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II. Der trojanische Krieg.

(Um's Jahr 1200 v. Chr.)

 

I. Scenen aus der Iliade.

 

1. Die Hochzeit des Peleus und der Thetis.

Als Peleus, ein König in Thessalien, seine Vermählung mit der Meergöttin Thetis feierte, waren alle Götter und Göttinnen zum Feste eingeladen, außer Eris, der Göttin der Zwietracht, weil man befürchtete, sie würde nach ihrer Gewohnheit Zank und Hader stiften und die Heiterkeit des Festes stören. Vor Ingrimm über diese Zurücksetzung sann sie auf Rache. Während sich alle Gäste der Freude des Festes hingaben, öffnete sie die Thür des Saales und ließ einen goldenen Apfel mit der Aufschrift: »Der Schönsten!« über den Fußboden hinrollen. Kaum aber hatten die Göttinnen den Apfel und seine Aufschrift gesehen, als sich über den Besitz desselben ein lebhafter Streit unter ihnen erhob, indem jede behauptete, die Schönste zu sein. Am meisten Ansprüche machte jedoch Here (lat. Juno), die Königin des Himmels und Gemahlin des Zeus (Jupiter), dann Pallas Athene (Minerva), die Göttin der Weisheit, und Aphrodite, (Venus), die Göttin der Liebe. Da keine von ihnen nachgeben wollte, befahl Zeus, um allem Streit ein Ende zu machen, daß der Götterbote Hermes (Merkur) die streitenden Göttinnen zu einem durch seine Schönheit berühmten Prinzen führen sollte, nämlich zum Paris, Sohn des trojanischen Königs Priamus; dieser möge dann als Schiedsrichter ihren Streit schlichten. Der schöne Königssohn weidete gerade die Heerden seines Vaters am Berge Ida, als die drei Göttinnen vor ihm erschienen und ihm die Ursache ihres Streites vortrugen. Eine jede suchte ihn durch Versprechungen zu gewinnen: Here verhieß ihm, wenn er sie für die Schönste erklären würde, die Herrschaft über alle Länder der Erde; Athene versprach ihm den Ruhm eines Weisen unter den Menschen; Aphrodite aber gelobte, ihm Helena, die schönste Frau der Erde, zu schenken. Dieses Geschenk zog Paris allen übrigen vor; er erklärte Aphrodite für die schönste Göttin und überreichte ihr den goldenen Apfel. Zum Dank dafür geleitete die Venus den Paris nach Sparta in Griechenland, zum König Menelaus, der sich mit der schönen Helena vermählt hatte. Menelaus nahm den trojanischen Prinzen sehr gastfreundlich auf. aber dieser vergalt das Gastrecht schlecht. Denn eines Tages, wo der König abwesend war, entführte er diesem die Gemahlin mit allen ihren Schätzen und entfloh mit der kostbaren Beute nach Troja.

Darob schworen die Griechenfürsten den Trojanern Rache, und als König Priamus sich weigerte, die geraubte Helena zurückzusenden, begannen die Griechen einen Krieg gegen Troja, der zehn Jahre dauerte und mit dem Untergange dieses Reiches endigte.

 

2. Die Griechen in Aulis.

Am eifrigsten rüsteten sich zum Kriege Menelaus und sein Bruder Agamemnon, König von Argos und Mycene; der mächtigste der griechischen Fürsten. Sie entboten aber auch die Könige aller übrigen Griechenstädte, und es dauerte nicht lange, so strömten von allen Seiten Heerschaaren zusammen, um an dem Rachekriege gegen das übermüthige Troja Theil zu nehmen. Die Helden versammelten sich in dem Hafen Aulis in Böotien, wo eine Flotte von 1200 Schiffen, die über 100,000 Krieger trugen, zusammenkam. Lange schon lagen die Schiffe zur Abfahrt gerüstet im Hafen, aber anhaltende Windstille hielt die Harrenden zurück. Da brach Unzufriedenheit aus im griechischen Heere. Um nun die Ursache der ungünstigen Winde zu erfahren, wurde Kalchas, der Wahrsager, aufgefordert, seine Meinung zu sagen und ein Mittel anzugeben, wie dem Uebel abgeholfen werden könnte. Der Seher verkündigte, daß Artemis (Diana), die Göttin der Jagd, erzürnt sei, weil Agamemnon die ihr geheiligte Hirschkuh erlegt habe, und daß der Zorn der Göttin nur durch den Opfertod der Iphigenia, der Tochter Agamemnon's, versöhnt werden könnte. Das Vaterherz des Königs blutete bei diesem Ausspruch, aber die andern Fürsten drangen in ihn, daß er nachgeben mußte; einer der beredtesten Anführer, Odysseus, König von Ithaka, ging nach Argos und lockte die Jungfrau aus den Armen ihrer Mutter unter dem Vorwande, daß sie im Lager mit Achilles, dem Tapfersten der Griechen, vermählt werden sollte. Schon stand die Jungfrau vor dem Opferaltare, schon zuckte der Priester das Schwert, sie zu durchbohren, da erbarmte sich Artemis der Unschuldigen, hüllte sie in eine dichte Wolke und führte sie nach Tauris, all der Küste des Schwarzen Meeres gelegen, wo sie dieselbe zu ihrer Priesterin machte. An ihrer Stelle fand man am Altare eine weiße Hindin. Die Göttin war versöhnt; ein günstiger Fahrwind schwellte die Segel der Schiffe, die nun glücklich an der feindlichen Küste landeten.

Doch schon vor ihrer Abfahrt sollten die Griechen durch ein ungünstiges Vorzeichen an die lange Dauer des Krieges gemahnt werden. Bei einem Opfer schoß unter dem Altar ein gräulicher Drache hervor, schwang sich auf einen über dem Altar ausgebreiteten Platanenbaum, verschlang acht junge Sperlinge sammt ihrer Mutter, und wurde sofort von Zeus in einen Stein verwandelt. Dieses Zeichen erklärte Kalchas wegen der Zahl neun dahin, daß die Griechen neun Jahre vor Troja liegen und erst im zehnten die Stadt erobern würden.

 

3. Der Kampf vor Troja.

Troja war eine stark befestigte Stadt in Kleinasien, welche die Griechen nicht beim ersten Angriff erobern konnten; sie mußten zu einer förmlichen Belagerung schreiten. Bald aber gingen ihnen die Vorräthe aus, und sie sahen sich genöthigt, einzelne Abtheilungen des Heeres abzusenden, um durch Plünderung der naheliegenden Inseln und Küsten dem Mangel abzuhelfen. Die Trojaner hatten inzwischen ihre Bundesgenossen zu sich gerufen und leisteten tapfern Widerstand. Die Griechen schlugen ein befestigtes Lager auf, das aus hölzernen mit Rasen oder Schilf überdeckten Hütten bestand. Die Anführer kämpften auf Streitwagen, die mit ein oder zwei Rossen bespannt waren, die Gemeinen zu Fuß; Reiterei gab es noch nicht. Die Angriffswaffen waren Lanzen, Schwerter, Wurfspieße, Bogen und Schleuder; die Schutzwaffen bestanden in einem Helm, einem Brustharnisch und in Beinschienen von Erz, endlich in einem Schilde, der gewöhnlich mit Ochsenhaut, oft mit Erz überzogen war. Die Brust war durch einen Harnisch geschützt, an den sich ein Gürtel anschloß. Man kämpfte nicht in Masse, sondern die einzelnen Helden Mann gegen Mann. – Von den ersten neun Jahren des Kampfes wissen wir wenig, und nur die Geschichte des letzten Jahres ist uns durch die unsterblichen Gesänge Homer's bekannt geworden.

 

4. Paris' Kampf mit Menelaus.

Das Heer, auf Nestor's, des alten weisen Königs von Pylos, Rath nach Volksstämmen geordnet, stand in Schlachtordnung, als man endlich den Staub der aus ihren Mauern heranziehenden Trojaner gewahr wurde. Nun setzten sich auch die Griechen in Bewegung. Als beide Heere einander so nahe waren, daß der Kampf beginnen konnte, schritt aus der Reihe der Trojaner der Königssohn Paris hervor, in ein buntes Pantherfell gekleidet, den Bogen um die Schulter gehängt, sein Schwert an der Seite, und indem er zwei spitze Lanzen schwenkte, forderte er den tapfersten aller Griechen heraus, mit ihm den Zweikampf zu wagen. Als Menelaus den Unbesonnenen erblickte, freute er sich wie ein hungriger Löwe, dem eine ansehnliche Beute, etwa ein Gemsbock oder ein Hirsch, in den Weg kommt. Schnell sprang er in voller Rüstung von seinem Wagen zur Erde herab, den frevelhaften Dieb seines Hauses zu bestrafen. Dem Paris graute beim Anblick eines solchen Gegners, und als hätte er eine Natter gesehen, wandte er sich erblassend um und verbarg sich im dichtesten Gedränge der Seinigen. Als ihn Hektor, sein tapferer Bruder, so feige zurücklaufen sah, rief er ihm voll Unmuth zu: »Bruder! Du bist wohl dem Scheine nach ein Held, in Wahrheit aber ein weibischer, schlauer Verführer. Wärest du lieber gestorben, ehe du um Helena gebuhlt! Siehst du nicht, wie die Griechen ein Gelächter erheben, daß du es nicht wagest, dem Manne Stand zu halten, dem du die Gattin gestohlen hast? Du verdienest es, daß der Mann dich zu Boden streckt, an welchem du dich versündigt hast!« Paris antwortete ihm: »Hektor! Dein Herz ist hart, und dein Muth unwiderstehlich, wie eine Axt aus Erz, mit welcher der Schiffszimmermann Balken behaut. Du tadelst mich nicht mit Unrecht, aber schilt mir nicht meine Schönheit, denn auch sie ist eine Gabe der Unsterblichen. Willst du mich aber kämpfen sehen, wohlan! so heiß' Griechen und Trojaner von ihrem Kampfe ruhen, dann will ich um Helena und alle ihre Schätze mit dem Helden Menelaus vor allem Volk den Zweikampf wagen. Wer von uns Beiden siegt, soll die Helena heimführen; ein Bund soll es bekräftigen, ihr bauet alsdann in Frieden das trojanische Land, und jene schiffen heim nach Argos.«

Freudig überrascht hörte Hektor diese Worte, er trat vor die Schlachtordnung heraus in die Mitte, und hemmte, den Speer vorhaltend, den Anlauf der trojanischen Haufen. Als die Griechen seiner ansichtig wurden, zielten sie um die Wette mit Wurfspießen, Steinen und Pfeilen nach ihm. Agamemnon aber rief laut in die griechischen Reihen zurück: »Haltet ein, Argiver, werfet nicht! Der helmumflatterte Hektor begehrt zu reden!« Die Griechen ließen ihre Hände sinken und verharrten in Schweigen ringsumher; Hektor verkündete mit lauter Stimme den Völkern den Entschluß seines Bruders Paris. Auf seine Rede folgte ein tiefes Stillschweigen; endlich nahm Menelaus das Wort: »Hört mich an« – rief er – »mich, aus dessen Seele der allgemeine Kummer am schwersten lastet! Endlich, so hoffe ich, werdet ihr Trojaner und ihr Argiver des Streites ledig werden, und wir werden versöhnt von einander scheiden. Einer von uns Zweien soll sterben, ihr Andern aber sollt in Frieden scheiden. Laßt uns opfern und schwören, alsdann mag der Zweikampf beginnen!«

Beide Heere wurden froh über diese Worte, denn sie sehnten sich nach dem Ende des langen Krieges. Auf beiden Seiten zogen die Wagenlenker den Rossen die Zügel an, die Helden sprangen von ihren Streitwägen, schnallten ihre, Rüstungen ab und legten sie auf die Erde nieder. Die Feinde lagerten sich ganz nahe bei den Feinden, als wären sie Freunde. Hektor sandte eilig zwei Herolde nach Troja, die Opferlämmer zu bringen «id den König Priamus zu holen; auch der Heerführer Agamemnon schickte einen Herold nach den Schiffen, ein Lamm zu holen.

Eben saß Helena, durch die Götterbotin Iris, die auf dem Regenbogen zur Erde niederstieg, von dem bevorstehenden Zweikampf benachrichtigt, auf den Zinnen der Burg neben Priamus, als die Herolde die Bundesopfer durch die Stadt trugen. Der Herold Idäus folgte mit einem blinkenden Weinkrug und goldenem Becher zum Brandopfer. Dieser nahete dem König Priamus und sprach zu ihm: »Mache dich auf, o König, es nahen sich beide, die Fürsten der Trojaner und der Griechen, sie rufen dich hinab in's Gefilde, damit du dort einen heiligen Vertrag beschwörest. Dein Sohn Paris und König Menelaus werden mit dem Speere kämpfen um das Weib; wer im Kampfe siegt, dem folgt sie mit den Schätzen. Alsdann schiffen die Danaër mit allen ihren Mannen nach Griechenland zurück!«

Der König erschrak; doch befahl er seinen Gefährten, die Rosse anzuschirren, und mit ihm bestieg Antenor den Wagen. Priamus ergriff die Zügel, und die Rosse flogen hinaus auf's Blachfeld nach dem Lager. Als sie zwischen den beiden Völkern angekommen waren, verließ der König mit seinem Begleiter den Wagen und schritt hervor in die Mitte. Nun eilten auch Agamemnon und Odysseus herbei. Die Herolde führten die Bundesopfer heran, mischten den Wein im Kruge und besprengten die beiden Könige mit dem Weihwasser. Dann zog der Atride Menelaus das Opfermesser, das er immer neben der Scheide seines großen Schwertes trug, schnitt den Lämmern das Stirnhaar ab, und ries den Göttervater an zum Zeugen des Bundes. Hierauf durchschnitt er den Lämmern die Kehlen und legte die geopferten zur Erde nieder. Die Herolde gossen unter Gebet den Wein aus goldenen Bechern und alles Volk von Troja und von Griechenland flehte dazu laut: »Jupiter und ihr unsterblichen Götter alle! Welche von uns zuerst den Eidschwur brechen, deren Gehirn fließe aus den Boden, wie dieser Wein!«

Priamus aber sprach: »Jetzt, ihr Trojaner und Griechen, laßt mich wieder zu Ilion's hoher Burg zurückkehren, denn ich kann es unmöglich mit meinen Augen ansehen, wie hier mein Sohn auf Leben und Tod mit dem erzürnten Fürsten Menelaus kämpft; weiß es doch Zeus allein, welchem von Beiden der Untergang bestimmt ist!« So sprach der Greis, als seine Opferlämmer in den Staub gelegt waren, bestieg mit seinem Begleiter den Wagen und lenkte die Rosse wieder der Stadt Troja zu.

