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Letzte Impression vor dem Nichts: Duft von Veilchen. Tauperlen, die auf jungen Gräsern lagen, mußten – wäre ihnen die Gnade des Duftens verliehen – so reizvoll ausatmen: so beglückenden Duft. Aber auf seinem letzten Grunde war, beklemmend, eine fremde und unverständliche Bitternis.
Erste Impression nach dem Nichts: eigener gerüttelter Körper, willenlos, aber schon zur Abwehr sich sammelnd. Dann: ein Trio von Stimmen, keuchend vor Sorge. Fäuste, vor Ratlosigkeit rohgriffig und grob. Dann: Gesichter … eins … und noch eins … ein drittes … Haustor. Stufen. Treppe. – Plötzlich: Bewußtheit.
»Was –« Und schon tagwach und schon wissend, daß die Frage zweck- und sinnlos war: »Wo ist meine Mappe –?!«
Das Gestammel Grotjans stolperte an seinen Ohren vorbei. Aber es war ihm auch nicht um die Antwort zu tun gewesen; nur um die Frage, die wie ein Windstoß hineinfegte in sein verqualmtes Gehirn – um die Fanfare dieser Frage, die alles, was Nerv und Wille in ihm war, zu voller Aktionsfähigkeit aufjagte.
Ein ausgezeichneter Plan: Der lange Halt auf der Straße, schon Absicht, herbeigeführt. Das Mädchen. Der Veilchenstrauß. Unterbrechung des Bewußtseins Laut Grotjans Bericht: Das Mädchen steigt zu ihm (dem schon Betäubten) in den Wagen. Logische Folgerung aus vorhandenen Tatsachen: Es bemächtigt sich in aller Ruhe der Mappe mit dem Manuskript, wartet das nächste Stoppen des Wagens ab und verschwindet mit der Lautlosigkeit und Vollkommenheit von Gas.
Blieb also nur noch eine Frage zu lösen: In wessen Händen befand sich die Mappe jetzt?
Drei Gesichter starrten ihn atemlos an: das wutverdunkelte Grotjans, der an der Scham des Übertölpeltseins ersticken wollte – das blau-stupide des Hausmeisters, dessen Verstehen der Angelegenheit erst in achtundvierzig Stunden zu erwarten war – das ekstatisch-aufgeblätterte Gustavs, der den »Los!«-Schrei aller großen Männer, die je auf Abenteuer ausgezogen waren, mühsam hinter einem Vorhang von Sommersprossen gefangenhielt.
Mit einem Rucken des Kopfes befreite sich Wolfgang Helius von der unfruchtbaren Agonie dieser drei Fragezeichen und lief, ein letztes Torkeln zornig überwindend, die Treppe zu seiner Wohnung hinauf.
An der schon offenen Tür empfing ihn seine Wirtschafterin, auf dem guten Muhmengesicht einen Ausdruck von Erschöpfung.
»Er hat sich durch nichts abweisen lassen«, berichtete sie halblaut und ohne jede Vorrede. »Er hat einen Brief von Herrn Windegger und behauptet, ihn persönlich abliefern zu müssen …«
Vom Rande eines Stuhles, auf dem er mehr gehangen als gesessen hatte, erhob sich ein Mann. So groß die augenblickliche Verstörtheit von Wolfgang Helius auch war, die mitleiderregende Jämmerlichkeit dieses Mannes war, zum mindesten für Sekunden, stärker. Da stand ein Mensch, der sich zu mühen schien, seinen notdürren Körper zwischen Schultern und Armen noch schmaler zusammenzupressen, weil er sich selbst für die normale Verdrängung der Luft nicht berechtigt hielt. Er lächelte das armseligste Lächeln aus Erden: das Lächeln des ungeschickten Bettlers und die Gebärde, mit der er Helius den Brief Windeggers hinhielt, war jetzt schon von Reue gelähmt.
»Wenn Sie nur gütigst diesen Brief lesen wollten, Herr Helius« sagte eine zerdrückte und heisere Stimme.
Das Unterbewußtsein Helius', nie gewissenhafter registrierend als bei Überlastung der normalen Hirntätigkeit, notierte in sein Geheimbuch: Der Mann kommt mir bekannt vor, aber ich kenne ihn nicht. Er spricht mit Bruchteilen eines fremden Akzents. Ist er darum so sparsam mit Worten?
»Was wollen Sie?« fragte Helius, den Brief an sich nehmend. Er zeigte die unverkennbaren Schriftzüge Windeggers, diese wie mit in Tusche getauchtem Pinsel geschriebenen, bildstarken Zeichen.
»Arbeit«, sagte die hilflose Stimme des Mannes. Aber seine Augen hingen an dem Briefe Windeggers, als wünsche er sehnlichst, daß dieser die ausführlichere Antwort für ihn übernehmen möchte.
Helius, schon auf dem Wege zum Telephon im nächsten Zimmer, riß den Brief auf. Er warf den offenen Bogen auf den Tisch und ließ die Nummernscheibe tanzen. Seine Augen lagen auf den Worten des Freundes, aber zwischen ihnen und seinem Gehirn entstand kein Kontakt.
