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Vierter Abschnitt.
Charakterbilder aus der Geschichte der Perser.
Cyrus, Kambyses, Darius.

I. Cyrus.

Nach Th. Welter.

 

1.

Von der Geburt und Erziehung berühmter Männer erzählt die Sage gewöhnlich immer Wunderbares und Auffallendes, als hätte die Vorsehung schon dadurch die Menschen aus die wichtige Bestimmung derselben aufmerksam machen wollen.

Astyages, der letzte König von Medien, hatte einen Traum, in welchem er aus dem Schooße seiner Tochter Mandane einen Baum hervorwachsen sah, dessen Schatten ganz Asien und ihn selber überdeckte. Er ließ die Traumdeuter an seinen Hof kommen und legte ihnen seinen sonderbaren Traum vor. Diese deuteten ihn auf einen Sohn, den Mandane gebären und der einst Herr von ganz Asien und ihm selbst gefährlich werden würde. Hierüber erschrak der König. Damit der Traum nicht in Erfüllung gehen möchte, entfernte er seine Tochter vom Hofe und schickte sie nach der kleinen Landschaft Persis. Dort gab er sie einem Perser, mit Namen Kambyses, zur Frau, von dem er nichts fürchtete, weil er ohne Macht und Ansehen und friedliebender Natur war. Nach Jahresfrist bekam Mandane einen Sohn, welcher den Namen Kores oder Cyrus, d. i. Sonne, erhielt. Der König, welcher wiederholt von der künftigen Macht seines Enkels geträumt hatte, wurde immer ängstlicher. Er ließ das Kind holen und gab es dem Harpagus, einem seiner Hofleute, mit dem Befehle, dasselbe im wildesten Gebirge dem Verhungern auszusetzen. Harpagus nahm das Kind, ging fort und weinte. Er konnte es nicht über's Herz bringen, das unschuldige Kind selbst zu tödten. Doch fürchtete er den Zorn seines Königs und gab es einem Hirten zum Aussetzen. Dem guten Hirten wollte das auch nicht in den Sinn. Er nahm das schöne Knäblein mit sich nach Hause und gab es seiner Frau, deren Kind eben gestorben war. Und sie schmückten ihr todtes Kind mit den schönen Kleidern des Cyrus und setzten es statt seiner aus. Drei Tage nachher ging der Hirt in die Stadt und sprach zum Harpagus: »Jetzt kann ich dir des Knaben Leiche zeigen!« Da schickte Harpagus seine getreuesten Lanzenträger, ließ Nachsehen und diese begruben – des Hirten Sohn.

Cyrus aber wuchs in voller Schönheit heran, denn das einfache Leben bei den Rinderhirten bekam ihm gut. Fröhlich wie das Lämmchen auf der Weide, hüpfte er umher und spielte mit den andern Kindern. Gewiß ahnte Keiner, daß das muntere Knäblein in seinem Schäferröckchen einst noch der mächtigste König von Asien werden würde. Die Kinder hatten ihn alle so lieb, weil er so munter und verständig war. Bei ihren Spielen mußte er immer König sein. Einst spielte auch der Sohn eines vornehmen Meders mit ihnen. Cyrus war wieder zum König erwählt worden und wies jedem seinen Posten an. Das vornehme Söhnchen aber wollte sich von dem Hirtenknaben nicht befehlen lassen und zeigte sich sehr widerspenstig. Doch der kleine König machte wenig Umstände mit ihm, er ließ ihn von den andern Knaben greifen und spielte seinem Rücken mit Peitschenhieben übel mit. Der also bestrafte Knabe lief eilends zu seinem Vater und klagte ihm weinend, was Cyrus ihm gethan habe. Er sagte aber nicht »Cyrus« (denn diesen Namen hatte jener noch nicht), sondern »der Knabe vom Rinderhirten des Astyages.« Der Vater ging in seinem Zorn vor Astyages, nahm auch gleich den Knaben mit und erklärte, daß ihm Schimpf angethan worden sei, indem er sagte: »Mein König, von deines Knechtes, des Rinderhirten Sohn, werden wir so gemißhandelt.« Und dabei zeigte er den Rücken des Knaben.