Nun maßen Hektor und Odysseus den Raum des Kampfplatzes ab und schüttelten in einem ehernen Helm zwei Loose, zu entscheiden, welcher der beiden Gegner zuerst die Lanze werfen sollte. Hektor, rückwärts gewandt, schwenkte den Helm, da sprang das Loos des Paris heraus. Beide Helden waffneten sich jetzt und wandelten im Panzer und Helm, die mächtigen Lanzen in der Hand, in der Mitte ihrer Völker, drohenden Blickes, und von den Ihrigen angestaunt. Endlich traten sie in den abgemessenen Kampfraum einander gegenüber und schwangen zornig ihre Speere. Durch das Loos berechtigt, entsandte zuerst Paris den seinen; der traf dem Menelaus den Schild, aber die Lanzenspitze bog sich am Erze und sank zurück. Nun erhob Menelaus seinen Speer und betete dazu mit lauter Stimme: »Zeus, laß mich den strafen, der mich zuerst beleidigt hat, daß man noch unter den späten Enkeln sich scheue, dem Gastfreunde Böses zu thun!« Schnell flog der Speer, durchschmetterte dem Paris den Schild, drang auch noch durch den Harnisch und durchschnitt auch den Leibrock an der Weiche. Darauf riß der furchtbare Atride sein Schwert aus der Scheide und führte einen gewaltigen Streich auf den Helm seines Gegners, aber knitternd zersprang ihm die Klinge. »Grausamer Zeus, was mißgönnst du mir den Sieg?« rief Menelaus, stürmte auf den Feind los, ergriff ihn am Helm und zog ihn umgewendet der griechischen Schlachtordnung zu; ja, er hätte ihn geschleift und der beengende Kehlriemen ihn erwürgt, wenn nicht die Göttin Aphrodite die Noth gesehen und den Riemen gesprengt hätte. So blieb dem Menelaus der leere Helm in der Hand; er schleudert ihn unwillig den Griechen zu und will den Gegner abermals packen. Aber siehe – Paris ist verschwunden, die Göttin hat ihn in eine Wolke gehüllt und schnell nach Troja entführt, wo sie ihn bei der geliebten Helena niedersetzte.

Auf dem Kampfplatze durchstürmte Menelaus noch immer wie ein Raubthier das Heer, um nach der verlorenen Beute zu spähen; aber weder ein Trojaner noch ein Grieche vermochte den Fürstensohn zu zeigen. Da erhob Agamemnon seine weithinschallende Stimme und rief: »Höret ihr Griechen und ihr Völker aus Troja! Menelaus hat gesiegt, ihr habt den Eid geschworen und gebet nun Helena mit den Schätzen zurück, bezahlet auch fortan den Griechen Tribut!« Die Danaer hörten diese Worte mit Jubel, die Troer aber schwiegen. Sie meinten, Paris, von den Göttern geschützt, sei noch nicht überwunden – und der Kampf entbrannte auf's Neue.

 

5. Hektor und Ajax im Zweikampf.

Einst sah die Göttin Pallas Athene (Minerva) vom hohen Olymp herab die zwei Brüder Hektor und Paris hineilen zum Kampf; da flog sie stürmisch hinab zur Stadt Troja. An Jupiter's Buche begegnete ihr Apollo, der von der Zinne der Burg, von wo er die Schlacht der Trojaner lenkte, daher kam, und seine Schwester also anredete: »Welcher Eifer ist doch über dich gekommen. Minerva! Bist du noch immer auf den Fall Troja's bedacht, Erbarmungslose? Hast du mir doch versprochen, für heute den entscheidenden Kampf ruhen zu lassen! Laß ein ander Mal die Feldschlacht toben, da du und die strenge Juno nicht ruhen, bis die hohe Stadt Ilion dahin sinkt!« Ihm antwortete Pallas Athene: »Fernhintreffer, es sei wie du sagst. Aber wie gedenkst du den Kampf der Männer zu stillen?« – »Wir wollen« – sprach Apollo – »dem gewaltigen Hektor seinen Muth noch steigern, daß er einen Danaer fordere zum entscheidenden Zweikampf; laß uns dann sehen, was diese thun.« Damit war die Göttin zufrieden.

Das Gespräch der Unsterblichen hatte der Seher Helenos in seiner Seele vernommen; eilig kam er zu Hektor und sprach: »Weiser Sohn des Priamus, wolltest du diesmal meinem Rathe gehorchen, der ich dein liebender Bruder bin? Heiß die Andern alle, Trojaner und Griechen, vom Streite ruhen; du selbst aber fordere den Tapfersten aller Argiver zum Zweikampf heraus. Es drohet dir kein Unglück, deß bin ich Bürge.«

Hektor freuete sich dieses Wortes. Er hemmte die trojanischen Heerhaufen und trat, den Speer in der Mitte haltend, zwischen die kämpfenden Heere. Auf dieses Zeichen ruhete alsbald der Streit auf beiden Seiten, denn auch Agamemnon ließ seine Krieger sich lagern. Minerva aber und Apollo setzten sich in Gestalt zweier Geier auf Jupiter's Buche und freueten sich der tapferen Männer, wie sie in einem Lanzenwald so ruhig sich lagerten. In der Mitte der kämpfenden Völker begann nun Hektor also: »Trojaner und ihr Griechen, höret, was mir jetzt mein Herz gebietet! Den Bund, den wir unlängst geschlossen, hat Zeus selber zerrissen, das ganze Volk soll entscheiden, ob Troja falle oder nicht. Doch in eurem Heere sind die tapfersten Männer, und wer es wagt, mit Hektor zu kämpfen, der trete heraus und stelle sich mir. Falle ich im Kampfe, so mag der Sieger meine Waffen zu den Schiffen seines Volkes tragen, meinen Leib aber nach Troja senden; wenn aber Apollo mir Ruhm verleiht, so hänge ich die Rüstung des Besiegten auf zu Troja im Tempel des Phöbus Apollo.«

Die Danaër schwiegen, denn es war gefährlich, den Kampf anzunehmen, und schimpflich, ihn zu verweigern. Da erhob sich Menelaus und strafte seine Landsleute mit den Worten: »Wehe mir, nicht Männer seid ihr, sondern Weiber. Ist Keiner unter euch, der dem Hektor widerstehet? O, verwandelt euch in Koth, ihr Memmen, ich aber will zum Kampfe mich gürten!« So sprach er und griff nach der Rüstung; aber die Griechen hielten ihn zurück, und sein Bruder Agamemnon erfaßte seine Rechte und sprach: »Hüte dich, Bruder, mit dem starken Manne zu streiten, der schon so manchen tapferen Griechen in den Sand streckte!« Und der kluge Greis Nestor hielt eine Rede an das Volk. »Wäre ich noch so jugendlich, wie ihr, die ihr zaudert, ich würde selbst zum Kämpfer mich stellen!« Da drängten sich die besten Helden herzu, Odysseus, Diomedes, die beiden Ajax und Idomeneus; sie alle erboten sich zu dem gefürchteten Kampf. »Das Loos mag entscheiden« – so begann abermals Nestor – »und wen es auch trifft, er wird kämpfen, daß die Griechen sich freuen!« Nun bezeichnete sich jeder selbst sein Loos, und jeder warf seines in den Helm Agamemnon's; das Volk betete, Nestor schüttelte den Helm und heraus sprang das Loos des Telamoniers Ajax. Freudig warf der Held sein Loos vor die Füße und rief: »Freunde, wahrlich es ist meines, und mein Herz ist froh, denn ich hoffe über Hektor zu siegen.«

Schnell hatte Ajax den riesigen Leib in blinkende Erzwaffen gehüllt, und als er kühn hervorschritt, war er dem schrecklichen Kriegsgott selber ähnlich. Die Troër zitterten und der gewaltige Hektor ward ernst. Ajax näherte sich ihm, den ehernen siebenhäutigen Schild vortragend. Als er ganz nahe vor Hektor stand, sprach er drohend: »Hektor, nun magst du erkennen, daß es unter dem Danaërvolk noch Helden giebt, auch wenn der göttergleiche Achilles auf dem Kampfplatze fehlt. Wohlan denn, beginne den blutigen Kampf!« Ihm antwortete Hektor: »Herrlicher Sohn des Telamon, versuche mich nicht wie ein schwaches Kind oder ein unkriegerisches Weib. Sind mir doch die Männerschlachten wohl bekannt; ich weiß den Stierschild zu wenden rechts und links, weiß den Tanz des schrecklichen Kriegsgottes zu tanzen und die Rosse im Gewühl zu lenken! Wohlan, nicht mit heimlicher List sende ich dir den Speer, tapferer Held, nein, öffentlich!« Mit diesen Worten entsandte er in hohem Schwunge die Lanze, und sie fuhr dem Ajax in den Schild, durchdrang sechs Schichten und ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft; sie zerschmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchschnitt seinen Leibrock und würde ihm in die Weiche gedrungen sein, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Sperre aus den Schilden und rannten wie unverwüstliche Waldeber auf's Neue gegen einander. Hektor zielte, mit dem Sperre stoßend, auf die Mitte des Schildes, aber seine Lanzenspitze bog sich an der harten Haut und durchbrach das Erz nicht. Ajax jedoch durchbohrte mit seinem Speere den Schild seines Gegners und streifte ihm selbst den Hals, daß ihm schwärzliches Blut entspritzte. Da wich Hektor ein wenig rückwärts; seine nervige Rechte aber ergriff einen Feldstein und traf damit den Schildbuckel des Feindes, daß das Erz erdröhnte. Doch Ajax hob einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und sandte ihn mit solchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild einwärts brach und dem Gegner das Knie verletzte. Hektor sank rücklings nieder, doch verlor er den Schild nicht aus der Hand, und Apollo, der unsichtbar ihm zur Seite stand, richtete ihn schnell wieder auf. Beide Helden wollten nun mit dem Schwerte auf einander los, um den Streit endlich zu entscheiden, da eilten die Herolde der beiden Völker herbei und steckten die Stäbe aus zwischen den Kämpfenden.

»Nun ist es genug des Kampfes,« rief Idäus, der trojanische Herold, ihr seid ja Beide tapfer und von Jupiter geliebt, deß sind wir Alle Zeugen!« Und Hektor selbst sprach zum Held Ajax: »Ein Gott hat dir, o Ajax, den gewaltigen Leib, die Kraft und die Speerkunde verliehen; darum laß uns heute ausruhen vom Kampfe der Entscheidung; ein ander Mal wollen wir so lange fechten, bis die Götter dem einen Volke Sieg, dem andern Verderben bereiten!« Da wurde Ajax freundlich und reichte seinem Gegner die Hand. Und Hektor sprach weiter: »Nun laß uns aber auch einander noch rühmliche Gaben schenken, damit es einst bei Griechen und Trojanern heiße: »»Sehet, sie kämpften zusammen den Kampf der Zwietracht, aber in Freundschaft sind sie von einander geschieden!«« Nach diesen Worten löste Hektor sein Schwert mit dem silbernen Griff und der silbernen Scheide und dem zierlichen Wehrgehenk. Ajax aber löste seinen purpurnen schöngestickten Gurt vom Leibe und bot ihn dem Hektor dar. So schieden die trefflichen Helden.

 

6. Achilles.

Wir haben oben der Hochzeit des Peleus mit der Göttin des Meeres Erwähnung gethan; aus dieser Ehe entsproß ein Sohn, der Achilles genannt wurde und sich bald durch Schönheit, Schnelligkeit und Tapferkeit hervorthat. Thetis, seine Mutter, wollte ihn gleich nach seiner Geburt unsterblich machen, und tauchte daher ohne Wissen des Peleus bei nächtlicher Weile den Knaben in ein Feuer, um das Sterbliche an ihm zu vertilgen, des Tages aber übersalbte sie ihn mit Ambrosia. Doch Peleus lauerte ihr einst auf, und als er den Knaben über dem Feuer zappeln sah, schrie er laut auf und hinderte seine Gemahlin, ihr Vorhaben ganz zu vollenden. Zornig verließ diese ihren Gemahl, um nie wieder das Haus des sterblichen Mannes zu besuchen; sie tauchte hinab in die Tiefe des Meeres zu ihren Eltern und Geschwistern. Achilles war aber durch das Feuer unverwundbar geworden bis an die Fersen, an denen ihn seine Mutter gehalten hatte und welche deshalb vom Feuer nicht berührt werden konnten.

Peleus brachte seinen Sohn zum weisen Chiron, daß dieser ihn zu einem Helden erziehen sollte. Dieser nährte seinen Zögling mit den Eingeweiden der Löwen und dem Mark der Eber und Bären, wodurch er stark und kräftig wurde. Dem Achilles war vom Schicksal ein doppeltes Loos bestimmt worden: entweder sollte er fern von Waffen und Kämpfen, aber auch ruhmlos, als hochbetagter Greis in seiner Heimath sterben, oder in der Blüthe der Jahre auf fremder Erde fallen, dann aber auch mit Ruhm gekrönt werden. Zwischen beiden Loosen hatte er die Wahl. Die Göttin Thetis wollte ihren Sohn aus mütterlicher Liebe vor dem frühen Tode bewahren, und brachte ihn heimlich zum König Lykomedes auf der Insel Skyros. Denn Kalchas hat geweissagt, daß Troja nicht ohne Achilles würde erobert werden. Als nun ganz Griechenland sich rüstete, wollten die Fürsten auch den Heldenjüngling Achilles einladen zum Kampfe, aber er war nirgends zu finden. Indeß gelang es dem schlauen Odysseus, der immer Rath wußte, ihn aufzufinden und zum Kampfe zu bestimmen. Odysseus verkleidete sich als Kaufmann, nahm allerlei Waaren mit sich und erschien so am Hofe des Königs Lykomedes auf der Insel Skyros. Da hatte man den Achill in Mädchenkleider gesteckt und er ward mit den Töchtern des Königs erzogen. Odysseus nun breitete vor den Mädchen schöne Armspangen, Bänder, Ringe und andere Schmucksachen aus, darunter aber auch Waffen. Die Töchter des Lykomedes griffen nach den Schmucksachen. Achilles nach den Waffen. Dadurch verrieth er sein Geschlecht. und die blitzenden Waffen erweckten seine Kampflust so gut, daß er dem Odysseus willig nach Aulis folgte.

Achilles war der furchtbarste Feind der Trojaner; wen seine Lanze traf, der war verloren; er allein verwüstete 23 Städte in der Landschaft Troas. Im zehnten Jahre des Kampfes hatten die Griechen eines Tages große Beute gemacht, Achilles forderte die schöne Sklavin Briseis für sich, aber der Völkerfürst Agamemnon verweigerte sie ihm. Darüber entstand ein heftiger Streit, dessen Ende war, daß Achilles mit den Schaaren seiner Myrmidonen, die er aus Thessalien hergeführt hatte, von den übrigen Griechen sich trennte. Er lag nun ruhig in seinem Zelte, vertrieb sich mit den Klängen der Cither die Zeit und schaute ruhig dem Kampfe zu. Die Trojaner kamen dem griechischen Lager immer näher und wurden immer kühner, weil Achilles fehlte. Doch den zornigen Peliden kümmerte das nicht, Odysseus vermochte mit all seiner Beredtsamkeit nichts mehr über ihn, und er wollte in wenigen Tagen in seine Heimath wieder zurückkehren.