Lieber Freund, nimm Dich des armen Teufels an. … Warum meldet sich die Kriminalpolizei nicht? … er verdient es … Was für eine sonderbare Totheit in der Leitung … Stelle ihn, wohin immer du willst … Das ist ja zum Verrücktwerden! … (Die Nummernscheibe tanzte) … Aber gib ihm eine Möglichkeit zum … Meldet sich denn überhaupt kein Mensch mehr? … Gib ihm eine Möglichkeit zum Leben … Der Apparat kann nicht in Ordnung sein … Ich bin sicher, daß er Dich nicht enttäuschen wird … Natürlich ist der Apparat nicht in Ordnung … Herzlichst Hans … System – wie alles, was seit zwei Stunden mit mir geschieht … Lieber Wolf, nimm Dich des armen Teufels an … Hat einer die Absicht, mich ins Tollhaus zu bringen? …
Vom Tisch her – aus der grinsenden Nummernscheibe – aus der Luft – von den Wänden des Zimmers drang ein atmender, in sich bewegter grauer Nebel gegen ihn vor. Er spürte das Vibrieren seiner Hand- und Fußgelenke … Nachwirkungen des Betäubtwerdens, selbstverständlich. Kaltes Wasser über den Schädel würde ausgezeichnete Dienste leisten … Aber zuvor –
Er warf den Hörer auf die Gabel und lief in den Vorraum zurück. Frau Hippolt, begabt mit dem somnambulen Genie aller Helfernaturen, ungerufen im rechten Augenblick an der rechten Stelle zu sein, kam ihm entgegen.
»Wann haben Sie heute abend zum letzten Male telephoniert?« fragte Helius. Seine Stimme klang fremd, hoch und gaumig.
»Vor ungefähr zehn Minuten, Herr Helius.«
»Und der Apparat war in Ordnung?«
»Vollkommen in Ordnung.«
»Wer ist seitdem in meinem Zimmer gewesen?«
»Niemand, Herr Helius«, sagte die Frau bestürzt.
»So … Dann machen Sie mir ein kaltes Bad zurecht, Frau Hippolt. Und Eis hinein, soviel Sie übrig haben!«
Aus dem Stuhl neben der Eingangstür erhob sich die Jammerfigur des Bittstellers, eine Schrecknis in den Augen, die deutlich seine Überzeugung ausdrückte, daß er seine Sache zu keiner ungünstigeren Stunde hätte vorbringen können.
Als Helius die Tür zur Treppe öffnen wollte, kam ihm die Hand des Fremden demütig zuvor. Die arme Stimme meinte: »Ich komme wohl besser ein andermal …«
Ein paar Atemzüge lang sah Helius dem Manne ins Gesicht, das sich bis zur Körperlosigkeit in den Schatten verkroch. Sein Unterbewußtsein notierte: Die Augen kenne ich … Seine Güte sagte: »Warten Sie, bitte. In zehn Minuten können wir miteinander sprechen.«
Mit einem Seufzer der Dankbarkeit tauchte der Mann in seinen Stuhl zurück. Helius brüllte die Treppe hinunter nach Grotjan. Der kam die Stufen heraufgetobt, als habe er gierig auf diesen Ruf gewartet.
»Fahr wie der Teufel zur Kriminalpolizei! Halte dich nicht mit langen Berichten auf. Nimm die Beamten mit und bringe sie her!«
Grotjan tobte die Stufen wieder hinunter.
Er kam gerade zur rechten Zeit aus dem Haus aus die Straße, um zu sehen, wie sich sein Auto, von unsichtbarer Hand gesteuert, sanft und eilig in Bewegung setzte und wie Gustav, der, Wache haltend, auf dem Trittbrett gekauert hatte, mit dem kleinen Südpol seines Rückens und einem verdutzten »Au –!« auf dem Fahrdamm landete.
Fast jeder Mensch hat in sich Gefahrzonen der Liebe, die man nicht berühren darf, ohne Explosionen heraufzubeschwören. Grotjan besaß deren zwei: seinen Herrn und seinen Wagen. In diesem Augenblick, das fühlte er instinktiv, waren beide überfallen worden. Die Wirkung aus Grotjan war dementsprechend. Ein Gebrüll von atavistischer Entsetzlichkeit ausstoßend rannte er hinter seinem schon um die nächste Ecke biegenden Wagen drein, augenblicks gefolgt von einem begeisterten Gustav.
Die Querstraße, in die der unsichtbare Lenker eingebogen war, lag wie von Menschen chemisch gesäubert in ziemlich flauer Beleuchtung da. Daß weit und breit kein Polizist zu sehen war, bedarf nicht der Erwähnung. Aber auch ein überraschenderweise vorhandener wäre von Grotjan wahrscheinlich nicht zu Hilfe gerufen worden.
Denn der Wagen spielte mit seinen Verfolgern.
Er tat es aus die bezauberndste Weise, mit Humor und Koketterie. Wer ihn beobachtete, mußte sich wundern, daß er sich nicht zuweilen umschaute und kicherte, der Wagen. Er schien es durchaus nicht darauf anzulegen, dem tobsüchtigen Grotjan und dem beseligten Gustav zu entkommen, sondern ausschließlich darauf, diese beiden lächerlichen und vermessenen Zweibeiner immer weiter hinter sich dreinzulocken, und er nahm dabei in wahrhaft sportlicher Fairneß Rücksicht auf den undiskutablen Bruchteil von Pferdestärken, den seine Verfolger gegen ihn in die Waagschale zu werfen hatten.