Astyages, um der Ehre des vornehmen Mannes willen, versprach, den übermüthigen Knaben strafen zu lassen. Er ließ sogleich den Hirten sammt seinem Sohne kommen. »Wie hast du dich unterstehen können« – so fuhr er den Cyrus an – »so schmählich den Sohn eines Mannes zu behandeln, der bei mir in großen Ehren steht?« »O Herr«, – antwortete der kleine Cyrus freimüthig, – »dem ist bloß sein Recht geschehen. Die Knaben des Ortes, unter welchen auch dieser war, hatten mich zu ihrem Könige ernannt. Die andern alle thaten, was ihnen geboten war; der aber war ungehorsam und achtete mich nicht. Dafür hat er seine Strafe bekommen. Habe ich damit etwas Schlimmes gethan, wohlan, da hast du mich!«

Als der Knabe so sprach, schöpfte Astyages sogleich Verdacht; denn nicht nur schienen ihm die Gesichtszüge wie die seiner Tochter, sondern auch das Benehmen des Knaben war so fürstlich und nicht wie das eines Sklaven; auch die Zeit der Aussetzung schien ihm mit dem Alter des Knaben zusammenzutreffen. »Wie!« – sprach Astyages bei sich selbst – »sollte das der Sohn meiner Tochter sein? Wer hat dir den Knaben gegeben?« fuhr er den Hirten an. Dieser gestand vor Angst Alles. Jetzt ergrimmte der König in seinem Herzen über Harpagus und er gebot seinen Lanzenträgern, ihn sogleich zu rufen. Als Harpagus da war, that Astyages freundlich und sprach: »Sag' mir doch, lieber Harpagus, welchen Tod hast du dem Kind angethan, das ich dir übergab, da es meine Tochter geboren hatte?« Harpagus erschrak und als er den Rinderhirten beim Könige erblickte, war er nicht mehr im Zweifel, daß die Sache verrathen sei. Darum erzählte er frei und offen heraus, wie er das Kind dem Hirten übergeben habe, daß dieser es tödten sollte. Astyages verbarg seinen Zorn und stellte sich, als wäre er hocherfreut, daß der Knabe noch am Leben sei. »Ich will ein Freudenmahl ausrichten«, sprach er zum Harpagus, »und du sollst mit mir zu Tische sein. Zuvor schicke mir aber dein Söhnchen, daß es mit dem Cyrus spiele.«

Da freuete sich Harpagus und schickte seinen Knaben, das einzige Kind, das er hatte. Aber Astyages nahm den Sohn des Harpagus, schlachtete denselben und zerschnitt ihn gliederweis; von diesem Fleisch bratete er einen Theil, den andern kochte er. So richtete er's schicklich zu und hielt es bereit. Als aber zur Stunde des Mahles die Gäste und darunter auch Harpagus sich einfanden, wurden die Tische vor dem Könige und seinen Gästen mit Lämmerfleisch besetzt, dem Harpagus aber sein ganzer Sohn aufgetragen, außer dem Kopf, den Händen und Füßen. Das lag beiseit in einer Schüssel verdeckt. Als nun Harpagus gegessen hatte, fragte ihn Astyages: »Nun, wie hat dir der Schmaus behagt?« – »Ganz vortrefflich«, erwiederte fröhlich der Vater. »Weißt du aber auch«, fuhr Astyages mit bitterm Hohne fort – »von welchem Wildpret du gegessen hast?« Und siehe, da brachten auf einen Wink des Königs die Diener eine verdeckte Schüssel, darin waren Kopf, Arme und Beine des gemordeten Knaben. »Kennst du das Wild?« sprach hohnlachend der König. Harpagus erbleichte, sein Vaterherz blutete, aber er durfte seinen Schmerz nicht laut werden lassen. Schnell faßte er sich und antwortete: »Es ist Alles gut, was der König thut.« Aber im Stillen schwur er dem grausamen König furchtbare Rache.

