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1.
An die Namen Perikles und Alcibiades knüpft sich die Erinnerung an die Blüthe und den Untergang der Athener, an die Größe und Kraft und an die Zersplitterung und Verderbniß der griechischen Freiheit.
Perikles
war einer der größten Redner und Staatsmänner, die je gelebt haben. Er redete, so sagten die Athener, als trüge er den Donner auf seiner Zunge und als säße die Göttin der Ueberredung auf seinen Lippen. Was er dem Volke rieth, das geschah; wen er vertheidigte, dem schadete die grimmigste Wuth des Volkes nicht, sein Wort besänftigte. Einst hielt er den in einer Schlacht gefallenen Athenern eine Leichenrede. Hier erschien er so liebenswürdig und riß Alle so mit sich fort, daß, als er von der Rednerbühne herunterstieg, die Weiber ihn mit Ungestüm umarmten, ihm ihre Armbänder umschlangen und ihn bekränzten, ja ihm eine goldene Krone aufsetzten.
Perikles wollte durch das Volk herrschen, darum brach er die Macht der Vornehmen und Reichen, darum stürzte er vor Allem den Areopag, jenen alten ehrwürdigen Gerichtshof von Athen. Durch den Ephialtes, einen ihm sehr ergebenen Mann, setzte er es beim Volke durch, daß dem Areopag die Aufsicht über die Sitten der Bürger und über den Staatsschatz entzogen wurde. Da in der Staatsverwaltung der wackere Cimon, des Miltiades Sohn, sein Gegner war, so ruhete er nicht eher, bis dieser durch den Ostracismus verbannt wurde; als später das Volk die Zurückberufung dieses Mannes wünschte, war er wieder der Erste, der den Antrag hierzu in der Volksversammlung stellte. So wußte er sich den Launen und Wünschen des Volkes zu fügen und dessen Gunst zu bewahren. Stets suchte er dem Volke etwas zu bieten, was diesem schmeichelte; er veranstaltete bald Festversammlungen, bald öffentliche Gastmähler, bald feierliche Umzüge durch die Stadt. Perikles wollte, daß jeder athenische Bürger, auch der ärmste, an der Staatsverwaltung Theil nehmen sollte, darum führte er für die Richter einen Sold ein, der anfangs täglich einen, später drei Obolen (2 Gr. 10 Pf.) betrug. Nun konnten auch arme Handwerker unter den Richtern sitzen, während früher nur die Reichen und Wohlhabenden das Recht sprachen. Damit die ärmere Volksklasse an den großen Festtagen, wo in Athen Schauspiele ausgeführt wurden, einen geistigen Genuß haben möchte, ließ er den Leuten aus dem öffentlichen Schatze Theatergeld zustellen. Der Bundesschatz war von der Insel Delos nach Athen verlegt; dieses Geld war ursprünglich dazu bestimmt, die Kosten für die Perserkriege zu bestreiten und die Bundesgenossen zu schützen. Da aber von den Persern keine Gefahr mehr drohte, glaubte Perikles den Bundesgenossen über die weitere Verwendung des Geldes keine Rechenschaft schuldig zu sein und er benutzte nun diese Hülfsquellen, um jene herrlichen Kunstwerke aufzuführen, die für alle späteren Zeiten Muster der Schönheit geworden sind und die Athen zu der glänzendsten und berühmtesten Stadt Griechenlands gemacht haben.
2.
Das ohnehin schon kunstsinnige und geistig geweckte Volk der Athener gelangte durch Perikles auf die höchste Stufe der Bildung, und es war ein glückliches Zusammentreffen, daß die größten Bildhauer und Baumeister Zeitgenossen und Freunde des Perikles waren. Ein solcher Freund des Perikles war Phidias, der berühmteste Bildhauer Griechenlands; zu den Hauptwerken des Perikles gehören aber die Propyläen, das Parthenon und das Odeum.