Nie vergrößerte er den Abstand zwischen sich und ihnen so weit, daß sie die Hoffnung, ihn doch noch einzuholen, hätten aufgeben müssen. Zuweilen ließ er sie so nahe an sich heran, daß es fast wie eine Aufforderung, einzusteigen, wirkte. Zuweilen, wenn sein vergastes Temperament mit ihm durchging, flitzte er dreihundert Meter nach vorn – aber nur, um mit einer Kurveneleganz, die das Herz von Grotjan mit Galle und Stolz erfüllte, gewissermaßen lächelnd, zurückzukehren und das Spiel von neuem zu beginnen.
Kurz, es war das großartigste und variantenreichste Training für Langstreckenläufer, das man sich denken kann – äußerst belehrend auch dadurch, daß es durch Straßen und Gegenden führte, in die Grotjan sowohl wie Gustav sonst zeit ihres Lebens nicht gekommen wären. Wobei der Weg so geistvoll angelegt war, daß Grotjan im Augenblick, da er dachte: Jetzt gebe ich auf! – entdeckte, der Schrittmacher Wagen und seine Läufer seien höchstens fünf, sechs Minuten vom Startplatz des Rennens entfernt.
Es war auf die Sekunde der Augenblick, da Wolfgang Helius, noch ganz durcheist vom Eisbad, wach wie nie, aus dem Badezimmer in den Vorraum seiner Wohnung trat und den Vorraum leer fand.
Mit dem rauhen Handtuch den noch feuchten Schädel reibend, betrachtete Helius den Stuhl, auf dem der Mann gesessen hatte – einen großen Stuhl mit dem schläfrigen Ausdruck der meisten großen Stühle. Dann rief er nach Frau Hippolt, die mit bemehlten Händen kam.
»Hat der Mann irgend etwas hinterlassen, als er wegging?« fragte Helins. Er hätte nicht zu sagen vermocht, warum er es vermied, bei dieser Frage der Frau ins Gesicht zu sehen. Erst als sie keine Antwort gab, sah er sie an. Und trotzdem er noch die feinen Nadelstiche des Eisbades in allen Poren fühlte, schoß ihm das Blut plötzlich mit so gewaltsamer Glut in die Augen, daß er sekundenlang in einem scharlachfarbenen Nebel zu stehen glaubte.
»Nun?« sagte er leise.
»Herr Helius,« antwortete die Frau mit einem fast abergläubischen Schrecken in der Stimme, »der Mann konnte gar nicht weggehen …«
»Warum nicht?«
»Weil ich die Tür verschlossen und den Schlüssel hier in der Tasche habe …«
Und sie holte das Beweisobjekt, es leicht einmehlend, aus seinem Schürzenversteck.
»Nun,« sagte Helius mit etwas belegter Stimme, »da der Mann auf normale Weise die Wohnung nicht verlassen konnte, so ist er entweder noch hier oder er gehört zu den Menschen, für die eine abgeschlossene Tür kein Hindernis bedeutet. Ich für mein Teil möchte auf das letztere wetten.«
Diese Wette hätte Wolfgang Helius gewonnen.
Die erste, etwas flüchtige Durchsicht der Räume führte einwandfrei zu der Überzeugung, daß der interessante Bettler – falls er nicht die Gabe des Unsichtbarwerdens besaß – die Wohnung verlassen hatte. Die zweite, gründlichere, förderte die Entdeckung zutage, daß zwar kein Teppich fehlte und auch das Silber vollständig im Kasten lag. Aber das als Ding an sich ungleich wertvollere, bis in die letzten Einzelheiten durchgearbeitete Modell des Weltraumschiffes in seiner neuesten und – vorläufig – endgültigen Form war ebenso von seinem Platz verschwunden wie aus dem eingemauerten Safe das statistische Material und die Berechnungstabellen Windeggers, die Werkpläne und das Werktagebuch von Helius und die Geheimnotizen seiner Metall-Legierungen und Verbesserungen des flüssigen Motors.
Im übrigen war der Safe vollkommen unverletzt. Der Mann, der ihn ausraubte, hatte den Beweis erbracht, daß sein Mangel an Respekt vor Schlössern sich keineswegs auf Wohnungstüren beschränkte. Er hatte mustergültige Arbeit geleistet.
Wolfgang Helius bot den Anblick eines Ertrinkenden, der zum letzten Male aus der Oberfläche des Wassers auftaucht, bevor er, unfähig selbst zu einem Schrei, steinschwer und lautlos in den Tod versinkt. Frau Hippolt begann zu weinen. Sie preßte den Schürzenzipfel vor den Mund und ließ ihre überströmenden Augen auf dem Manne ruhen, den ihre Mütterlichkeit gern in die Arme genommen hätte. Denn nie wird es den Frauen auszureden sein, daß für einen Mann selbst der Weltuntergang überwindbar würde, wenn er sich nur entschlösse, im Augenblick der Katastrophe seinen Kopf an das Herz einer Frau zu drücken.
Wenn Helius diese Theorie kannte, so war er weit davon entfernt, sie praktisch zu verwerten. Er wäre durch die Frau hindurchgerannt, wenn sie in seinem Weg geblieben wäre. Kalter Schweiß stand ihm wie eine Schicht auf der Stirn, als er die jetzt nur eingeklinkte Wohnungstür aufriß und die Treppe zum nächsten Stock hinunterstürzte, um von dort aus Windegger anzurufen.
