Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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36. Der Prozeß Philipps Grafen v. Kolowrat;
und zur Geschichte der betreffenden Druckschrift,
die nahe daran war, durch Henkers Hand verbrannt zu werden.

Diese 196 Seiten umfassende Schrift von Juolfinger Ritter von Steinsberg hat nachstehenden Titel: »Vollständiger Prozeß und Vertheidigung des Grafen Philipp von Kolowrat Krakowsky. Als ein Beytrag zu den noch mächtigen Prälatenkniffen in Österreich. Nebst einem wahren dramatischen Scharmützel: Bischof, Prälaten und Nonnen. Amsterdam 1783.« (Nürnberg, Lochner.) Auf dem Titel befindet sich als Vignette das silhouettirte Porträt des Grafen. – Das Buch besteht aus Fragmenten; die Auszüge, welche wir hier bringen, müssen folglich noch fragmentarischer seyn; allein sie biethen unter Anderm einen leuchtenden Beweis von Josephs des Philosophen und Menschenfreundes strenger »Unbestechlichkeit des Herzens,« indem er, während er den Sohn abgesetzt ließ, den Vater zu den höchsten Staatswürden erhob. Von dem in 6 Abtheilungen zerfallenden Buche geben wir zuerst bloß aus dem ersten und dritten Extracte; die zweyte (Bischof, Prälaten und Nonnen; ein dramatisches Scharmützel) folgt darauf in einem eigenen Artikel.

Aus der ersten Abtheilung.

An das Prager Publikum.

Liebe Landsleute!

Ihr würdet ohne Zweifel mir herzlich danken, wenn ich einem unter euch, den die Schlange gestochen hätte, erschiene, ihm das Leben zu retten; würdet mir's danken, ich trau es eurem Christenthume zu, wenn auch der Unglückliche, in Rücksicht seines moralischen Characters, bey euch nicht bestens angeschrieben wäre. Nun handelt sich's hier um ein moralisches Leben eines angesehenen Mannes, der von tausend giftigen Schlangen gestochen wurde, von Klapperschlangen, die – wie uns die Geschichte beweiset, manch gekröntes Haupt tödteten; die unsere Aufklärung erstickt zu haben glaubten, und die heute noch den schändlichsten Gift unter die Menschen ausspritzten. – Diese Schlangen überfielen, mit einem aufgezischten Trupp abergläubischer Dummköpfe, den würdigen Kreishauptmann, Grafen v. Kolowrat, dem sie wohl Garaus gemacht haben würden, lebten wir nicht unter dem Schutze Joseph's, wo der thätigste Großinquisitor selbst aus Verzweiflung, mit über den Kopf geschlagenen Händen, ausrufen müßte: Hier regieret die Vernunft, – hier ist's um uns geschehen! – Ich schrieb nun den Namen nieder, – des euch allen verhaßten Grafen, dessen Ehre öffentlich beleidigt – auch öffentlich Genugthuung erhalten muß. – Ihr zittert vielleicht für mich, wenn – die Geistlichkeit mich entdecken sollte? – aber ich zittere vor verkappten Schurken nicht, die man nur entlarven darf, um sie zu entwaffnen. Nun will ich muthig zur Sache schreiten, und fordere die Billigkeit zur Richterinn meiner Worte auf.

Herr Philipp Graf von Kolowrat Krakowsky ist unter dem 16. März 1782 vom Gubernium, als ein landesfürstlicher Commissär, nach Doxan beordert worden, um, vermöge der folgenden kaiserl. Instruction, das dortige Nonnenkloster aufzuheben.