Die Propyläen oder Vorhallen gehörten zu der Burg (Akropolis) von Athen und waren ein Werk des Atheners Mnesikles. Sie bestanden in einem fünffachen Marmorthor mit herrlichen Säulen Das Brandenburger Thor in Berlin ist nach dem Muster der athenischen Propyläen erbaut, ebenso die Münchener »Propyläen.«, das zu beiden Seiten große Flügelgebäude hatte. Durch diese Propyläen kam man in die eigentliche Burg, in der sich der große Athenentempel, das Parthenon vom schönsten Marmor gebaut, erhob. Er diente ebensowohl einem religiösen Zwecke, namentlich bei den panathenäischen Festzügen, als er auch Schatzkammer und Archiv des athenischen Staates war. Von hier hatte man die entzückendste Aussicht aus die Stadt und das Gewühl des Volkes und auf das Meer mit seinen zahllosen Schiffen und Kähnen. Hier stand die Bildsäule der Pallas Athene, der Schutzgöttin der Stadt, in übermenschlicher Größe, von Phidias aus Elfenbein gearbeitet und mit einem Gewande von purem Gold überkleidet. Als man über den Stoff berathschlagte, aus welchem die Göttin gebildet werden sollte, und Phidias dem Volke vorschlug, lieber Marmor zu nehmen, als Gold und Elfenbein, weil jener billiger sei, da riesen Alle einstimmig: »Nein, nicht aus Marmor, sondern aus Gold und Elfenbein!« Die Athener wollten sich ihrer lieben Göttin nicht undankbar erweisen. Auf dem höchsten Gipfel der Burg stand eine andere Bildsäule derselben Göttin in Erz, von Phidias aus der marathonischen Beute gegossen, von so ungeheurer Größe, daß man Lanze und Helmbusch der Göttin schon vom Vorgebirge Sunion aus in einer Entfernung von fünf Meilen erblickte.
Das Odeum war ein rundes, zu musikalischen und poetischen Vorträgen bestimmtes und mit Säulen und Gemälden verziertes Gebäude. Es war nach dem Muster eines Zeltes des Xerxes erbaut und mit marmornen Sitzreihen versehen; das spitzige Dach wurde von persischen Schiffsmasten getragen.
In denselben Fels, auf welchem die Burg thronte, waren auch die Sitze für das Theater gehauen, die wie Treppen über einander emporstiegen und in einem Halbkreis sich ausdehnten. Von diesen Sitzen überschauete man auch die Stadt, die Olivenwälder, das Meer. Alle Tage wurde Theater gespielt unter freiem Himmel, der in Griechenland fast immer sonnig und heiter ist. An einem Festtage wurden oft sechs Stücke hintereinander gegeben; dann ward öffentlich entschieden, welches Stück am besten gedichtet war und wer am besten gespielt hatte. Die Sieger erhielten als Preis einen Kranz und ihre Namen wurden auf einer Säule eingegraben. Der erste von den Trauerspieldichtern der Athener hieß Aeschylus, der hatte bei Salamis selber mit gefochten und sein erstes Stück hieß: »die Perser,« worin die Schlacht bei Salamis gefeiert ward. Andere Stücke handelten von den alten Helden, die in Griechenland gelebt hatten; in den Lustspielen wurde gescherzt und gespottet und selbst der angesehenste Mann in Athen durfte es nicht übel nehmen, wenn er auf der Bühne lächerlich gemacht wurde. Die Athener liebten das Theater über Alles und ein Trauerspiel von dem Dichter Sophokles gefiel ihnen einmal so gut, daß sie im nächsten Feldzuge den Dichter zum Feldherrn erwählten, und Sophokles zeigte sich auch tapfer als Krieger.
Weil die Athener ihre Söhne zugleich in den Wissenschaften, in der Dicht- und Redekunst bildeten und zugleich den Körper übten und geschmeidig erhielten – vom achtzehnten Jahre an mußte Jeder die Waffen führen: so konnte Ein Mann zugleich Dichter, Gesetzgeber und Feldherr sein, wie Solon, und zugleich ein großer Redner, Staatsmann und Feldherr, wie Perikles. Viele Ringschulen gab es in Athen und drei Gymnasien. So ein Gymnasium lag in einem weiten Garten, der mit Gebüsch bepflanzt war. In der Mitte stand das große Gebäude selbst, umgeben von einem Hof mit Säulenhallen. Dahin gingen nicht blos die Lehrer, sondern jeder gebildete Mann, der Lust hatte, und die Alten unterhielten sich da mit den Jungen über das Gute und Schöne und Alles, was den Geist eines Knaben zu bilden vermag. In den Sälen ward gebadet, neben den Bädern waren lange Bahnen zum Wettrennen. So stärkten und übten die Athener immer Geist und Körper zugleich.