Da geschah es, daß Patroklus in der Rüstung seines Freundes Achilles gegen die Troër zum Streite auszog. Diese glaubten den Achilles selber zu schauen, flohen nach der Stadt oder wurden, wenn sie dem Patroklus widerstanden, niedergestreckt. Doch zu weit ließ er sich von seiner Kampflust fortreißen; Hektor, der gewaltige Sohn des Priamus, stellte sich ihm selber entgegen, und Patroklus erlag diesem Kriegshelden im Streite. Als Achilles die Leiche des theuren Gefährten sah, ward es Nacht vor seinen Augen, mit beiden Händen griff er nach dem schwarzen Staube und bestreute sein Haupt, Antlitz und Gewand. Dann warf er sich, so riesig er war, zu Boden und raufte sich das Haupthaar aus, und sein Jammergeschrei schallte so fürchterlich in die Lüfte hinaus, daß seine Mutter die Stimme des Weinenden vernahm und, aus dem Meere auftauchend, zu ihrem Sohne eilte. Hier vernahm sie sein Leid und hörte seinen Entschluß, den gefallenen Freund zu rächen. Da aber seine Rüstung in Hektors Händen war, begab sich die Meergöttin selbst in die Wohnung des Hephästos (Vulkan), des Schmiedegottes, der auf ihre Bitten dem Achilles eine neue prächtige Rüstung verfertigte. Diese brachte die besorgte Mutter zu ihrem noch immer klagenden Sohne.

Der aber ging nun in die Volksversammlung und söhnte sich aus mit dem Völkerfürsten Agamemnon, und jetzt zog mit neuem Muth das Griechenheer in die Schlacht, in der nicht nur Menschen, sondern diesmal die Götter des Olympos selber mitkämpften – auf Seiten, der Troer, wie auf der Seiten der Griechen. Der furchtbare Mars brüllte wie ein Sturm, die schadenfrohe Eris tobte durch die Schaaren, dazu donnerte Zeus vom Olymp, und Poseidon, der Beherrscher des Meeres, erschütterte die Erde, daß Pluto selber in seinem unterirdischen Reiche erschrak. Achilles wüthete wie ein gereizter Löwe unter der Heerde, seine Rosse trabten stampfend über Schilder und Leichname dahin, die Achse seiner Wagenräder troff von Blut, und bis zu den Rändern des Sitzes spritzten die Tropfen empor. So drängte er die Fliehenden in den Strom Skamander und stürzte sich mit dem Schwerte ihnen nach. Bald röthete sich das Wasser von Blut, seine Hände wurden starr vom Morden und der Stromgott Skamander selbst ergrimmte ob des entsetzlichen Würgers. Er fing an zu schwellen, regte seine trüben Fluthen auf, warf die Getödteten mit lautem Gebrüll an's Gestade und seine Brandung schlug schmetternd an den Schild des Achilles. Nur mit Mühe, über die Aeste einer losgerissenen Ulme klimmend, erreichte dieser das Ufer, aber der Flußgott rauschte ihm nach, die Wogen bespülten seine Schultern und raubten ihm den Boden unter den Füßen. Da kam Minerva und half ihm, daß er das Ufer wieder gewann. Doch der zornige Stromgott rief den benachbarten Simois zu Hülfe, und erst als Hephästos mit seinem Feuer die Bäume am Gestade anzündete, die Fische, von der Gluth erschreckt, angstvoll nach frischem Wasser schnappten, der Strom endlich selbst in lichten Flammen wogte, flehete er die Göttermutter Juno um Mitleid an, und auf deren Befehl löschte Hephästos die Gluth, der Skamander aber rollte in seine Ufer zurück.

 

7. Hektor und Andromache.

Als die Feldschlacht vor Troja's Mauern so furchtbar tobte, eilte Hektor in die Stadt zurück, um seine Mutter Hekuba zu mahnen, sie möchte doch durch feierliche Gelübde die erzürnte Pallas Athene (Minerva) versöhnen, daß Achilles nicht mit übermenschlicher Kraft zum Siege gelange. Der treffliche Mann benutzte die Gelegenheit, nach Weib, Kind und Gesinde zu schauen, bevor er wieder in die tobende Feldschlacht eilte. Die Gattin aber war nicht zu Hause. »Als sie hörte« – sprach die Schaffnerin –, »daß die Trojaner Noth leiden und der Sieg sich zu den Griechen neige, verließ sie angstvoll das Haus, um einen der Thürme zu besteigen. Die Wärterin mußte ihr aber das Kind nachtragen.«

Schnell legte Hektor den Weg durch die Straßen Troja's jetzt wieder zurück. Als er das Skäische Thor erreicht hatte, kam seine Gemahlin Andromache eilenden Laufes gegen ihn her; die Dienerin, ihr folgend, trug das unmündige Knäblein Astyanax, schön wie ein Stern, an der Brust. Mit stillem Lächeln betrachtete der Vater den lieblichen Knaben, Andromache aber trat weinend an seine Seite, drückte ihm zärtlich die Hand und sprach: »Entsetzlicher Mann! Gewiß tödtet dich noch dein Muth, und du erbarmst dich weder deines stammelnden Kindes noch deines unglückseligen Weibes, das bald eine Wittwe sein wird. Sollte ich dich verlieren, so wäre es das Beste, ich sänke auch zur Unterwelt hinab. Den Vater hat mir Achilles getödtet, meine Mutter hat mir der Bogen Diana's erlegt, meine sieben Brüder hat auch der Pelide umgebracht. Ohne dich habe ich keinen Trost, mein Hektor, du bist mir Vater und Mutter und Bruder. Darum erbarme dich, bleibe hier auf dem Thurme; mache dein Kind nicht zur Waise, dein Weib nicht zur Wittwe! Stelle das Heer dort an den Feigenhügel, dort ist die Mauer zum Angriffe frei und am leichtesten zu ersteigen, dorthin haben die tapfersten Krieger, die Ajax beide, die Atriden (Menelaus und Agamemnon), Idomeneus und Diomedes schon drei Mal den Sturm gelenkt – sei es, daß ein Seher es ihnen offenbarte oder daß das eigene Herz sie trieb.«

Liebreich antwortete Hektor seiner Gemahlin: »Auch mich härmt alles dieses, Geliebteste! Aber ich müßte mich ja vor Troja's Männern und Frauen schämen, wenn ich hier aus der Ferne feig und erschlafft dem Kampfe zuschauen wollte. Auch treibt mich mein Muth, in den vordersten Reihen zu kämpfen. Wohl sagt es mir eine Stimme im Herzen: Einst wird kommen der Tag, wo das heilige Ilion hinsinkt, und Priamus und all sein Volk; aber das Leid der Brüder und meines Volkes ist nicht so bitter, als wenn das Weib Hektors, fortgeführt in die Gefangenschaft, zu Argos am Webstuhl sitzen und Wasser tragen muß, und die Männer dann auf die Weinende schauen und mitleidig sprechen: Das war Hektors Weib!« So sprach der tapfere Mann und streckte seine Hände nach dem Knäbchen aus; aber das Kind schmiegte sich schreiend an den Busen der Amme, denn es fürchtete sich vor dem ehernen Helm und dem fürchterlich wehenden Roßschweif. Der Vater schaute das Kind und die zärtliche Mutter lächelnd an, nahm sich schnell den schimmernden Helm vom Haupte, legte ihn zu Boden, küßte sein geliebtes Kind und wiegte es auf dem Arm. Dann flehte er zum Himmel gewandt: »Zeus und ihr Götter! Laßt dieses Knäblein werden dem Vater gleich, voranstrebend dem Volke der Trojaner; laßt es mächtig werden in Troja, und wenn es einst heimkehrt aus dem Streit, dann möge das Volk sprechen: Der Sohn ist noch tapferer als der Vater!« Mit diesen Worten gab er den Sohn der Gattin in den Arm, die unter Thränen lächelnd ihn an ihren Busen drückte. Hektor aber streichelte sie, inniger Wehmuth voll, mit der Hand und sagte: »Armes Weib! trauere nicht zu sehr in deinem Herzen; gegen den Willen der Götter wird mich Niemand tödten, dem Verhängniß aber ist noch kein Sterblicher entronnen. Gehe du nun zurück in dein Haus zum Webstuhl und zur Spindel und befiehl deinen Weibern; der Mann aber muß hinaus in die Schlacht und siegen oder sterben.« Und wie er das gesagt, nahm Hektor rasch seinen Helm und eilte sofort in das Getümmel der Schlacht. Weinend und kummervoll schaute das blühende Weib ihm nach.

 

8. Achilles und Hektor.

Immer näher kam Achilles geschritten, dem Kriegsgott an furchtbarer Herrlichkeit gleich; auf der rechten Schulter wiegte sich die schreckliche Lanze aus Eschenholz vom Pelion, seine Erzwaffen schimmerten um ihn wie eine Feuersbrunst oder wie die ausgehende Sonne. Als Hektor ihn sah, ward er beklommen um's Herz, seine Füße zitterten und er wandte sich um, dem Thore zu. Doch hinter ihm her flog der Pelide wie ein Falke hinter der Taube, die oft seitwärts schlüpft, während der Raubvogel gerade andringt in seinem Fluge. So flüchtete Hektor längs der Mauer von Troja über den Fahrweg hinüber an den beiden sprudelnden Quellen des Skamander vorbei, der warmen und der kalten, immer weiter um die Mauer, und ein Starker floh, aber ein Stärkerer folgte. Also kreisten sie dreimal um die Stadt des Priamus, und aufmerksam schauten die ewigen Götter vom Olymp auf den Kampfplatz herab und mit Schrecken schaueten Priamus und die Seinigen die Gefahr des besten Trojaners. Wie ein Jagdhund den aus seinem Lager aufgescheuchten Hirsch, so bedrängte Achilles den Hektor, er gönnte ihm keinen Schlupfwinkel und keine Rast. Auch winkte er den Griechen zu, daß keiner sein Geschoß auf Hektor werfen und ihm, dem Achilles, nicht den Ruhm schmälern sollte, den furchtbaren Feind der Griechen mit eigner Hand erlegt zu haben.

Als sie nun zum vierten Male auf ihrer Runde um die Mauer an die Quellen des Skamander gelangt waren, da erhob sich Jupiter auf dem Olymp, streckte die goldene Wage vor und legte zwei Todesloose hinein, das eine für den Peliden, des andere für Hektar. Dann faßte er die Wage in die Mitte und wog; da sank Hektars Wagschale tief nach dem Hades zu, und augenblicklich verließ Phöbus Apollo seine Seite. Zu Achilles aber trat Pallas Athene, die kriegerische Göttin, und flüsterte ihm in's Ohr: »Steh' und erhole dich, während ich jenem zurede, dich kühn zu bekämpfen.« Achilles lehnte sich, der Göttin gehorchend, auf seinen ehernen Speer, sie aber, in der Gestalt des Deiphobos, trat ganz nahe zu Hektar und sprach zu ihm: »Ach, mein älterer Bruder, wie bedrängt dich der Pelide! Wohlan, laß uns Stand halten und ihn abwehren!« Freudig aufblickend erwiederte Hektar: »Du warst immer mein trautester Bruder, Deiphobos, jetzt aber liebt dich mein Herz noch mehr, daß du dich herauswagst aus der Stadt, während die Andern alle hinter der Mauer sitzen.« Athene winkte dem Helden zu und schritt, die Lanze gehoben, ihm voran, dem ausruhenden Achill entgegen. Diesem rief Hektar zuerst zu: »Nicht länger entfliehe ich dir, o Pelide, mein Herz treibt mich, dir Stand zu halten, daß ich dich tödte oder selber falle! Laß uns aber bei den Göttern schwören: wenn mir Jupiter den Sieg verleiht, werde ich dich nimmer mißhandeln, sondern die Leiche deinen Volksgenossen zurückgeben, nachdem ich dir die Rüstung abgezogen habe. Ein Gleiches gelobe auch mir.«

»Nicht von Verträgen geplaudert!« erwiederte finster Achilles. »So wenig ein Hund zwischen Menschen und Löwen Freundschaft stiftet, so wenig zwischen Wölfen und Lämmern Eintracht ist, so wenig wirst du mich dir geneigt machen, und Einer von uns muß blutig zu Boden stürzen. Nimm deine Kunst zusammen; du mußt Lanzenschwinger und Fechter zugleich sein. Doch du wirst mir nicht entrinnen: das Leid, das du mir und den Meinigen gethan, sollst du nun auf einmal büßen!« So schalt Achilles und schleuderte die Lanze. Doch Hektar sank schnell in's Knie und das Geschoß flog über ihn weg in die Erde. Hier faßte es Athene und gab es dem Peliden, unbemerkt von Hektar, zurück. Mit zornigem Schwunge entsandte nun Hektor auch seinen Speer, und dieser fehlte ihn nicht, er traf mitten auf den Schild des Achilles, aber prallte auch davon ab. Bestürzt sah sich Hektor nach seinem Bruder Deiphobos um, denn er hatte keine zweite Lanze zu versenden. Doch dieser war verschwunden. Da wurde Hektor inne, daß es Pallas Athene war, die ihn getäuscht hatte. Wohl sah er ein, daß das Schicksal ihn jetzt fassen würde: so dachte er nur darauf, nicht ruhmlos in den Staub zu sinken. Er zog sein gewaltiges Schwert von der Hüfte und stürmte, in seiner Rechten es schwingend, wie ein Adler daher, der auf ein Lämmlein herabschießt. Der Pelide wartete den Streich nicht ab; er drang von seinem Schilde gedeckt vor, sein Helm nickte, die Mähne flatterte und sternhell strahlte sein Speer, den er grimmig in seiner Rechten schwenkte. Sein Auge durchspähte den Leib Hektars, forschend, wo etwa eine Wunde haften könnte. Da fand er Alles blank von der Rüstung umhüllt: nur wo Achsel und Hals das Schlüsselbein verbindet, erschien die Kehle, die gefährlichste Stelle für des Leibes Leben, ein wenig entblößt. Dorthin lenkte Achilles schnell besonnen seinen Stoß und durchstach ihm den Hals so mächtig, daß die Lanzenspitze zum Genick hinaus drang. Hektor sank nieder, aber der Speer hatte nicht ihm die Kehle durchschnitten, und schwer athmend flehete der Gefallene: »Ich beschwöre dich, Achilles, bei deinen Knieen, bei deinen Eltern, laß meinen Körper nicht schmachvoll bei den Schiffen der Danaer liegen, entsende ihn nach Troja zu den Meinen!«

