnellen ließ, erraffte der Mensch die hängende Wünschelrute, entriß sie dem atmenden Was-war-es-Wesen, stieß einen Triumphschrei aus, der an den Wänden der Schlucht in zehnfachem Echo hinauflief, und rannte, die Rute schwenkend, nach rechts, nach links seinen Weckruf schickend: »He –! Aufwachen –! Aufwachen –! He –!« die Schlucht entlang.

Er konnte – nein, er konnte es nicht lassen, im Vorübertorkeln hier – da – dort – einem besonders vertrackten Gebilde blitzschnell einen Schlag mit der Wünschelrute zu versetzen. Und dann sich umzuschauen: Wachte es auf? Gewann es Leben? Glotzte es hinter ihm drein? … Wie, wenn nun das, worauf er lief, auch nicht Stein war, sondern nur Schlafend-Lebendiges? … Wie, wenn der ganze riesige Mond nichts anderes war als ein ungeheures Tier, das versteint, aber doch lebendig, auf goldenen Schätzen schlief … In dessen Hautfalten er, der Mensch, hinstolperte …?

Nein – Ruhe … Ruhe …! Der Mond war kein Tier. Der Mond war ein Planet, ein Trabant der Erde, ein schöner, gestorbener Stern …

Und trug doch Leben …

Wo Wasser ist, ist Leben. Und war die Luft nicht ganz erfüllt vom Gesang des Wassers, vom Lied der fallenden Tropfen?

Der Mensch blieb lauschend stehen …

Ja, Wasser sang. Es rieselte, rauschte und rann. Aber der Klang in der Luft kam nicht vom Wasser allein. Es war ein unnennbar-unfaßbarer Ton, nicht stärker als Hauchen des Windes in einer Windharfe, nur tiefer, erschütternder, groß und gleichmäßig strömend, als sei zwischen Sonne und Mond eine kupferne Scheibe als Gong an den Himmel gehängt worden und das verhallende Echo ihres Dröhnens schwinge sphärenhaft fort in den Schluchten des Mondes.

Galt dieser Klang dem Menschen? Warnte er ihn oder hieß er ihn willkommen? Oder wollte er ihm den Weg zum Ziele zeigen? Oder rief er die Mondwelt zur Abwehr gegen ihn auf?

Magisch gezogen folgte der Mensch dem Klang in einer Verzückung des Horchens, die ihn trunken machte. Hoch über ihm brauste der Harfen-Orgel-Ton, fast sichtbar die Luft durchschwingend, dem Ende der Schlucht zu, die sich dämmernd erschloß. Es war nicht Gesang – es war wie der unsichtbare Zug von zehntausend ziehenden Vögeln, deren Kehlen stumm waren, doch deren Schwingen und buntes Gefieder im Winde melodisch ertönten.

Dieser klingende Strom der Luft war von einer wunderbaren rhythmuslosen Gleichmäßigkeit, wurde nicht schneller noch langsamer, wurde nicht schwächer noch stärker; aber er schien in dem Menschen, der unter ihm hinschwankte, das suchende Antlitz ekstatisch zu ihm erhoben, eine schmerzliche Sehnsucht zu wecken, die Welle des Klangs, die eben vorübergerauscht war, noch einmal zu hören, wieder einzuholen, daß er, die Arme ausstreckend, rascher und rascher lief.

Je näher dem Ende der Schlucht aber, desto deutlicher gesellte sich zu der harfenden Orgel der Luft ein Knistern, wie wenn elektrische Funken überspringen. Eine glühende Kälte beizte dem Menschen die Haut. Glutatem sengte ihn an wie aus dem Backofen des Teufels. Kleine, kurze, heftige Schläge unsichtbarer Pritschen trafen sein Gesicht, seinen Hals, seine Hände. Das Singen der Luft über ihm wurde jäh zu brüllendem Heulen. Er taumelte aus dem offenen Tor der Schlucht. Sturm packte ihn bei den Haaren mit Riesenfaust, daß er rückwärts anschlug gegen die Wand des Felsens –

Ah – Sturm! Sturm über dem Monde! Die rote Wolke, die vor der Sonne gestanden und Sturm geweissagt hatte! Da war er – der Sturm! Da schnob er aus tausend Felsennüstern heraus und heulte über dem Tal, das, von Felsgetrümmer bedeckt, ein unkeusches Chaos, schwarz-bleich, Furcht ausatmend aus jeder Pore, sich dem Menschen darbot.

Die Sonne war vom Himmel verschwunden. Das Schwefelgelb des Himmels war verschwunden. Der Himmel sah aus wie mit einer roten, zu straff gespannten Haut bezogen, die zuckend jeden Augenblick zu reißen drohte, um ein Blutmeer auf den geängstigten Mond hinabzustürzen und ihn darin zu ertränken.

Der Boden bebte, als würde er zum Vulkan. Die Felswand selbst, an die der Mensch getaumelt war, schien unter einem Schlag zusammenzuzucken.