Während daß Herr Kreishauptmann, Graf Philipp v. Kolowrat, mit seinen Untergeordneten die Nächte durchwachte, um das Geschäfte, vermöge der kaiserlichen Instruction, zu beschleunigen, so wie er dann auch unter allen Commissarien der erste war, so fertig wurde, entfernte sich der Herr Prälat, ohne sich dem Herrn Commissair zu empfehlen, der doch damals des Kaisers Person vorstellte, von Doxan, um zu Prag wider den Grafen eine Klage zu veranstalten, und durch sein politisches den stummen Schmerz anzeigendes, Betragen, dann durch die thätige Freundschaft des Herrn Prälaten von Strahof, ihn zu stürzen. Er speißte mit dem reducirten Doxaner Herrn Prälaten zu Prag an einer prächtigen Tafel, wie dann die geistlichen Tafeln immer die prächtigsten sind, und erzählte da in Gegenwart von 40 Personen, wie grausam der Graf mit dem Prälaten zu Doxan verfahren, der doch ein Landstand wäre, welcher unglückliche Landstand, während dieser Beschreibung, seinen Freund mit Thränen secundirte. – Wie hätten Menschen, so die königliche Hospitalität des apostolischen Prälaten zu Doxan öfters erfuhren, nicht an seinen Schmerzen Theil nehmen, und dem grausamen Grafen, der diesem Aufwand, auf kaiserl. Befehl, Einhalt thun müssen, nicht Rache schwören sollen? Kurz – und die ganze Stadt war mit Verläumdungen angefüllt; man spottete des braven Cavaliers, alle Caffee- und Bierhäuser, und alle Gesellschaften waren beschäftigt, seine Ehre zu verletzen. Unter tausend Possen, die P. Kochem nicht hätte lächerlicher erfinden können, erzählte man von dem Grafen folgendes: – daß er die keuschen Ohren der Nonnen mit ärgerlichen Ausdrücken beleidigt, mit offenen Unterkleidern ihre Zellen besuchte, und wie die Frau Oberinn in einem Briefe an ihre Frau Schwester nach Prag betheuert, ihnen auf die Brüste gegriffen habe. Ferner hätte er der heiligen Mutter Gottes gespottet, welche den Herr Baron v. Eben, als er sie des überflüssigen Schmucks entledigte, bey der Hand ergriffen, einige behaupten, ihn in den Finger gebissen hätte. Möglich kann Gott, durch seine Wunder, alles machen; – ich untersuchte seine Finger aufmerksam, aber ich habe kein Merkmal von einem Marienbisse daran entdecken können. Die Umstehenden hätten sich darüber entsetzt, und wären aus der Kirche geflohen. Der Commissair hätte für seine Person einen Thron errichten lassen; aus dem Ciborium die heiligen Hostien ausgeschüttet, um sich des silbernen Gefässes zu bemächtigen; hätte dem Herrn Prälaten 1 Gulden, als seine künftige Taglöhnung, in's Gesicht geworfen, und das goldene Kreuz von seiner Brust abgerissen. Der Graf hätte, da die 49 Nonnen und 6 geistliche Herren versammelt gewesen wären, gesagt, daß es ein Wunder sey, wie so wenige Hengste so viele Stuten befriedigen! – Und auf die Klage der Nonnen, daß sie mit der geringen ihnen ausgeworfenen Pension nicht werden leben können, hätte der Commissair erwiedert: Ihr werdet ja Huren – und euch daher eine beträchtliche Zulage zu erwerben im Stande seyn. Endlich habe der Commissair mit brennenden, auf Stricken herabgelassenen, Fackeln die Abtritte, als die außerordentliche Gruft der unmündigen Kinder untersuchen lassen.

Ich bin müde, die einfältigen Mährchen zu sammeln, die die Pfaffen wider den Grafen erdichtet, und die ein jeder vernünftiger Mensch für das, was sie wirklich sind, für grobe Lügen der pfäffischen Boßheit halten muß. Denn wäre nur ein Schatten derselben wahr: so würde der Herr Prälat von Doxan, in der veranstalteten, beym Gubernium eingereichten, Klage – mit kluger Wendung Gebrauch davon gemacht haben. Dazu sind sie freylich nicht brauchbar gewesen; um aber den Grafen bey dem größten Theile der Menschen, die kurzsichtig sind, lächerlich und verächtlich zu machen, dazu waren sie gut genug.

