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Zweiter Abschnitt.
Griechische Heroen. – Herkules und Theseus.

I. Herkules.

 

1. Des Helden Jugend.

In Theben lebte ein König Amphitryon, der hatte eine schöne junge Frau, Namens Alkmene, und diese war Herkules' Mutter. Mit ihr, sagen die Dichter, hatte in des Mannes Abwesenheit der Gott Zeus sich heimlich vermählt, und die Frucht dieser Ehe war Herkules. Doch Juno, die eifersüchtige Gemahlin des Zeus, hatte die Untreue ihres Mannes erfahren und wollte sich nun an dem Knäblein rächen. Kaum war der junge Herkules acht Monate alt, so schickte sie zwei giftige Schlangen in seine Wiege; aber der Knabe streckte lächelnd seine Hände nach ihnen aus und erdrückte sie beide. Der Göttervater gewann eine besondere Vorliebe für den schönen, kraftvollen Knaben, und er dachte darauf, wie er diesem seinem Sohne die Unsterblichkeit verleihen könnte. Dazu gehörte nun freilich, daß der junge Herkules wenigstens Ein Mal an der Mutterbrust der Juno gesogen haben mußte; darum sann Jupiter mit dem Merkur darauf, wie die Himmelsgöttin überlistet werden könnte. Der allzeit fertige Götterbote säumte nicht lange; einst, als Juno schlief, eilte er mit Flügelschritten auf die Erde herab, holte den Kleinen und legte ihn der Juno an die Brust. Aber hier sog der Junge mit so gewaltigen Zügen, daß die Göttin erwachte und höchst aufgebracht über den erdgebornen Säugling ihn von sich riß. Sie that das mit solcher Heftigkeit, daß ein Theil der Milch verschüttet ward, die sich in dem Himmelsraume des blauen Aether zertheilte und die Milchstraße bildete. Sieh da, wie im Kindesalter eines Volks die Dichtkunst der Wissenschaft vorgreift!

Amphitryon, ohne Eifersucht darüber, daß seine Gemahlin dem Jupiter einen Sohn geboren hatte, erkannte bald dessen große Bestimmung und sorgte nun eifrig dafür, daß das Götterkind frühzeitig von den besten Meistern in allen Künsten unterrichtet werde, durch welche sich in jener Zeit Helden auszeichneten. Allerlei kriegerische Uebungen wechselten mit friedlichen Geschäften ab. Herkules machte die auffallendsten Fortschritte, zeigte aber auch früh eine außerordentliche Heftigkeit. Sein Lehrer Linus, der ihn auf der Lyra unterrichtete, gab ihm einstmals Schläge, weil er schlecht gespielt hatte. Darüber wurde der Knabe so aufgebracht, daß er seinen Lehrer mit der Leier erschlug. Amphitryon entfernte ihn zur Strafe dafür von seinem Hofe und schickte ihn auf's Land, wo er die Heerden weiden mußte.

 

2. Herkules am Scheidewege.

In der Einsamkeit des Landlebens reifte der Knabe zum Manne heran; in der Einsamkeit ward dem Herkules seine große Bestimmung klar, ein Wohlthäter des Menschengeschlechts zu werden. Einst als er, mit großen Gedanken und Entwürfen in der Seele, ganz allein in der Gegend umherstreifte, gelangte er an einen Scheideweg. Indem er noch überlegte, für welche Richtung er sich entscheiden sollte, erschienen ihm plötzlich zwei Göttinnen. Die eine, schön und lockend von Gestalt, halb nackt und eitel sich selber beschauend, ging ohne Scheu auf den jungen Mann los, schmiegte sich an ihn und versprach ihm die höchste Wonne und Glückseligkeit, wenn er ihr folgen wolle. »Wer bist du?« fragte Herkules mit prüfendem Blicke. »Meine Freunde,« sprach die Göttin mit selbstgefälligem Lächeln, »nennen mich das Vergnügen, meine Feinde aber das Laster.« Da schauete der junge Held nach der andern Göttin, die war nicht so schön, aber auf ihrem Antlitze strahlte ein himmlischer Frieden, bescheiden, aber würdevoll stand sie da, und mit ihren klaren, hellen Augen schaute sie ernst und doch freundlich dem Manne in's Angesicht. »Wohin führst du mich?« sprach Herkules zu der strengeren Göttin. »Ich führe dich« – war die Antwort – »in Arbeit und Gefahren, aber verheiße dir Unsterblichkeit, Ehre uns Ruhm bei Göttern und Menschen, wenn du meiner Leitung dich anvertrauest.« Diese Worte ergriffen das Herz des Helden, er fühlte, daß er ein Göttersohn sei und Ehrenvolles auf Erden vollbringen müsse. So entschloß er sich schnell: er stieß die zudringliche Wollust zurück und reichte der bescheidenen Tugend seine Hand. Diese führte ihn rauhe Pfade, in zwölffacher Arbeit prüfte sie seinen Willen und seine Kraft, aber sie machte ihn auch zum Wohlthäter des Menschengeschlechtes, zum ersten Helden seines Volkes, von dem alle Dichter sangen, und weil er sich in allen Kämpfen als Held bewährte, erstieg sein Geist den Himmel und wohnte als ein Gott unter den Göttern.

