Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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72. Die Broschurenfluth während der Josephinischen Preßfreyheit.

(Von Blumauer und Pezzl.)

Seit der zweyten Hälfte des März 1848 konnte man sich einen ziemlichen Begriff von jener Piecenüberschwemmung machen. Nur waren die ephemeren Erscheinungen der Preße in unsern Tagen nicht Broschuren zu 7 kr. oder 10 kr., sondern mehr einzelne Flugblätter und Maueranschläge, auch deßhalb vielleicht schon in weit größerer Anzahl. Was den literarischen Werth des Inhalts betrifft, so war dieser in den 80er Jahre mit sehr geringer Ausnahme wirklich unter aller Critik, denn tüchtige Köpfe und befähigte Federn verschmähten es, sich mit solchen Tagsfliegen-Productionen zu beschäftigen; nun aber, nach beynahe 70 Jahren, während welcher Zeit die Bildung nothwendig so ausserordentliche Fortschritte gemacht, mußten und müssen sich unsere Flugschriften vortheilhaft genug von den damahligen unterscheiden, obschon Erstere wohl allerdings viel unbegreiflich schmähliges und profanes Pfuschwerk darbrachten. Unter jenen Autoren, welche über das Josephinische Broschurenunwesen geschrieben, sind zwey, deren Stimme characteristisch, unpartheyisch und beachtenswerth ist. Diese sind: der auch bibliographisch competente Poet Blumauer, und der substantiose und gediegene Pezzl. Wir lassen hiermit Beyde sprechen, indem wir jedoch von Ersterem nur einen Auszug geben.

1. Blumauer.

In einem Staate, in dem von jeher Liebe zur Lectüre herrschte, in dem man von jeher die Schriften aller aufgeklärten Nationen las, um desto gieriger las, jemehr Schwierigkeiten die Neugierde der Leser reizten, in dessen aufgeklärterem Theile von jeher Grundsätze und Meinungen keimten, die jeder denkende Kopf wohl im Stillen hegen, aber nicht öffentlich ausbrechen lassen konnte, wo Wißbegierde dem starken Damm seit langer Zeit entgegen arbeitete und dem Durchbrechen bereits nahe war; in so einem Staate mußte auf die Wegräumung der Hindernisse, und die Erweiterung der Preßfreyheit nothwendig eine Überschwemmung von Broschüren folgen.

