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12

Ruhen …

Gelöste Glieder, sanft gelagerter Kopf … Streichelnde Wärme einer Hand. Ein Rufen: »Friede –! Friede –!«

Friede –? War das nicht sie selbst?

War ihr diese Stimme nicht sehr vertraut? Beglückte sie nicht ihr ermattetes Herz durch die angstvolle Sorge, die aus ihr sprach?

Sie fühlte küssende Lippen auf ihren Händen und schob mit einer Mühe sondergleichen die lastenschweren Lider über den Augen zurück.

Luft … schwer zu atmen – doch in Wahrheit Luft … Sie machte das Herz wie einen Vogel am Faden flattern. Sie war so dünn wie auf sehr, sehr hohen Bergen, aber hier war ein rotes Glühen in die Luft gemengt, ein güteloses, böses Glühen, wie es von überhitzten eisernen Kesseln ausgeht oder von flüssigem Glas.

War das die Schuld dieser weißen, unerträglich flammenden Scheibe, die, aus in sich zuckenden Rändern kurze Flammen schießend, unheilvoll riesenhaft am schwefligen Himmel hing?

War das die Sonne – Sonne über dem Monde?

War das Gestein oder Sand des Mondes, auf das sie gebettet lag?

Ihre Hand tastete seitwärts – da stand der Kopf Windeggers plötzlich über ihr, sonderbar groß und dunkel, mit blutgefüllten Augen, in denen die kleinen Adern zu platzen drohten – mit einem dünnen, roten, feuchtklebrigen Gerinnsel von der rechten Schläfe über die Wange zum Kinn. Er lächelte, aber dies Lächeln sah aus wie der Anfang entnervten Weinens.

Erschrocken hob sie die Hand zu seinem Gesicht.

»Blut …?« stammelte sie und wagte es nicht, ihn zu berühren, denn der Ausdruck des Leidens in seinen Augen war so unverhüllt und maßlos, daß sie zutiefst davor erschrak – fast sich entsetzte.

»Das hat nichts zu bedeuten, Mädchen … Daß du nur lebst und heil bist … Bist du auch wirklich heil –?«

»Komm – hilf mir auf …«

Aber er war dazu nicht imstande.

Als er sie in die Arme nahm, spürte sie das Verkrampftsein aller seiner Muskeln. Sie hielt ihn umschlungen; sie fühlte sich mütterlich stark. Sie war so traurig für ihn und sein armes Entnervtsein. Sie dachte: Wie soll das werden? Wie soll das enden? Sie dachte an Helius und an das Weltraumschiff …

»Wo sind die andern?« fragte sie sanft und besonnen, als würfe sie dem in sich selbst versinkenden Manne mit dieser Frage ein Seil zu.

»Beim Schiff …«

»Und was ist mit ihnen und mit dem Schiff? – Komm, Hans, laß dir nicht jedes Wort abkaufen …«

Er wandte den Kopf ab; der gelbe Himmel über ihm trug lange, dünnschweifige ockerfarbene Streifen, die in trüben Purpur ausliefen.

»Ich habe nicht deine Nerven, Friede. Ich beneide dich verzweifelt genug darum … Verliere nicht die Geduld! – Ich habe mir eingebildet, weiß Gott, meinen Mann zu stehen und habe da unten – da oben auf der Erde, die wir jetzt nicht mehr sehen können … die wir vielleicht nie mehr sehen … manche Dinge getan, die ein anderer zu wagen sich dreimal überlegt und dann doch gelassen hätte … Aber … Friede … ich muß wohl, um ich zu sein, die Erde unter den Füßen haben … Sprechen wir nicht von mir … Es ist ja grotesk … Wir sind auf dem Monde gelandet, und ich spreche von mir … Aber irgendwie bin ich noch nicht gelandet, Friede – begreifst du, wie ich das meine? Noch ist nichts wirklich … Dieser getigerte Himmel mit dem aufgestoßenen Feuerloch mitten darin, aus dem die Weißglut rinnt … Diese höllische Wüste, dieses Sprungtuch des Teufels, in das wir gestürzt sind … Vielleicht wird das alles niemals wirklich für mich, und ich werde die Landung auf dem Monde nie anders erleben als in den Schreckträumen kommender Nächte.«