Der Graf rechtfertigte sich und Folgendes ist der Schluß der Verantwortung: Gleichwie nun Endesgefertigter sich schmeichelt, daß ihm mit Grunde nichts Gesetzwidriges zur Last gelegt werden könne; eben so überläßt er's gänzlich einer hohen Einsicht des hochlöbl. Landesguberniums, wie sehr ihm die, ohne Zweifel, auf einige falsche Anzeigen erfolgte, Verordnung schmerzlich fallen müsse; da man ihn, ohne ihn zu vernehmen, in einer, seine Ehre und guten Nahmen treffenden, Sache verurtheilet. Er bittet indessen, daß vor aller Entscheidung der Hauptbericht abgewartet, dann sein ganzes Betragen durch eine unpartheiische Commission untersucht, und nach Befinden, zur Rettung seiner verletzten Ehre, eine gebührende Genugthuung geleistet werden möchte! Den 4. April 1782.

Auf diese Verantwortung erhielt der Herr Graf folgende Verordnung unter dem 5. April: »Es wird zwar demselben die Beendigung des Doxaner Kloster Aufhebungsgeschäfts überlassen, jedoch ist der Hauptbericht des ehestens anhero zu berichten.« Dieses berichtete man abermahls nach Hofe – doch ohne Beysatz – daß sich der Graf gut – verantwortet habe.

In dem Hauptberichte, welchen der Graf an das Gubernium abstattete, hatte er dargezeigt, daß er sich an die Instruction pünktlich gehalten habe. Dem ungeachtet erhielt er darauffolgende Gubernialverordnung vom 12. April 1782: daß, nachdem er in Angelegenheit des Doxaner Geschäftes auf die ihm ertheilte Instruction willkührlich fürgegangen (worin dieses Willkührliche bestand, beliebte dem Herrn Referenten, Grafen Philipp von Clary nicht anzuzeigen): so hätte das Gubernium dem Kaurzimer Herrn Kreishauptmann neuerdings aufgetragen, sich nach Doxan zu begeben, um das Mangelhafte zu ersetzen. Wornach der Herr Kreishauptmann alle vom Gubernium erhaltene Verordnungen sowohl, als auch die annoch in Händen habende Acta, dem Kaurzimer Herrn Kreishauptmann sogleich zu übergeben habeAn Hrn. Bienenberg aber ist zugleich eine Verordnung ergangen, worinnen er unterrichtet worden, auf was Art er dem Grafen werde beikommen können, die ihm gleichsam Waffen in die Hände gab, womit er sich an seinem Feind rächen dürfe..

Der Kreishauptmann von Bienenberg ist allso hierauf nach Doxan abgegangen, und kaum daß er zurück kam, bat der Graf von Kolowrat unter dem 23. April, daß ihm die Anstände, so jener Kreishauptmann in seiner Untersuchung gefunden, zur Beantwortung zugestellt werden möchten, und daß sodann zur gründlichen Erörterung der Sache, eine unpartheiische Commission festgesetzt würde.

Abermahls eine, wie mich deucht, bescheidene und billige Bitte. Und die Antwort darauf? – Gar keine. Zu Wien ist aber während der Zeit die Sache so gut eingeleitet worden, daß der Graf unter dem 27. Ap. 1782 seine Entlassung erhielt.

Also ehe er gehört, ehe noch seine Sache untersucht wurde, bloß auf den ersten Bericht des Guberniums.

Der Graf bat inständig, seine Geschäfte zu untersuchen, und es erschien dem zufolge Anfangs May eine Hofverordnung, kraft welcher das Gubernium anbefehligt wurde, die Sache des Grafen von Kolowrat genau zu untersuchen. Das Gubernium, oder vielmehr der Referent bey der Klosteraufhebungscommission, denn im Gubernio ist es nie vorgekommen, trug seinem Präsidenten, dem Stadthauptmann, auf, jedoch ohne Beysatz, daß dies auf eine Hofverordnung geschehe, damit das Gubernium sagen könnte, es aus eigenem Antrieb gethan zu haben, – daß er zu diesem Ende

  1. vom Grafen von Kolowrat zwey Fascikeln von Abschriften, einiger in's Doxaner Archiv gehöriger Documente, abverlange.
  2. Das anschlüßliche, vom Herrn von Bienenberg aufgenommene, Beschwerdenprotocoll zur Beantwortung dem Grafen von Kolowrat zustelle. Zugleich
  3. von ihm erhebe, was ihn bewogen habe, eine Untersuchung zu veranlassen, ob einige Kinderknochen in dem Doxaner Nonnenabtritt gefunden worden? Endlich
  4. die Quittung über die für's Abschreiben, aus den Doxaner Renten ausgelegte Gelder abfordere.