Aber Achilles schüttelte sein fürchterliches Haupt und sprach: »Beschwöre mich nicht bei meinen Knieen und bei meinen Eltern, du Mörder meines Freundes! Niemand soll dir die Hunde verscheuchen von deinem Haupt und wenn auch Priamus dich aufwiegen wollte mit Gold!« – »Ich kenne dich« – stammelte der sterbende Hektor – »dein Herz ist eisern! Aber denk' an mich, wenn die Geschosse Apolls am Skäischen Thore dich treffen.« Mit dieser Weissagung verließ Hektars Seele ihren Leib und floh zum Hades hinunter. Der grausame Achilles aber rief der fliehenden Seele nach: »Stirb du, mein Loos empfang' ich vom Jupiter, wenn die Götter wollen. Jetzt aber will ich meinem Freunde Patroklus das Sühnopfer bringen.« Und nun zog er die Rüstung ab von dem Leibe des Gemordeten, durchbohrte ihm an beiden Füßen die Sehnen zwischen Knöchel und Fersen, durchzog sie mit Riemen und band diese am Wagensitze fest. Dann schwang er sich in den Wagen und trieb seine Rosse mit der Geißel den Schiffen zu, den Leichnam nachschleppend. Staubgewölk umwallte den Geschleiften, sein jüngst noch so liebliches Haupt zog mit zerrüttetem Haar eine breite Furche durch den Sand. Von der Mauer herab erblickte seine Mutter Hekuba das grauenvolle Schauspiel, warf den Schleier ihres Hauptes weit von sich und sah jammernd ihrem Sohne nach. Auch der König Priamus weinte und jammerte und das Geheul der Trojaner hallte durch die ganze Stadt. Der alte Vater wollte dem Mörder seines Sohnes nach und mit ihm um die Beute kämpfen. Er warf sich auf den Boden und rief: Hektor, Hektor! Alle anderen Söhne, die mir der Feind erschlug, vergesse ich über dich! O wärest du doch in meinen Armen gestorben!«

Ruhig saß in einem der Gemächer des Palastes Andromache, denn sie hatte von dem Unglück noch nichts vernommen. Sie durchwirkte eben ein schönes Purpurgewand mit bunter Stickerei und rief einer der Dienerinnen einen großen Dreifuß an's Feuer zu stellen, um ihrem Gemahl ein wärmendes Bad vorzubereiten, wenn er aus der Feldschlacht heimkehrte. Da vernahm sie vom Thurme her Geheul und Jammergeschrei. Finstre Ahnung im Herzen rief sie: »Weh' mir, ihr Mägde, ich fürchte, Achilles habe meinen mächtigen Gatten von der Stadt abgeschnitten!« Mit pochendem Herzen durchstürmte sie den Palast, eilte auf den Thurm und sah herab über die Mauer, wie die Rosse des Peliden den Leichnam ihres Gemahls durch das Blachfeld schleppten. Da sank Andromache rückwärts in die Arme ihrer Schwäger und Schwägerinnen in tiefe Ohnmacht und der köstliche Haarschmuck, das Band, die Haube, die schöne Binde, das Hochzeitsgeschenk Aphrodite's, flogen weit weg von ihrem Haupte. Als sie endlich zum Bewußtsein kam, rief sie mit gebrochener Stimme schluchzend vor Troja's Frauen: »Hektor! Wehe mir Armen! Du elend, wie ich, geboren zum Elend, wie ich! In Schmerz und Jammer verlassen sitze ich nun im Hause und der unmündige Knabe, des Vaters beraubt, wird mit thränendem Auge erwachsen! Er wird betteln müssen bei den Freunden des Vaters und man wird ihn verstoßen, weil er keinen Vater hat! Dann flüchtet er sich weinend zur Mutter, die keinen Gatten hat, und Hektors Leichnam sättigt die Hunde!« So sprach weinend und wehklagend das arme Weib und die Trojanerinnen seufzten.

 

9. Achilles und Priamus.

Nun erst, als der Tod des Freundes gesühnt war, wurde der Leichnam des Patroklus verbrannt und glänzende Spiele wurden gehalten, das Fest der Bestattung zu feiern. Nur Hektor's Leichnam lag wie ein Aas auf dem Felde und am frühen Morgen spannte Achilles seine Rosse in's Joch, befestigte den Leichnam am Wagen und schleifte ihn dreimal um das Denkmal des Patroklus. Doch Apollo schützte den Leichnam vor Verwesung und auch die andern Götter erbarmten sich über den Todten.

Die Götterbotin Iris stieg abermals herab und mahnte den greisen Priamus, an das Lager des Achilles zu fahren, um den Sohn auszulösen. Da machte sich Priamus auf, ließ den Wagen anschirren und fuhr, von Hermes (Mercurius) beschirmt, in der Stille der Nacht mitten durch das griechische Lager in das Zelt des Achilles. Der Held ruhete schon; der greise König umschlang seine Kniee und küßte dann die Hände, die ihm schon so viele Söhne erschlagen hatten. »Göttergleicher Achilles« – so sprach er – »gedenke deines Vaters, der alt ist, wie ich, vielleicht auch bedrängt von feindlichen Nachbarn in Angst und ohne Hülfe. Doch bleibt ihm die Hoffnung, seinen geliebten Sohn wieder zu sehen. Ich aber, der ich fünfzig Söhne hatte und davon neunzehn von einer Gattin, bin der meisten in diesem Kriege beraubt worden und zuletzt durch dich des einzigen, der die Stadt und uns Alle zu schirmen vermochte. Darum komme ich nun zu den Schiffen, ihn, meinen Hektor, von dir zu erkaufen und bringe unermeßliches Lösegeld mit. Scheue die Götter, Pelide, erbarme dich mein und gedenke des eigenen Vaters! Muß ich doch leiden, was kein Sterblicher erduldet, denn ich drücke die Hand an meine Lippe, die meine Kinder getödtet hat.« So sprach der Greis und der Held gedachte seines Vaters und faßte den Alten sanft bei der Hand. Dieser aber sank zu den Füßen des Peliden und weinte; Achilles weinte auch über seinen Vater und seinen Freund und das ganze Zelt erscholl von Jammertönen.

Da sprang Achilles wie ein Löwe aus der Pforte und ihm nach seine Genossen. Vor dem Zelte spannten sie die Thiere aus dem Joch und führten den Herold herein. Dann hoben sie die Lösegeschenke vom Wagen und ließen nur zwei Mäntel und einen Leibrock zurück, um damit die Leiche Hektor's anständig zu verhüllen. Dann ließ Achilles, fern und ungesehen vom Vater, den Leichnam waschen, salben und bekleiden. Achilles selbst legte ihn auf ein unterbreitetes Lager, und während die Freunde den Todten auf den Wagen hoben, rief er den Namen seines Freundes an und sprach: »Zürn' und eifere mir nicht, Patroklus, wenn du etwa in der Unterwelt vernimmst, daß ich Hektor's Leiche seinem Vater zurückgebe! Er hat kein unwürdiges Lösegeld gebracht und auch dir soll dein Antheil davon werden!«

Nun kehrte Achill zurück in's Zelt, setzte sich dem Könige wieder gegenüber und sprach: »Siehe, dein Sohn ist jetzt gelöst, o Greis! In ehrbare Gewänder gehüllt, liegt er auf deinem Wagen. Sobald der Morgen sich röthet, magst du ihn schauen und dann davon führen. Jetzt aber laßt uns der Nachkost gedenken; du hast noch Zeit genug, deinen lieben Sohn zu beweinen, wenn du ihn zur Stadt gebracht hast, denn wohl verdient er viele Thränen!« Darauf ließ Achilles ein Mahl bereiten und bewirthete seinen Gast. Während des Mahles staunte Priamus über Wuchs und Gestalt des Helden und dieser bewunderte seinerseits das würdevolle Antlitz und die weise Rede des Greises. Darauf ward ihm ein Lager bereitet und Achilles verhieß ihm eine Waffenruhe von neun Tagen, um den edlen Hektor würdig zu bestatten. Der unglückliche Vater konnte nicht schlafen und schon vor Anbruch des Tages erschien ihm Hermes und mahnte zur Rückkehr nach Troja. Da erhob sich Priamus und fuhr mit dem theuern Leichnam zum trauernden Ilium zurück.

 

10. Die Eroberung von Troja.

Nachdem die Griechen zehn Jahre lang vor Troja gelagert und vergebens gekämpft hatten, nahmen sie endlich ihre Zuflucht zur List. Auf den Rath des Odysseus fällten sie auf dem waldreichen Idagebirge hochstämmige Tannen und nun zimmerte der kunstreiche Held Epeos ein mächtiges Roß. Er machte zuerst die Füße des Pferdes, dann den Bauch, über diesen fügte er den gewölbten Rücken, hinten die Weichen, vorn den Hals und über diesen formte er zierlich die Mähne, die sich flatternd zu bewegen schien. Kopf und Schweif wurden reichlich mit Haaren versehen, aufgerichtete Ohren an den Pferdekopf gesetzt und gläserne leuchtende Augen unter der Stirn angebracht – kurz, es fehlte nichts, was an einem lebendigen Pferde sich regt und bewegt. Und weil ihm Minerva half, vollendete der Meister das Werk in drei Tagen, zur Bewunderung des ganzen Heeres.

Nun stiegen die tapfersten Helden, Neoptolemus, der Sohn des Achilles, Menelaus, Diomedes, Odysseus, Philoktet, Ajax und Andere, zuletzt Epeos, der das Roß gefertigt, in den geräumigen Bauch des hölzernen Pferdes; die übrigen Griechen aber steckten Zelte und Lagergeräth in Brand und segelten nach der nah gelegenen Insel Tenedos, wo sie an's Land stiegen.

Als die Trojaner den Rauch vom Lager in die Luft steigen sahen und auch die Schiffe verschwunden waren, strömten sie voll Freuden aus der Stadt nach dem griechischen Lager zu und erblickten hier das gewaltige hölzerne Roß. Während sie unter einander stritten, ob man das Wunderding verbrennen oder in die Stadt schaffen sollte, trat Laokoon, ein Priester des Apollo, in ihre Mitte und rief: »Unselige Mitbürger, welcher Wahnsinn treibt euch! Meint ihr, die Griechen seien wirklich davon geschifft, oder eine Gabe der Danaër verberge keinen Betrug? Kennt ihr den Odysseus nicht besser? Entweder ist irgend eine Gefahr in dem Rosse verborgen, oder es ist eine Kriegsmaschine, die von dem im Verborgenen lauernden Feinde in unsere Stadt getrieben wird. Was es aber auch sein mag – trauet dem hölzernen Thiere nicht!« Mit diesen Worten stieß er eine mächtige eiserne Lanze in den Bauch des Pferdes. Der Speer zitterte im Holz und aus der Tiefe tönte ein Wiederhall wie aus einer Kellerhöhle. Aber der Sinn der Trojaner blieb verblendet.

Siehe, aus einmal bringen trojanische Hirten einen gefangenen Griechen daher. Sinon hieß er; sie hatten ihn im Schilfe des Skamander ertappt. Da freueten sich Alle. Neugierig stellten sie sich im Kreise um ihn herum und drangen in ihn, er solle auf der Stelle bekennen, was das Pferd bedeute. Das eben hatte der Arglistige gewünscht, denn er hatte es früher mit seinen Landsleuten verabredet, sich von den Trojanern fangen zu lassen und dann die Trojaner zu bewegen, daß sie das Pferd in ihre Stadt führten. Er fing laut an zu weinen und stellte sich lange, als könne und dürfe er um Alles in der Welt nicht das Geheimniß verrathen. »Nein, ich bitte euch« – sprach er – »tödtet mich lieber aus der Stelle!« Um so neugieriger wurden die Trojaner. Endlich gab er ihren Bitten und Drohungen nach. »So hört denn« – rief er – »die Griechen schiffen jetzt nach Hause. Aus Befehl des Priesters ward dieses Pferd gezimmert, damit die Heimfahrt der Danaer glücklich sei; denn es ist ein Sühnungsgeschenk für die beleidigte Schutzgöttin eurer Stadt, deren Bildniß Diomedes und Odysseus einst freventlich entwandten. Kommt das Pferd unverletzt in eure Stadt, so wird sie nach dem Ausspruch des Sehers unüberwindlich sein und die Völker rings umher beherrschen. Das eben wollten eure Feinde verhindern: darum bauten sie das Roß so groß, daß es nicht durch die Thore geht.«

So sprach der listige Grieche und die bethörten Trojaner glaubten seiner gleißenden Rede. Eiligst machten sie jetzt Räder unter das Pferd, hefteten Stricke an seinen Bauch und Alt und Jung spannte sich daran. Wer nicht so glücklich war, einen Strick erfassen zu können, schloß sich wenigstens dem Zuge der Knaben und Mädchen an, die schön geschmückt zu beiden Seiten gingen und feierliche Lieder sangen. Nun kommen sie an das Thor, aber das Pferd ist zu groß. Flugs sind starke Männer bereit und reißen einen Theil der Stadtmauer nieder. Jubelnd schieben sie das Pferd durch die weite Oeffnung, der Zug geht durch die langen Straßen, hin nach der Burg. Hier, vor dem Tempel der Göttin, wird das Wunderthier feierlich ausgestellt, damit Jeder es sehen und über seinen Besitz sich freuen möge.

So fröhlich der Tag, so schrecklich war die ihm folgende Nacht. Während Alles in tiefem Schlafe lag, schleicht Sinon sich zu dem hölzernen Pferd, öffnet leise die Thür und die geharnischten Männer steigen aus dem finstern Bauche hervor. Sie gehen nach den Thoren der Stadt; die Wächter schlafen, man tödtet sie. Draußen aber harren schon der Griechen beutelustige Schaaren. Die Thore werden geöffnet und mit freudigem Siegesgeschrei dringen die Danaër in die wehrlose Stadt. Sinon läuft mit Brandfackeln in den Straßen umher und zündet die Häuser an. Zu spät merken die Trojaner den Verrath. In allen Straßen, in allen Häusern wird blutig gekämpft. Bald steht die ganze Stadt in Flammen und was nicht vom Schwerte der Griechen fortgerafft wird, stirbt den Tod durch's Feuer. Nur ein kleines Häuflein rettet sich, mit ihm der fromme Aeneas. Wie er Alles verloren sah, wie schon die Flamme aus dem Giebel seines Daches helllodernd gen Himmel schlug: da nahm er hurtig seinen alten Vater Anchises auf die Schultern, sein Söhnlein Askanius bei der Hand, und so entkam er dem Verderben.

Nicht so glücklich war der König Priamus. Er hatte sich mit Weib und Kind in das Innere des Palastes geflüchtet und sich dort vor den Altären der Hausgötter flehend niedergeworfen. An dieser heiligen Stätte hoffte der unglückliche Greis Gnade zu finden bei den erzürnten Feinden. Aber wie hatte er sich geirrt. Mit entblößten Schwertern drangen sie herein, erst stachen sie die Söhne nieder vor den Augen des Vaters, dann diesen selbst. Sein Weib und seine Kinder schleppten sie auf die Schiffe und theilten dann die Sklaven unter sich. Menelaus bekam seine Helena wieder, aber das schöne Ilion lag zertrümmert!

 

II. Die Irrfahrten des Odysseus.

 

1.

Als Odysseus nach der Zerstörung von Troja mit seinen zwölf Schiffen der Heimath zusegelte, verschlug ihn ein Sturm an das Land der Cyklopen, der ungeschlachten Riesen, die weder pflanzten noch säeten, denn ohne Arbeit erwuchs ihnen Weizen und Gerste und die edle Rebe, nur von Zeus' Regen befruchtet. Sie kannten weder Gesetze, noch Versammlungen des Volkes zu gemeinsamer Berathung; sie wohnten einsam in gewölbten Felsgrotten des Gebirges. Vor dem Lande der Cyklopen lag eine kleine Insel voll Wälder, in denen zahllose Heerden wilder Ziegen umherstreiften. Dahin kamen die Schiffe des Odysseus, in dunkler, mondloser Nacht; mit Anbruch des Tages machten sich die Griechen auf und durchwanderten das Eiland, mit ihren Pfeilen wilde Ziegen zu ihrer Nahrung erlegend. Da sie noch Weins die Fülle hatten, verbrachten sie bei fröhlichem Mahle den Tag.