 

3. Die zwölf Arbeiten des Herkules.

Um seinen Muth und seine Ausdauer zu prüfen, schickten die Götter den Herkules auf Befehl des Orakels zu Delphi zum Könige Eurystheus, auf daß er thue, was dieser ihm gebieten würde. Der Held folgte dieser göttlichen Weisung und murrte nicht, als ihm der strenge Eurystheus Schwereres auferlegte, als je ein Mensch vollbrachte.

1. Die erste Aufgabe war, einen Löwen zu erlegen, welcher in den Wäldern der Landschaft Argolis, zwischen Nemea und Kleonä, große Verheerungen anrichtete und von keinem Geschosse erlegt werden konnte, da alle Pfeile von seinem zottigen Felle absprangen. Herkules griff das Raubthier mit seinen Fäusten an, drückte es zusammen und erschlug es dann mit seiner Keule. Das undurchdringliche Fell zog er ihm ab und hing es sich als Mantel um.

2. Er tödtete die Lernäische Schlange oder Hyder, ein schlangenartiges Ungeheuer mit hundert Köpfen, die immer wieder wuchsen, wenn sie auch abgehauen waren. Dieses Ungethüm hauste bei Lernä, in den sumpfigen Einöden der Landschaft Argolis. Kein Mensch, kein Thier durfte sich in seine Nähe wagen, es zog sie alle in seinen Schlupfwinkel und verspeiste sie dann. Herkules ging diesem Ungeheuer zu Leibe in Begleitung seines Freundes Jolaus. Dieser mußte einen Wald anzünden und ihm einen brennenden Stamm reichen; sobald Herkules mit einem sichelförmigen Schwerte einen Kopf der Hyder abgehauen hatte, hielt er sogleich den Feuerbrand auf den Rumpf, und der Kopf konnte nicht wieder neu wachsen. Als er so die Schlange glücklich erlegt hatte, tauchte er seine Pfeile in die Galle des Ungeheuers, wodurch sie vergiftet und unfehlbar tödtlich wurden.

3. Herkules mußte eine der Diana geweihte Hindin (Hirschkuh) einfangen. Dieses Thier hatte eherne Füße und goldene Hörner und lief so schnell, daß kaum der Pfeil es einholte. Aber Herkules ließ nicht nach; unverdrossen hetzte er das Thier so lange, bis es ermüdet niedersank und seine Beute wurde.

4. Er fing den erymanthischen Eber, welcher um den Berg Erymanthus her die Ebene Thessaliens verwüstete, lud ihn lebendig auf seine Schultern und brachte ihn dem erschrockenen Eurystheus nach Mycene.

5. Er reinigte in einem Tage die Ställe des Augias, Königs von Elis. Dreitausend Rinder hatten geraume Zeit in diesen Ställen gestanden, ohne daß der Dünger hinweggeräumt worden wäre. Die Aufgabe zu lösen, schien daher unmöglich. Aber Herkules riß eine Wand des Stalles ein, leitete einen Arm des Flusses Peneus in dieselbe, und so spülten die Fluthen den Unrath weg.

6. Er tödtete die Stymphaliden, ungeheure Raubvögel mit ehernen Flügeln und Schnäbeln, die sich in den dichten Waldungen am See Stymphalis in Arkadien aufhielten und in der Umgegend großen Schaden anrichteten.

7. Er fing den wüthenden Stier, der die Felder von Kreta verheerte. Minos der jüngere hatte sich denselben einst vom Neptun erbeten, ihn aber unter seine Heerden gebracht, wo er in Wuth gerieth und Alles niederstieß. Herkules bemächtigte sich dieses wüthenden Stieres und brachte ihn lebendig nach Mycene; Eurystheus ließ ihn aber wieder los und nun verheerte das Thier die Gefilde Attika's.