Um den Prozeß des Grafen v. Kolowrat desto mehr zu verwickeln, hat man eine andere Sache hineingezogen, und das Personale des Grafen einer Malversation beschuldigt: besonders den Herrn Kreiscommissär, Baron von Eben, der die Prätiosa in's königl. Kreiskammerzahlamt eingeliefert hatte. Er hätte nähmlich einen Koffer mit Prätiosis unterschlagen, die man bey der Nonnenaufhebung zu Doxan herausgenommen, und die er in das königliche Kreiskammerzahlamt hätte abliefern sollen. Er ist von dem Herrn Baron von Langendorf, auf Befehl des Guberniums, vernommen worden; er hat sich aber darüber auf eine Art verantwortet, die dem Prälaten von Doxan, und dem Herrn von Bienenberg, welche diese Beschuldigung veranlaßten, wenig Ehre bringen werden. Er sagt unter andern in seiner Verantwortung, die er ad Protocollum gegeben, daß jene Menschen, so ihn kennen, ihm – eine so niederträchtige Handlung, ohne selbst einer solchen fähig zu seyn – nicht zumuthen können; und erklärte sich hiermit öffentlich, falls, wider Vermuthen, das hochlöbliche Landesgubernium ihm nicht hinlängliche Genugthuung verschaffen würde, er solche bey dem Throne des Monarchen suchen wolle, der ihn nicht nur als einen Adelichen, sondern, welches mehr ist – als einen seine Pflichten jederzeit genau erfüllenden Bürger des Staats schützen werde. Er bringt vier Attestate bei, allen Verdacht von sich abzulehnen, und sich gänzlich auszuweisen; unter welchen eines von der ersten Qualität ist, und zwar von dem Kammerzahlamte selbst. Der Prälat, der ihn anklagte, ist, da er vernommen werden sollte, auf dem Land krank geworden, und hatte sich daher zur Gegenäußerung nicht stellen können. Ich halte nicht viel auf Vorbedeutungen, aber diese Krankheit des Prälaten scheint mir für die Ehre des Herrn Baron von Eben von der besten Vorbedeutung zu seyn.

Man mag den Prozeß zu verwickeln suchen, so viel man will, man kann ihn nur mit Verläumdungen verwickeln, welche in der Entwicklung unter Joseph's Regierung den Verwicklern theuer zu stehen kommen dürfen. Der Graf von Kolowrat dringt auf nichts mehr, als auf diese Entwickelung, welches er wohl nicht thun würde, wenn er sich nicht wohl bewußt wäre; dagegen werden seine Gegner krank, wenn sie sich verantworten sollen! – Aber sie müssen endlich gesund werden, und dann – – –

Doch, wir wollen nicht voreilig seyn, und nur noch einiges berühren, welches sich bisher darzeigte. – Es sind nähmlich die zween Faszikeln, die man mit Ungestüm vom Herrn Grafen von Kolowrat forderte, ungeachtet seiner Verantwortung daß dieselbe in Doxan im Archiv seyn müssen, dennoch von ihm forderte – im Doxaner Archiv gelegen, und der geistliche Herr Secretär, Gabriel Schöttner, der diese Lüge componirte – wird er wohl ungestraft sie componirt haben? Wenn Philipp Graf von Clary darüber zu entscheiden hätte, freilich!

Wo wir von der nochmahligen Untersuchung gehandelt, sagten wir, daß das Gubernium den Auftrag dazu erhalten; dieses ist wahr; es ist aber auch wahr, daß man, noch ehe diese Verordnung kam, per majora beschlossen hatte, die Sache des Grafen von Kolowrat nochmahls zu untersuchen.