Bald aber erkannten sie an dem aufsteigenden Rauch und an den Stimmen des Volkes das nahegelegene Land der Cyklopen und den folgenden Morgen machte sich Odysseus mit einem Theile seiner Genossen aus, nach dem Lande hinzusegeln, um zu erforschen, was für Menschen es bewohnten. Als sie am Gestade landeten, sahen sie eine von Lorbeerbüschen umschattete Felsenhöhle, um die sich langstämmige Fichten und hochgewipfelte Eichen erhoben. In der Höhle hauste ein Mann von Riesengestalt, der, einsam seine Heerde werdend, niemals mit Andern umging, sondern für sich allein auf frevelhafte Thaten sann.

Odysseus erwählte zwölf seiner Gefährten und gebot den Andern, bei dem Schiffe zu bleiben. Nun wanderte er mit seinen Freunden weiter, die Wein in einem Schlauche und noch Reisekost trugen. An der Höhle angelangt, fanden sie den Riesen nicht daheim, denn schon hatte er seine Heerde auf die Weide getrieben. In seiner Abwesenheit betrachteten die Griechen neugierig die Höhle; darin standen ringsum Körbe mit Käsen; Lämmer und Zicklein waren in den Ställen; auch fehlte es nicht an Geschirren, Butten und Kübeln zur Aufbewahrung der reichlich vorhandenen Milch. Die Griechen zündeten ein Feuer an und aßen von den Käsen. Bald erschien der Riese mit einer gewaltigen Ladung trockenen Holzes, das er mit lautem Gekrach auf die Erde warf, so daß die Griechen vor Schrecken in die Winkel der Höhle flohen. Jetzt trieb er die Schafe und Ziegen, die er melken wollte, in die Felsenkluft, während er die Widder und Böcke draußen ließ; dann setzte er einen gewaltigen Felsen vor den Eingang der Höhle, den kaum 22 vierräderige Wagen hätten fortschaffen können. Als der Riese seine Heerde gemolken und an der Milch sich gelabt hatte, und die übrig gebliebene in die Geschirre gefüllt war, zündete er ein Feuer an. Da bemerkte er die Fremdlinge und sprach zornig also: »Wer seid ihr und warum durchschifft ihr die Wogen des Meeres? Seid ihr ein Raubgeschwader und wollt ihr fremde Völker anfeinden?«

Bei dem rauhen Gebrüll seiner Rede und bei dem Anblick des Scheusals erbebten die Griechen, doch Odysseus, sich schnell ein Herz fassend, redete: »Wir sind Griechen, vom Heere des Königs Agamemnon und auf der Heimfahrt von Troja, das wir zerstörten, durch den Sturm in unbekannte Gewässer verschlagen; flehend nahen wir jetzt deinen Knieen, um ein Gastgeschenk dich bittend. Du aber scheue die Götter, denn Zeus schirmt die Fremdlinge.«

Der grausame Cyklope erwiederte: »Ein Thor bist du, o Fremdling, daß du mich die Götter scheuen heißt; was kümmern wir Cyklopen uns um Zeus und die seligen Götter, da wir viel vortrefflicher sind, als sie. Aus Scheu vor den Göttern werde ich weder dich, noch einen deiner Gefährten verschonen. Doch sage mir, wohin du dein Schiff gesteuert hast, ob es sich nah oder fern von hier befindet?« Odysseus, schnell eine List ersinnend, antwortete hieraus: »Unser Schiff ist an den Klippen gescheitert und wir allein sind dem Verderben entronnen.«

Ohne noch etwas zu sagen, packte jetzt das Ungeheuer zwei der Gefährten des Odysseus, schlug sie wie junge Hündlein aus den Boden, daß Blut und Gehirn umherspritzte. Darauf zerhackte er sie Glied für Glied und fraß dann drein, so emsig, daß weder Fleisch noch Knochen übrig blieb. Den Griechen gerann das Blut vor Entsetzen. Als sich nun das Scheusal mit Menschenfleisch und Milch den Bauch gefüllt hatte, streckte es sich, so lang es war, in der Höhle aus und sank in tiefen Schlaf. Nun hätte ihm Odysseus das Schwert in die Brust gestoßen, wenn nicht der Gedanke ihn zurückgehalten hätte, daß doch alle Griechen nicht im Stande wären, den gewaltigen Felsen vom Eingange fortzuwälzen. In der Höhle eingeschlossen, hätten sie Alle eines schmachvollen Todes sterben müssen.

Den andern Morgen packte der Cyklope wieder zwei Griechen und verzehrte sie zum Frühstück, dann hob er ohne Mühe den Felsblock weg und setzte ihn eben so wieder vor den Eingang, wie wenn Jemand einen Deckel auf den Köcher setzt; daraus trieb er die Heerde auf die Trift. Jetzt sann Odysseus auf Rache, ihm seine Frevelthaten zu vergelten. In der Höhle lag, dick und lang wie der Mast eines zwanzigruderigen Schiffes, die Keule des Cyklopen, vom Stamme des Oelbaums. Diese ließ nun Odysseus von seinen Gefährten glätten, er selbst schärfte sie oben spitz zu, brannte die Spitze an und verbarg die Keule sorgfältig unter dem Mist. Dann wählte er durch das Loos vier Gefährten, um mit ihnen dem schlummernden Cyklopen die Keule in's Auge zu stoßen. Diese Riesen hatten nämlich nur Ein Auge und das saß mitten auf der Stirn.

Am Abend kam der grausame Cyklop zurück, verrichtete wie sonst seine Geschäfte und schlachtete wieder zwei Griechen, die er zur Nachtkost verzehrte. Jetzt nahete ihm Odysseus und reichte ihm eine Kanne voll Wein. Mit Entzücken leerte sie der Riese, ließ sie sich drei Mal füllen und leerte sie drei Mal, ohne etwas Arges zu vermuthen. Auch den Namen des Odysseus verlangte er zu wissen, um ihm wieder ein Gastgeschenk geben zu können.

»Meinen Namen sollst du erfahren,« sprach der kluge Odysseus, »doch gieb mir dann auch das Gastgeschenk. Niemand, so nennen mich Vater, Mutter und Geschwister, Niemand ist mein Name.«

Darauf erwiederte der tückische Riese: »Nun denn, so will ich Niemand zuletzt verzehren – das soll dein Gastgeschenk sein!« Mit diesen Worten sank der Cyklope zurück und verfiel in einen so tiefen Schlaf, daß sein Schnarchen dem grollenden Donner glich.

Jetzt war Odysseus bereit, er nahm den Oelstamm, hielt ihn in's Feuer, bis seine Spitze eine glühende Kohle war, und dann faßten die vier Gefährten mit an und bohrten den Stamm mit aller Kraft in das Auge des Riesen. Der brennende Pfahl versengte dem Riesen Wimpern und Augenbraunen, siedend heiß quoll das Blut auf und das Auge zischte, als wenn ein glühendes Eisen in kaltes Wasser getaucht würde. Der Cyklope erhob ein so grausenhaftes Geheul, daß die Wände der Höhle erzitterten. Tobend und unsinnig vor Schmerz rief der Geblendete die andern Cyklopen zu Hülfe; die kamen an den Eingang der Höhle und fragten: »Was schreist und brüllst du so, Polyphem? Hat man dir die Heerden geraubt oder thut dir Jemand etwas zu Leide? – » Niemand,« schrie Polyphem, »Niemand will mich tödten, Niemand hat mich überlistet.«

Die Cyklopen, welche diese Antwort nicht verstanden, vermeinten, der Polyphem sei wahnsinnig geworden und zogen wieder ab. Odysseus lachte aber in seinem Herzen und freute sich der gelungenen List. Mit den Händen tappend nahm nun der Riese den Felsblock vom Eingang, setzte sich selber in die Pforte und wollte die Schafe herauslassen, um dann besser die gefangenen Fremdlinge aufspüren zu können. Odysseus jedoch band je drei dickwollige Widder zusammen und unter dem Mittlern verbarg er einen Griechen. Für sich wählte er den größten und stärksten Bock der Heerde und hing sich ihm unter den Leib, indem er mit den Händen in der langen Wolle sich festhielt. So trabten am Morgen die Widder mit den Griechen hinaus und Polyphem, der jedes Schafes Rücken betastete, merkte nichts vom Betrug. Zuletzt kam sein Lieblingsbock, der den Odysseus trug, und zu dem sagte er: »Böckchen, was trabst du so hinter der Heerde, du warst ja sonst der erste beim Ausgang auf die Weide und auch der erste bei der Heimkehr. Gewiß betrübt dich das Auge deines Herrn, das mir der tückische Mann geblendet hat! Könntest du mir nur sagen, wo er sich versteckt hat, dann sollte bald sein Gehirn den Boden bespritzen.« So ließ er ihn hinausgehen.

Die Griechen aber band Odysseus, als sie eine Strecke von der Höhle entfernt waren, los und nun eilten sie rasch an das Ufer, wo die Genossen sie freudig empfingen. Die Widder wurden auf das Schiff gebracht und dann fuhren sie ab. Als sie ein wenig von der Insel weggerudert waren, rief Odysseus dem Cyklopen die höhnenden Worte zu: »Ha, Polyphem, du fraßest die Genossen keines verächtlichen Mannes, aber Zeus hat durch mich deine Frevelthaten gestraft!« Da schleuderte der Riese ein ungeheures Felsstück in's Meer, daß die von dem Falle brausende Woge das Schiff wieder der Insel zutrieb; doch durch eifriges Rudern kamen die Griechen von dem Cyklopenlande wieder fort und Odysseus rief abermals: »Polyphem, wenn dich Jemand fragt um deines Auges Blendung, so sag' ihm: der Städteverwüster Odysseus, Laërtes Sohn von Ithaka, hat mich blind gemacht!« Da erinnerte sich Polyphem einer alten Weissagung und rief: »Wehe mir, jetzt gedenke ich des Sehers, der mir einst verkündigte, ich würde durch einen Griechen, mit Namen Odysseus, mein Auge verlieren. Doch glaubte ich immer, dieser Feind sei ein großer gewaltiger Mann, noch stärker als ich – und nun muß so ein kleines Ding, so ein Wicht kommen, der mich berauscht und betrügt! Komm doch herein« – wandte er sich jetzt zu Odysseus – »komm doch herein zu mir, ich will dir Alles verzeihen und meinen Vater Poseidon bitten, daß er dir eine glückliche Fahrt verleihe.« Doch Odysseus hütete sich wohl. Da flehete Polyphem zu Poseidon, dem mächtigen Beherrscher des Meers, daß er die Beleidigung seines Sohnes rächen und dem Odysseus eine schlechte Fahrt verleihen möge. Und nochmals schleuderte er ein Felsstück in's Meer, daß der Schaum aufspritzte; aber Odysseus und seine Gefährten ruderten nach der Insel hin, wo der andere Theil der Mannschaft zurückgeblieben war. Dort opferte Odysseus den Lieblingsbock Polyphem's dem Zeus.

 

2.

Sie gelangten zur Aeolischen Insel, wo Aeolus, der Gott der Winde, seine Residenz hatte und die Winde nach Gefallen in alle Welt entsandte oder sie in seinen Schlauch zurückkehren ließ. Dieser Gott nahm den Odysseus freundlich auf und schenkte ihm einen Schlauch, worin alle Winde enthalten waren; ihn selbst aber geleitete er mit einem günstigen Westwinde. Auf dem Meere entschlummerte Odysseus in seinem Schiffe. Unterdessen öffneten seine Gefährten, von heilloser Neugierde getrieben, den festzugebundenen Schlauch und siehe! da fuhren im Sturme alle Winde heraus und trieben die Schiffe zur Aeolischen Insel zurück. Doch zum zweiten Male war Aeolus den Fremden nicht gnädig; er wies sie mit rauhen Worten ab, als Menschen, die der Zorn der Himmlischen verfolge.

Sechs Tage trieben sie auf dem Meere umher, am siebenten kamen sie zu den riesigen Lästrygonen, die dem Odysseus eilf Schiffe zerstörten und viele Gefährten erschlugen. Nun hatte der Held nur noch Ein Schiff, in diesem entfloh er mit seiner übrig gebliebenen Mannschaft und gelangte zu einer Insel, auf der die Zauberin Circe wohnte. Odysseus erstieg einen Hügel und von diesem sah er Rauch aus dem Palaste der Zauberin aufsteigen. Da schickte er 22 seiner Gefährten voraus, um die Gegend zu erforschen. Es kamen den Griechen viel Löwen und Wölfe entgegen; aber diese Thiere waren nicht raubgierig, sondern wedelten mit den Schwänzen wie Hunde: es waren Menschen, durch die Zauberkräfte der Circe in gräßliche Ungeheuer verwandelt. Bald naheten die Griechen dem Zauberpalaste und hörten den melodischen Gesang seiner Bewohnerin, die eben an einem großen wundervollen Gewande webte. Die Wanderer riesen die Göttin mit lauter Stimme und nicht vergebens; sie trat aus der Pforte und nöthigte die Fremden, einzutreten. Arglos folgten sie der Einladung und tranken von dem Wein, in den Zauberkräuter gemischt waren. Alsbald berührte sie die Göttin mit ihrem Stabe und sie waren in Schweine verwandelt, mit Borsten und grunzender Stimme, nur ihr Geist war unzerrüttet. Die armen Griechen weinten, aber ihr Weinen ward zum Grunzen und Circe trieb sie allzumal in Schweinskoben und legte ihnen Schweinefutter vor. Aber einer, Eurylochus mit Namen, entfloh und brachte dem Odysseus die schreckliche Kunde.

Sogleich machte sich dieser aus den Weg; Eurylochus wollte aus großer Furcht ihn nicht begleiten. Als er dem Zauberpalast näher kam, begegnete ihm Hermes in der Gestalt eines zarten Jünglings. Der gab ihm das Kraut Moly, um ihn gegen den Zauber der Circe zu schützen. Zugleich ertheilte er ihm noch den Rath, in dem Augenblicke, wo die Zauberin ihn mit ihrem Stabe berühren würde, mit dem Schwerte auf sie einzudringen, gleich als wollte er sie ermorden. Darauf verschwand der Gott zu den Höhen des Olympos.