»Du wolltest mir von den andern erzählen, Hans … Was macht der Junge?«

»Der ist wohlauf.«

»Und Manfeldt?«

»Ich weiß nicht. Er war sehr lange bewußtlos – fast so lange wie du. Er ist in einer stillen Verzückung erwacht … Am schlimmsten, fürchte ich, ist Helius dran …«

»... Was ist mit Helius?«

»Das ist nicht aus ihm herauszubekommen. Er wird heftig, wenn man ihn fragt. Wir dachten zuerst, er habe sich beide Hände gebrochen. Aber das ist ihm und uns denn doch erspart geblieben. Er kann die Hände gebrauchen, wenn auch wahrscheinlich mit höllischen Schmerzen …«

»Warum gibst du ihm nicht deine Hände zur Hilfe, Hans? Warum bist du nicht dort, wo er ist?«

»Friede, ich glaubte dich tot …«

»Aber nun weißt du ja, daß ich lebe – du weißt, daß ich heil bin – daß mir nicht das geringste fehlt! Ich verstehe das nicht –!«

»Walt Turner ist bei ihm –«

»Walt Turner! Ebenso gern hätte er, glaube ich, eine Kobra zur Gesellschaft.«

»Er hat mich ja selbst beauftragt, bei dir zu bleiben, bis du dich erholen würdest …«

»Oh –!« das Mädchen sprang auf wie ein junger Leopard. Sie drückte beide Hände gegen die Schläfen und sah den Mann mit verzweifelten Augen an. »Du hast mich gebeten, nicht die Geduld zu verlieren … Geduld war nie meine starke Seite, Hans! Darum sage mir nicht solche Dinge! Oh –! Was ist das?! Was ist das?! Ist es der gelbe Himmel und diese mordsüchtige Sonne, die uns so traurig und böse machen? Auf meiner Zunge sind hundert Brennesselworte … Ich will sie nicht sprechen – ich will sie nicht sprechen, Hans … Wir dürfen uns nicht verlieren … Wir treiben auf gleicher Planke … Wir sollten uns mit Stricken aneinanderbinden und die Arme verschlingen, um ja nicht – ja nicht getrennt zu werden … Warum leidest du so bitterlich – und ich sehe es und kann dir nicht helfen –?«

Sie faltete ihre Hände und drückte sie gegen den Mund. Das ratlose Herz weinte in ihren Augen.

»Es ist wohl der Himmel, und es ist wohl die Sonne, Friede … Kränke dich nicht um mich! Wenn es dir möglich ist, dann wollen wir zu den andern gehen …«

Schweigend gingen sie, über feinen, gespenstischen Sand. Er war so fein, dieser Sand, daß er unter den Füßen der Menschen wegwich wie Schlamm. Er war so gespenstisch, dieser Sand, daß er unter den Füßen der Menschen Stimme und Sprache gewann. Er tönte: Er flüsterte hinter ihnen drein. Er war so schwatzhaft wie Wasser, so heiß wie Lava.

Kaum hundert Meter entfernt von dem mordenden Steinrand der Wüste hatte das Weltraumschiff, mit dem Düsenende voran, sich in den glühenden Sand hineingegraben. Das Mittelteil und die Spitze ragten schräg und irgendwie dumpf erschrocken wirkend daraus hervor. Die Fenster waren unversehrt. Wie es im Innern aussah, ob und in welchem Umfang die Instrumente Schaden gelitten hatten, und in was für einem Zustand sich das im Sand vergrabene Schwanzteil des Weltraumschiffes befand – das festzustellen, schien Wolf Helius mehr zu beschäftigen als der Triumph der Landung an sich, als der Wunsch, sich mit dem erreichten Ziele vertraut zu machen und als die Qual seiner Hände.

Er hatte den metallischen Anzug abgelegt; das Hemd stand ihm offen über der Brust. Bis zu den Knien im Sande eingesunken, grub er und wühlte, von Gustavs fanatischen Fäusten treulich unterstützt, mit verzerrtem, schweißüberronnenem Gesicht, in dem die weißen Zähne verbissen leuchteten, als wollten sie allem, was titanische Arbeit, titanische Überwindung von Schmerz hieß, Verachtung entgegenfletschen.

Da er Friede und Windegger kommen hörte, drehte er sich um. Seine Blicke umfaßten das Mädchen mit einem einzigen langen Greifen. Er hielt seine Hände verborgen. Das Lächeln war nur wie ein Schatten auf seinem erschöpften Gesicht.