Der besuchteste Ort war aber der Markt; dort wurde nicht blos gekauft und verkauft, sondern es versammelten sich dort auch die Richter, um Recht zu sprechen, und die Volksgemeinde kam zusammen, um über neue Gesetze abzustimmen, auch einzelne Bürger fanden sich immer daselbst ein, um über Krieg und Frieden zu sprechen und ihre Geschäfte abzumachen. Nun erwäge noch, daß Athen zu Perikles' Zeiten am volkreichsten war, daß Hunderte von Schiffen täglich in den Hafen liefen, um neue Waaren zu bringen oder auszutauschen, und du kannst dir im Geiste ein schwaches Bild von dem Leben dieser Stadt entwerfen.
Auch die Malerei hatte zu Perikles' Zeiten den höchsten Grad der Vollendung erreicht und mit einem Phidias wetteiferte ein Zeuxis und Parrhasius. Beide stellten einst einen Wettkampf an in ihrer Kunst. Zeuxis malte Weintrauben, so natürlich, daß die Vögel herzuflogen, um davon zu naschen. Nun brachte auch Parrhasius sein Stück; es war mit einer dünnen Leinwand überhängt. »Nun, so nimm den Vorhang weg!« sprach Zeuxis; aber Parrhasius lachte, denn der Vorhang war selber das Gemälde. Der eine Künstler hatte blos Vögel, der andere aber Menschen getäuscht.
3.
Weil Perikles so große Summen aufwendete für die Kunst und die Künstler, klagte ihn Thucydides an, daß er die Beiträge der Bundesgenossen verschwende; doch Perikles ging siegreich aus diesem Kampfe hervor, und endlich gelang es ihm sogar, die Verbannung seines Gegners zu bewirken. Nun hatte er alle seine Feinde aus dem Felde geschlagen, nun lenkte er allein das Volk durch die Gewalt seiner Rede, und wenn auch das Volk dem Namen nach herrschte, so war doch Perikles in der That Alleinherrscher. Und er führte das Staatsruder mit eben so weiser als kräftiger Hand. Bei all den großen Summen, über die er zu verfügen hatte, bewies er doch sein ganzes Leben lang eine so große Uneigennützigkeit und Unbestechlichkeit, daß er das von seinem Vater ererbte Vermögen nicht um eine Drachme vergrößerte. Darum hatten aber auch die Athener unbedingtes Vertrauen zu ihm. Dies zeigte sich bei folgender Gelegenheit.
Die Insel Euböa empörte sich gegen Athen; kaum hatte Perikles mit einem Heere die Insel betreten, so kam die Kunde, daß auch Megaris abgefallen sei. Perikles führte sogleich sein Heer aus Euböa zurück, fand aber auf dem Festlande nicht nur die Megarenser, sondern auch ein spartanisches Heer unter dem jungen König Plistoanax, der verwüstend tief in Attika eindrang. Mit so überlegener Macht scheute sich Perikles den Kampf zu unternehmen und er bestach den spartanischen König, worauf das peloponnesische Heer sich zurückzog. Nun ging er wieder nach Euböa, unterwarf die Insel und vertheilte das Land unter athenische Bürger. Als Perikles dem Volke Rechnung ablegte, fanden sich zehn Talente, die er zu einer Ausgabe verwendet hatte, die »er jetzt nicht nennen könnte.« Die Athener verlangten keine nähere Erklärung; Perikles hatte das Geld dem Plistoanax geschickt.
Nachdem Euböa gezüchtigt war, wurden auch die Megarenser hart bestraft, denn Perikles schloß sie von allen athenischen Häfen und Märkten aus, so daß ihr Handel fortan darniederlag. Mit gleicher Härte verfuhr er gegen die andern Bundesgenossen; darüber wurden diese empört und suchten Hülfe bei Sparta. So mußte der schreckliche Bürgerkrieg kommen, welcher der peloponnesische heißt, der Griechenlands Blüthe in der Wurzel tödtete.