Nun ließ Astyages dieselben Magier wieder zu sich entbieten, die ihm das Traumgesicht gedeutet hatten. Sie beruhigten den besorgten König und sprachen: »Dein Traum, o König, ist nun in Erfüllung gegangen, denn dein Enkel ist zum König erwählt worden. Gut, daß er nur im Spiele König gewesen ist, denn er wird nicht zum zweiten Mal König werden. Ein Traum geht nur Ein Mal in Erfüllung.«

Astyages freuete sich, ließ den Cyrus kommen und sprach: »Mein Sohn, ich habe dir großes Unrecht gethan, weil mich ein trügerisches Traumgesicht verführte, doch dein gutes Glück hat dich erhalten. Jetzt gehe freudigen Muthes nach dem Perserlande, ich werde dich geleiten lassen. Dort wirst du einen ganz andern Vater und eine ganz andere Mutter finden, als den Hirten und seine Frau.« Hierauf entließ er den Cyrus, der ganz erstaunt war über das, was er so eben vernommen.

 

2.

Als der Knabe im Hause des Kambyses anlangte und sich zu erkennen gab, da war die Verwunderung und Freude seiner Eltern über alle Maßen. Sie hatten ihn schon längst todt geglaubt. Cyrus konnte nicht genug erzählen und sein drittes Wort war immer die Hirtenmutter, die er sehr lieb gewonnen hatte.

Den Astyages verlangte es aber nach seinem Enkel und er ließ ihn und seine Mutter wieder zu sich an seinen Hof kommen. Der Knabe war in der strengen, kriegerischen Lebensweise der Perser aufgezogen und machte große Augen, als er beim Könige Alles so fein geputzt und geschmückt fand. Selbst der König auf seinem Throne hatte sich Lippen und Wangen, Stirn und Augenbraunen gefärbt. Cyrus sprang, wie er in das Zimmer trat, auf den geputzten Alten zu, fiel ihm um den Hals und rief: »O was ich für einen schönen Großvater habe!« – »Ist er denn schöner als dein Vater?« fragte lächelnd die Mutter. »Unter den Persern«, antwortete Cyrus, »ist mein Vater der schönste; aber unter den Medern der Großvater.« Dem alten Könige gefiel diese Antwort; er beschenkte den Kleinen reichlich und dieser mußte bei Tische immer neben ihm sitzen. Hier wunderte er sich über die Menge Gerichte, mit welchen die Tische von oben bis unten besetzt wurden. »Großvater« – rief er, – »du hast doch viel Mühe, satt zu werden, wenn du von dem Allen essen mußt!« Astyages lachte und sprach: »Ist's denn hier nicht besser als bei euch in Persien?« – »Ich weiß nicht«, antwortete Cyrus, – »aber wir werden viel geschwinder und leichter satt. Uns ist Brod und Fleisch genug, um satt zu werden; ihr aber, ach! was braucht ihr für Arbeiten und Umschweife, bis ihr so weit kommt!« Mit Erlaubniß des Großvaters vertheilte nun Cyrus die übrig gebliebenen Speisen unter die Diener und alle bekamen etwas, nur nicht Sakas, der Mundschenk und Liebling des Königs. »Warum bekommt denn dieser nichts«, – fragte scherzend der König, – »er schenkt ja den Wein so geschickt ein?« »Das kann ich auch«, – erwiederte rasch der Kleine, – »und trinke dir nicht zuvor den halben Becher aus!« Darauf nahm er den Becher, goß Wein hinein und reichte ihn ganz artig dem Könige. »Nun«, sprach der Großvater, »du mußt auch den Wein erst kosten.« – »Das werde ich wohl lassen«, antwortete der Kleine, – »denn es ist Gift darin, das habe ich neulich bei eurem Trinkgelage wohl bemerkt. Was war das für ein Lärm! Wie habt ihr durcheinander geschrieen und gelacht! Die Sänger schrieen sich die Kehlen heiser und Niemand konnte sie hören. So lange ihr saßet, prahltet ihr mit eurer Stärke; und als ihr aufstandet, konnte Keiner gehen, ihr fielet über eure eignen Füße. Ihr wußtet nicht mehr, was ihr waret; du, o König, nicht, daß du König, jene nicht, daß sie Unterthanen waren.« – »Aber«, sprach Astyages, »wenn dein Vater trinkt, berauscht er sich nie?« – »Nie.« – »Und wie macht er es denn?« – »Er hört auf zu dürsten, sonst nichts.«