»Hallo, Friede!« sagte er heiser, gleichsam mit versandeter Stimme. »Willkommen auf dem Monde, Frau im Mond! Sie haben uns – –«

Seine geröteten, wie verbrannten Augen schienen das Mädchen jetzt erst wirklich zu sehen.

»Gott und Vater!« sagte er. »Was ist mit Ihnen, Friede! Sind Sie ernstlich krank? Ich glaubte Sie unverletzt …«

»Ich bin es auch, Helius … Aber Sie sind es nicht …«

»Oh –! Windegger hat geschwatzt … und wahrscheinlich übertrieben …«

»Hoffentlich, Helius. Bitte, zeigen Sie mir Ihre Hände!«

»Nein, Friede.«

»Warum sagen Sie nein? Sie wissen, daß Ihre Hände nicht mehr Ihr Eigentum sind … Ihre Hände gehören uns … wer soll uns denn wieder heimführen auf die Erde, wenn nicht Ihre Hände es tun?«

Windegger zuckte die Achseln und sprang auf den Platz, den Helius verlassen hatte.

»Ich begreife nicht,« meinte er, »warum du dir die Mühe des Sträubens machst. Weißt du wirklich noch nicht, daß sie alles erreicht, was sie will? Außerdem hat sie recht. Sei vernünftig, Helius, und gib dich in ihre Pflege, bevor es zu spät ist …«

Er bückte sich und packte die Ausgrabung des Weltraumschiffs an, wo Helius sie unterbrochen hatte, sorgfältig überwacht von den mißtrauischen Augen Gustavs, der sich als bisheriger Mitarbeiter seines Abgotts für die weitere Qualität der Arbeit verantwortlich fühlte.

»Bitte, Helius«, sagte Friede Velten mit gefalteten Händen. Sie sah ihn aus sanften und kummervollen Augen an, und sie glaubte, ihn noch niemals, selbst nicht in Augenblicken der todnahesten Gefahr, so bis aufs letzte verstört gesehen zu haben.

Ohne sie anzusehen, mit zornig verzogenen Brauen, die Zähne bis zum Krampf aufeinandergepreßt, gab er ihr beide Hände hin –

Sie sagte kein Wort, stieß nicht den geringsten Laut aus. Sie sah auf diese verbrannten, zerschundenen Hände mit den blutunterlaufenen Gelenken, den blaurot geschwollenen Knöcheln, von stockendem Blut verkrustet, die Nägel zerstört – und ging ohne ein Wort zu sagen auf das Weltraumschiff zu, dessen offene Doppeltür, in einem verrückten Winkel halb aufgepreßt, sich gegen den Landungsplatz stemmte.

»Was willst du im Schiff?« fragte Windegger. »Kann ich dir etwas holen?«

Sie schüttelte nur den Kopf und verschwand mit einem Sichducken und Sichhochziehen im Innern des Passagierraumes.

Windegger machte sich schweigend an seine Arbeit. Helius sah ihm zu. Er setzte sich in den Sand, und dieses erste Nachgeben seines Körpers schien gleichsam das Tor der Müdigkeit aufzustoßen, daß sie auf ihn einströmen konnte wie ein betäubender Nebel, in dem sein Bewußtsein verschwamm.

»Wo sind die andern?« fragte Windegger, ohne aufzublicken.

»Ich habe Turner auf die Wassersuche geschickt, und Manfeldt schloß sich ihm an«, sagte Helius langsam, als spräche er aus dem Schlaf. »Sie wollen sich als Rutengänger versuchen …«

»Hast du denn eine Rute mitgehabt?«

»Selbstverständlich.«

»Es scheint mir eine ziemlich phantastische Idee, mit einer irdischen Wünschelrute auf dem Monde nach Wasser zu suchen …«

Helius lächelte aus seiner Müdigkeit heraus.

»Hältst du sie für phantastischer als die Idee, nach dem Monde zu fliegen und da zu landen?«

»Das ist freilich wahr …«

»Wir können nicht lange ohne Wasser hier sein. Wenn wir das ungeheure Glück der gelungenen Landung auch nur einigermaßen nach Gebühr ausnützen wollen, müssen wir Wasser finden. Sonst werden wir sein wie Moses, der das Gelobte Land wohl erschauen durfte, aber nicht hineingelangen … was ich übrigens von seinem Gotte Zebaoth niemals verstanden habe …«

Windegger richtete sich auf; es hatte den Anschein, als ob er Gott verteidigen wollte. Aber ein anderer Gedanke nahm ihn stärker in Anspruch.