8. 8. Er brachte die Pferde des thracischen Königs Diomedes nach Mycene. Der grausame Diomedes ließ alle Fremdlinge diesen Thieren vorwerfen, und Niemand wagte sich nach Thracien, aus Furcht, von den Pferden verschlungen zu werden. Herkules, von mehreren muthigen Männern begleitet, schiffte sich nach Thracien ein, erschlug die Führer der Rosse, brachte diese zu Schiffe und führte diese gefährlichen Thiere dem Eurystheus zu, welcher sie in Gebirgsklüfte treiben ließ, wo sie von wilden Thieren zerrissen wurden.

9. Er holte das Wehrgehänge der Amazonen-Königin Hippolyte. Er tödtete diese tapfere Königin in einem Treffen, das sie ihm mit ihrer entschlossenen und krieggewohnten Weiberschaar lieferte, nahm ihr das Wehrgehänge ab und brachte es der Tochter des Eurystheus.

10. Er holte die Heerden des Geryon von der Insel Erythia im westlichen Ocean und führte sie nach Mycene. Geryon war ein dreiköpfiger Riese, und seine Heerde ward von einem dreiköpfigen Hunde bewacht. Herkules erschlug beide mit seiner Keule.

11. Herkules brachte die goldenen Aepfel der Hesperiden und tödtete den Drachen, der sie bewachte. Diese Aufgabe war höchst schwierig, denn Herkules wußte anfangs gar nicht, wo die Hesperidengärten lagen. Auf gut Glück ging er vorwärts, gelangte an das Nordwestende von Afrika, wo der Riese Atlas auf seinen Schultern den Himmel trug. Dieser entdeckte ihm den Aufenthalt der Hesperiden; dafür aber mußte Herkules eine Weile das Himmelsgewölbe auf seine Schultern nehmen.

Die Hesperiden waren Nymphen. Bei der feierlichen Vermählung des Jupiter und der Juno brachten die Götter verschiedene Hochzeitsgeschenke dar, und die Göttin der Erde, Gäa, ließ aus der Erde einen Baum emporwachsen, der goldene Früchte trug. Diesen Baum sollten jene Nymphen bewachen, aber sie ließen sich verleiten, von den goldglänzenden Früchten des Wunderbaumes zu naschen. Da schickte Juno zur Wache einen furchtbaren Drachen, welcher nie schlief. Herkules erschlug diesen Drachen mit seiner Keule, pflückte die schönen Aepfel und brachte sie dem Eurystheus.

12. Herkules vollführte zuletzt die allerschwerste Aufgabe; er holte den Höllenhund Cerberus aus der Unterwelt. Pluto hatte nur unter der Bedingung die Erlaubniß gegeben, daß der Held sich an das dreiköpfige Ungeheuer wagen dürfe, wenn er ihn ohne Waffen anzugreifen wagte. Der kraftvolle Heros ging dem Unthier zu Leibe und bewältigte es mit seiner Riesenstärke. Herkules brachte den Höllenhund lebendig zum Eurystheus; dieser aber befahl nun, das Thier wieder zur Unterwelt hinabzutragen. Auch dieses vollführte der hart geprüfte Mann, und nun war er aus der Knechtschaft seines Peinigers erlöst. – Des Eurystheus Tochter aber, Namens Admete, wurde begeistert von den Thaten des Herkules, und wurde die Erste, welche die göttliche Verehrung des Heros einführte.

 

4. Herkules schafft in Aegypten die Menschenopfer ab und bezwingt den Riesen Antäus.

In Aegypten lebte ein Tyrann mit Namen Busiris. Der galt für einen Sohn Neptuns und hatte die Gewohnheit, alle Jahre einen Fremdling, der sein Land betrat, dem Jupiter zum Opfer zu schlachten. Dieses war ihm angerathen worden von dem Wahrsager Phrasius aus Cypern bei einer großen Dürre, die Aegyptenland heimsuchte. Busiris versuchte das Mittel zuerst an jenem Wahrsager, und siehe! die Dürre hörte auf. So hielt er die Gewohnheit aufrecht und opferte alle Jahre einen Menschen. Als Herkules ankam, führte man ihn gleichfalls zum Opferaltar; aber der Held besann sich nicht lange, er schlug den Busiris sammt seinem Sohne und Herolde todt und damit hatte das Menschenopfern ein Ende.

Noch war ein Menschenwürger vorhanden, der Riese Antäus. Der war ein Sohn der Erde, und wenn er seine Mutter berührte, gewann er immer wieder neue Kraft. So überwältigte er Jeden, der es wagte, mit ihm zu ringen, denn seine Mutter leistete ihm stets Hülfe. Als der Riese den Herkules zum Kampf aufforderte, salbte sich dieser mit Oel und jener bestreute sich mit Sand. Herkules warf seinen Feind zur Erde; weil er aber merkte, daß jener immer neu gestärkt wieder aufsprang, hob er ihn in die Höhe und erdrückte ihn zwischen seinen Armen.