Man erteilte ihm die Erlaubnis dazu mit jener begütigenden Bereitwilligkeit, die dem Laien bei der Behandlung eines Verrückten als das sicherste Vorbeugungsmittel gegen einen Ausbruch seines Rappels erscheint. Man ließ ihn zuvorkommend allein, und während er die antwortende Stimme Windeggers erwartete, lagen seine Augen völlig verständnislos auf dem bauernlistigen Lächeln einer Mona Lisa an der Wand ihm gegenüber.
Windegger meldete sich nicht, obwohl das Rufzeichen rief und rief. ›Er ist nicht zu Hause,‹ dachte Helius, ›natürlich nicht. Er wird bei Friede sein. Nichts ist natürlicher, als daß er am Verlobungstag bei Friede ist.‹ Jetzt entsann er sich, daß sie ihn eingeladen hatten, an der kleinen Feier im Heim von Friede teilzunehmen. Er hatte nein gesagt … Mona Lisa grinste, die faulen Hände über dem Magen …
Sekunden des Zögerns türmten sich kubisch im Raum und drohten unübersteigbar zu werden. Mit einem Nackensenken, das ihm nicht zum Bewußtsein kam, rief Wolfgang Helius Friede Velten an.
Gleich kam ihre Stimme zu seinem Ohr:
»Ja?«
Nie gab sie andere Antwort am Telephon als dieses hellklingende, gleichsam erwartungsvolle »Ja?«, und immer blieben ihre Lippen dann ein wenig geöffnet, und ihre Augen waren hoch im Raum, als suchten sie das Bild des Anrufenden aus der beschwingten Luft zu haschen.
»Friede – hier ist Helius«, sagte der Mann und machte eine Pause, um die versagende Pneumatik seiner Stimme neu mit Luft aufzupumpen.
Da sprach sie schon, und ihre Worte schimmerten vor Freude:
»Oh, Helius – wollen Sie mir sagen, daß Sie nun doch kommen?«
»Nein, Friede … Seien Sie mir nicht böse … Kann ich Windegger sprechen?«
Friede antwortete nicht. Sie gab wohl den Hörer an einen, der dicht neben ihr stand, denn die Stimme Windeggers kam wie aus dem Atem des Mädchens:
»Guten Abend, Wolf –«
»Guten Abend … Hans, woher kennst du den Mann, den du zu mir geschickt hast?«
»Den ich was –?«
»Den du zu mir geschickt hast!«
Die Antwort klang wie das Wortwerden eines Achselzuckens:
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Wolf … Ich soll einen Mann zu dir geschickt haben?«
»Mit einem eigenhändigen Empfehlungsschreiben von dir!«
Pause.
Helius meinte zu spüren, wie verwundert der Mann das Mädchen ansah und wie fragend sie seinen Blick zurückgab.
»Nun –?« sagte er heiser.
Jetzt übermittelte die Stimme von drüben ein deutliches Kopfschütteln:
»Ich bitte dich, Helius, werde nicht ungeduldig – aber ich verstehe kein Wort von der ganzen Sache! Ich habe keinem Menschen ein Empfehlungsschreiben gegeben und habe auch keinen Menschen zu dir geschickt! Um was handelt es sich denn eigentlich?«
Helius holte Atem. Er sagte fast leise:
»Komm her, Hans … Komm zu mir!«
»Ja – aber was ist denn nur?! … Du sprichst so – außer dir … Kannst du es nicht am Apparat sagen?!«
»Nein, Hans … Du kannst dir denken, daß ich dich gerade heute nicht herrufen würde, wenn es nicht unumgänglich notwendig wäre … Bitte, komm zu mir!«
Jenseits herüber klang die Stimme des Mädchens:
»Wir kommen sofort –!«
Und dann war Leere und Stille.
Langsam ging Wolfgang Helius die Treppe hinauf.
›Wir kommen sofort –!‹ dachte er und versuchte zu lächeln. ›Sie und er – schon ein »Wir« – schon eine Einheit. Schon Selbstverständlichkeit des Zusammen-Kommens. Aber doch Kommen, und ich werde sie sehen.‹
»Guten Abend, Herr Helius«, sagte jemand respektvoll.
Wolfgang Helius sah auf, Alarm in den Augen.
Vor seiner Tür stand ein Mann – sehr groß, sehr schmal, mit einem Olivengesicht und geölten Haaren, die sichtbar wurden, als er, sich verbeugend, einen Hut von mexikanischen Dimensionen vor Helius zog. Der Gruß blieb unerwidert.
Helius war stehengeblieben und vergaß zu atmen. Er hatte den Menschen augenblicklich erkannt.
»Ganz richtig«, sagte der andere, höflich lächelnd. »Ich bin der Mann, den Sie liebenswürdigerweise vor dem Genickbruch bewahrten, als Professor Manfeldt etwas zu melodramatisch von seinem Hausrecht Gebrauch machte. Vielen Dank! Ich habe mich ihm gegenüber Walt Turner genannt, und dabei wollen wir vorläufig bleiben, wenn es Ihnen recht ist. – Kann ich Sie eine halbe Stunde sprechen, Herr Helius?«
Und als dieser, noch nicht ganz Herr seiner selbst, sekundenlang zögerte, fuhr der Mann, der sich Walt Turner nannte, fort:
»Fräulein Velten und Herr Windegger werden nicht vor fünfundvierzig Minuten hier sein. Der einzige Wagen, den sie in ihrer Gegend auftreiben können, hat einen sehr genau instruierten Chauffeur.«
»Bitte, treten Sie ein«, sagte Wolfgang Helius. Er war ganz ruhig geworden. Im Augenblick, als der Name des Mädchens gefallen war, hatten all seine Nerven vollzählig Posten bezogen, und auch ein weniger kluger Mensch als Herr Turner hätte den Unterton seiner Worte nicht überhören können.