»Wie lange willst du denn überhaupt hierbleiben?« fragte er, gegen den schwelenden Himmel gewandt. Die Frage sollte gelassen klingen, aber sie klang nicht gelassen.

So müde Helius war, er hörte es doch, und es war ein sehr nachdenklicher Blick, den er dem Freunde zuwarf.

»Was meinst du mit ›hier‹ – diese Wüste?«

»– Den Mond –«

»So lange, als ich es unserem Leben und der Sicherheit unserer Rückkehr gegenüber nur irgend verantworten kann … Warum fragst du, Hans?«

»Weil ich meine inneren Reserven danach einteilen möchte.«

»Fühlst du, daß du diese Rationierung der Kräfte notwendig hast?«

Windegger wollte antworten, aber in diesem Augenblick kam Friede zurück, und Windegger wandte sich ab und tauchte die Hände von neuem in Glutsand, als wollte er sich den Anschein geben, das Mädchen nicht zu bemerken.

Friede setzte sich Helius gegenüber, so nahe, daß ihre Knie sich fast berührten. Sie stellte das Verbandzeug neben sich und tat alles ruhig, mit immer gesenkten Augen. Ihre langen Wimpern, die als blaue Sichelschatten auf ihren Wangen lagen, machten, daß es aussah, als handle sie ohne zu sehen, somnambul. Sie öffnete die Hände wie zwei Schalen, die sie dem Manne entgegenhob, und Helius, nach einem letzten Zögern von Sekunden, stumm wie das Mädchen, und in diesem Augenblick zu einer verdammenden Machtlosigkeit erlöst, senkte den Kopf und legte seine wie Höllen schmerzenden Hände in diese barmherzigen Schalen der Linderung.

Das Mädchen hielt die Hände des Mannes still. Es war, als wagte sie nicht ans Werk zu gehen. Er sah sie an, und da sah er, daß sie weinte. Unter den fast geschlossenen Lidern hervor rannen die klaren, im Lichte schimmernden Tropfen über ihr Gesicht und fielen in ihren Schoß.

»Friede …«, sagte Helius tonlos und rauh.

Er sprach nicht weiter. Er fühlte: wenn sie jetzt aufblickt, ist es mit mir zu Ende … Er dachte: ›Bin ich es, der so zittert, daß unsere Hände beben, oder ist sie's? Warum zittert sie so sehr?‹ Er sagte in seinem Herzen zu ihr: ›Wenn du wüßtest, wie schön du bist in deinem erschütternden Mitleid, du kriegerisches Geschöpf … Du solltest deine Tränen auf diese arme Mondwüste fallen lassen, das würde sie erlösen von ihrer Bösartigkeit … Du solltest mir deine Tränen zu trinken geben, denn ich verdurste nach dir … ich verdurste nach dir …‹

Er fuhr so heftig zusammen, daß auch das Mädchen aufzuckte und von seinen Händen ließ.

»Habe ich Ihnen so weh getan?« fragte sie verstört.

Er biß die Zähne übereinander und schüttelte den Kopf. Aus seinem kalkweißen Gesicht sahen die lichtverbrannten und glutgeröteten Augen zum gelben Himmel, zu der gelben Wüste, über die flammenden Berge, zu der lodernden Wahnsinnssonne hinauf.

»Nein, Sie haben mir nicht weh getan, Friede. Ich bin nur sehr ungeduldig … Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich ein bißchen beeilen wollten …«

Das Blut sank ihr aus dem Gesicht, aber sie gab keine Antwort und fuhr im Verbinden mit gleicher Sorgfalt fort. Sie wollte sich ihres Weinens erwehren, doch es wurde nur stärker, als sei durch die Worte des Mannes eine zweite Quelle in ihr aufgesprungen. Ihre zornigen Brauen zuckten und kämpften umsonst. Immer rascher fielen die großen Tropfen von den gesenkten Wimpern auf ihre Hände, bis der Mann, am Ende seiner letzten Kraft, erliegend, sich niederbeugte auf diese Hände, seine Stirn, seine Augen auf sie drückte und mit seinen verdorrten Lippen die Tränen ihres Mitleids in sich trank.