Auf welchen hohen Grad schon vor dieser Epoche die Schreibbegierde der Schriftsteller des Landes gestiegen war, bewiesen die zahllosen Leichengedichte, Reden, Träume u. s. w. auf den Tod der seligen Kaiserinn, und der nicht zu bändigende Eifer, mit welchem viele derselben den Verstorbenen noch ins zweyte Jahr hinein nachleyerten. Der Werth dieser Gedichte, so verschieden er war, und so zweydeutig er allemahl bey bloßen Gelegenheitsgedichten seyn muß, eröffnete dennoch der inländischen Dichtkunst eine nicht zu verachtende Aussicht. Die Schreiblust war nun einmahl rege, und sie schien nur eine kurze Zeit, wie in einer kurzen Sturm prophezeihenden Windstille zu laviren, als ihr der Ruf der erweiterten Preßfreyheit auf einmahl in die Segel blies. Die kleine Schrift: über die Begräbnisse, die am ersten von dieser größeren Freyheit Gebrauch machte, war der Vorläufer, und gleichsam das Zeichen zum Angriffe, das hundert Federn in Bewegung setzte. Man schrieb itzt, von Allem und über Alles, man nahm den nächsten besten Gegenstand her, goß eine bald längere bald kürzere, bald gesalzene bald ungesalzene Brühe darüber, und tischte ihn dem damahls noch sehr heißhungrigen Publicum zur Mahlzeit auf. Nichts war von nun an vor der rüstigen Feder der Autoren sicher: für 10 Kreuzer konnte man jeden Gegenstand, er mochte groß oder klein seyn, durchgebeutelt lesen, und ein vollständiges Verzeichniß all der Von und Über, die damahls erschienen, würde ein Gemählde von der possierlichsten Composition geben. Ich will zur Probe nur einige dieser Broschüren hersetzen: Über die Stubenmädchen in Wien. – Über die Bürgermädchen. – Über die Halbfräulein. – Über die Fräulein in Wien. – Das Lamentabel der gnädigen Frau. – Über die Schwachheiten der gnädigen Frauen des leonischen Adels. – Über den hohen Adel in Wien. – Über Doctoren, Chirurgen und Apotheker. – Dem Hausherren im Vertrauen etwas ins Ohr. – Über die Kaufleute in Wien. – Über die Dicasterianten. – Über die Stutzer in Wien. – Über die Kaufmannsdiener. – Über die Schneider. – Über die Bäcker. – Über die Perückenmacher. – Über die Friseurs. – Der ehrliche Wastel mit dem Klingelbeutel. – An Herrn H. S.* Chef der Maulaffenloge auf dem Graben. – Über die Kleiderpracht im Prater. – Über die Unterhaltung bey der Tafel zu Schönbrunn. – Über den Schwimmer aus Tyrol beym Tabor. – Beurtheilung der Feuerwerke des Stuwer und Mellina. – Über die Hetze. – Casperl, das Insect unsers Zeitalters. – Über das Nationaltheater. – Über den Mißbrauch des Wörtchens Von und Euer Gnaden. – Über das Gratulieren. – Über die Kleiderpracht. – Etwas über die schopfichten Wienerinnen. – Philosophie der Modeschnallen. – Über die Hochzeiten in Wien. – Das Gespenst auf dem Hose.– Über den großen Brand der Magdalenakirche. – Über den Selbstmord, bey Gelegenheit des Friseurs, der sich erschoß. – Ist der Antichrist blau oder grün? – Über die Bruderschaften. – Über die Kirchenmusik. – Über die Nonnen. – Über die Tracht der Ordensgeistlichen. – Über die Reliquien, Opfer und Mirakelbilder. – Von Abschaffung der Weihnachtsmetten. – Über die Universität in Wien. – Die Gelehrten im Hasenlande. – Der Glückshafen für gelehrte Maulaffen. – Über die 10 Kreuzer-Autoren. – Kaufts allerhand! Kaufts allerhand! Kaufts lang und kurze Waar! &c.