Wegen solcher und ähnlicher munterer Einfälle gewann Astyages seinen Enkel immer lieber. Er ließ ihn reiten, schenkte ihm die schönsten Reitpferde, nahm ihn mit sich auf die Jagd und machte ihm allerlei Kurzweil, um ihn recht an sich zu fesseln. Harpagus freuete sich auch über den Jüngling, aber aus einem andern Grunde als Astyages.

 

3.

Cyrus kehrte wieder nach Persien zurück und galt bald für den angesehensten und rüstigsten Mann im ganzen Lande. Harpagus schickte ihm heimlich allerlei Geschenke, um ihn für sich zu gewinnen. Eines Tages schickte er ihm einen Hasen. »Du möchtest ihn«, sagte der Bote, »aufschneiden, wenn Keiner es sieht.« Cyrus that das und fand zu seinem Erstaunen im Bauche einen Brief, worin ihn Harpagus ermunterte, die Perser zum Abfalle von der medischen Herrschaft zu bewegen und dann seinen tyrannischen Großvater selbst mit Krieg zu überziehen. Der Vorschlag gefiel dem thatenlustigen Manne. Mit dem Briefe in der Hand trat er unter das versammelte Volk und sprach: »Kraft dieses Briefes hat mich Astyages zu eurem Anführer ernannt und ich befehle euch nun, daß Jeder morgen früh mit einer Sichel erscheine.« Die Perser thaten, wie ihr Anführer ihnen befohlen. Den ganzen Tag mußten sie die schwerste Arbeit verrichten, ein wüstes Dornfeld reinigen und umarbeiten. Am Abend dieses arbeitsvollen Tages befahl ihnen Cyrus, den andern Morgen abermals zu erscheinen, aber wohl geschmückt. Als die Menge versammelt war, lud er sie ein, im weichen Grase sich zu lagern. Nun wurden Früchte und Wein und Schlachtvieh herbeigeschleppt, man kochte und bratete, Alles war froh und schmauste nach Herzenslust.

»Nun, liebe Landsleute«, sprach Cyrus, – »welcher Tag gefällt euch besser, der gestrige oder der heutige?« »Wie du doch fragst,« riefen Alle verwundert – »gestern waren wir ja Sklaven und heute sind wir Herren!« – »Und solche Herren werdet ihr immer sein,« fuhr Cyrus fort, »wenn ihr das Joch der Meder abwerfet; Sklaven aber, wie gestern, so lange der Wüthrich Astyages euer Herr ist. Wohlan denn, folget mir und ihr werdet frei sein!«

Die Perser waren schon längst über den harten Druck der Meder empört, darum war ihnen der Antrag des Cyrus willkommen. Sie sagten sich von Astyages los und riefen den Cyrus zu ihrem Könige aus. Sobald Astyages hiervon Kunde erhielt, sendete er ein Heer aus gegen die Empörer und den Harpagus stellte er an die Spitze. Für diesen war jetzt die Zeit der Rache gekommen; er ging mit dem ganzen Heere zum Cyrus über. Da gerieth der König in Wuth und ließ alle Traumdeuter kreuzigen. Er selbst aber zog nun mit einem zweiten Heere gegen Cyrus. Bei Pasargadä (Persepolis), dem uralten Sitze persischer Fürsten, kam es zum Treffen; Astyages wurde geschlagen und gefangen. Cyrus behandelte seinen Großvater mit schuldiger Liebe und behielt ihn bei sich bis zu dessen Tode. So ward Cyrus Herr von Medien.