Das Herz des Mädchens stand auf einmal still. Und als es wieder zu schlagen begann, geschah es mit so verzögerten und dumpfen Schlägen, als müsse es auf einem neuen Wege sich vorwärtstasten, geblendet von Licht, betäubt vom eigenen Klang.

Mit einem tiefen, langsamen Atemholen schob sie den Kopf des Mannes sacht von sich.

»Kommen Sie, Helius«, sagte sie fest und sanft.

Mit geschlossenen Augen richtete er sich auf, und sie griff nach der Mullbinde und nach der Schere.

Windegger sah zu ihnen hinüber.

Er dachte: ›Ihr Gesicht ist ganz naß. Sie weint über seine Schmerzen. Weiß sie nicht, daß ich mir mit Freuden beide Hände brechen würde, um sie so über meine Schmerzen weinen zu sehen? Sie ist so blaß wie der Tod …‹

Der Tod … der Tod …

Das Wort summte hohl in ihm fort wie ein Echo, und er horchte ihm nach, und es graute ihm davor – bis das verweisende und feindselige Räuspern von Gustav ihn darauf aufmerksam machte, daß er zu arbeiten habe und nicht zu grübeln.

Im selben Augenblick, da Friede die Hände von Helius freigab und er sich mit einem tonlosen »Danke!« erhob, sagte Windegger, aus einer Grube sprechend, in der er bis über den Kopf verschwunden war:

»Der Sand wird feucht!«

»Was sagst du!?«

Helius sprang zu ihm hin.

»Der Sand wird feucht!«

Vier Köpfe beugten sich über die Tiefe der Grube …

Da war kein Irrtum möglich: in der gelben Dürre bildete sich langsam ein dunklerer, feuchter Fleck, und als Windegger vorsichtig mit den Händen weitergrub, sickerte es klar hervor: Wasser …

Wasser …

»Ein Tuch! Ein Gefäß!« sagte Helius.

Mit dem Schwung eines kleinen Affen war Gustav aus seinem Bohrloch heraus und im Innern des Weltraumschiffs verschwunden, um das Verlangte zu holen. Und bis er wiederkam, wagte keiner der drei wartenden Menschen, den andern ins Gesicht zu sehen …

Das Wasser stieg nicht; es hielt sich in gleicher Höhe. Helius breitete das weiße, sehr dichte Tuch darüber aus, und Windeggers Hände drückten es vorsichtig nieder, daß sich das Wasser wie in einem Beutel fing. Es war vollkommen farblos und klar wie die reinste Quelle auf Erden.

Windegger schöpfte den Aluminiumbecher voll. Er sagte:

»Ich würde dir gern diesen ersten Schluck Mondwasser anbieten, Friede – aber wir wissen nicht, ob es süß oder brackig ist oder voll Salz wie das Meerwasser, von dem die Menschen toll werden … Darum will ich als erster trinken –«

»Meinst du, du seist schon so toll, daß es dir nicht mehr schaden könnte?« fragte Helius kopfschüttelnd.

»Erraten, Helius!« Er lachte. »Auf dein Wohl! Auf das Wohl aller Mondfahrer, auch wenn sie toll sind! Brackwasser – Süßwasser – Meerwasser – ich will trinken!«

Er trank – und trank den Becher leer. Er sah die andern mit starken und funkelnden Augen an. Er füllte den Becher zum zweiten Male und hielt ihn Friede hin.

»Trink!« sagte er. »Es ist süß wie Liebe und rein wie Freundschaft und kühl – oh! kühl wie du, meine Friede! Trink –!«

Sie trank und sah ihn dabei über den Rand des Bechers hin an mit den Augen, die schönen Aquamarinen glichen; er wandte den Blick nicht ab – er hielt ihn mit einem schmerzlichen Trotz auf sie gerichtet. Ein schwaches Lächeln zog ihm die Lippen schief.

Sie leerte den Becher zur Hälfte und gab ihn an Helius weiter.