Alle diese Broschüren, davon die meisten in die Rubrik Maculatur gehören, und noch beyläufig dreymahl so viel, erschienen in einer Zeit von wenigen Monathen, wurden gekauft und gelesen. Sie sind den Titeln nach ein ziemlich vollständiges Repertorium über Wien; aber wehe dem, der daraus Wien beurtheilen wollte! Die meisten erschienen blos des Geldes wegen, waren in einem Tage fertig, am zweyten gelesen, und am dritten vergessen. Man glaube indessen ja nicht, daß man es bey einer Broschüre über einen Gegenstand bewenden ließ. Es war beynahe keiner über den man nicht wortwechselte. Die Schrift: Über die Begräbnisse, die allerdings viel bessere Nachfolger verdient hätte, zog 21 Streitschriften nach sich, bey welcher Gelegenheit der ehrwürdige P. P. Fast, Curatus zu St. Stephan, mit zweyen von Amtswegen verfaßten Gegenschriften seine rühmliche Schriftstellerlaufbahn eröffnete. – Die Beyträge zur Schilderung Wiens, eine in vielem Betracht merkwürdige Schrift, der zur Empfehlung nichts, als ein den Gegenständen angemessener Ton fehlte, veranlaßte über 10 Streitschriften, und ihr haben wir den katholischen Unterricht des oberwähnten P. P. Fast in 10 Theilen, das Stück zu 7 Kreuzer zu danken, durch welchen der eifrige Herr Verfasser dem christlichen Fragbüchelunterricht des 16. Jahrhunderts, der durch die neuen Normalbücher schon beynahe in Vergessenheit gesunken war, wieder auf die Beine geholfen hat. – Die Schrift: Über die Stubenmädchen in Wien, von Herrn Rautenstrauch, war eine der glücklichsten Autorspeculationen für ihn und die Herren, welche sich an ihn anhingen. 25 Broschüren schlugen sich für und wider diesen Gegenstand und beweisen deutlich, was für einen wichtigen Theil des Publicums die Stubenmädchen ausmachen müssen. Von dieser Zeit an gingen die Manufacturen der Tagesproducte unermüdet fort, und in jedem Monathe durfte man auf 50 bis 60 Broschüren sicher Rechnung machen. Jeder Vorfall, jede Tagsneuigkeit ward zur Broschüre, und die alles regierende Göttinn Gelegenheit, die sonst Juvenale und Butlers zu unsterblichen Werken des Geistes aufrief, amusirte sich in Wien damit, zwey Bogen langen Broschüren das Daseyn zu geben. Die Schriftsteller schienen den Geschmack des Publicums wohl getroffen zu haben, sie verlegten sich auf Persönlichkeiten, Familienvorfälle u. dgl., und Dinge, die sonst nur in vertrauten Kreisen und freundschaftlichen Unterredungen abgehandelt wurden, gingen jetzt durch die Hände eines ganzen Publicums. Aber auch dieser Speisen ward man in die Länge satt, und als man minder gierig zuzugreifen anfing, so war es eine Freude zu sehen, wie mancherley Schilde die Herren aushingen, wie einer des andern Küche lästerte, wie einer den andern Schmierer schalt, und wie jeder gegen den Schwall von Broschüren loszog, den er mit den seinigen vermehren half. Allein der Käufer wurden demungeachtet weniger, die Verleger behuthsamer und edler, und vermuthlich würde die sichtbar zunehmende Lauigkeit des Publicums den Schreibern nach und nach das Handwerk gelegt haben, hätte nicht die Ankunft des Papstes dem ganzen Schriftstellerwesen eine neue Schnellkraft und eine andere Wendung gegeben.