Eine Insel, Korcyra (jetzt Korfu), hatte mit der reichen Handelsstadt Korinth Krieg angefangen und Athen um Hülfe gebeten. Athen freuete sich, die angesehene Stadt zu demüthigen und leistete die Hülfe sehr gern. Dafür reizte wieder Korinth viele der von Athen unterworfenen und hart gedrückten Städte zum Aufruhr und mit den Korinthern vereinigten sich alle übrigen, den Athenern feindlich gesinnten Griechen, um in Sparta über Athens Herrschsucht sich zu beklagen. Vorläufig schickten sie eine Gesandtschaft nach Athen, mit der Forderung, die unterworfenen Städte und Inseln frei zu geben. Fast hätten die Athener diese Forderung bewilligt, als Perikles fragte: »Soll Sparta über uns, oder sollen wir über Sparta herrschen?« Alsobald schrie Alles: »Krieg, Krieg!«
Nun begann der für Athen so verderbliche Krieg von 27 Jahren (431-404 v. Chr.). Archidamus, König von Sparta, rückte mit einem Heere, das aus Lacedämoniern und peloponnesischen Bundesgenossen bestand, in Attika ein und verwüstete das Land bis nahe vor Athen. Perikles ließ alle Bewohner der Landschaft mit allen ihren Habseligkeiten sich in die Mauern Athens flüchten, wo nun eine so ungeheure Menschenmenge zusammenströmte, daß selbst Mauerthürme, Tempel und Kapellen bewohnt wurden. Obgleich die Athener vor Kampflust brannten, hielt es Perikles doch für bedenklich, gegen ein Heer von 60,000 Mann in's Feld zu rücken. Nur mit Mühe konnte er den Ungestüm der Bürger bezähmen, und um nicht wider seinen Willen zur Schlacht gezwungen zu werden, hielt er in jener Zeit keine Volksversammlung. Seine Freunde drangen mit Bitten auf ihn ein, seine Feinde schmäheten ihn und machten Spottlieder auf ihn; er blieb unerschütterlich fest. Sein Plan war, dem Feinde zur See zu schaden; daher schickte er eine Flotte von 100 Schiffen aus und diese verwüstete die Küsten des Peloponnes. Da mußten die Peloponnesier, denen überdies der Vorrath an Lebensmitteln ausging, abziehen.
Im nächsten Jahre wiederholten die Feinde ihren verheerenden Einfall in Attika und hier kam zu dem äußeren Feinde noch ein innerer, nämlich jene verderbliche Pest, die wahrscheinlich aus Afrika oder Asien zu Schiffe nach Europa gebracht war und in Athen eine unzählige Menge von Menschen hinwegraffte. Die Hitze des Sommers, die Ueberfüllung der Stadt mit Landbewohnern, die sich mit kleinen dumpfigen Hütten behelfen mußten, vermehrten die Wuth der Krankheit. Den Kranken wurden Augen, Zunge und Schlund feuerroth entzündet, innere Hitze und brennender Durst quälten sie schrecklich. Geschwüre in den Eingeweiden und Eiterbeulen auf der Haut steigerten den Schmerz auf das Aeußerste und eine ertödtende Muthlosigkeit machte das Uebel noch gefährlicher. Furchtbar war der Einfluß der Seuche auf die Gemüther der Menschen; alle Kraft zum Guten wurde erstickt. Der Glaube an die Götter schwand; die Reichen ergaben sich allen möglichen Lüsten und Genüssen; die Frevelhaften verloren alle Scheu vor dem Gesetz. Die Sittenverderbniß, die wie ein Krebs in die Athener hineinfraß, dauerte viel länger, als das Uebel selbst. Und da sich nun bei den ungeheuern Leiden der athenischen Bevölkerung aller Ingrimm gegen den Perikles wandte, den man für den Urheber des Unglücks hielt, so entsetzte das Volk den hochverdienten Mann seiner Feldherrnwürde und legte ihm noch eine Geldstrafe auf. So erfuhr Perikles noch am Abend seines Lebens den Wankelmuth und die Unbeständigkeit des Volks, das ihn einst vergöttert hatte. Mußte er es doch erleben, wie sein Freund Phidias angeklagt wurde, von dem Golde für die Bildsäule der Athene einen Theil unterschlagen zu haben, und obgleich Perikles die Beschuldigung widerlegte, ward Phidias doch ins Gefängniß geschickt und endigte dort sein Leben. Seinen Lehrer Anaxagoras, der von den Athenern der Gottlosigkeit beschuldigt wurde, konnte er nur dadurch retten, daß er ihn aus der Stadt verbannte.
Doch nicht blos der Schmerz, mit so schnödem Undank belohnt zu werden, traf den Perikles in seinem Alter: auch häusliche Leiden beugten den sonst so starken Mann. Die fürchterliche Pest wüthete in seiner eigenen Familie. Er verlor durch den Tod seine Schwester und seinen Sohn Xanthippus. Dennoch behielt er jenen Muth und jene Seelengröße, die über die Schläge des Schicksals sich erhebt. Als er aber auch seinem Sohne Paralos, den gleichfalls die Pest hinraffte, nach athenischer Sitte den Todtenkranz aufsetzte, da überwältigte ihn der herbe Schmerz und er brach in Thränen aus, wie er nie in seinem Leben gethan hatte.