»Ich bitte sehr um Verzeihung«, kam die umgehende Antwort. »Die Dame wird in Zukunft nicht mehr erwähnt werden, Ich wollte nur die Lückenlosigkeit meines Wissens um alle Dinge, die Sie betreffen, zeigen …«
»Ich habe nicht einen Augenblick daran gezweifelt, Herr Turner. Vermutlich kennen Sie auch schon mein Arbeitszimmer … Bitte, nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen einen Whisky anbieten?«
»Vielen Dank, nein. Ich bin bootlegger, aber ich trinke nie Alkohol.«
»Eine Zigarette?«
»Nein, danke. Ich rauche nie.«
»Also sind Sie vermutlich auch Tabakschmuggler, Herr Turner?«
»Gewiß – in Gegenden, wo es sich lohnt.«
»Natürlich! Aber zum Platznehmen kann ich Sie doch hoffentlich überreden …«
»Danke, sehr gern. Ich habe nur vorher noch eine kleine Bitte, Herr Helius …«
»Die wäre?«
»Rufen Sie Grotjan, Ihrem Chauffeur, aus dem Fenster zu, es sei nicht mehr nötig, die Polizei zu verständigen …«
»Die Polizei ist bereits verständigt, Herr Turner«, sagte Wolfgang Helius.
Walt Turner schüttelte lächelnd den Kopf mit dem spiegelnden Haar.
»Nein, nein! Dazu hat Grotjan noch keine Zeit gefunden. Machen Sie ihm bitte keine Vorwürfe, Herr Helius! Was hätten Sie an seiner Stelle getan, wenn Sie auf die Straße hinuntergekommen wären und gesehen hätten, daß Ihr Wagen, seinen kleinen Wächter abschüttelnd, wie vom unsichtbaren Teufel gelenkt, auf und davon um die nächste Ecke biegt? Sie wären ihm nachgelaufen, nicht wahr? Nun, Grotjan hat nichts anderes getan und die erstaunliche Leistung vollbracht, während einer mehr oder minder schnellen Fahrt von fast vier Meilen den Wagen nicht aus den Augen zu verlieren – bis auf die letzten dreihundert Meter, natürlich; denn der angebliche Dieb, der das Auto soeben wohlbehalten wieder vor Ihrer Haustür abgestellt hat, brauchte ja ein paar Sekunden, um sich ungesehen aus dem Staube machen zu können …«
Wolfgang Helius rührte sich nicht. Er sah Walt Turner ins Gesicht. Dieses Gesicht erinnerte jetzt nicht im geringsten mehr an überreife Oliven, sondern an dünnes, grünliches Eis, unter dem sehr tiefes, sehr trübes, sehr giftiges Sumpfwasser lauert. Ganz nebelhaft braute in Helius die Vorstellung, daß es eine wunderbare Sache sein müsse, solch dünnes, grünliches Eis mit dem Stiefelabsatz zu zerhacken.
Walt Turner wiegte den Kopf.
»Wenn sich die Polizei hineinmischt,« sagte er bedenklich – und es klang wie ein Selbstgespräch –, »wird das für viele interessante und wertvolle Dinge eine ernstliche Gefährdung bedeuten …«
Mit trockener Kehle schluckend, ging Helius zum Fenster, öffnete es und beugte sich hinaus.
Vor der Haustür stand sein Wagen mit weithin strahlenden Lampen, und um ihn herum torkelte Grotjan, halb verrückt vor Überanstrengung, dennoch unentwegt Kreis um Kreis ziehend – einen gänzlich unerschöpften, eifervollen Gustav im Kielwasser seiner suchenden Wut.
Als Helius ihn anrief, hob Grotjan das kupferfarbene Gesicht, das aussah, als würde es über Nacht Grünspan ansetzen, wenn man es nicht sorglich trocknete. Er war so ausgepumpt, daß er im plötzlichen Hochschauen gegen den Wagen anflog, und das schwemmte den Wortschwall, der ihm schon aus dem Munde wollte, wieder in seine brodelnde Seele zurück. Helius sah es und machte es sich zunutze.
»Es ist nicht mehr nötig, die Polizei zu verständigen«, sagte er, nur eben laut genug, um unten gehört zu werden. »Fahre den Wagen in die Garage, und dann komm herauf, um hier das Telephon in Ordnung zu bringen!«
Er wartete die Antwort von Grotjan nicht ab, sondern wandte sich ins Zimmer zurück, wo ihn ein leichtes Räuspern Walt Turners empfing.