Diese zweyte Epoche eröffnete der inländischen Literatur eine tröstlichere, hellere Aussicht. Mit Eybels Abhandlung: Was ist der Papst? begann nun die neuere bessere Periode der inländischen Schriftstellerey. Eine deutsche, selbst dem Volk verständliche Abhandlung über einen Gegenstand, der bisher entweder bloß lateinisch, oder nur von protestantischen Schriftstellern deutsch, aber immer nur für Sachkundige allein behandelt worden war, würde auch ohne die freymüthige Einschränkung der päpstlichen Rechte, die ihren Inhalt ausmachten, Aufmerksamkeit zu einer Zeit erregt haben, wo der Gedanke Papst in den Köpfen einer halben Welt, und vor allen in denen des Wiener Publicums ein ausschließendes Recht zu walten hatte. Schon der Titel der Schrift war für das Volk, geistlichen und weltlichen, adeligen und bürgerlichen Standes, eine kühne vermessene Frage, unerhört in den ältern Katechismen, in welche man sich wohl jede andere Frage nur niemahls die: Was ist der Papst? erlaubt hatte. Noch weit unverzeihlicher schien der Inhalt, und fast allgemein war die Empörung derjenigen, welche in ihren Klöstern eine freylich ganz andere Lehre über diesen Gegenstand eingesogen hatten. Aber was diese Zeloten am meisten wider den Verfasser empörte, waren dessen sieben Capitel von den Klosterleuten, die mit seiner Abhandlung über den Papst zugleich erschienen, und gegen ihr unmittelbares Interesse gerichtet waren. Da sie nun gegen diese wenig oder nichts vorbringen konnten, so war es natürlich, daß ihnen die Schrift über den Papst zum Ableiter ihrer Erbitterung dienen mußte. Sie donnerten von der Kanzel herab gegen den Verfasser, und P. Merz in Augsburg hielt in einer öffentlichen Controverspredigt Gericht über ihn. Nichts war bey dieser Gelegenheit lustiger anzusehen, als wie sich die Eiferer auf der Kanzel wandten und krümmten, um dem Verfasser eins anzuhängen, ohne sich gegen die Grundsätze des Staats und der Censur, welche diese Schrift billigte, zu verstossen. Aber noch eifriger, und folglich noch gröber waren sie mit der Feder. Ein jeder der dagegen schrieb, nannte seine Lehre echt und uralt, und bedachte unglücklicher Weise nicht, daß die Grundsätze des Mittelalters freylich leider! uralt, aber die der ersten Kirche noch urälter und folglich auch ächter seyn. Kurz über 70 Schriften zogen allein für und wider diesen Gegenstande zu Felde, und das Resultat aller Gegenschriften war, daß sie des Verfassers Abhandlung, statt sie zu widerlegen, bekannter, gesuchter und folglich gemeinnütziger machten. Dieß bewies augenscheinlich der erstaunliche Absatz derselben, und die Eilfertigkeit, mit welcher sie in's Lateinische und Französische übersetzt ward. Sogar der Titel dieser Abhandlung schien Epoche zu machen; eine Menge Schriften erschienen von nun an in Gestalt von Fragen, und indeß der Verfasser selbst noch einige Gegenstände des Kirchenrechts auf die Art behandelte, wimmelte es von fragenden Titeln. Man frug: Was ist der Verfasser der Abhandlung: Was ist der Papst? – Was ist der Cardinal? – Was soll der Pfarrer seyn? – Was ist die Religion? – Was ist die Kirche? – Was ist der Kaiser? – Was sind die Pflichten gegen Gott? – Was ist der Peter? – Was ist der Teufel? – Was sind die Wiener Schriften überhaupt?

Und man würde vielleicht noch mehr gefragt haben, wenn das Antworten nicht so schwer wäre. Wenigstens machte ein Gegner dieser Herrn Fragesteller die feine Bemerkung: daß ein Narr mehr fragen könne, als zehn Weise beantworten.

Noch eine Schrift, über welche bey Gelegenheit der Ankunft des Papstes bis zum Ekel gestritten ward, war: Die Vorstellung an Seine päpstliche Heiligkeit Pius VI. von Herrn Rautenstrauch. Der ehrwürdige P. P. Fast, der sichs nun einmahl zum Geschäft gemacht zu haben scheint, auf der erzbischöflichen Warte die Aspecten der Aufklärung am Wiener Horizonte zu beobachten, konnte diesen Irrstern nicht unangehalten vorbeylassen. Er glaubte an demselben durch sein altes Sehrohr eine Menge Flecken wahrzunehmen, und ohne erst zu untersuchen, ob diese Flecken nicht etwa an den Gläsern seines eigenen Tubus befindlich seyn, ereiferte er sich dagegen in einem Tone, der in den Zeiten, da man mit Fäusten schrieb, einem Weislinger Ehre gemacht haben würde. Herr Rautenstrauch, der keinem seiner Gegner gern das letzte Wort läßt, fing an Episteln an ihn zu schreiben, deren keine unbeantwortet blieb; und hieraus entstand jener artige Briefwechsel, der wenigstens von der Seite des ehrwürdigen P. P. Fasts einen herrlichen Beytrag zu deutschen Epistolis obscurorum abgeben würde. Unstreitig bleibt Herrn Rautenstrauch bey diesem Handel die Ehre einer ungleich größeren Mässigung, und die noch größere, der Verfasser einer Schrift zu seyn, wie seine Vorstellung ist.

