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II. Die Assyrer.

 

1. Ninus und Semiramis.

Die ungemeine Fruchtbarkeit des Landes zwischen dem Euphrat und Tigris hatte viele Menschen herbeigelockt. Sie konnten aber nicht alle zusammenbleiben; denn – wie die Bibel erzählt – als sie eine große Stadt bauen wollten mit einem himmelhohen Thurme, der weit in die Ebene hinausschaute, verwirrten sich ihre Sprachen, und die Stadt bekam den Namen Babylon oder Babel, d. i. Verwirrung.

Ein tapferer Krieger, Ninus mit Namen, eroberte Babylon und die angrenzenden Länder. Als er nun von seinen siegreichen Zügen mit reicher Beute beladen heimgekehrt war, wollte er auch eine Residenzstadt haben, die seiner würdig sei. Er wählte dazu ein kleines Städtchen am Tigris und bauete es mit Hülfe der vielen tausend Ueberwundenen so groß, daß die neue Stadt der Sage nach zwölf Meilen im Umfange hatte. Und groß muß sie gewesen sein, denn der Prophet Jonas erzählt von ihr, es seien allein 120,000 Kinder in derselben gewesen, und zwar so kleine, daß sie die rechte Hand von der linken noch nicht zu unterscheiden wußten. Welche Menschenzahl, die Erwachsenen dazu gerechnet! Wie klein müssen da unsere deutschen Städte Berlin und Wien erscheinen! Eine einzige solche Stadt konnte schon für ein besonderes Reich gelten. Von der Riesenstadt ist aber nichts übrig geblieben, als ein Hügel und ein Dorf, mit Namen Nunia.

Nach diesem Baue blieb aber der rastlose Ninus nicht daheim in seiner schönen Residenzstadt, sondern zog wieder aus gegen Morgen bis zu der festen Stadt Bactra. Hier lernte er eine Frau kennen, die eben so schön als klug war und Semiramis hieß. Es ging die Sage von ihr, sie wäre die Tochter einer Göttin, die sie gleich nach ihrer Geburt ausgesetzt hätte; da hätten ihr aber Tauben Nahrung gereicht und sie unter ihren Flügeln erwärmt. Diese wunderbare Frau gab dem Ninus ein Mittel an die Hand, wie er die Stadt, deren Belagerung ihn aufhielt, bezwingen könnte. Es gelang und die Freude über den Sieg, sowie die Schönheit und Klugheit der Semiramis rissen den König dermaßen hin, daß er sie zur Gemahlin erkor.

Nach dem Tode des Ninus herrschte Semiramis als Vormund ihres Sohnes Ninyas. Sie setzte sich vor, den Ruhm ihres Gemahles noch zu übertreffen. Wie er Ninive, so bauete sie Babylon so groß und verschönerte es mit einem solchen Aufwande, daß die Nachrichten hierüber an's Unglaubliche grenzen. Die Stadt war ein großes Viereck und hatte über 14 Stunden im Umfange. Die Mauern waren so hoch wie Thürme, und so breit, daß sechs Wagen neben einander auf ihnen fahren konnten. In jeder Seite der Mauer waren 25 eherne Thore. Mitten durch die Stadt strömte der Euphrat, dessen beiderseitige Ufer ebenfalls mit einer hohen dicken Mauer eingefaßt waren. In der Mitte war eine 30 Fuß breite Brücke mit zwei schönen Palästen an jedem Ende. Jeder dieser Paläste trug auf gewölbten und hoch aufgethürmten Terrassen die schönsten Gärten, die mit ihren duftenden Blumen und schattigen Bäumen wie durch Zauberkraft frei in der Luft zu schweben schienen. Die wunderbaren luftigen Anlagen nannte man die schwebenden Gärten der Semiramis und zählte sie zu den sieben Wunderwerken der Welt. An der östlichen Seite der Brücke erhob sich zu den Wolken empor der Belusthurm. Dieser trug einen reich geschmückten Tempel, auf dessen Spitze das kolossale Bildniß des hier verehrten Sonnengottes Belus stand, der von seiner hohen Warte die ganze Gegend beherrschte. Der Thurm war 600 Fuß hoch, also noch höher als der Straßburger Münster, der höchste Thurm, den man bis jetzt kennt; der hat 574 Fuß Höhe.