»Ihr Telephon ist vollkommen in Ordnung«, sagte der Spalt im Grüneis. »Bitte, überzeugen Sie sich selbst. Die kurze Stromunterbrechung war nur eine kleine Vorsichtsmaßregel von meiner Seite – sehr notwendig, wie Sie zugeben werden. Aber schon das Gespräch mit Herrn Windegger hätten Sie wieder von hier aus führen können …«
»Herr Turner, von den fünfundvierzig Minuten sind bereits sieben verstrichen –«
»Ja. Jetzt eben verliert das Auto, in dem sich auch Herr Windegger befindet, ein Hinterrad. Sorgen Sie sich nicht – es ist die Spezialität dieses Führers, Hinterräder zu verlieren. Den Insassen des Wagens geschieht nicht das geringste, und in einer knappen Viertelstunde ist der Schaden behoben …«
»Es scheint Ihre Spezialität zu sein, kleine Abenteuer mit Autos zu inszenieren, Herr Turner –«
»Eine, Herr Helius – eine von vielen. Ich beschränke mich ungern –«
»– also verdanke ich auch Ihnen die allerliebste Sache mit dem Veilchenstrauß?«
»Gewiß; der Trick ist übrigens nicht neu.«
»Mir war er neu, Herr Turner. Aber ich bin ja auch kein Spezialist in Gaunertricks. Wollen Sie mir sagen, wo sich die Mappe mit dem Manuskript befindet?«
»In demselben diebessicheren Stahlschrank, Herr Helius, in den der Inhalt Ihres leider nicht ganz diebessicheren Safes übergesiedelt ist. Der Strom, der ihn beschützt, hat eine um fünfhundert Volt höhere Spannung als der beste elektrische Stuhl der Vereinigten Staaten.«
»Das beruhigt mich, Herr Turner. Sie scheinen in dem famosen Bittsteller, der mir die Mängel meines Safes bewiesen hat, einen hervorragenden Mitarbeiter zu besitzen.«
»Den besten, den ich habe, Herr Helius – ich war es selbst.«
Wolf Helius starrte ihn an. Die Stimme des Unterbewußtseins sagte leise, in etwas bekümmertem Triumph: Siehst du –! Unwillkürlich mußte er lächeln.
»Meisterhaft, Herr Turner. Jetzt begreife ich fast das Phänomen, daß Sie nicht schon längst im Zuchthaus sitzen.«
»Nicht wahr? Ja – die Polizei sucht mich seit dreiundzwanzig Jahren mit stets wechselnden Methoden und immer gleichbleibendem Mißerfolg. Der Geistliche von Sing-Sing, in dessen Gegenwart ich als zwölfjähriger Junge von meinem Vater Abschied nahm, bevor man ihn zur Hinrichtung schleppte, war der letzte Mensch, der mein wirkliches Gesicht gesehen hat. In Chikago gibt es einen gewissen Klub, in dem eine besondere Art von Buchmachern bei einer neuen Jagd der Polizei auf mich hohe Wetten entgegennimmt. Früher, zu Beginn meiner Laufbahn, machten sie ausgezeichnete Geschäfte. Aber in letzter Zeit will niemand mehr die Wetten halten. Die Polizei hat keine Chancen gegen mich. Lassen wir sie aus dem Spiel, Herr Helius! Wir haben noch genau zwanzig Minuten zum Verhandeln – kommen wir zur Sache!«
»Herr Turner, ich weigere mich, mit Ihnen über irgend etwas zu verhandeln, solange nicht sämtliche mir entwendeten Objekte – Modell und Manuskripte – sich unversehrt wieder in meinen Händen befinden.«
»Ihre Originale oder unsere Kopien?« fragte Herr Turner sanft.
»Beides, Herr Turner«, sagte Helius mit erstickender Stimme.
»Wie wollen Sie mich dazu zwingen?« fuhr die Sanftheit Turners fort.
Helius schwieg. Unter der Gewaltsamkeit dieses Schweigens liefen die Adern seiner Stirn zu Stricken auf.
»Lassen Sie sich in keine Art von Kampf mit mir ein, Herr Helius«, sagte Walt Turner halblaut. »Ich kämpfe im Catch-as-catch-can-Stil und feure unbedingt als erster. Sie können nichts Vernünftigeres tun, als sich hinzusetzen und mich anzuhören.«
Helius setzte sich. Er legte die Arme auf die Knie und starrte mit weißem Gesicht auf die weißen Knöchel seiner Fäuste.
»Ich komme«, fing Walt Turner in so leichtem Ton des Plauderns an, als sei dies der Beginn ihrer Unterredung, »im Auftrag und als Bevollmächtigter einer Gruppe von Finanzleuten, die bis auf weiteres ungenannt zu bleiben wünschen. Diese Gruppe von Leuten, in denen sich eine für europäische Begriffe geradezu brutale Summe von Kapital mit der allen großen Kaufleuten eigenen merkantilen Phantasie vereinigt, hat Ihre Bemühungen um den Vorstoß ins Weltall mit lebhaftester Bewunderung und, von einem bestimmten Zeitpunkt an, mit einem zum Wunsche persönlicher Anteilnahme sich steigernden Interesse verfolgt. Ich brauche Ihnen, Herr Helius, die einzelnen Stationen des Kalvarienberges, den die Pioniere der Weltraumschiffahrt ersteigen mußten, nicht ins Gedächtnis zurückzurufen. Von allen Gefährten, die mit Ihnen den Weg begannen, ist Ihnen eigentlich niemand treu geblieben als der leidenschaftliche Hohn der Laien und der eisige Haß der Wissenschaft …«
Er machte eine Pause und sah sein Gegenüber an, als wollte er ihm Gelegenheit zu einer Bemerkung geben. Aber Helius schien entschlossen, ihn ganz zu Ende kommen zu lassen.