Es erschienen in dieser zweyten Schriftstellerperiode, welche den Papst zum Gegenstand hatte, noch mehrere sehr gut geschriebene Abhandlungen, deren Auseinandersetzung mich zu weit führen würde. Genug; aus allen zusammengenommenen ergibt sich der Schluß, daß sich von dem jungen Nachwuchs der Autoren – derjenigen versteht sich, die nicht Pfuscher sind – wenn nicht Schreibbegierde allein sie leiten, und Überlegung die aufbrausende Hitze mäßigen wird, noch viel Gutes hoffen läßt.

Mit dem Institute der Predigerkritiker begann für Wien eine neue Schriftstellerperiode, die sowohl wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes, als ihrer unstreitigen Gemeinnützigkeit merkwürdig ist

So einleuchtend nun die Nothwendigkeit irgend einer Art von öffentlicher Aufsicht über die Prediger jedem unbefangenen Kopfe seyn muß, so nichtig sind anderer Seits die Gründe, welche die Vertheidiger einer unbeschränkten Kanzleyfreyheit diesem Institute entgegen stellen. Alle ihre Gründe, in so mancherley Formen sie dieselben auch einkleiden, laufen immer in den Punct zusammen: daß eine öffentliche profane Critik das Ansehen des Worts Gottes entkräfte, und der Ehrerbiethung, die man den Verkündern desselben schuldig ist, zuwider sey. Zweyen Einwürfe, die kaum einer Widerlegung werth sind. Der Endzweck dieses Institutes ist zweyfach. Es soll ein Zaum und ein Sporn für die Prediger, und ein Belehrungs- und Verwahrungsmittel für die Zuhörer seyn. Der erste Endzweck fordert freymüthigen, bescheidenen Tadel, ohne Ansehung der Person, wo was zu tadeln ist, und gerechtes unpartheyisches Lob dessen, was Lob verdient. Der zweyte Endzweck fordert Aufklärung über Dunkelheiten, Zurechtweisung irriger Meinungen, Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen, nützlichen und schädlichen, abergläubischen und erbaulichen Religionsgebräuchen, genaue Kenntniß der geistlichen und weltlichen Gewalt, und der Gränzlinie zwischen beyden, und endlich das Zutrauen der Leser, dazu nur aufrichtige Wahrheitsliebe, Mässigung und Bescheidenheit ein gegründetes Recht geben können.

Die übrigen kleinen Schriften dieser dritten Periode waren meist ein leidiges Durcheinander. Gegenstände der Religion fingen wieder mit allerley Von und Über abzuwechseln an, und viele Schriften schienen nur der einmahl in Gang gebrachten Schreibegewohnheit der Hände ihr Daseyn zu danken. Und da, wie natürlich, der Kopf den Händen nicht immer folgen kann, so paßten einige jede Gelegenheit ab, und suchten ihre Schreibmaterialien auf der Gasse. So bald der Pöbel was zu sprechen hatte, hatten sie was zu schreiben, und wie der Hunger gierig an einer harten Brotkruste nagt, so nagte ihre Schreibsucht heißhungrig an jedem Gassenspectakel. Die öffentliche Arbeit der geschornen Verbrecherinnen war ihnen ein willkommener Stoff. Sogar die Musen mußten sich von ihnen zu diesem Gegenstande brauchen lassen, aber die Lieder, welche sie zur Welt brachten, sahen leider eben so aus, wie die Musen, welche sie zu Gesängen begeistert hatten. Wobey sie noch die lächerliche Irrung begingen, die Criminalverbrechen mit den Polizeybetretungen zu vermengen, und alle geschorne Verbrecherinnen für Gassenphrynen auszugeben, vermuthlich weil sie von ihren Gegenständen begeistert, es ihnen nicht ansahen, daß so eine Vermuthung die gröbste Satyre auf ihr eigenes männliches Geschlecht sey.