Odysseus langte an der Pforte des Palastes an und rief die Göttin, die ihn einlud, näher zu treten. Sie reichte auch ihm einen Becher Weins, der mit schädlichen Zauberkräutern gemischt war; doch Odysseus trank, ohne daß es ihm schadete, denn er hatte das Kraut Moly in seiner Tasche. Nun berührte ihn die Zauberin mit ihrem Stabe, um ihn in ein Schwein zu verwandeln und gleich seinen Gefährten in den Koben zu sperren. Da aber rannte Odysseus mit gezücktem Schwerte auf sie los und laut schreiend sank Circe zu seinen Füßen, umfaßte ihm die Kniee und rief: »Wer bist du, der du dem Zaubertranke widerstehest, dem noch kein Mann widerstanden hat? Bist du vielleicht Odysseus, dessen Ankunft mir Hermes verkündet hat? Stecke das Schwert in die Scheide und laß uns Beide auf dem Teppich Platz nehmen!«

Doch Odysseus traute der Arglistigen nicht eher, bis sie ihm durch einen Eidschwur versichert hatte, nicht aus ferneren Schaden zu denken. Jetzt deckte eine Dienerin für Odysseus einen schönen Sessel mit purpurrothem Polster, davor stellte eine andere einen silbernen, mit goldenen Körben besetzten Tisch; eine dritte mischte Wein und die vierte wärmte in einem ehernen Kessel Wasser zum Bad für Odysseus. Nach dem Bade hüllte sich der Held in den prächtigen Mantel und Leibrock, den ihm Circe reichte, und ließ sich auf den Sessel nieder. Doch auch jetzt noch trug er Bedenken, von den Speisen des reichbesetzten Tisches zu kosten, und er aß nicht eher, bis ihm die Göttin seine Genossen, die als neunjährige Eber vor Odysseus erschienen, wieder in Menschen verwandelte. Durch die Zauberkräfte der Circe waren alle diese Männer nun viel jünger und schöner, als vorher; und Odysseus lebte mit seinen Genossen ein ganzes Jahr in dem schönen Palast.

 

3.

Als Odysseus von der Zaubergöttin Abschied nahm, offenbarte ihm diese noch die Zukunft. »Du wirst« – so sprach sie – »nicht eher in deine Heimath gelangen, bis du in die Unterwelt hinabgestiegen bist und den Seher Tiresias um deine Fahrt befragt hast.« Zugleich zeigte sie ihm den Weg zum furchtbaren Hades und lehrte ihn die Opfer, durch welche die Schatten der Todten herbeigelockt werden. Odysseus merkte sich Alles genau.

Die Fahrt ging über den großen Strom Oceanus, der die ganze Erdscheibe umkreist; an dessen Ende, in dichte Finsterniß gehüllt, lag der Ort, den Circe ihm als Eingang zur Unterwelt bezeichnet hatte. Hier grub Odysseus ein Loch, eine Elle in's Geviert, und goß ein Trankopfer hinein, aus Honig, Milch, Wein und Wasser bereitet; darüber streute er weißes Mehl. Den Schatten der Todten gelobte er, nach seiner Heimkehr, ein Rind und dem Tiresias insbesondere den schönsten Widder der Heerde zu opfern. Daraus zerschnitt er den mitgebrachten Schafen die Kehlen und ließ das Blut in die Grube laufen. Jetzt schwebten die Seelen der abgeschiedenen Todten heran, Bräute und Jünglinge, Greise, die viele Leiden erduldet, Mädchen, in der Blüthe der Jahre vom Grame hinweggerafft, auch Viele, die im Kriege von ehernen Lanzen durchbohrt worden waren. – Alle wandelten schaarenweis mit Schauer erregendem Geschrei um die Gruft. Die Gefährten des Odysseus verbrannten die geopferten Schafe und fleheten zu den Göttern der Unterwelt. Odysseus, das Schwert in der Hand, setzte sich neben die Grube und wehrte den Todten, dem Blute zu nahen, denn er mußte erst den Tiresias befragen. Wohl naheten manche Freunde, endlich auch die Seele der Hingeschiedenen Mutter des Odysseus; aber der Sohn bezwang seine Sehnsucht, mit der Mutter zu reden, und ließ zuerst den Tiresias von dem Blute trinken. Als der Seher getrunken hatte, weissagte er und sprach zum Odysseus also: »Du wünschest fröhliche Heimkehr, ruhmvoller Odysseus! Doch einet der ewigen Götter ist dir entgegen; der Erderschütterer Poseidon hat tiefen Groll gegen dich im Herzen, weil du ihm seinen Sohn Polyphem geblendet hast. Doch endlich muß er dich dennoch ziehen lassen; nur hüte dich, wenn du mit deinen Gefährten auf der Insel Thrinakia landest, die Rinder, die dort werden, zu verletzen. Sie gehören dem Erdenbeleuchter Helios und er wird dir alle deine Genossen tödten, wenn du ihn erzürnest. Aus einem fremden Schiffe wirst du zur Heimath gelangen, aber in deinem eigenen Hause viel Herzeleid finden. Da sind übermüthige Männer, die werben mit schönen Brautgeschenken um deine Gattin Penelope und wollen sie freien. Die arme Frau hat schon viel um dich geweint und auch der Jüngling Telemach, dein Sohn. Mit List und Gewalt wirst du die Freier tödten, aber dann vergiß auch nicht, den Göttern ein Dankopfer zu bringen!«

Nun wünschte Odysseus auch mit dem Schatten seiner geliebten Mutter zu reden, denn diese saß am Blute; so lange sie aber nicht davon getrunken hatte, vermochte sie auch nicht den Sohn zu erkennen. Tiresias sprach: »Laß sie dem Blute sich nahen und davon kosten, dann wird sie die Wahrheit verkünden!«

Odysseus ließ sogleich seine Mutter vom Blute trinken und plötzlich erkannte sie ihren Sohn und sprach jammernd die Worte: »Wie kamst du, ein Lebender, in das nächtliche Dunkel herab, in das sonst kein Sterblicher zu dringen vermag, wenn ihn die Götter nicht geleiten? Bist du noch nicht in das heimische Land Ithaka zurückgekehrt und haben deine Augen noch nicht die Penelope gesehen?«

»Die Noth«, antwortete Odysseus, »führte mich in die Wohnungen der Todten, denn ich mußte die Seele des thebanischen Greises Tiresias befragen. Noch irre ich seit meiner Abfahrt von Troja umher, noch haben meine Augen die geliebte Insel nicht geschauet. Doch sage mir, o Mutter, was für ein Geschick hat dich hinweggerafft, eine verderbliche Seuche oder ein sanfter, plötzlicher Tod? Erzähle mir auch von meinem Vater und meinem Sohne, führen sie noch mein Herrscheramt, oder hat es schon ein anderer Mann empfangen, der an meine Rückkehr nicht mehr glaubt? Sage mir auch von der Gattin, ob sie ihres Gemahls noch harrt oder schon sich einem edlen Griechen vermählt hat?«

Darauf erwiederte die Mutter: »Noch weilt Penelope, deine Gemahlin, in deinem Palaste, voll Jammer trauert sie um dich, Tag und Nacht Thränen vergießend, denn die übermüthigen Freier bedrängen sie hart; noch übt dein Sohn Telemach das Herrscheramt, aber in Furcht vor den Männern, die dein Hab und Gut verzehren. Dein Vater aber kommt nicht mehr zur Stadt, er weilt auf dem Lande, schläft nicht mehr in Betten, sondern im Winter bei den Knechten am wärmenden Feuer und im Sommer auf Baumsprossen unter freiem Himmel. Dein Geschick beklagend verbringt er gramvoll die Tage. Ich aber starb weder an zehrender Seuche, noch eines plötzlichen Todes, nur die Sehnsucht und der Kummer um dich hat mir das Leben geraubt!«

Von Sehnsucht ergriffen wollte jetzt Odysseus seine Mutter umarmen, drei Mal streckte er die Arme nach ihr aus und drei Mal schwand der Schatten ihm aus den Händen. Voll Wehmuth rief er: »Mutter, warum bleibst du nicht, da ich mich sehne, dich zu umfangen, damit wir mit einander das gramerfüllte Herz erleichtern?« Doch die Mutter antwortete: »Wenn einmal die Sterblichen verblichen, wenn Fleisch und Gebein von der Flamme des Feuers verzehrt sind, dann schwindet die Seele dahin, wie ein luftiges Traumbild. Du aber gehe wieder an das Licht und verkünde Alles deiner Gemahlin!«

 

4.

Odysseus fuhr wieder über den Oceanus zurück zur Insel Aeäa, dem Wohnplatze der Circe. Diese kam an die Stelle des Ufers, wo die Griechen gelandet waren, und Dienerinnen mit Speise und Trank folgten ihr. Als sich alle an Fleisch und Wein gelabt hatten, erzählte ihr Odysseus, entfernt von seinen Gefährten und leise redend, seine Abenteuer in der Unterwelt. Circe aber weissagte ihm noch also: »Du wirst« – sprach sie – »zu den Sirenen gelangen, zu schönen Jungfrauen mit Schwimmfüßen, welche durch den Zauber ihrer melodischen Stimme alle Vorübergehenden bethören. Wehe aber denen, die sich ihnen nahen, sie sehen nie wieder ein menschliches Antlitz. Um die Sirenen herum liegen Haufen von Knochen der getödteten Männer. Du, Odysseus, steure vorbei und verklebe deinen Gefährten die Ohren mit Wachs; wenn du sie aber zu hören begehrst, so lasse dich an Händen und Füßen gefesselt an den Mastbaum binden und verbiete deinen Dienern, dich zu lösen.

»Weiter werden sich auf deiner Fahrt zackige Klippen erheben, Irrfelsen genannt, zwischen denen kein Vogel durchzufliegen, kein Schiff durchzusegeln vermag. Auf der andern Seite ragt ein kahler, nackter Fels zum Himmel empor, den nie ein Sterblicher bestieg. In dem Felsen ist eine tiefe dunkle Höhle, vor welcher dein Schiff durchsegeln muß. Hier hauset Scylla, ein fürchterliches Scheusal mit bellender Stimme; es hat zwölf Füße, sechs Schlangenhälse und ebensoviel gräßliche Häupter mit drei Reihen von Zähnen besetzt. Die Füße behält das Ungethüm in der Höhle, aber die Köpfe streckt es heraus, um einen Delphin oder einen vorüberfahrenden Menschen wegzuschnappen. Noch nie ist ein Schiff hindurchgefahren, ohne seine besten Ruderer verloren zu haben. Der Scylla gegenüber ist ein anderer niedriger Felsen, unter welchem die Charybdis haust, die dreimal täglich das dunkle Meerwasser einschlürft und dreimal es wieder heraussprudelt. Mögest du nicht ankommen, wenn sie die salzige Woge einschlürft, denn es möchte Poseidon selber dich nicht vom Untergange erretten können. Rudere du dein Schiff nahe an der Scylla vorbei, denn es ist besser, sechs Genossen, als alle zugleich zu verlieren.

»Bist du glücklich der Scylla und Charybdis entronnen, so gelangst du zur Insel Thrinakia, wo Helios, der Sonnengott, seine schönsten Heerden hat, Hornvieh und wollige Schafe, deren Zahl nie abnimmt. Rührt ihr nicht Hand an diese Thiere, dann möget ihr wohl nach Ithaka kommen, obschon immer noch Gefahren deiner harren. Wirst du sie aber verletzen, so wird es dein und deiner Gefährten Verderben sein und von Allen verlassen, arm und bloß, wirst du in Ithaka landen.«

So hatte die Göttin erzählt und schon war die Morgenröthe am Himmel erschienen. Odysseus eilte zu seinen Gefährten zurück und bald saßen diese auf den Ruderbänken, von Circe mit günstigem Fahrwinde geleitet. Odysseus eröffnete nun seinen Freunden, was ihm Circe von den Sirenen erzählt hatte. Als das Schiff den gefährlichen Jungfrauen sich näherte, nahm er Wachs und verklebte damit den Gefährten die Ohren; sich selbst aber ließ er an Händen und Füßen festbinden und um den Mast schlingen. Schon hörte er den Gesang der Sirenen, die dem Lauschenden zuriefen: »Komm, preiswürdiger Odysseus, lenke dein Schiff dem Lande zu, wir wollen dir schöne Lieder singen. Wer unsere süßen Töne vernommen, kehrt fröhlich und mit hoher Weisheit begabt zurück. Denn wir wissen Alles, was zwischen Griechen und Troërn sich begeben hat, wir kennen alle Dinge auf der nahrungsprossenden Erde.«

Da erwachte im Herzen des Odysseus ein heißes Verlangen, zu den Sirenen hinüberzufahren, und er gebot den Freunden, ihn zu lösen, doch diese waren taub für alle seine Bitten und vernahmen auch nichts von den Zauberklängen der listigen Sirenen. So segelte das Schiff glücklich vorbei und Odysseus nahm seinen Gefährten das Wachs aus den Ohren, das sie gerettet hatte.

Als sie wieder eine Strecke weiter gefahren waren, da hörten sie das dumpfe Getöse des brausenden Strudels der Charybdis und vor Schrecken ließen die Griechen ihre Ruder fallen. Odysseus ermuthigte sie und befahl dem Steuermann, fern von dem Strudel, nahe am Felsen das Schiff vorbeizulenken; von der Scylla aber sagte er ihnen nichts. Jetzt waren sie in der Enge des Meeres, hier drohete die Scylla, dort die grausige Charybdis und während die Blicke der Mannschaft auf diese sich hefteten, hatte die gefräßige Scylla schon sechs der tapfersten Griechen gepackt. In den Lüften schwebend, mit Händen und Füßen zappelnd, riefen die Armen vergeblich den Odysseus um Hülfe an; er mußte zusehen, wie das Ungethüm seine Gefährten verschlang.

Den beiden Ungeheuern, Scylla und Charybdis, war nun Odysseus glücklich entkommen; mit seiner sehr zusammengeschmolzenen Mannschaft kam er nun nach der Insel Thrinakia, wo die Heerden des Helios weideten. Jetzt gedachte Odysseus der Warnung des Tiresias und der Circe; um der Gefahr zu entgehen, befahl er den Gefährten, an der Insel vorbeizusteuern. Aber seine Leute waren vom Rudern und vom Schrecken so entkräftet, daß sie nach Erquickung und Schlummer sich sehnten, und ohne auf des Helden Mahnung zu achten, bestanden sie darauf, an der Insel zu landen. Da ahnte Odysseus die Erfüllung der schrecklichen Weissagung; doch ließ er wenigstens die Genossen schwören, keins von den Rindern und Schafen des Sonnengottes zu schlachten, sondern nur die Speisen zu genießen, die ihnen Circe mitgegeben hatte. Alle schwuren den Eid. Aber den ganzen Monat hindurch brauseten ungünstige Winde; so lange der Vorrath im Schiffe ausreichte, schonten die Griechen die Rinder, dann als alle Nahrung verzehrt war, fingen sie Vögel und Fische zur Speise. Einst aber, als Odysseus in tiefem Schlummer lag, siegte der Rath des Eurylochus bei seinen Freunden und als er erwachte, drang ihm schon der Duft von dem Opfer der geschlachteten Rinder entgegen. Umsonst war nun alles Schelten, die That war geschehen und schon ward die Strafe der Götter offenbar, denn die abgezogenen Häute fingen an zu kriechen und das Fleisch an den Spießen brüllte. Doch die hungrigen Griechen schmausten sechs Tage lang von dem Fleisch und am siebenten setzten sie ihre Fahrt fort.