Die umliegenden Völker, namentlich die Armenier, welche den Medern Tribut bezahlt hatten, glaubten ihn dem Cyrus, einem Perser, verweigern zu können. Cyrus fiel schnell in ihr Land ein und nahm die ganze armenische Königsfamilie gefangen. Diese fürchtete Tod oder ewige Gefangenschaft. Doch Cyrus ließ sie mit einer so freundlichen Großmuth frei, daß er sich aus Feinden die besten Freunde machte und in Verbindung mit den Armeniern alle Nachbarvölker zwang, den Persern sich zu unterwerfen.

 

4.

Ganz Asien zitterte. Da stand in Kleinasien der König von Lydien auf, Krösus mit Namen, der Schwager des Astyages. Seine Herrschaft erstreckte sich über ganz Vorderasien bis hinauf zum Flusse Halys, der sein Reich von Persien trennte. Er war unermeßlich reich und hielt sich deshalb auch für den glücklichsten Mann von der Welt. Einst kam Solon zu ihm, ein Weiser aus Griechenland. Diesem zeigte er alle Reichthümer und Schätze und sagte ihm dann mit großem Selbstbehagen: »Wohlan, Solon, du bist so weit in der Welt umhergereist, sage mir, wen du für den Glücklichsten unter den Sterblichen hältst?« – » Tellus, einen Bürger von Athen«, war die Antwort. Krösus wunderte sich, daß er einen gemeinen Bürger ihm, dem großen Könige, vorzöge und fragte unwillig: »Warum hältst du diesen Menschen für den glücklichsten?« »Dieser Tellus« – antwortete der weise Solon – »lebte zu Athen, als die Stadt blühend und glücklich war. Er hatte schöne und gute Kinder, erlebte sogar Kindeskinder und alle blieben am Leben. Er selbst war brav und in der ganzen Umgegend geachtet. Bei genügendem Auskommen lebte er glücklich und zufrieden und hochbejahrt starb er in einem siegreichen Treffen den Tod für's Vaterland. Seine Mitbürger ehrten sein Andenken durch eine Ehrensäule, die sie ihm setzten.« – »Aber wen«, fragte der König, »hältst du nach diesem für den glücklichsten?« – »Zwei griechische Jünglinge«, war die Antwort, » Kleobis und Biton. Sie waren Brüder und besaßen eine außerordentliche Leibesstärke. Beide trugen einst in unsern öffentlichen Kampfspielen den Sieg davon. Dabei hatten sie eine innige Liebe zu ihrer alten Mutter. Diese war Priesterin. Einst bei einem Feste mußte sie nothwendig nach dem Tempel fahren; aber ihre Ochsen kamen nicht zu rechter Stunde von dem Felde. Da spannte sich das schöne Brüderpaar selbst vor den Wagen und zog die alte Mutter bis an den Tempel. Und als das Volk bewundernd dies sah, als die Männer die Kraft und Tugend der Jünglinge erhoben, die Frauen aber die Mutter über den Besitz solcher Kinder glücklich priesen, wurde die Mutter tief gerührt. Freudig eilte sie mit ihren Söhnen in den Tempel, warf sich vor dem Bilde der Göttin nieder und flehete, sie möge ihren Kindern geben, was für diese das Beste wäre. Daraus sanken die betenden Jünglinge, überwältigt von der Ermüdung, in einen tiefen Schlaf, aus dem sie nicht wieder erwachten. Die Griechen aber setzten ihnen Ehrensäulen zum Denkmal ihrer schönen That und ihres schönen Todes.«

»O athenischer Fremdling!« – rief Krösus unwillig, – »achtest du denn mein Glück so gering, daß du mich nicht einmal mit gemeinen Bürgern in Vergleichung stellst?« Solon antwortete: »O Krösus! Oft ist ein armer Mann weit glücklicher, als ein reicher. Und dann bedenke ich immer, daß das menschliche Leben wohl siebenzig Jahre währt und in dieser Zeit Vieles sich ändern kann. Niemand ist vor seinem Ende glücklich zu preisen.«