Endlich erkannte das athenische Volk den Undank und seine Uebereilung; es überzeugte sich von der Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit des tief gekränkten Mannes und setzte ihn wieder in seine vorige Würde ein. Doch nicht lange mehr sollte Perikles an der Spitze seines Vaterlandes stehen; auch ihn ergriff die verheerende Seuche. Als er dem Tode nahe war, rühmten die um ihn sitzenden Bürger die Größe seiner Tugend und die Menge seiner Siege, ohne daß sie von Perikles gehört zu werden glaubten. Er aber hatte Alles gehört und sagte: »Ich wundere mich, daß ihr nur das erwähnt, woran das Glück gleichen Antheil hat mit mir und was schon vielen Feldherren begegnet ist; das Schönste und Beste habt ihr jedoch vergessen – kein Athener hat meinetwegen ein Trauergewand angelegt.« –
Alcibiades.
1.
Alcibiades stammte aus einem reichen und edlen Geschlechte, das bis auf den Telamonier Ajax hinaufreichte, und war verwandt mit Perikles, der nach dem Tode seines Vaters die Vormundschaft über ihn führte. Die Natur hatte den Alcibiades mit den glänzendsten Gaben des Körper und der Seele ausgestattet; er besaß eine sehr schöne Gestalt, einen lebhaften durchdringenden Geist, eine einschmeichelnde Stimme, die durch ein leises Anstoßen mit der Zunge – er konnte den Buchstaben R nicht gut aussprechen – nur um so lieblicher ward. Dagegen hatte er aber auch jenen Leichtsinn und jenen ausgelassenen Muthwillen, der überhaupt ein Zug des athenischen Volkes war. Bei solchen Gaben war es kein Wunder, daß er schon als Knabe die Aufmerksamkeit der Athener auf sich zog und manche witzige Aeußerung, mancher lose Streich wird von ihm erzählt.
Einst übte er sich mit einem stärkeren Knaben im Ringen, und um nicht zu unterliegen, biß er ihn in den Arm. Als sein Gegner ihn mit den Worten schalt: »Alcibiades, du beißest ja wie die Weiber!« antwortete dieser: »Sag' lieber, wie die Löwen!« – Ein ander Mal spielte er mit mehreren andern Knaben Würfel auf der Straße und er war gerade am Wurf, als ein Wagen gefahren kam. Alcibiades bat den Fuhrmann, ein wenig zu warten; da dieser aber nicht auf ihn hörte, legte er sich mitten aus die Straße, quer vor die Pferde und sagte: »Nun fahre zu, wenn du willst!« Der Fuhrmann mußte umwenden. – Alcibiades war lernbegierig und seinen Lehrern folgsam, nur gegen die Flöte zeigte er einen großen Widerwillen, weil sie das Gesicht entstelle und nicht gestatte, daß der Spielende dazu singe. »Die Kinder der Thebaner« – meinte er – »mögen Flöte blasen, denn sie verstehen nicht zu reden.« Er theilte seine Abneigung gegen dies Instrument seinen Gespielen mit und brachte es völlig in Verruf. – Einst wollte er seinen Vormund Perikles besuchen, erfuhr aber vor der Thür, daß Perikles beschäftigt sei und eben darüber nachdenke, wie er den Athenern Rechenschaft ablegen wolle. »Wäre es nicht besser« – sagte Alcibiades – »darüber nachzudenken, wie er ihnen keine Rechenschaft abzulegen brauchte?«
Als Jüngling war er innig befreundet mit dem weisen Sokrates, der den sonst leichtsinnigen und übermüthigen Alcibiades so für sich zu gewinnen wußte, daß er wißbegierig seine Lehren anhörte und ruhig den Tadel des Meisters über sich ergehen ließ. So lange Alcibiades bei dem Sokrates war, faßte er die besten Vorsätze; kam er aber unter das Volk, so schlug er alle guten Lehren wieder in den Wind. Doch in der Liebe zu dem weisen Manne blieb er treu. Auf dem Feldzuge nach Potidäa, den er und Sokrates mitmachten, fiel einst Alcibiades verwundet nieder; da deckte ihn der Weise mit seinem Schild und rettete ihm das Leben. Als nach der Schlacht der Preis der Tapferkeit dem Sokrates zuerkannt werden sollte, bat dieser die Richter, ihn dem Alcibiades zu ertheilen. – In der für die Athener unglücklichen Schlacht bei Delium sah Alcibiades, selbst schon auf der Flucht, wie Sokrates von den Feinden hart verfolgt ward. Alcibiades sprengte zurück – denn er war zu Pferde – zerstreuete die Feinde und rettete seinem Lehrer das Leben.