Von dem ersten April des vorigen Jahres 1782 an bis Ende September des gegenwärtigen 1783, folglich in einer Zeit von achtzehn Monathen erschienen bloß allein in Wien 1172 Schriften, die Nachdrücke fremder Werke nicht mitgerechnet. Welch eine Zahl! und doch würde das Publicum noch um ein Paar hundert mehr zu sehen gekrigt haben, wenn es bloß auf den guten Willen der Autoren angekommen wäre. Angenommen nun, daß von eilfhundert zwey und siebzig Schriften drey Viertheile – welches doch für jeden Kenner derselben das allerglimpflichste Postulatum seyn muß – mittelmäßiges, oder schlechtes Zeug waren, so entsteht daraus ein Verhältniß von 293 guten, gegen 879 entbehrlichen, oder gar schlechten Producten. Wenn wir nun weiter annehmen wollen, daß eine Schrift in die andere gerechnet nicht mehr als 10 Kreuzer gekostet habe – welches man in Rücksicht so vieler periodischen Schriften, und so vieler größeren Werke leicht annehmen kann, und wenn wir ferner voraussetzen, daß von jeder Schrift im Durchschnitt nur 200 gekauft worden sind, – so geben uns die sämmtlichen bisher erschienenen Schriften eine Summa von baaren 39066 Gulden 40 Kreuzern. Wenn wir nun von dieser Summa drey Viertheile, welche auf Rechnung der entbehrlichen Schriften kommen, abziehen, so ergibt sich daraus an unnütz verschwendetem Gelde eine Summe von 29299 Gulden 30 Kreuzern. Man rechne hiezu noch den mit Lesung dieser Schriften erlittenen Zeitverlust, und addire damit das Lucrum cesans von Ideen und Kenntnissen, mit welchen man während dieser Zeit den Verstand aus bessern Schriften hätte bereichern können, und urtheile dann, ob man dem Publicum die Verachtung und Geringschätzung so ganz und gar verargen könne, mit welcher dasselbe auf die heutigen Schriftstellerproducte herabsieht. Indessen würde das Publicum sehr voreilig und ungerecht handeln, wenn es diese ganze unnütze Ausgabe bloß auf Rechnung der Autoren schreiben und glauben wollte, daß diese beträchtliche Summe von 29299 Gulden, nach Abzug der Druckkosten, ein reiner unverdienter Gewinn der Autoren gewesen sey. Nach dem hiesigen Verlegerfuß, der gerade für jene Autoren der schlechteste ist, die des Geldes am meisten bedürfen, fallen von jeder Schrift im Durchschnitte sicher zwey Drittheile reinen Gewinnstes in den Säckel derjenigen, die bey fremden Geistesgeburten Hebammendienste verrichten, das ist, die, um ein Geisteskind in die Welt zu setzen, ihre Hände, Maschinen und Windeln herleihen, oder sie wohl gar für den bloßen Aufenthalt fremder Kinder in ihrem Gewölbe einen größern Zins, als je in Wien für eine Wohnung gezahlt wird, abreichen lassen. Nach diesem Zweydrittelfuß also kömmt von den obenangeführten unnütz verwendeten 29299 Gulden ein sicherer Betrag von 19533 Gulden auf Rechnung der Verleger. Eine Summe, die jene große Bereitwilligkeit allerdings begreiflich macht, mit welcher dieselben noch immer fortfahren, jeder unreinen Geburt ohne Rücksicht auf derselben künftiges Schicksal an das Tageslicht zu helfen, und sich der Schuld zu frühe entbundener Antoren theilhaftig zu machen.


2. Pezzl.

Wie ein Sturmwind aus Süden oft in den öden Sandwüsten des inneren Afrika ein Heuschreckenheer emporhebt, und plötzlich über eine ruhige Provinz hinschleudert: so hob das kaiserl. Handbillet über die Preßfreyheit im Jahre 1781 aus den öden Köpfen selbstgefälliger Müssiggänger jenes bekannte unzählbare Broschürenheer empor, und ließ es auf das erstaunte Wien niederregnen.