Sobald sie aus dem offenen Meere waren, hüllte sich der ganze Himmel in finsteres Gewölk, ein gewaltiger Orkan begann zu toben, die Wogen fuhren zischend empor und Segel und Mastbaum zerbrachen. Mit lautem Gekrach stürzte der Mast in das Schiff und zerschmetterte dem Steuermann den Kopf. Der Donner brüllte und ein Blitz schlug in das Fahrzeug, die Ruderer stürzten heraus und fanden, wie Krähen auf den schwarzen Wellen schwimmend, ihren Untergang. Odysseus stand noch allein auf dem Schiffe; da löste sich auch dieses aus seinen Fugen und der Unglückliche hatte kaum Zeit, den Mast mit dem Kiel durch ein Seil zu verknüpfen. Auf dieses Floß sich setzend, trieb er schwimmend auf den empörten Wellen umher. Da wechselte der Wind, der Süd erhob sich und trieb den Schiffbrüchigen wieder zur Charybdis zurück, als sie gerade das Wasser einschlürfte. In seiner höchsten Noth erblickte Odysseus einen Feigenbaum, aus einer Spalte des Felsens erwachsen; den erfaßte er behende und schwang sich hinauf, als eben die Charybdis den Mastbaum verschlang. Doch es dauerte nicht lange, so gab das Ungeheuer den verschlungenen Kiel und Mastbaum wieder von sich; schnell sprang der Muthige auf die Balken und gewann, von der Charybdis ungefährdet, wieder das offene Meer. So trieb er noch lange umher, bis er an eine Insel gelangte, Ogygia mit Namen, auf welcher die schöngelockte Göttin Kalypso wohnte. Diese nahm den Helden freundlich auf, pflegte sein und gewann ihn so lieb, daß sie ihn gar nicht mehr fortlassen wollte. Odysseus wäre gern heimlich entflohen, aber er hatte kein Schiff. So war er abermals gefangen.

 

5.

Während Odysseus durch den Zorn des Poseidon auf dem Meere umher geschleudert wurde und viele Drangsale erlitt, blieben auch die Seinigen auf Ithaka, sein treues und gutes Weib Penelope und sein Sohn Telemach, den er als kleines Knäblein verlassen hatte, nicht verschont von Leiden mancherlei Art. Fast waren es schon zwanzig Jahre, daß der Held Ithaka verlassen hatte; alle anderen Fürsten und Helden waren längst von Troja zurückgekehrt, nur Odysseus nicht; man hielt ihn für todt und gab jede Hoffnung aus seine Rückkehr auf. Nur Penelope hoffte noch immer und bewahrte dem Manne ihrer Jugend die Treue. Ueber hundert Freier hatten sich in ihrem Hause eingefunden und hausten da auf die unverschämteste Weise. Sie schlachteten die Rinder des Odysseus, seine Ziegen und Schweine, und zwangen seine Diener und Dienerinnen, ihnen aufzuwarten. Tag für Tag lebten sie in Saus und Braus und wollten die verlassene Penelope zwingen, einen von ihnen zu ihrem Gemahle zu erwählen. Laërtes, der Vater des Odysseus, war vor den übermüthigen Männern auf das Land geflohen und Telemachus noch zu jung, um dem Unwesen zu steuern. Die Mutter des Odysseus war vor Gram gestorben, und Penelope weinte Tag und Nacht um ihren Gemahl. Da die Freier immer heftiger auf eine Vermählung drangen, kam sie aus eine List. Sie stickte gerade an einem Teppich, und wenn dieser vollendet sei – so erklärte sie –, wollte sie einen von den Freiern zu ihrem Manne erwählen. Aber Nachts beim Scheine der Fackeln trennte sie immer das wieder auf, was sie am Tage gewebt hatte, und so wurde sie nie fertig. Eine geschwätzige Dienerin jedoch verrieth den Freiern die List und diese wurden nun noch viel zudringlicher.

Doch jetzt erbarmte sich die Göttin der Weisheit, Pallas Athene, der armen verlassenen Penelope und ihres Sohnes, des trauernden Telemach; Odysseus, der kluge listige Mann, war ja ihr Liebling und ihn konnte sie nicht verlassen. Als eines Tages im hohen Götterrathe der meergebietende Poseidon fehlte und der Göttervater Zeus auch guter Laune war, bat die kluge Minerva mit inständiger Bitte ihren Vater Zeus, daß er sich des unglücklichen Odysseus erbarmen und ihn wieder in die ersehnte Heimath entsenden wolle. Die Bitte ward gewährt und der schnelle Götterbote Hermes eilte mit beflügelten Füßen auf die Insel Ogygia; Pallas Athene aber schwebt hernieder auf Ithaka, tritt in den Palast, wo die Freier sich eben am Brettspiel vergnügen, und in der Gestalt eines alten Gastfreundes des Odysseus tritt sie zu Telemach, um ihn zu trösten und seinen Muth zu erfrischen. Da macht sich Telemach auf, rüstet insgeheim ein Schiff und ohne daß auch Penelope von der Abreise weiß, fährt er aus, seinen Vater zu suchen. Minerva aber, unter der Gestalt Mentor's, eines Führers und Rathgebers, begleitet den Jüngling.

 

6.

Odysseus hatte schon sieben lange Jahre auf der Insel der Kalypso geweilt und Gram und Kummer nagten an seinem Herzen. Alle Tage ging er an das Gestade des Meeres und schaute hin nach der Gegend, wo sein geliebtes Ithaka lag. Da kam Hermes, der Götterbote, und Kalypso erschrak, als sie ihn sah. Dem Befehl der hohen Götter mußte sie Folge leisten und sie versprach, obwohl mit schwerem Herzen, den geliebten Odysseus in seine Heimath zu entlassen. Odysseus erhielt eine Axt, um sich im Walde Bäume zu fällen, und anderes Werkzeug, die Stämme zu zimmern und zu einem Fahrzeug zusammenzufügen. Da kam neue Jugendkraft in die Arme des Helden und in vier Tagen hatte er seine Arbeit vollendet. Nachdem ihm die Göttin noch Speise und Trank und Kleider auf die Reise gegeben hatte, fuhr er mit seinem kleinen Fahrzeug von der Insel ab und lenkte es nach dem Anblicke der Gestirne.

Siebzehn Tage lang ging die Fahrt glücklich von Statten und schon erblickte der Schiffende aus der Ferne die Berge der Insel Scheria, wo ihm sein nächstes Ziel gesteckt war. Da erspähete ihn Poseidon, der eben aus dem Aethioperlande zurückkehrte, und zornig schleuderte er seinen mächtigen Dreizack, so daß die Meereswellen sich empörten und die Winde zu heulen begannen. Angstvoll, mit bebendem Herzen und zitternden Knieen stand Odysseus in seinem Schifflein und pries Diejenigen glücklich, denen im grimmigen Kampfe vor Troja der Tod bescheert ward: da schlug brausend eine Woge über ihn zusammen und riß im Wirbel das Fahrzeug um. Der Held ward weit von dem Floß hinweggeschleudert und tief in den Abgrund der Wellen versenkt. Doch er arbeitete sich wieder empor, spie die salzige Fluth des Meeres aus seinem Munde und schüttelte sein triefendes Haupt. Sein Floß war wieder in seine Nähe gekommen, er faßte es und schwang sich hinein. So irrte er, eine Beute der Winde, nach allen Seiten umher, wie wenn der Nordwind dürre Disteln in wilder Flucht durch das Feld treibt. Da erbarmte sich eine Meergöttin, Leukothea, der Noth des Unglücklichen und reichte ihm einen Schleier mit dem Befehl, ihn unter den Armen festzubinden, das schwere Gewand aber von sich zu werfen. Als Odysseus das gethan, schlug eine neue stärkere Woge in sein Fahrzeug und zertrümmerte es. Er schwang sich auf einen Balken und weil der Schleier unter den Armen ihn schützte, blieb er oben auf den Wellen. Zwei Tage und zwei Nächte hatte der Sturm gedauert, da beruhigten sich die Winde und Odysseus nahte sich den Gestaden der Insel Scheria. Die Ufer aber waren voller Klippen und seine Gebeine wären zerschellt worden, wenn Odysseus nicht schnell einen Felsen umfaßt hätte, bis die Woge vorbei war. Doch die zurückkehrende Welle zog ihn wieder in's Meer zurück und er wäre verloren gewesen, wenn sein Auge nicht die Mündung eines Stromes entdeckt hätte, der sich ganz in seiner Nähe in's Meer ergoß. Dahin schwamm er mit der letzten Kraft und dort gelang ihm endlich die Landung. Nun warf er den Schleier der Göttin in's Meer zurück, mit seinen ermatteten Händen häufte er sich im Gebüsch ein Lager von Moos und Blättern auf und sank ohnmächtig darauf nieder. Doch kam bald der wohlthätige Gott des Schlafes und stärkte die Glieder des Helden mit frischer Kraft.

 

7.

Die Insel Scheria ward von dem handels- und lebenslustigen Volke der Phäaken bewohnt, über welche zwölf Könige herrschten; der oberste König war aber der Held Alcinous. Der hatte eine Tochter, mit Namen Nausikaa, welche eine fleißige Jungfrau war. Sie wollte am Morgen die Gewänder und Leibröcke ihrer Brüder waschen und ließ die Maulthiere vor den Wagen spannen, setzte sich mit ihren Gespielinnen hinein und fuhr nach dem Flusse, an dessen Ufer sich Odysseus verborgen hatte. Die Mädchen legten die Wäsche in viereckige, mit Wasser gefüllte Löcher, stampften sie darin und breiteten sie dann aus dem weißen Sande aus. Hierauf erfrischten sie sich durch ein Bad und salbten sich mit glänzendem Oel; dann begannen sie ein Ballspiel. Schon wollten sie wieder nach Hause zurückkehren, da warf noch einmal Nausikaa den Ball einer ihrer Freundinnen zu, aber diese fing ihn nicht und der Ball fiel in's Wasser. Da erhoben die Mädchen ein großes Geschrei, das den schlafenden Odysseus erweckte. Jetzt trat er nackt, von Schlamm, Meergras und Blättern verunstaltet, hervor. Die Mädchen flohen bei dem Anblick der seltsamen Gestalt entsetzt von dannen, doch der Nausikaa flößte Athene Muth in die Seele, daß sie es wagte, die flehende Anrede des Fremdlings zu hören. Dieser schilderte in mitleiderregenden Worten sein trauriges Schicksal und bat flehentlich um ein Stück Zeug zur Bekleidung. Die gerührte Nausikaa sprach ihren Freundinnen Muth ein und ließ dem Odysseus Leibrock und Mantel nebst Salböl in goldener Flasche reichen. Hocherfreut stieg nun der Held, während die Mädchen sich entfernten, in den Strom, um sich zu baden, und als er sich gereinigt hatte von dem Schlamme des Meeres, salbte er seinen Körper und legte die köstlichen Gewänder an. Seine Schutzgöttin erhöhete die Größe und die Fülle seiner Gestalt und ließ sein Haar in Locken von seinem Scheitel wallen. So stand er, vorher noch der unansehnliche Fremdling, in jugendlicher Kraft und Schönheit vor den erstaunten Mädchen, deren Blicke voll Verwunderung auf dem herrlichen Manne ruhten. Nachdem sich Odysseus durch Speise und Trank erquickt, folgte er den Mädchen zur Stadt; doch Nausikaa lief voraus, denn sie schämte sich mit dem fremden Manne heimzukehren.

Athene selbst, in der Gestalt eines Mädchens mit einem Wasserkrug, zeigte ihm den Weg zum königlichen Palast, in welchem Alles vom Glanz des Goldes und Silbers strahlte. Odysseus nahte flehend der am Heerde sitzenden Königin und bat, ihre Kniee umfassend, um gastliche Aufnahme. Dann setzte er sich, der Antwort harrend, auf den Heerd; doch alsbald trat König Alcinous selbst zu ihm und führte ihn zu einem prächtigen Sessel. Von nun an ward Odysseus geehrt wie ein Fürst und er durfte in des Königs Palast leben wie in seinem eigenen.

Zur Ehre des fremden Gastes wurden Spiele und heitere Feste angestellt und es erschien ein Sänger, der sang von dem Kriege gegen Troja, von dem hölzernen Roß, durch welches die stolze Veste erobert ward, von der Klugheit des Odysseus. Niemand ahnte, daß der Held selber gegenwärtig sei. Als man ihn aufforderte, auch Etwas der Versammlung zu erzählen, da bewegte es dem Helden das Herz und er begann seine Rede und erzählte nun Alles, was er selber erlebt vom Falle Troja's an bis dahin, wo er auf der Insel der Phäaken landete. Mit staunendem Entzücken lauschten die Versammelten seiner Rede und als die Erzählung geendet, herrschte tiefe Stille im Kreise. Endlich erhob sich Alcinous und sprach: »Heil dir, edelster der Gäste, den mein königliches Haus jemals bewirthet hat! Da du zu mir gekommen bist, so hoffe ich, du werdest nicht mehr von der rechten Bahn abirren und bald in deine Heimath gelangen. An Schiffen und guten Ruderern fehlt es uns nicht. Aber zuvor wollen wir dir unsere Geschenke bringen. In einer kunstreich geformten Lade liegen schon die herrlichen Kleider, dazu goldene Becher und Schalen von getriebener Arbeit. Hierzu füge ein Jeder von uns noch einen Dreifuß und ein Becken. Und wenn wir dann noch dem Zeus geopfert haben, dann magst du in Frieden von uns ziehen.«

Allen Fürsten und den versammelten Gästen gefiel diese Rede. Am andern Morgen brachten die Phäaken sämmtliche Erzgeschenke auf das Schiff und Alcinous selbst stellte Alles sorgfältig unter die Bänke, damit die Ruderer nicht gehindert würden. Hieraus ward im Palast des Königs ein großes Abschiedsmahl gefeiert und dem Jupiter von den besten Rindern ein Opfer gebracht.

Schön war das Schiff geschmückt und wohlgerüstet; weiche Polster waren für Odysseus ausgebreitet. Der Held stieg schweigend ein und legte sich zum Schlaf nieder. Sein Schlummer war süß, aber auch tief wie der Tod. Das Schiff aber flog schnell und sicher dahin, wie ein Wagen von vier Hengsten gezogen durch das Blachfeld; es war, als ob es das Fahrzeug wüßte, daß es einen Mann trage, der in Klugheit mit den Himmlischen wettfeierte und mehr Leides erduldet hatte, als irgend ein Sterblicher.

 

8.

Als der Morgenstern am Himmel stand und den Tag ankündigte, steuerte das Schiff in vollem Laufe schon auf die Insel Ithaka zu und bald lief es in die sichere Bucht, welche dem Meeresgott Phorkos gewidmet war. Zwei Landspitzen mit gezackten Felsen laufen hier zu beiden Seiten in das Meer hinaus und bilden für die Schiffe einen sicheren Hafen. Im Mittelpunkt der Bucht stand ein schattiger Oelbaum und neben demselben war eine liebliche Grotte, in deren tiefer Dämmerung Meernymphen ihren Wohnsitz hatten. Dort standen steinerne Krüge und Urnen gereiht, in welchen Bienen Honig bereiteten; auch Webstühle von Stein konnte man da sehen, mit purpurnen Fäden bezogen, welche die Nymphen zu wundervollen Gewanden verwoben. Zwei nie versiegende Quellen rannen durch die Grotte, die einen gedoppelten Eingang hatte, den einen für die Menschen, den andern für die Nymphen, den nie ein Sterblicher betrat.