In einer lustigen Gesellschaft machte einst der übermüthige junge Mann eine Wette, daß er dem Hipponikus, einem reichen und angesehenen Athener, eine Ohrfeige geben wolle, und er führte diese That auf offener Straße aus. Jedermann war über diese Frechheit empört. Am andern Tage jedoch begab sich Alcibiades zum Hipponikus, bat ihn demüthig um Verzeihung und entblößte seinen Rücken zur wohlverdienten Geißelung. Hipponikus verzieh ihm und wurde bald so sehr von ihm eingenommen, daß er ihm seine Tochter zur Frau gab.
Durch solche unbesonnene Streiche machte er sich zum Stadtgespräch, und das wollte er eben. Er kaufte einen schönen Hund um mehr als 1000 Thaler. Die ganze Stadt sprach von der Schönheit des Hundes und dem theuern Preise. Da hieb er dem Hunde den Schwanz ab und nun war der abgehauene Schwanz das allgemeine Stadtgespräch. – Einmal ging er über den Markt, als eben Geld unter das Volk vertheilt wurde. Die Athener begrüßten ihren Liebling mit Freudengeschrei; da ließ er eine Wachtel fliegen, die er unter seinem Mantel verborgen hatte, und sogleich lief Alles dem Vogel nach, um ihn wieder zu fangen. Alcibiades lachte.
Seine Mitbürger suchte er durch Aufwand und glänzende Pracht zu übertreffen. Auf den olympischen Wettkämpfen erschien er mit sieben Wagen, was noch kein König gethan hatte, und mit dreien trug er den Sieg davon.
2.
Der verderbliche Krieg zwischen Athen und Sparta war im Jahre 422 v. Chr. durch einen Frieden unterbrochen, aber nicht geendet. Alcibiades, der vor Begierde brannte, sich Feldherrnruhm zu erwerben, wandte alle Kunstgriffe an, den Krieg wieder zum Ausbruch zu bringen.
Vor Allem suchte er das Volk zu einem Zuge nach Sicilien zu bereden, wozu sich damals eine günstige Gelegenheit darbot. Die Einwohner der Stadt Segesta auf Sicilien wurden von den mächtigen Syrakusern hart bedrängt. Sie baten in Athen um Hülfe und versprachen in ihrer Noth 60 Talente monatlichen Sold für 60 Schiffe. Alcibiades wußte durch seine einschmeichelnde Beredtsamkeit das Volk so zu bethören und ihm die Eroberung von ganz Sicilien als so gewiß vorzuspiegeln, daß es den Segestanern den verlangten Beistand bewilligte. Durch Alcibiades' Reden begeistert, schwelgte das Volk schon zum Voraus in ausgelassener Siegesfreude und träumte sogar von Afrika's und Karthago's Eroberung, worauf dann die Unterwerfung Italiens und des Peloponnes folgen sollte. Die prächtigste von allen Flotten war mit großen Kosten ausgerüstet und der Oberbefehl in die Hände des Nicias, Lamachus und Alcibiades gelegt.
Noch ehe die Flotte auslief, ereignete sich in Athen ein Vorfall, der für Alcibiades die verderblichsten Folgen hatte. In einer Nacht wurden alle Hermessäulen (dem Gott Merkur geheiligte Statuen), die vor den Häusern der Athener standen, umgeworfen und verstümmelt, wahrscheinlich von einer Schaar trunkener und muthwilliger Jünglinge. Das Volk sah hierin einen Angriff auf seine Religion und einen Versuch zum Umsturz seiner Freiheit. Aller Verdacht fiel auf Alcibiades, dessen Feinde nicht säumten, den Unwillen des Volkes gegen ihn rege zu machen, zumal da ein Gerücht im Umlauf war, daß er gewisse gottesdienstliche Handlungen der Athener mit seinen Freunden heimlich nachgeäfft und verspottet habe. Seine Feinde drohten mit einer Anklage und Alcibiades drang darauf, daß diese Sache noch vor seiner Abreise nach Sicilien entschieden würde. Allein seine Gegner wußten, daß sie ihm, so lange er in Athen sei, nichts anhaben konnten, denn er stand bei dem Volke und dem Heere in großer Gunst. Sie ließen daher die Anklage vorläufig ruhen und drangen auf die Abfahrt.