»Wir – ich möchte mit diesem kurzen Wort meine Auftraggeber und mich bezeichnen – haben Sie vom Augenblick Ihres siegreichen Eindringens in die stratosphärischen Regionen an nicht eine Stunde mehr aus den Augen gelassen. Sie haben ein sehr gewissenhaftes Tagebuch geführt, Herr Helius – doch nicht so gewissenhaft, wie wir Ihre Versuche, Leistungen und Mißerfolge mit allen Kurven schöpferischen Fiebers verzeichnet haben. Wir kennen jede kleinste Phase des gigantischen Kampfes, den Sie um die Fortführung Ihrer Versuche auszufechten hatten, nachdem der eine Ihrer Piloten von der explodierenden Weltraumrakete in Atome zersetzt worden war und ein anderer nach Erreichung einer Höhe von annähernd dreitausend Kilometer und glücklich erfolgter Landung auf dem Baikalsee hoffnungslos wahnsinnig, das schluchzende Wrack eines Menschen, aus der Führerkabine gehoben wurde …«
Wieder machte Walt Turner eine Pause, und diesmal war es, als schweige er aus Respekt vor dem kleinen roten Blutstropfen, der von der zerbissenen Unterlippe seines Gegenübers das Kinn entlangsickerte und auf die weißverkrampften Fäuste fiel.
»Damals hätte man Sie fast gekreuzigt, Herr Helius. Glücklicherweise haben Sie wunderbare Nerven und in Herrn Windegger einen wunderbaren Freund. Bereits zwei Monate nach der Tragödie am Baikalsee konnten wir mit freudiger Genugtuung das ausgezeichnete Resultat eines neuen Versuches – diesmal mit flüssigem Motor und mit Windegger und mit Ihnen als Piloten des bereits enorm vergrößerten Weltraumschiffes – verbuchen. Die Meinung der Welt begann sich zu spalten. Das Hosianna der zahlenmäßig schwächeren, aber jüngeren und darum kräftigeren Stimmen setzte sich bemerkenswert durch gegen das Kreuzige der leicht verkalkten Mehrheit. Nur die Wissenschaft blieb sich einig in Ablehnung. Aber es ist das Vorrecht der Wissenschaft, phantasielos zu sein – und daß zuweilen auch ein Genie sich als Idiot erweisen kann, hat der große Bonaparte im Falle Fulton gezeigt. Die Wissenschaft hat bewiesen, daß ein Schiff aus Eisen nicht schwimmen kann – daß Menschen, die mit der Eisenbahn fahren, bereits bei dreißig Kilometer Geschwindigkeit notwendig verrückt werden müßten, ganz abgesehen von den Schäden, die Mensch und Tier davontragen würden, wenn sie den Zug vorüberrasen sehen; die Wissenschaft hat bewiesen, daß der Eiffelturmbau eine technische Unmöglichkeit sei und die Einführung von Glühlampen ein aussichtsloser Nonsens; die Wissenschaft hat bewiesen, daß ein Vordringen über die Atmosphäre des Erdballs hinaus eine technische Unmöglichkeit sei. Sie, Herr Helius, haben den Gegenbeweis erbracht. Wohin die ersten vier Ihrer Versuchsgeschosse zerstoben sind, das weiß kein Mensch, aber daß das fünfte den Weg zum Monde gefunden hat, unterliegt selbst für die Wissenschaft keinem Zweifel. Alle großen Observatorien der Welt haben, je nach der wandernden Nacht der Erdumdrehung, Strecken der 300 000-Kilometer-Flugbahn des Geschosses beobachtet, und wenn auch die Photographie von der Leuchtexplosion seines Auftreffens, die vom Mount Wilson aus gemacht wurde, nicht sehr deutlich ist, so hat man doch für das auf der Platte verzeichnete Phänomen der Lichterscheinung im Krater Triesnecker bisher keine andere, irgendwie stichhaltige Erklärung gefunden, als daß sie eben erstmalig und außerhalb der Geschoßtheorie vollkommen unerklärlich ist. Es darf Sie also nicht wundernehmen, Herr Helius, wenn Menschen, die mit etwas, das ich futurale Phantasie nennen möchte, begabt sind, sich auch anderen Dingen, die die Wissenschaft entschieden ablehnt, mit besonderem Interesse zuwenden … zum Beispiel der originellen Theorie Professor Manfeldts von dem Goldreichtum der Mondgebirge …«
»Aha!« sagte Wolfgang Helius. Es kam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es bildete für die Rede Walt Turners zwar keinen endgültigen Punkt, aber es billigte ihr nur noch ein ziemlich gelähmtes Finish zu.
»Überzeugt davon, daß Ihre Freundschaft mit dem Vater dieser Theorie bei dem explosiven Temperament Professor Manfeldts undenkbar wäre, wenn sie sich nicht auf gleichen Glauben gründete, haben wir beschlossen, uns nunmehr direkt mit Ihnen in Verbindung zu setzen, um in Gemeinschaft mit Ihnen an der Erforschung und Erschließung des Mondes praktisch mitzuarbeiten.«
»– a conto der Manfeldtschen Theorie vom Goldreichtum der Mondgebirge?« unterbrach ihn Helius, ohne den Kopf zu heben, mit einer Stimme, die vor Ironie fast zärtlich klang.