Vom Tage dieser Federnfreyheit bis zu Ende des August 1782 waren schon über tausend solcher Heftlein erschienen.

Die Druckereyen konnten die Preßbengel nicht schnell genug drehen, die Censoren lasen sich die Augen müde an den Manuscripten-Ladungen, die täglich und stündlich auf der Censur einliefen. Sie waren damahls in der That die geplagtesten Leute in Wien. Sie mußten ex officio jeden Quark lesen, auch der nicht gedruckt wurde. Um sie einigermassen von dieser Folter zu befreyen und zu verhindern, daß nicht gar jeder armselige Wisch zum Druck angetragen würde, geschah im May 1784 der ernstliche Vorschlag, daß jeder Schrifterling mit seinem Manuscript sechs Ducaten in der Censur deponiren sollte, die verfallen wären, wenn das Manuscript nicht zugelassen würde. Man sah aber die unzweckmässigen Folgen dieses Vorschlags ein, führte ihn nicht aus, und gab dafür den Censoren die Freyheit, auf ein nichtswürdiges Manuscript ohne alle andere Umstände zu setzen: Typum non meretur, wodurch es dann nicht weiter an das Tageslicht kam.

In eben diesem Jahre 1784 fing die Fluth der Broschüren schon an, sich zu verlieren. Im Jahre 1783 hörte die ungewöhnliche Menge derselben gänglich auf; und seitdem steht die Zahl der erscheinenden Broschüren mit der Zahl der übrigen Bücher, mit dem Lesebedürfniß einer so großen Stadt, und mit der Broschürenzahl in andern Hauptstädten so ziemlich in leidlichem Verhältniß. Die erste neugierige Lesewuth des Publicums ist gestillt, die Lust zu kaufen ist verschwunden; und die Schmierer, welche wohl noch öfter Lust hätten, mit ihrer Waare zu Markte zu kommen, finden keine Verleger mehr.

Diese lustigen Dinger, welche einige Millionen Papierbögen färbten, sind wie Nebel verflogen. Von 49–50 derselben ist weder Spur noch Andenken mehr übrig. Ihre körperlichen Überreste sind in die Gewürz- und Käseläden gewandert, als Fidibus verbrannt, in Papilloten verwikelt, zu Tabakdosen gekauft worden; sind durch Stuwers Feuerwerke in die Luft geflogen, in den Lägern bey Minkendorf, Pettau und Prag verschossen, oder der Göttinn Kloazina geopfert worden.

Sie haben Übels und Gutes gestiftet . . . . Ihre übeln Wirkungen waren, daß sie die bessere und ernsthafte Lectüre auf einige Zeit verdrängten; daß sie grobe Fehden zwischen verschiedenen Leuten stiftetenLeider ist das nicht in Wien allein der Fall. Man sehe sich nur ein bischen um im übrigen Deutschland, und man wird ähnliche Balgereyen allenthalben finden.

Nicolai und Wieland
Leßing Götz
Schlözer Schirach
Lichtenberg Voß
Basedow Reiche
Semler Bahrdt
Biester Starke
Winkopp die Mainzer
Nicolai Lavater, Garve, Seiler &c. &c.

haben mächtige Kämpfe gekämpfet. Was Wunder, wenn auch einige Wienerische Literati einander in die Haare kamen!

Illiacos intra muros peccatur et extra.