Aber nicht in Babylon allein, überall, wo Semiramis hinkam, mußten neue Städte und Paläste und staunenswerthe Anlagen den Namen der großen Königin verewigen. Und wie sie ihren Gemahl in Werken der Baukunst übertroffen hatte, so wollte sie ihn auch in Thaten des Krieges übertreffen. An der Spitze eines großen Heeres durchzog sie in hastiger Siegeseile die Länder Asiens und bezwang die noch nicht unterjochten Völker. Das assyrische Reich erstreckte sich bald vom Mittelländischen Meere bis zum Indus, und vom Schwarzen bis zum Arabischen Meere. Nur ein Volk im Osten, die Indier, waren unabhängig von Assyrien. Das Land, welches diese bewohnten, sollte das größte und schönste sein, und dahin zog jetzt die Königin mit großer Heeresmacht. Schon war sie siegreich über den Grenzfluß Indus in's Innere des Landes gedrungen, als sie plötzlich auf ein großes Heer stieß, dessen Anblick sie erschreckte. An der Spitze desselben stand eine Reihe von Elephanten, welche nicht allein ganze Thürme voll Krieger auf ihren Rücken trugen, sondern auch mit ihren Rüsseln Alles zerschlugen und mit ihren Füßen Alles zertraten, was ihnen in den Weg kam. Schon von ihrem Anblicke wurden die Pferde scheu. Die stolze Beherrscherin Asiens wollte den Indiern nicht nachstehen. Da sie selbst keinen einzigen Elephanten hatte, so ließ sie sich eine große Anzahl machen. Sie ließ nämlich viele, tausend Büffelochsen schlachten, die Häute derselben so zubereiten, daß sie elephantenartig aussahen, und bedeckte mit diesen ebensoviele Kameele, auf die sich bewaffnete Männer setzten. Diese künstlichen Elephanten stellte sie an die Spitze. Die Indier erschraken anfangs beim Anblick so vieler Elephanten und zogen sich eiligst zurück. Bald aber erfuhren sie durch Ueberläufer die List. Da faßten sie neuen Muth und machten einen wüthenden Angriff. Die Kameele rannten scheu zurück und brachten Alles in Verwirrung. Das assyrische Heer floh, viele Männer wurden erschlagen, Semiramis selbst rettete sich nur durch schleunige Flucht. Mit einem kleinen Häuflein kam sie beschämt in ihr Land zurück.

Bald nachher entstand ein Aufruhr unter ihrem eigenen Volke. Sie saß eben und ließ sich die Haare flechten, als ihr die Nachricht davon überbracht wurde. Sie sprang hinaus und stürzte sich mit fliegenden Haaren mitten unter die Rotte. Der Anblick der erzürnten Königin stillte sogleich den Aufruhr und brachte die Leute zur Ruhe. Zum Andenken an diese Begebenheit wurde ihr eine Statue errichtet, welche die Art ihrer Erscheinung unter den Aufrührern darstellte.

Als sie ihr Ende nahe fühlte, übergab sie dem Ninyas die Herrschaft. Sie selbst entzog sich den Augen der Menschen, als wäre sie unter die Götter versetzt. Sie flog, wie die Fabel erzählt, in der Gestalt einer Taube gen Himmel.

Ihr Nachfolger Ninyas war aber sehr weibisch und regierte so schlecht, daß man allgemein die Semiramis zurückwünschte. Er verschloß sich mit seinen Weibern im Palaste und schämte sich so sehr vor Männern, daß er sich gar nicht vor ihnen sehen ließ. Ihm glichen die meisten seiner Nachfolger, so daß ihre Namen nicht einmal der Aufzeichnung Werth befunden wurden. Der letzte dieser Weichlinge war Sardanapal.

 

2. Sardanapal (885 v. Chr.) und Arbaces.

Sardanapal übertraf alle seine Vorgänger an Schlechtigkeit. Sein Name ist ein Spottname für alle verworfenen Weichlinge geworden. Um die Regierung kümmerte sich dieser König gar nicht; dies mühsame Geschäft überließ er Andern. Er selbst verschloß sich in der Burg mit seinen Weibern, spielte mit ihnen, spann auch Wolle mit ihnen. Er putzte und schminkte sich nach Frauenart und trug sogar einen Weiberrock. In diesem weibischen Aufzuge traf ihn einst Arbaces, der Statthalter von Medien. Der Anblick empörte ihn. Er erzählte es seinen Soldaten, verband sich mit noch zwei andern Feldherren und zettelte eine Verschwörung an gegen den unwürdigen König. Als Sardanapal hiervon Nachricht erhielt, verkroch er sich in seinem Palaste. Da er sich aber in keinem Winkel sicher glaubte, so faßte er einen verzweifelten Entschluß; er kam hervor und wollte eine Schlacht wagen. Da noch nicht alle Aufrührer beisammen waren, fiel er über einen kleinen Haufen derselben her, und wirklich, er schlug sie mit seinem Heere in die Flucht. Hierüber gerieth er fast außer sich vor Freude. Er gab ein Gastmahl nach dem andern, und eins war köstlicher als das andere. Sein ganzes Heer mußte mit schmausen und lustig sein.

Diesen Jubel erfuhr Arbaces und fiel bei Nacht über das schwelgende Lager her. Was sich noch rettete, verschloß sich mit dem Könige in der festen Stadt Ninive. Zum Unglück trat der reißende Fluß Tigris aus seinen Ufern und zerstörte einen Theil der Stadtmauer. Arbaces war im Anzuge; da gerieth der feige König in Todesangst, zündete seinen Palast selber an und verbrannte sich mit seinen Weibern und Schätzen. Arbaces nahm das Reich in Besitz, denn der andere Feldherr, Belesys, Statthalter von Babylonien, bat sich bloß die Asche des verbrannten Palastes aus. Freilich waren noch manche Schätze darin verborgen.


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