Krösus hielt den Solon für sehr unweise, weil er das gegenwärtige Glück nicht achtete, sondern das Ende eines jeden Dinges abzuwarten befahl. Er mochte nicht länger mit ihm reden. Doch nur zu bald sollte er es erfahren, wie wahr Solon gesprochen habe. Er verlor einen Sohn, der auf einer Jagd verunglückte und hatte leider nur noch einen, der taub und stumm war. Ein noch größeres Unglück aber stand ihm vom Cyrus bevor. Gegen diesen rüstete er ein gewaltiges Kriegsheer. Bevor er aber ausrückte, schickte er nach Delphi, einer Stadt in Griechenland. Da war ein Tempel des Apollo und die Priester desselben standen in dem Rufe, daß die Götter durch ihren Mund die Zukunft offenbarten. Er ließ prachtvolle goldene Gefäße und andere Geschenke ihnen überbringen und fragen, welchen Ausgang der bevorstehende Krieg nehmen würde? Die Antwort lautete: »Wenn Krösus über den Halys geht, so wird er ein großes Reich zerstören.«

Jetzt hielt er sich des Sieges gewiß. In freudiger Erwartung zog er über den Halys dem Cyrus entgegen. Fürchterlich war die erste Schlacht, kein Heer siegte, die Nacht trennte die Streitenden. Krösus zog sich nach seiner Hauptstadt Sardes zurück und ließ die Truppen auseinander gehen. Er hatte vor, im folgenden Jahre mit einem noch größeren Heere wieder vorzurücken.

 

5.

So lange ließ aber Cyrus nicht auf sich warten. Kaum stand Krösus in Sardes, so stand er auch schon mit seinen wilden Schaaren von Reitern und Fußvolk vor den Thoren der Hauptstadt. Krösus wurde geschlagen, die Stadt erobert. Mit klirrenden Waffen drangen die erbitterten Feinde hinein und hieben Alles nieder. Und schon wollte einer den Krösus, welchen er nicht kannte, durchbohren, als sein ältester Sohn, dem die Angst plötzlich das Band der Zunge gelöst hatte, laut schrie: »Mensch, tödte den König nicht!« Da führte man den Krösus gefangen zum Cyrus. Im ersten Rausche des Sieges befahl dieser, ihn lebendig zu verbrennen. So gleich wurde ein Scheiterhaufen errichtet und Krösus gefesselt darauf gestellt. Schon schlugen hier und dort die Flammen gen Himmel aus, als der Unglückliche, eingedenk der Worte des griechischen Weisen, aus seiner dumpfen Betäubung erwachte und Plötzlich durch die tiefe Stille des versammelten Volkes laut aufschrie: »O Solon, Solon, Solon!«

Das hörte Cyrus und ward neugierig zu wissen, wen doch Krösus anrufe. Er ließ ihn deshalb wieder vom Scheiterhaufen herunter nehmen und durch Dolmetscher erfragen, was der Name »Solon« zu bedeuten habe. Krösus schwieg eine Weile still, dann aber sagte er: »Dieser Name nennt einen Mann, dessen Unterredung ich allen Fürsten wünsche, da sie mehr werth ist, als alle Schätze der Welt!« Dann erzählte er das mit Solon geführte Gespräch.

Cyrus wurde tief gerührt. Er bedachte, daß auch er ein Mensch und daß unter den menschlichen Dingen nichts beständig sei. So schenkte er dem Krösus das Leben und behielt ihn fortan als Freund und Rathgeber bei sich. Krösus war durch sein Unglück weiser geworden; denn als die Perser die lydische Hauptstadt ausplünderten, sprach er zum Cyrus: »König, soll ich dir jetzt meine Gedanken sagen, oder in diesem Augenblicke schweigen?« Cyrus aber hieß ihn getrost sagen, was er wollte. Und er fragte ihn: »Was hat denn jener Haufe von Kriegsleuten da so eifrig zu schaffen?« Jener antwortete: »Deine Stadt plündern sie aus und deine Schätze führen sie fort.« Da erwiederte Krösus: »Nicht meine Stadt noch meine Schätze plündern sie, sondern sie berauben dich!«