; daß sie eine Menge von jungen Hohlköpfen verleiteten, sich mit Bücherschreiberey abzugeben, welche mehr für die Elle, die Drehbank, den Perückenstock &c. gemacht schienen, als für den Helicon; daß sie der Wienerischen Literatur im Auslande einen üblen Ruf zugezogen &c. . . Ihre guten Wirkungen waren, daß sie gleichsam einen neuen Zweig der Betriebsamkeit stifteten, Buchdruckereyen entstehen machten, und dem Mechanischen des kleinen Local-Buchhandels eine bis dahin in Wien unbekannte Lebhaftigkeit verschafften; daß sie alle Volksclassen an das Lesen und ein bischen Nachdenken gewöhnten; daß sie die Gemüther für die plötzlichen auffallenden Reformen vorbereiteten und geneigt machten; daß sie wichtige und nothwendige Dinge in einer leichten populären, jedermann verständlichen und für solche Gassenblätter erträglichen Schreibart vortrugen &c.

In einigen Gegenden von Deutschland haben diese Broschüren seltsame Begriffe und Urtheile erweckt. Nicolai machte einen eigenen Abschnitt in seine allgemeine deutsche Bibliothek unter der Rubrik: Wienerschriften, und urtheilte dort die unbedeutendsten Blättchen mit einem Ernst ab, als ob es Bücher von Wichtigkeit wären. Man spottete an andern Orten, daß z. E. so viel über den Papst ist geschrieben worden.

War etwa seine Reise nach Wien nicht eine so auffallende Erscheinung, daß es wohl im Publicum darüber zur Sprache kommen mußte? Waren die Anstalten, welche man gegen seinen Einfluß, gegen das System seiner Anhänger machte, nicht lebhaft genug, um dem darüber hoch erstaunten, und in seinen Begriffen schwankenden Volke einige Kenntniß von den rechtmäßigen Ansprüchen des römischen Hofes geben zu müssen? Und wie konnte dieses am füglichsten geschehen? Hätte man es an die lateinischen Quartbände des Febronius De legitima potestate Romani Pontificis oder gar lateinischen Folianten des Harzheim und Van-Espen weisen sollen, um zu lernen, was der Papst sey, was er fordern könne oder nicht! . . . Freylich wäre zu wünschen gewesen, daß nicht gar so vieles Geschmiere erschienen wäre; allein dieß ist nun einmahl das Schicksal der großen Städte. Wie viel ist z. E. in Paris bey der tollen Halsbandgeschichte, bey der Versammlung der Notabeln, wie viel in Berlin bey dem lächerlichen Gesangbuchs-Streit, bey der Regierungsveränderung geschrieben worden! . . Tout comme chez nous.

Andere hat die Menge dieser fliegenden Schriftchen verführt, auf eine eben so ungeheuere Zahl von Schriftstellern in Wien zu schließen. Diese Herren thaten den Vätern jener Lilliputischen Geschöpfe mehr Ehre an, als man ihnen in Wien selbst widerfahren ließ. Hier ist es keinem Menschen eingefallen, die Fabrikanten solcher Waare mit dem Nahmen der Schriftsteller zu belegen. Dagegen mußte man in der Berlinischen Monathschrift und mehreren auswärtigen Journalen beynahe bis zum Ekel wiederhohlt lesen, das es in Wien der privatisirenden Gelehrten, der Schriftsteller eine ungeheure Menge gebe. Sogar Herr Meusel, der doch sonst billiger von ähnlichen Sachen urtheilt, that in seinem ersten Nachtrag zum gelehrten Deutschland am Ende in einer Anmerkung den höchst schiefen ironischen Seufzer: »Wer sollte es wohl glauben, daß aus dem großen weiten Wien, wo es Schriftsteller zu hunderten gibt, mir nicht ein einziger Beytrag zugekommen ist!«

Ich versichere Herrn Meusel, daß man in dem großen weiten Wien von Schriftstellern zu hunderten nichts weiß; daß man da die leidigen Broschüristen keineswegs unter die Gelehrten oder Schriftsteller zählt. Daß ihm kein Beytrag zu seinem Werke geliefert wurde, kann ich mir kaum anders erklären, als daß er sich darum nur an jemand von jenen hunderten, nicht aber an wirkliche Schriftsteller in Wien muß gewendet haben.


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