Alcibiades segelte ab. Die Flotte landete an der Küste von Sicilien (415) und schon hielten die Feldherren Rath über den Kriegsplan, als von Athen ein Schiff ankam, das den Alcibiades abholte, damit er vor Gericht sich stellte. In seiner Abwesenheit hatte man ihn der Entweihung der Religion angeklagt und Viele der Mitschuldigen waren bereits als Opfer der Volkswuth hingerichtet worden.
Alcibiades folgte dem Befehl und bestieg das Schiff. Unterwegs aber faßte er den Entschluß, heimlich seinen Wächtern zu entfliehen, denn er trauete dem Wankelmuthe der Athener nicht. Als ihn Jemand fragte: »Trauest du denn deinem Vaterlande nicht?« antwortete er: »Nicht einmal meiner eigenen Mutter, denn sie könnte aus Versehen einen schwarzen Stein statt eines weißen in die Urne werfen!« Er entkam nach Elis, und als er hörte, daß die Athener ihn zum Tode verurtheilt und sein Andenken verflucht hätten, sagte er: »Ich will ihnen zeigen, daß ich noch lebe!« Aus Rache ging er nach Sparta, wo man ihn natürlich mit Freuden aufnahm. Von nun an war es seine Sorge, den Athenern auf alle Weise zu schaden, und er ertheilte den Lacedämoniern die besten Rathschläge, wo sie den Krieg auf die für Athen verderblichste Weise führen könnten. Auf seinen Rath befestigten sie das nahe an der Grenze von Attika gelegene Decelea und wiederholten von diesem festen Standpunkte aus jährlich die verheerenden Einfälle in das attische Gebiet. Ferner ertheilte er ihnen den Rath, den Syrakusern in Sicilien Hülfe zu schicken, um die Unternehmung der Athener zu vereiteln. Dies geschah und mit solchem Erfolge, daß der anfangs für Athen glückliche Feldzug den schlimmsten Ausgang hatte. Nach vielen Verlusten mußten sich die Athener den Syrakusern ergeben, die Gefangenen wurden in die Steinbrüche von Syrakus geworfen, wo sie elend verschmachteten. Nicias wurde nebst seinem Mitfeldherrn auf dem Markte zu Syrakus öffentlich enthauptet. Nun waren die Hülfsmittel der Athener erschöpft und Verzweiflung bemächtigte sich aller Gemüther. Alcibiades hatte sich gerächt.
Dieser wetterwendische Mann nahm in Sparta ganz die Sitten des spartanischen Volkes an; er badete im Eurotas, ward mäßig und aß die schwarze Suppe, wie ein echter Lakone. Bald war er auch hier der Liebling von Alt und Jung. Doch bald schöpfte die Regierung Mißtrauen, und als er noch obendrein den König Agis beleidigt hatte, war er in Sparta nicht mehr sicher und ging nach Asien zum persischen Statthalter Tissaphernes. Auch diesen wußte er so für sich zu gewinnen, daß derselbe nicht mehr wie bisher den Lacedämoniern, sondern den Athenern Hülfe versprach. Hierdurch söhnte sich Alcibiades wieder mit seinen Landsleuten aus und bewirkte seine Zurückberufung. Ehe er aber in seine Vaterstadt zurückkehrte, wollte er erst rühmliche Thaten verrichten; nur als ruhmgekrönter Sieger wollte er in Athen einziehen. So ging er denn zuerst nach Samos, wo die athenische Flotte lag, und mit ihm kehrte das Glück zu den Athenern zurück. Sie schlugen die Spartaner zu Wasser und zu Lande und eroberten alle verlorenen Städte und Inseln wieder. Der Name Alcibiades verbreitete bei den Freunden Siegesmuth, bei den Feinden Furcht und Schrecken. Die gedemüthigten Spartaner schrieben in ihrer gewohnten Kürze nach Hause: »Unser Glück ist dahin, der Anführer ist getödtet, die Soldaten hungern, wir wissen nicht, was zu thun.« In dieser Noth schickte Sparta eiligst Gesandte nach Athen, die demüthigst um Frieden baten; aber das übermüthige Volk der Athener wies alle Anträge stolz zurück.