»Tu's nicht!« sagte Windegger. »Trink nicht, Helius! Es ist nicht gut, mit einer Frau aus demselben Becher zu trinken, zum mindesten nicht Wein. … Aber wissen wir, ob Mondwasser nicht die gleichen Verkettungen bringt …?«

»Geh schlafen, Windegger«, sagte Wolf Helius. »Du bist übermüdet …«

»O nein! O nein –!«

»Dann laß diese wirren Reden, bitte, und komm an die Arbeit! Wir haben genug zu tun. Dies Wasser unter der Sanddecke kann ebensogut unsere Rettung wie unser Verderben sein. Wir wissen nicht, wie weit das Düsenende des Schiffes in der Nässe liegt. Wir wissen nicht, ob nach irgendwelchen Gesetzen, von denen wir keine Ahnung haben, das Wasser steigt oder fällt. Wir stehen vielleicht auf vulkanischem Boden, und der ganze gewaltige Kessel, der jetzt eine Wüste ist, läßt zu bestimmten Zeiten die eingeschluckte Flut seiner Tiefen steigen und wieder versickern … Auf jeden Fall muß das Schiff geborgen werden. Auf jeden Fall müssen wir das Zelt aufschlagen und gut befestigen – und vor allem Manfeldt und Turner zurückrufen, damit sie uns helfen …

»Herr Turner kommt schon«, meldete Gustav ohne Begeisterung.

Walt Turner kam nicht, er war plötzlich da. Er sah auch nicht aus, als sei er fort gewesen oder als habe er einen ausnehmend beschwerlichen Weg hinter sich. Dennoch schien ihn die unsichtbare Gloriole eines geheimnisvollen und sehr großen Triumphes zu umgeben, und sein oliviges Gesicht glänzte in einem breiten Sattsein.

»Nun, Herr Turner?« fragte Helius, unüberwindliche Abneigung abermals zu überwinden versuchend, »haben Sie Wasser gefunden?«

»Feuchtigkeit in Menge«, antwortete Walt Turner, seine Worte mit einer gewissen Vorsicht setzend. »Schluchten, in denen ein ununterbrochenes Rieseln von fallenden Tropfen ist. Dabei Schwärze. Die Sonne dringt nicht hinein; kaum der gelbe Widerschein des Himmels … Ich sehe, Sie haben Wasser in besserer Form entdeckt …«

»Wo haben Sie die Wünschelrute, Herr Turner?«

»Professor Manfeldt hat sie an sich genommen …«

»Und wo ist Manfeldt?«

»Ich weiß es nicht – ich glaubte ihn hier zu treffen …«

Es entstand eine kleine Pause, in der zwei Männer, ein Mädchen und ein Kind mit angehaltenem Atem auf das dünne Eislächeln von Walt Turner starrten.

»Sie sehen, er ist nicht hier«, fuhr Helius fort, sehr leise sprechend. »Finden Sie es richtig, Herr Turner, daß Sie in dieser fremden Welt den alten und nur von seiner Idee besessenen Mann sich selbst überlassen haben?«

»Meine Beziehungen zu Professor Manfeldt«, antwortete Turner mit einem fahlen Lächeln in seinen schrägen Augen, »sind leider nicht so freundschaftliche, daß meine Vorhaltungen irgendwelchen Eindruck auf ihn gemacht hätten … Er trennte sich von mir schon nach den ersten hundert Schritten und wurde außerordentlich heftig, als ich ihm folgen wollte. Er schwang die Wünschelrute wie eine Waffe gegen mich und raffte Steinbrocken vom Boden auf, um sie nach mir zu schleudern. Dann, in langen, grotesken Sprüngen, entfernte er sich, immer nach rückwärts drohend und die Wünschelrute schwingend … und so habe ich ihn aus den Augen verloren …«

Wolf Helius ließ seinen Blick mit einer unerbittlichen und harten Stetigkeit auf dem Gesicht Walt Turners ruhen. Dieser Blick hatte etwas von einem chemischen Experiment der Zersetzung. Aber Walt Turner reagierte nicht darauf. Er lächelte ruhig und dünn.

»Der Unvorsichtige!« sagte das Mädchen flüsternd. »Er wird kein Wasser finden, sondern den Tod …«

Walt Turner richtete seine schrägen Augen auf sie, deren Farbe unter den schläfrigen Lidern nicht festzustellen war.

»Ich glaube nicht,« sagte er höflich, »daß Professor Manfeldt Wasser sucht …«

»Was sonst?«

»Gold«, sagte Herr Turner einsilbig.


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