Der Mensch floh querfeldein. Die Pritschenschläge auf Hände, Hals und Gesicht verdoppelten sich zu Trommelwirbeln. Eisatem traf ihn von links, Glutodem von rechts. Und plötzlich stand das Tal in grünem Feuer. Es war kein Blitz. Es folgte auch kein Schlag. Es brannte nicht die Luft und nicht der Himmel. Die Felsen selber brannten. In grünen Büscheln brannten die Flammen an ihren höchsten Punkten.

Aber waren das wirklich Felsen und nichts als Felsen, an denen der Mensch hintaumelte auf der Flucht? Schienen das nicht gigantische Mauern zu sein – hochgetürmte Paläste – hochgetürmte Burgen für Könige und für Götter?

Baute sich da nicht eine Treppe auf, nur Titanen ersteigbar und breit genug, daß ein ganzes Volk darauf knien konnte, seine Gottheit anzurufen?

Trug dieser Felsen nicht ein Dämonengesicht? Waren nicht Runen geritzt in geglättete Steine?

Brannten die Flammen der unentladenen Blitze dieses Mondgewitters nicht in gewaltigen Schalen, auf die äußerste Spitze von Säulen gestellt?

Steinwelt von Göttern – jetzt wachte sie wieder auf!

Ein Mensch durchirrte sie – der weckte die Götter auf … Ein Mensch, ein Sandkorn, zermalmt und zermahlen von der Größe der Welt, die er entdeckte, ließ sich widerstandslos vom brüllenden Sturm des Mondes über Straßen und Plätze treiben, die, jetzt erstickt vom Sand, von Trümmern bedeckt, einst von Titanen für Götter erbaut waren.

Ihn, den Menschen, schreckte der Himmel nicht, dessen blutige Haut zu reißen drohte, um das Entsetzen selbst auf den Mond zu stürzen – noch die grünen Flammen des Mondgewitters – noch der Atem des Eises – noch der Atem aus Glut.

Götterpaläste türmten sich vor ihm auf, selbst in Trümmern noch gewaltiger als irgendein Bauwerk, das die Menschen der Erde schufen. Felsendome stemmten sich gegen den Himmel, den sie auf ungebeugtem Nacken trugen. In diese tote Steinwelt, in dieses gigantische Grabmal von Göttern trug der Mensch, das atmende Staubkorn, den berauschten Triumph des Seins, des lebendigen Lebens …

Götter –! Götter –!! Wie rufe ich euch –? Wie soll ich euch nennen –? Seht, eure Namen sind zerstoben und verschollen! Ihr Könige und ihr Völker, seht, ihr seid Dunst, eine Wolke am Morgenhimmel des Mondes! Ich, der Mensch, der Erbe, bin da –! Tut mir die Tore eurer Paläste auf –! Sesam des Mondes, öffne dich vor mir –! Wünschelrute –! Wünschelrute –! Wohin haben die Götter des Mondes ihre Schätze verwünscht, als die Götterdämmerung für sie hereinbrach –?

Es war, als erbleiche der Himmel, doch kam ihm die Farbe braundunkel und furchtbar wieder. Das grüne Feuer der Blitze erlosch. In rasenden Stößen steigerte sich der Sturm zum Orkan, Gebirge von Sand aufreißend und niederstürzend. Als eine geschlossene Mauer brach eisiger Regen herab, wegspülend, zermalmend, vernichtend, auf was er traf. Er schwemmte den Menschen fort wie ein welkes Blatt, ließ ihm nicht Zeit, sich an Steinen festzuklammern – ließ ihm nicht Zeit zum Atemholen – trieb ihn, ein Wrack, ein zerbrochenes, stöhnendes Nichts, als sei er unwürdigen Spielzeugs überdrüssig, zuletzt in die Spalte eines Felsens hinein, wo er hinfiel, der Mensch, und liegenblieb und nicht mehr atmete …

Und dann doch wieder atmete … langsam … langsam … Sie mußte es erst von neuem lernen, die zertrümmerte Brust. Und die Augen, von Sand und Blut verklebt, wollten sich nicht mehr öffnen. Allmählich, allmählich lösten die Lider sich doch …

Ach, welch eine gnadenvolle Stille rundum … Stille des höchsten Domes, wenn Gott den Betern, die ihn rufen, sehr nahe ist …

Der Mensch, der am Boden lag, richtete sich mühselig auf, nur, daß er knien konnte – mehr wollte er nicht.

Sine unsäglich milde Dämmerung herrschte im Raum. Was war das für ein Raum? Das Innere eines Felsens? Oder das Innere einer Kathedrale? Aber wo stand auf der Welt eine solche Kathedrale, deren Höhe der Blick nicht zu erreichen vermochte – deren Kreuzgewölbe in blauer Dämmerung verschwamm – kein Fenster hatte und doch erfüllt war vom Schimmer eines mystischen, überirdischen Lichts?

Und was für Gestalten waren das ringsum – auf Felsensockeln thronend, zu deren geringster, niedrigster Stufe der Mensch mit seiner Stirn nicht zu reichen vermochte? Was machte sie so von sich selbst her leuchten, daß um sie her eine flimmernde Aureole zu stehen schien?