Alcibiades segelte mit reicher Beute beladen und mit den Trümmern von 200 zerstörten Schiffen als Siegeszeichen zu seiner Vaterstadt zurück. Als er sich dem Piräeus näherte, erwartete ihn eine zahllose Menge Volkes; doch stieg der Held nicht eher aus, als bis er seine Verwandten am Ufer erblickte. Nun landete er; das Volk richtete alle seine Blicke nur auf ihn und schien für die andern Feldherren, die ihn begleiteten, gar kein Auge zu haben. Alcibiades ging in die Volksversammlung und vertheidigte sich hier gegen alle ihm zur Last gelegten Beschuldigungen, klagte jedoch nicht das Volk, sondern nur sein Mißgeschick an, und am Schlusse seiner Rede feuerte er die Athener zur kräftigen Fortsetzung des Krieges an. Das Volk gab ihm sein Vermögen zurück, widerrief den über ihn ausgesprochenen Fluch und ernannte ihn zum unumschränkten Anführer zu Wasser und zu Lande. Weinend empfing Alcibiades die Beweise des Wohlwollens seiner Mitbürger und unter der Menge selbst beweinten Viele sein herbes Mißgeschick.
Doch Alcibiades sollte zum zweiten Male erfahren, wie unsicher und schwankend die Volksgunst ist. Er kehrte nach Samos zurück und stellte seine Flotte bei dem Vorgebirge Notium, in der Nähe der Stadt Ephesus, auf, während Lysander mit der peloponnesischen Flotte in dem Hafen dieser Stadt lag. Einst entfernte sich Alcibiades auf kurze Zeit von seiner Flotte und übertrug den Oberbefehl einem Unterfeldherrn, doch mit der ausdrücklichen Weisung, sich durchaus in keine Schlacht einzulassen. Lysander aber wußte schlau die Abwesenheit des Alcibiades zu benutzen, segelte aus dem Hafen heraus und überfiel die athenische Flotte, deren Mannschaft sich auf keinen Angriff vorbereitet hatte. Als Alcibiades zurückkehrte, sah er die schreckliche Niederlage, die seine Flotte erlitten hatte und die er nicht wieder gut machen konnte. Das athenische Volk aber gerieth bei dieser Nachricht außer sich vor Wuth und entsetzte ihn, dem es alle Schuld beimaß, seiner Feldherrnwürde. So sank der Mann, der noch vor kurzer Zeit der Abgott seines Volkes war, wieder schnell von dem Gipfel seines Glückes herab.
Er ging nach Thracien, wo er sich schon vorher eine Burg erbaut hatte. Doch nie erstarb in ihm die Liebe zu seinem Vaterlande. Als die athenische Flotte bei Aegospotami lag (405) und die Soldaten sich trotz der drohenden Nähe Lysander's zügellos auf dem Lande zerstreueten, um Beute zu holen, begab sich Alcibiades, der das Gefährliche ihrer Lage einsah, zu dem athenischen Feldherrn und versprach ihm, die Feinde in kurzer Zeit zur Schlacht zu zwingen, wenn er ihn am Kommando wollte Theil nehmen lassen. Doch dieser wies ihn mit der Antwort ab: »Alcibiades hat nichts mehr zu befehlen!« So erlitten denn die Athener jene furchtbare Niederlage bei dem Ziegenflusse (Aegospotami), die Athen der Rache der Lacedämonier preisgab.
Die Spartaner glaubten jedoch ihres Sieges nicht sicher zu sein, so lange Alcibiades noch lebte. Sie stellten ihm nach und er mußte nach Asien zum persischen Statthalter Pharnabazus fliehen. Er war im Begriff, von diesem zum Könige von Persien zu reisen, um durch dessen Beistand die Rettung seines Vaterlandes zu bewerkstelligen. Doch Lysander verlangte von Pharnabazus die Auslieferung des gefürchteten Mannes so hartnäckig, bis dieser endlich zwei Mörder schickte, ihn zu tödten. Sie waren aber zu feig, ihn im offenen Kampf zu tödten, und zündeten daher das Haus an, in welchem er schlief. Vom Knistern des Feuers aufgeweckt, sprang Alcibiades mit einem Dolche bewaffnet heraus und stürzte sich durch die Flammen. Da erlegten ihn die Männer aus der Ferne durch Pfeile, schnitten dann sein Haupt ab und brachten es dem Pharnabazus. Seine Freundin Timandra, die bei ihm lebte, bedeckte seinen Leichnam mit ihrem Gewande und verbrannte ihn in der Flamme des angezündeten Hauses.