Bei dieser Höhle landeten die Phäaken, hoben den immer noch fest schlafenden Odysseus aus dem Schiff, legten ihn sammt dem Polster ganz leise auf den Sand unter dem Oelbaum nieder und holten dann auch alle Geschenke herbei und legten diese seitwärts vom Wege, damit nicht etwa ein vorübergehender Wanderer den Schlummernden berauben möge. Den Helden aus seinem Schlafe zu wecken, wagten sie nicht.

Als Odysseus erwachte, glaubte er von den Phäaken hintergangen und an ein ganz fremdes Gestade ausgesetzt zu sein, denn Athene hatte die Gegend ringsumher in einen dichten Nebel gehüllt, so daß der Held seine eigene Heimath nicht erkannte. Bald aber erschien die Göttin, nahm den Nebel von der Gegend hinweg und nun schaute Odysseus mit freudigem Herzen sein Heimathland. Die Schätze mußte er auf Befehl der Minerva in der Grotte verbergen und dann eröffnete ihm die kluge Göttin, wie er Rache an den übermüthigen Freiern nehmen könnte, die ihm Hab und Gut verpraßten. Zuerst aber, so rieth sie ihm, sollte er zum Eumäus, dem göttlichen Sauhirten, gehen, der von allen seinen Dienern am treuesten ihm anhing. Damit aber Niemand den Odysseus erkennen möge, verwandelte ihn Athene in einen armen alten Bettler, ließ seine blühende Gestalt zusammenschrumpfen zum häßlichen Greise und blendete den Glanz seiner Augen. Statt der köstlichen Gewänder hüllte sie ihn in ärmliche Lumpen und gab ihm sogar noch einen Bettelsack. In diesem Aufzuge erschien Odysseus bei seinem treuen Diener Eumäus.

Dieser saß gerade und schnitt sich ein paar Sohlen aus einer Stierhaut; beim Anblick des Fremden ließ er aber die Arbeit fahren und führte den Gast in seine Wohnung, wo er ihn mit Ferkelfleisch bewirthete, denn die fetten Mastschweine mußte er ja für die Freier in die Stadt schicken. Die Rede kam bald auf Odysseus und der vermeintliche Bettler schwur beim Zeus, daß der Held bald kommen und Rache an den Frevlern nehmen würde. Doch Eumäus schenkte dem keinen Glauben und meinte, sein unglücklicher Herr sei gewiß schon längst eine Beute der Fische. »Glaube das nicht, mein Lieber,« sprach Odysseus, »ich schwöre dir bei deinem gastfreundlichen Tische und bei dem Heerde des Odysseus, ehe noch dieser Monat abgelaufen ist, wird er erscheinen und die Frechen züchtigen.«

Am andern Tage kehrte auch Telemach von seiner Reise zurück, wiederum ganz geheim, denn die Freier lauerten ihm auf. Bevor er zur Mutter ging, kehrte er erst bei dem treuen Sauhirten ein und ward von ihm wie ein Sohn von seinem Vater empfangen. Ehrerbietig stand der verkleidete Odysseus vor seinem eigenen Sohne auf; doch Telemach sagte freundlich: »Bleib sitzen, Alter, es wird sich für mich auch noch ein Plätzchen finden.« Eumäus aber eilte, der Penelope die glückliche Ankunft ihres Sohnes zu melden.

Jetzt sprach die Göttin Minerva in das Herz des Odysseus: »Gib dich dem Sohne zu erkennen!« Und von Minerva's Stabe berührt, stand jetzt der Vater, in einen kostbaren Mantel und Leibrock gekleidet, in der Fülle seiner schönen und kräftigen Heldengestalt vor dem Sohne, der ihn staunend für einen Gott hielt. »Nein, ich bin kein Gott« – erwiederte Odysseus – »ich bin dein Vater, wegen dessen du von trotzigen Männern viele Kränkungen erduldest.« Noch immer war Telemach ungläubig und erst als ihn Odysseus beschied, die Verwandlung sei ein Werk der Schutzgöttin Athene, schlang der Sohn in Freudenthränen die Arme um den lange vermißten Vater. Dieser erzählte nun in aller Hast die Geschichte seiner Heimkehr und besprach dann mit Telemach den Plan zur Rache. Als Bettler wollte Odysseus in die Stadt gehen, alle Schmähungen und Kränkungen der Freier geduldig ertragen und auch Telemach sollte sein Gefühl für den Vater verleugnen und ruhig zusehen, wenn dieser mißhandelt würde. Telemach sollte ganz im Geheimen alle Waffen aus dem Saale tragen und nur für sich und Odysseus Schwerter, Speere und Schilde zurücklassen. Niemand, selbst Penelope nicht, dürfte von dem Plane etwas erfahren.

 

9.

Nach dieser Unterredung kehrte Telemach nach der Stadt zurück in den königlichen Palast. Als die Freier ihn sahen, wurden sie zornig, daß er ihnen entwischt war, denn sie trachteten ihm nach dem Leben.

Odysseus hatte schon seine Bettlergestalt wieder angenommen, als Eumäus von der Stadt zurückkehrte. Der treffliche Sauhirt bereitete seinem Gastfreund ein weiches Lager und am andern Morgen ging er mit ihm zur Stadt. Schon unterwegs erfuhr der verkleidete König harte Kränkungen von einem unverschämten Ziegenhirten, dem Melantheus, der es mit den Freiern hielt und diesen Ziegen zum Schmaus in die Stadt führte. Als er die beiden Alten sah, rief er höhnisch: »Wahrlich, das heißt recht, ein Taugenichts führt den andern! Stets gesellen ja die Götter Gleiches zu Gleichem! Was führst du nun, Sauhirt, diesen Fresser, diesen Tellerlecker, diesen beschwerlichen Bettler in die Stadt, der, die Schultern an den Thürpfosten sich reibend, um Brocken bittet? Wenn er zum Hüter eines Geheges, zum Ausfegen der Ställe taugte, könnte er Molken trinken und Fett auf die Lenden gewinnen; doch zur Landarbeit wird er keine Lust haben und lieber für einen unersättlichen Bauch um Futter betteln. Im Palast des Odysseus werden ihn die Freier mit Schemeln werfen und ihm die Rippen zerschmettern!«

Diese und andere Schmähungen ertrug der Held mit ruhiger Gelassenheit; der Ziegenhirt Melantheus enteilte zum Palaste und auch Eumäus und der Bettler langten nach ihm an. Vor der Wohnung auf einem Haufen Dünger lag ein alter Hund des Odysseus, der vormals ein stattlicher Jagdhund, jetzt verachtet und von Ungeziefer verzehrt wurde. Das treue Thier erkannte sogleich den Herrn und wedelte mit dem Schwänze, doch vermochte es aus Schwäche nicht mehr zu ihm zu gehen. Sein Herr unterdrückte heimlich eine Thräne, der Hund aber fiel, als ob er des Herrn Wiederkehr habe abwarten wollen, todt nieder.

Jetzt trat Odysseus in den Saal und als er von Telemach Speise empfangen hatte, flehete er der Reihe nach auch die Freier um Gaben an, die ihm auch alle von ihrem Ueberfluß mittheilten; nur der Vornehmste und Uebermüthigste, Antinous, wies ihn mit Scheltworten ab und warf ihn mit dem Schemel an die Schultern; doch Odysseus duldete schweigend die Mißhandlung. Da kam noch ein Bettler, Namens Iros, in den Saal, der bei den Freiern Zutritt hatte. Dieser ward unwillig, einen andern Bettler an seinem Platze zu sehen, stieß den Odysseus zurück und drohete ihm mit Faustschlägen. »Laßt die Bettler kämpfen« – riefen die Freier – »das wird ein ergötzliches Schauspiel sein!« »Dem Sieger einen fettgebratenen Geismagen zur Belohnung!« riefen wieder Einige. Odysseus war gleich bereit und als er seine gewaltigen Schultern und »Arme entblößte, erstaunten die Freier über den kräftigen Gliederbau. Bald war der Kampf beendet; denn Odysseus schlug dem Iros unter dem Ohr an den Hals, daß die Knochen zerbrachen und ein Blutstrom seinem Munde entquoll. Dann zog er den Geschlagenen auf den Vorhof und setzte ihn dort an einer Mauer nieder.

Als der Abend herankam, wurden Feuer angezündet, den großen Männersaal zu erleuchten. Die Freier kamen von ihren Spielen zurück und das tobende Gastmahl begann auf's Neue. Odysseus fand sich auch wieder ein und bettelte bei den Gästen in demüthiger Stellung. Da mußte er wieder manches Schmähwort erdulden, besonders von Antinous, dem der Bettler besonders zuwider war. Endlich begaben sich die ausgelassenen Männer in ihre eigenen Häuser zur Ruhe. Da trat die schöne Penelope mit ihren Mägden aus dem Gemach, denn sie hatte durch den treuen Eumäus vernommen, es sei ein fremder Bettler angekommen, der Viel vom Helden Odysseus zu erzählen wisse. Man setzte dem verkleideten Alten einen Sessel zurecht und dieser erzählte nun, wie er aus Kreta gebürtig sei, vor Troja gekämpft, auch den Odysseus gesehen habe, von dem man wisse, daß er frisch und gesund im Lande der Thesprotier sich aufhalte und bald in die Heimath zurückkehren werde.

Diese Erzählung klang so wahrscheinlich, daß Penelope, im Herzen darüber erfreut, dem armen Bettler sehr gewogen war und ihrer Schaffnerin Euryklea gebot, dem Gaste die Füße zu waschen. Die gute Euryklea holte schnell eine Wanne, goß warmes Wasser hinein, fühlte sich aber von einer freudigen Ahnung bewegt, denn sie hatte an dem fremden Manne bekannte Züge entdeckt. Als sie aber die Wanne dem Gaste unter die Füße schob und an dem Bein des Fremden die ihr wohlbekannte Narbe gewahrte, erschrak sie so sehr, daß sie das Gefäß umwarf und alles Wasser verschüttete. Penelope war schon hinausgegangen und bemerkte das nicht; aber Odysseus gebot der hocherfreuten Schaffnerin mit strenger Miene, zu schweigen.

Nachdem noch der Jüngling Telemach die Waffen gebracht hatte, hüllte sich Odysseus in eine Stierhaut und streckte sich auf den Fußboden des Saales zur Ruhe hin; aber der Schlaf kam nicht in seine Augen.

 

10.

Mit dem andern Morgen brach der Tag der Entscheidung an. Die Freier kamen und begannen ihr wüstes Treiben noch ärger als sonst, ohne sich durch die Zeichen des nahen Verderbens warnen zu lassen; sie aßen blutbesudeltes Fleisch und die Thränen standen ihnen in den Augen. Doch sie achteten nicht daraus, denn Minerva hatte ihre Augen mit Blindheit geschlagen.

Penelope veranstaltete nun einen Kampf und versprach dem Sieger ihre Hand zu geben. Sie stellte zwölf Beile hinter einander im Saale auf und gebot den Freiern, einen Pfeil mit dem gewaltigen Bogen des Odysseus durch die zwölf Oehre der Beile zu schießen. Die Freier nahmen den Kampf an, doch keiner vermochte den schweren Bogen zu spannen, obschon sie ihn durch Salbe und Wärme geschmeidig zu machen suchten. Da wurden die Männer ungeduldig und sprachen: »Lassen wir die Sache bis morgen!« Doch Odysseus bat sie in aller Demuth, daß sie ihm doch auch einmal den Bogen überlassen möchten. Die Freier lachten und ergrimmten über die Unverschämtheit des Bettlers, aber Telemach reichte ihm die Waffe. Eine Weile betrachtete der Held kunstverständig den ihm wohlbekannten Bogen, dann faßte er mit kräftiger Hand die Sehne und spannte sie – es krachte und der Pfeil flog durch die Oehre der Beile, ohne ein einziges zu verfehlen.

Jetzt aber war auch Telemach bereit; auf einen Wink des Odysseus gürtete er sein Schwert um, trat zu dem Vater heran und beide stellten sich auf die Schwelle des Saales. Dann die Pfeile aus dem Köcher schüttend, rief Odysseus mit lauter Stimme zu den Freiern: »Ein Wettkampf ist vollendet, aber ein anderer kommt noch. Jetzt wähle ich ein Ziel, das noch kein Schütze getroffen hat!« Kaum hatte er die Worte gesprochen, so flog sein Pfeil dem Antinous in die Kehle; der sank blutig zurück und stürzte den Tisch mit den Speisen um. Noch glaubten die Freier, es sei dem Alten unversehens der Pfeil entflogen, doch Odysseus rief mit finsterem Blick: »Ha, ihr Hunde! Ihr dachtet, ich würde nimmer meine Heimath wiedersehen, darum habt ihr mein Gut verpraßt. Doch jetzt ereilt euch die Rache!«

Unterdessen hatten sich auch der treue Sauhirt und der Rinderhirt bewaffnet und kämpften gegen die Freier. Diese zogen sich hinter die Tische und Bänke zurück und lehnten sich an die Wand. Eurymachus, einer von den Edelsten in Ithaka, rief: »Wir wollen dir Alles ersetzen, furchtbarer Odysseus, schone nur unser Leben!« Doch er hatte seine letzten Worte gesprochen, ein Pfeil des schrecklichen Bogens streckte ihn zu Boden. Telemach traf auch gut und eine Leiche nach der andern füllte den Saal. Da holte der schändliche Ziegenhirt Melantheus den Freiern Waffen herbei und diese drangen verzweiflungsvoll kämpfend vor. Sie schleuderten ihre Lanzen aus den grimmen Odysseus, aber Athene schirmte ihn und keine traf. Zum zweiten Mal schlich sich der treulose Hirt hinweg, um neue Waffen zu holen; doch der Sauhirt und der Rinderhirt eilten ihm nach, banden ihm Hände und Füße auf den Rücken und hingen ihn auf unter das Dach des Hauses. Dann kehrten die Treuen in den Saal zurück und halfen die letzten der Freier tödten.

Als der furchtbare Mord vollbracht war, rief man die Schaffnerin Euryklea in den Saal. Diese frohlockte beim Anblick der Haufen der Erschlagenen, doch Odysseus bezähmte ihren Jubel mit den Worten: »Freue dich im Geiste, Mutter, und enthalte dich alles Frohlockens, denn es ist Sünde, über erschlagene Menschen zu jauchzen.« Sie mußte aber die treulosen Mägde nennen, welche den Freiern ergeben gewesen waren; die wurden, zwölf an der Zahl, alle aufgehängt.

Nun schafften Odysseus und Telemach die Leichen aus dem Saale, die Schaffnerin wusch das Blut hinweg und Odysseus räucherte mit Schwefel; Penelope hatte noch geschlafen und wußte nicht, was sich unterdeß in ihrem Hause begeben. Jetzt wird sie von Euryklea gerufen und in den Saal geführt; der Held Odysseus stand vor ihr in seiner Kraft und Hoheit und die treue Gattin fiel sprachlos in seine Arme.


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