Wer stand an den Stufen der Sockel so groß geflügelt, gleich Wächtern, die schon mit dem Blick zu töten vermögen?

Der Mensch erhob sich von den Knien, denn er glaubte zu träumen, und er wollte schauen. Er tat einen Schritt und blieb von neuem stehen. Er schloß die Augen und tat sie wieder auf.

Ja, dies war wohl ein Dom … dies war wohl ein großer Dom, von dienenden Göttern für größere Götter errichtet. Felsen hatten sie über Felsen zu Mauern getürmt, Felsnadeln zu ragenden Säulen gebündelt, Blöcke mit Blöcken geebnet und Stufen gebaut. Und die dienenden Götter hatten aus Felsenschächten das Reinste geschöpft, das die Gebirge des Mondes bargen, und hatten die Augen zu den größeren Göttern erhoben und die Bilder der größeren Götter anbetend geschaffen, zur Hälfte aus rotem Gold, zur Hälfte aus weißem Kristall.

Aber das Bildnis des höchsten, des heiligsten Gottes wagten sie nicht zu schaffen. Sie nahmen das Gold und formten daraus einen Würfel, so groß, daß hundert Riesen darauf zu stehen vermochten – und nahmen Bergkristall und schliffen daraus eine Kugel, so groß, daß hundert Riesen sie nicht zu tragen vermochten. Dies Reinste, auf Reinstem ruhend, war Sinnbild des höchsten Gottes.

Der Mensch, den seine Füße nicht tragen wollten, tappte zitternd und lallend darauf zu.

Der gleißende Block, auf dem die gleißende Kugel ruhte, schien immer höher und höher vor ihm ins sanft verdämmernde Blau hinaufzuwachsen. Er stieß an Stufen und rührte sie an mit der Hand. Die Stufen waren aus Gold. Er kroch sie hinauf und rührte den gleißenden Sockel der gleißenden Kugel an. Der Sockel war aus Gold. Er reckte sich hoch und stand an den Sockel gelehnt und sah ringsum, ringsum in der unermeßlichen Halle Gottheit an Gottheit geschart, auf goldenen Sockeln thronend, und alle die thronenden Leiber waren aus Gold.

Der Mensch fiel in die Knie. Er flüsterte:

»Gold –!«

Das Wort ging flüsternd von einem Gottbild zum andern:

»Gold –!« hauchte es hier und klang dort wider: »Gold –!«

Der Mensch hob die gekrümmten Finger zu den Lippen. Er lallte:

»Gold –!!«

Da wachte ein Rauschen auf in der unermeßlichen Halle. An allen Wänden rauschte es zehnfach:

»Gold –!!« Und wanderte zur gewölbten Decke hinauf und weckte da oben: »Gold –!!« und fiel wie ein schweres Tuch zu Boden, das mit allen Falten rauschte: »Gold –!!«

Der Mensch hob seine Fäuste in die Luft und schlug damit um sich und tanzte und schrie und lachte:

»Gold –! Gold –!! Gold –!!!«

Es lachte der ganze, von dienenden Göttern gebaute Felsensaal:

»Gold –! Gold –!! Gold –!!!«

Der Mensch, in unauslöschlichem Gelächter, tanzte über die goldenen Stufen hinunter, und sein Gelächter tanzte hinter ihm drein. Er klatschte in die Hände – da schienen tausend lachende Götter auch in die Hände zu klatschen. Er fing zu singen an – und tausend Götter sangen das Lied des goldenen Wahnsinns mit.

Er keuchte über die Quader der Sockel, auf denen sie thronten, die gold-kristallenen Götter, und bettelte sie an um ein Stückchen Gold, nur ein kleines Stück – nicht mehr als ein Kinderspielzeug! Sie ahmten ihm nach, die gelassen Thronenden, sie ahmten sein winselndes Betteln nach, aber sie erhörten ihn nicht – nein, nicht das armseligste Stückchen Gold waren sie willens ihm abzulassen von ihrem unmeßbaren Reichtum!

Das Betteln, das Schmeicheln des Menschen wurde zum Schreien, zum Kreischen – hei! – wie der Saal der Götter in Aufruhr kam, wie die kreischenden Stimmen aus allen Winkeln gellten –!

»Gold –!« Und wiederum: »Gold –!!« Ohne Ende »Gold –!!!«

Und Flüche – verzweifelte, die Hölle aufreißende Flüche – und Schluchzen … verzweifeltes, ermattendes Schluchzen …

»Gold …« Wie das Echo eines Weinens: Ende: »Gold –!!!«

Ein Traum von Gold, in vierzig Jahren des Jammers, in vierzig Jahren des Elends geträumt und geglaubt, war in Erfüllung gegangen und Wahrheit geworden.

Aber die Götter des Mondes wollten ihr Gold mit dem Menschen der Erde nicht teilen.

Da brach er zusammen.


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