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1. Ein übermüthiger König.
Tarquinius, der sich auf so schändliche Art des Thrones bemächtiget hatte, konnte unmöglich die Liebe und das Vertrauen des Volkes gewinnen. Durch ihn wurde das Königthum, dessen Thron zwei Mal hintereinander mit Blut befleckt worden war, allen Römern verhaßt. Weil Tarquinius auch Niemand trauete, bildete er sich eine Leibwache von Ausländern, die er mit vielem Gelde bezahlte. Er war ein tapferer Feldherr und eroberte mehrere Städte, vollendete auch den Bau des schon früher begonnenen Kapitoliums, der Burg Roms, mit dem dreifachen Tempel des Jupiter, der Juno und Minerva. In der Cella des Jupiter wurden die sibyllinischen Bücher – sie trugen den Namen von den Sibyllen, d. h. wahrsagenden Weibern – aufbewahrt, in denen theils Prophezeiungen, theils Rathschläge für wichtige Fälle des Lebens verzeichnet waren. Sie wurden von den Römern in allen Verlegenheiten und wichtigen Entschlüssen zu Rathe gezogen. Der stolze König folgte aber nur seinem Gelüst und von den Rechten seiner Unterthanen wollte er nichts wissen, er drückte die Patricier und Plebejer. Wer sich ihm widersetzte, den ließ er hinrichten, so daß zuletzt weder der Senat, noch das Volk ihm zu widerstehen wagte. Man nannte ihn superbus, d. h. den Uebermüthigen, Stolzen. Er schonte selbst seiner eigenen Verwandten nicht, und nur einer, Lucius Junius, nachher Brutus genannt, wußte sich seinem Grimme dadurch zu entziehen, daß er sich blödsinnig stellte. Tarquinius nannte ihn daher spöttisch »den Dummen« ( brutus) und setzte kein Mißtrauen in ihn. Bald aber wurde der Name Brutus ein Ehrenname.
2. Ein Vaterlandsfreund.
Tarquinius belagerte gerade Ardea, eine feste Stadt im Lande der Rutuler, nur wenige Meilen von Rom entfernt. Eines Abends ritt sein Sohn Sextus aus dem Lager fort nach dem benachbarten Kollatia und besuchte dort die edle Lukretia, die Frau des Kollatinus, deren Schönheit in dem Herzen des wüsten Jünglings eine sträfliche Neigung erweckt hatte. Da Kollatinus im Lager war, glaubte Sextus, die Frau ungestraft mißhandeln zu können, doch Lukretia wollte ihre Schmach nicht überleben. Sie ließ eiligst ihren Mann nebst einigen bewährten Freunden aus dem Lager herüberkommen, erzählte ihnen jammernd die erlittene Unbill und im Uebermaaß des Schmerzes nahm sie einen Dolch und erstach sich vor den Augen der Männer.
Da erhebt sich zum Erstaunen Aller der früher verspottete Brutus. Während Vater und Mutter der armen Lukretia wehklagen, reißt er den blutigen Dolch aus der Wunde, läßt die Leiche auf dem Markte öffentlich ausstellen, hält eine ergreifende Rede und schwört dem Frevler sammt der ganzen königlichen Familie bittere Rache. Sogleich werden alle Thore geschlossen, während der unermüdlich thätige Brutus in's Lager eilt und dort die neue Uebelthat des Königssohnes erzählt. Da wird auch das Heer gegen den König erbittert, verläßt das Lager und kehrt nach Rom zurück.
Tarquinius mit seiner Familie wurde geächtet, er durfte nicht wieder nach Rom zurückkehren. Er bat, er drohete; es half ihm nichts. Zornig flüchtete er sich nach Etrurien, um die Feinde Roms aufzubringen und seine Rückkehr auf den Thron mit Gewalt zu erzwingen. Die Römer aber schafften die Königswürde für alle Zeiten ab und feierten die Flucht des verhaßten Tarquinius alljährlich durch ein Volksfest. Zweihundertfünfundvierzig Jahre hatten die sieben Könige Roms regiert.
3. Die Konsuln.
Nun war Rom eine Republik. Aus der Mitte der Patricier wurden jährlich zwei Männer mit königlichem Ansehen gewählt, die an der Spitze des Senats das Volk regierten, die Volksversammlungen leiteten und im Kriege den Oberbefehl hatten. Damit aber keiner der Konsuln, so nannte man die Reichsverwalter, seine Macht zum Schaden der Volksfreiheit mißbrauchen möchte, so wurde die Dauer ihrer Regierung nur auf ein Jahr festgesetzt. Hierin lag ein Grund zu den vielen Kriegen der Römer. Jeder Konsul suchte sein Jahr durch irgend eine glänzende Waffenthat zu verherrlichen, um dadurch bei den Nachkommen ein ruhmwürdiges Andenken zu erwerben. Aus Dankbarkeit wählte das römische Volk die beiden Männer, denen es seine Freiheit verdankte, nämlich Brutus und Kollatinus, zu den ersten Konsuln.
4. Der strenge Vater.
So streng Brutus gegen die Königsfamilie war, eben so streng gerecht war er gegen seine eigenen Kinder. Die römische Jugend war durch Tarquinius' Söhne verführt worden, einen Versuch zu machen, dem vertriebenen Könige die Thore Roms zu eröffnen. Der Anschlag ward entdeckt und zwei Söhne des Brutus waren unter den Verbrechern, auch zwei Neffen des Kollatinus. Die beiden Konsuln versammelten das Volk auf dem Forum und ließen die Angeklagten vorführen. Zuerst kamen die Söhne des Brutus. Der Vater sprach das Todesurtheil über sie und winkte den Liktoren. Die banden ihre Ruthenbündel los, geißelten die Verurtheilten mit den Ruthen und schlugen ihnen darauf mit dem Beile das Haupt ab. Brutus blieb sitzen und sah mit unverwandten Augen hin. Darauf kamen die beiden Neffen des Kollatinus. Dieser wünschte das Leben seiner Neffen zu retten und stellte den Antrag, sie möchten aus Rom verbannt werden. Brutus aber sprach für den Tod. Da wurden auch diese beiden vornehmen Jünglinge enthauptet, nach ihnen alle übrigen Verschworenen. Kollatinus aber schien wegen seiner Weichherzigkeit zum Konsul untüchtig und zu schwach, um die Republik zu schützen, darum mußte er sein Amt niederlegen und sich aus Rom entfernen.