Nach einem Zögern von Sekunden Dauer sagte Herr Turner:
»Allerdings …«
»Aha!« machte Wolfgang Helius zum zweiten Male. »Und wie denken Sie und Ihre Auftraggeber sich diese praktische Mitarbeit an der Erforschung und Erschließung des Mondes?«
»Zunächst in dem käuflichen Erwerb Ihres Weltraumschiffes – wobei es Ihnen natürlich freistehen würde, in den Preis alle Kosten früherer fehlgeschlagener Versuche einzukalkulieren –«
»Und weiter?«
»In der Teilnahme einer bestimmten Persönlichkeit an Ihrer Expedition nach dem Monde.«
»Diese Persönlichkeit würden Sie sein?«
»Wahrscheinlich.«
»Herr Turner,« sagte Wolf Helius ruhig und stand auf, »es hat Sie heute schon einmal jemand die Treppe hinuntergeworfen, als Sie ihm die Idee seines Lebens abkaufen wollten. Wenn Sie nicht augenblicklich machen, daß Sie weiterkommen, riskiere ich – trotz Ihrer freundlichen Warnung – den Ringkampf mit Ihnen, Herr Turner, und wenn Sie diesmal die Treppe hinunterfliegen, stehe ich nicht unten, um Sie aufzufangen. – Sagen Sie Ihren Auftraggebern, ich hegte nicht die Absicht, auf dem Monde eine Verbrecherkolonie zu gründen. Und was den Ankauf meines Weltraumschiffes betrifft, so bin ich glücklicherweise in der Lage, Ihr großmütiges Angebot ablehnen zu können, da ich zur Durchführung meiner Pläne Ihrer finanziellen Unterstützung nicht bedarf.«
Walt Turner machte keinerlei Anstalten, sich zu erheben. Die grüne Eisschicht seines Gesichts schien dicker und undurchlässiger zu werden. Seine Augen hatten die böse Schläfrigkeit eines Alligators.
»Sie irren sich, Herr Helius«, sagte er temperamentlos. »Sie wären nicht in der Lage, Ihr Weltraumschiff zum zweiten Male zu bauen.«
»Dazu liegt ja vorläufig auch keine Notwendigkeit vor …«
»Vielleicht doch. Denn wenn wir uns nicht einigen, Herr Helius, wird leider einige Minuten nach meinem Weggehen von Ihnen auf der Werft, wo tagsüber Ihr Freund Windegger an der Vollendung des neuen Weltraumschiffes arbeitet, eine so heftige Katastrophe eintreten, daß von der Werft und ihrem Inhalt nichts übrigbleiben dürfte als ein Loch in der Erde mit einem Trümmergürtel.«
»Was heißt das?« fragte Wolf Helius, und jetzt erinnerten seine Augen an die Augen des Tieres, dessen Namen er trug.
»Das heißt,« antwortete Walt Turner, sich dürr und groß erhebend, »daß Sie nur noch die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten haben, Herr Helius: die Expedition zum Monde in unseren Diensten zu machen – oder überhaupt nicht, denn Sie stehen einer Gruppe von Leuten gegenüber, die fest entschlossen sind, Ihr Weltraumschiff und Ihre gesamten Pläne lieber zu vernichten, als sich von Ihnen ausschließen zu lassen. Die Gründlichkeit, mit der wir unsere Vorbereitungen getroffen haben, und die Exaktheit, mit der auf unserer Seite gearbeitet wird – wovon Sie sich heute abend hinreichend überzeugen konnten –, müßten eigentlich genügen, um Ihnen das Vollgewicht meiner Worte klarzumachen. Treffen Sie Ihre Entscheidung rasch und klug!«
Ein paar Atemzüge lang glich Wolfgang Helius einem grauen und verzerrten Stein mit irisierenden Augen. Dann ging ein gewaltsamer Ruck durch diesen Stein, als wollte er sich mit der Gewalt und Schnelligkeit des Blitzes auf seinen Gegner stürzen. Aber für Walt Turner war er nicht schnell genug. In Walt Turners Hand zuckte die kleine, bös funkelnde Waffe hoch und glotzte einäugig in das Gesicht von Helius.
»Nicht doch –!« sagte Walt Turner mit dem sanften Verweis seines Kopfschüttelns.
In einer gewaltsamen Umdrehung um sich selbst kehrte Wolf Helius sich ab. Er fuhr sich mit beiden Händen nach dem Schädel. Er unterlag der grotesken Vorstellung, daß in seinem Gehirn ununterbrochen in geschwinder Folge Seifenblasen aufstiegen und zerplatzten.
»In einer halben Minute werde ich gegangen sein«, sagte Walt Turner nachdrucklos.
»Geben Sie mir vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, Herr Turner.«
»Ohne weiteres! Es liegt mir daran, Sie davon zu überzeugen, Herr Helius, daß Sie es mit Menschen zu tun haben, die Ihnen – bis auf den einen bestimmten Punkt – in jeder nur denkbaren Form entgegenkommen. Ich werde also morgen abend um dieselbe Zeit wieder bei Ihnen sein, um mir Ihre endgültige Entscheidung zu holen. Ich zweifle nicht daran, daß sie in unserem Sinne ausfallen wird. Zweifeln auch Sie nicht daran, Herr Helius, daß es für Sie selbst wie für Ihr Werk außerordentlich schädlich sein würde, wenn Sie diese vierundzwanzig Stunden zu etwas anderem als nur zum Überlegen benutzen wollten … Gute Nacht!«
Damit hatte Walt Turner das Zimmer so lautlos verlassen, als sei er gasförmig geworden und durch das Schlüsselloch entschlüpft.