Cyrus wurde nachdenklich und drang in den unglücklichen König, ihm nur weiter seine Gedanken zu offenbaren. Da sprach Krösus: »Siehe, die Perser sind durch Reichthum noch nicht verdorben, aber trotzig von Natur. Haben sie erst die Schätze in ihrem Besitz und du willst sie ihnen dann nehmen, so werden sie widerspenstig werden. Darum lege an alle Thore Wachen, welche den Plündernden die Schätze abnehmen, mit dem Bedeuten, daß der zehnte Theil dem Zeus geopfert werden müsse. Jetzt wirst du sie willig finden, später aber nicht.«

Diese Worte gefielen dem Cyrus gar wohl und er befolgte den Rath seines Freundes. Dann sprach er zu ihm: »Bitte dir eine Gnade aus und sie soll dir werden!« Krösus antwortete: »Möchtest du, o Herr, dem obersten Gott der Griechen meine Fesseln übersenden und ihn fragen lassen, ob Betrug an Wohlthätern Brauch bei ihm sei?« – Die Boten wurden abgesandt, aber die delphischen Priester ließen dem Krösus sagen, sie hätten ihn nicht betrogen. Ein großes Reich sei ja zerstört, sie hätten aber nicht gesagt, daß das persische Reich zerstört werden sollte.

 

6.

Fortan begleitete Krösus den Cyrus auf seinen Heereszügen. Nachdem schon fast alle Völker Asiens unterworfen waren, sollten nun auch die Griechen, welche an der westlichen Küste wohnten, sich unter die Herrschaft der Perser beugen. Cyrus hatte ihnen früher seine Freundschaft angeboten, sie aber hatten diese übermüthig zurückgewiesen und sich sogar mit dem Krösus verbinden wollen. Cyrus gab ihnen nun folgende Fabel zur Antwort: »Es war einmal ein Fischer, der saß lange am Ufer und pfiff den Fischen zum Tanze. Sie wollten aber nicht kommen. Da nahm er ein Netz und fing sie. Und als er sie an's Land zog und sie nun um ihn herum sprangen, sagte er: »»Höret jetzt nur auf zu tanzen, da ihr vorher auf mein Pfeifen nicht habt tanzen wollen.«« Es erging den asiatischen Griechen wie den gefangenen Fischen. Cyrus sendete einen seiner Feldherren ab, der sie besiegte und seinem Könige unterwarf. Er selbst aber ging auf das große babylonische Reich los und griff Babylon an. Die Riesenstadt mit ihren gewaltigen Mauern konnte durch Gewalt nicht genommen werden; Cyrus eroberte sie durch List. In einer finstern Nacht, als ein großes Fest in Babylon gefeiert wurde, ließ er das Wasser des Euphrat in ein anderes schon vorhandenes Bett ableiten. Da wurde der Fluß, welcher die Stadt durchzog, seichter und die Krieger drangen, bis an den Gürtel im Wasser watend, mit dem Strome unter den Mauern hindurch in die Stadt und überrumpelten die Einwohner bei ihrem schwelgerischen Feste. So wurde Cyrus in einer Nacht Herr der Stadt und des großen babylonischen Reiches.

Hiermit war er aber noch nicht zufrieden. Hinter dem kaspischen Meere wohnte das arme, aber kräftige Volk der Massageten. Auch dieses sollte unterworfen werden. Die Königin des Landes, mit Namen Tomyris, bot ihm die Hand zum Vertrage an, aber der kühne Eroberer wollte nichts von Verträgen wissen. Siegend drang er in's Land hinein, schlug die Massageten und nahm selbst den Sohn der Tomyris gefangen. Da rief die bedrängte Königin in Verzweiflung ihr ganzes Volk zum Kampfe auf. Nun wurde Cyrus geschlagen und fiel selbst im Treffen. Die zornige Königin ließ seinem Leichnam den Kopf abschlagen und diesen in ein Gefäß voll Blut tauchen mit den Worten: »Nun trinke dich satt, Barbar!«

Nach einer andern Erzählung soll aber Cyrus daheim im Frieden gestorben sein und noch lange zeigte man zu Pasargadä sein von Magiern bewachtes Grab.


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