 

5. Tod des Herkules.

Nachdem Herkules noch viele rühmliche Thaten vollbracht hatte, kehrte er nach Theben zurück. Von der großen Anstrengung ermattet, fiel er hier in eine Gemüthskrankheit, die zum heftigen Wahnsinn sich steigerte. In solchen trüben Anfällen verübte er leider manche Unglücksthat, plünderte sogar das delphische Orakel und beleidigte die Gottheit des Apoll. Da verkündigte ihm die weissagende Priesterin: »Du wirst nur dann von deinem Wahnsinn genesen, wenn du abermals auf drei Jahre als Sklave dich vermiethest!« Herkules befolgte den Rath und trat in die Dienste der Königin Omphale von Lydien. Diese bediente sich der Gewalt, die er ihr freiwillig über seine Person gegeben hatte, so wohl, daß sie ihn sogar vermochte, ihre Kleider anzuziehen und sich an den Spinnrocken zu setzen, während sie sich mit seiner Löwenhaut bedeckte und seine Keule ergriff.

Nachdem er die drei Jahre wieder gehorsam überstanden hatte, vermählte er sich mit der Dejanira. Ihr Vater hieß Oeneus, und da er sie keinem der mächtigen Freier abschlagen wollte, versprach er sie demjenigen, der in einem Wettkampf obsiegen würde. Herkules gewann den Preis. Als er mit seiner jungen Frau fortzog, kam er an den reißenden Strom Evenus, an welchem der Centaur Nessus wohnte. Dieser erbot sich, Dejaniren auf den Rücken zu nehmen und mit ihr über den Fluß zu schwimmen, was ihm sehr leicht wurde, da er unten ein Pferd mit vier Füßen, oben ein Mensch mit zwei Armen war. Der Vorschlag ward gern angenommen. Dejanira gelangte glücklich an das andere Ufer, aber dort wollte ihr der Centaur Gewalt anthun. Herkules, der ihr Geschrei hörte, spannte schnell seinen Bogen und schoß mit solcher Gewalt einen Pfeil über den Strom, daß er dem Ehrenräuber durch Brust und Rücken drang. Nessus fühlte bald, daß er mit einem von den Pfeilen verwundet sei, welche Herkules ehemals in das Gift der Hydra getaucht hatte. Um sich zu rächen, überreichte er sein wollenes, mit Blut getränktes Gewand der Dejanira, und sagte ihr dabei, wenn sie einst die Untreue ihres Mannes besorge, möge sie ihn nur das Kleid tragen lassen, dann würde seine Liebe zu ihr zurückkehren.

Die Gelegenheit fand sich nur zu bald. Herkules hatte sich in einem Kampfe die schöne Prinzessin Jole erobert und Dejanira ward eifersüchtig auf diese. Sie erinnerte sich des Gewandes vom Centauren Nessus. Als eines Tages Herkules auf einem Vorgebirge der Insel Euböa dem Jupiter ein Opfer bringen wollte, übersandte ihm seine Gemahlin ein schön zubereitetes Opferkleid. In dieses Kleid hatte sie die Wolle vom Gewande des Nessus verwebt. Kaum hatte Herkules dieses Kleid angezogen und mit seinem Körper erwärmt, als er einen brennenden Schmerz empfand Er riß es wüthend vom Leibe, riß aber Haut und Fleisch mit weg. Vom Schmerz überwältigt, schleuderte er den Ueberbringer des verderblichen Geschenks vom Felsen in's Meer hinab. Als er fühlte, daß er nicht mehr lange leben könnte, ließ er sich nach Trachin übersetzen, wo Dejanira aus Verzweiflung über die schreckliche Wirkung ihres Geschenks sich selber das Leben nahm. Hierauf ließ sich Herkules auf den Berg Oeta führen, legte sich auf einen breiten Scheiterhaufen, den ihm Jolaus errichten half, und befahl seinem Freunde Pöas, dem Vater des Philoktetes, dem er zuvor seine Pfeile schenkte, solchen anzuzünden. Jupiter aber verzehrte den Scheiterhaufen und Alles, was noch sterblich an dem Helden war, mit seinen Blitzen, und nahm ihn in einer Wolke gen Himmel. Das Unsterbliche war gerettet, und Herkules lebte fortan als der größte der Halbgötter im Olymp.


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