Diese majora hat der Graf einem komischen Zufall zu danken. Der Graf Philipp Clary hat votirt, daß, nachdem der Hof bereits gesprochen, und dem Grafen von Kolowrat sein Amt benommen hätte; so wäre es fruchtlos und überflüssig, die Sache noch einmahl zu untersuchen; diesem Votum sind beygefallen, Herr von Smittner, Herr von Hemdet.

Der Herr Gubernialrath von Herrmann hingegen hat sich dagegen gesetzt, und die Billigkeit erwiesen, daß man den Grafen vernehme, als welches Recht jedem Malifikanten, in monarchischen Staaten, wiederfahren wird. Die geistliche Herren Assessors, der Domdechant John, und der Generalgroßmeister der Kreuzherren, Suchaneck, die indessen geschlafen, oder doch nicht aufmerksam darauf waren, erklärten sich, sie wären eben dieser Meinung; und es sind also die Majora, wider Willen dieser geistlichen Assessoren, zu Gunsten des Grafen ausgefallen; denn Herr John hat es irgendwo selbst erzählt, und er glaubt heutigen Tages noch, daß er wider die Untersuchung votirt habe.

Wie glücklich sind oft die Partheyen, wenn solche Räthe und Assessoren im Rathe schlafen. –

Bis hieher. –

Sollte dieser Prozeß noch mehr verwickelt werden: so wird zu Amsterdam, oder sonst irgendwo, ein drittes Fragment dem Publicum geliefert werden. Solche Fragmente werden in künftigen Zeiten den böhmischen Historikern wichtig seyn, und ich werde derley Schriften mehrere drucken lassen, um unschuldiger Leute Ehre zu retten, und der Boßheit und der Heucheley die Larve abzuziehen.

Aus dem wenigen wird jeder unpartheyische Leser einsehen, wie mächtig die Prälaten in Österreich noch sind, und wie unglücklich der Monarch ist, der in seinem Reiche Bigotten und Pfaffenfreunde zu Referenten und Räthen hat. – Wenn der so streng gerechte Joseph – in dessen Augen niemand groß ist, – als der Tugendhafte – nicht Hülfe schafft: so ist er gewiß außer aller Schuld; und sein Biograph, wenn er billig ist, wird einst gestehen müssen, – daß unserm Zeitpuncte nicht zu helfen gewesen.

Aus der dritten Abtheilung.

Prag, am 21. Dez. 1782.

Der Verleger der zwey ersten Fragmente, Herr Lochner von Nürnberg, fragte sich bei der Prager Censur an, ob es erlaubt sey, dieselben, nebst dem Scharmützel, Bischof, Prälaten und Nonnen, einzuführen? Nein, erwiederte eigenmächtig der Prager Bücherbeschauer Mayer; diese Broschüren wären ein für allemahl verbothen; allein, zu seinem, des Herrn Mayers, Gebrauche dürfe der Buchhändler immerhin einige Exemplare mitbringen. Ehe noch Lochner damit erschien, rulirten bereits in der ganzen Stadt Kopien davon, welche ganz vermuthlich von dem löblichen Censurpersonale veranstaltet wurden, – weil damahls noch kein anderes Exemplar, ausser dem, so der Verleger an die Censur abgeschickt, zu Prag existirte. Möglich, daß der Prager Bücherbeschauer, Mayer, seine Freunde mit diesen Abschriften, als einer äußerst interessanten Seltenheit, habe regaliren wollen; aber auch möglich, daß ohne sein Wissen und Willen die Bücherbeschauerey-Subalternen sich eine Amtslauigkeit zu Nutzen machten, und die Mühe auf sich genommen haben, ein verbothenes Buch in – – gleichsam vidimirten Copien theuer genug an Mann zu bringen, und das Honorarium dafür als ein erlaubtes Amtsaccidenz anzusehen.

Dieses brachte die halbe Stadt, besonders die Interessenten in Bewegung. Der Domdechant John, der Kreuzherrengeneral Suchaneck, die Norbertiner Prälaten, oder der doppelte weiße Adler von Strahof; alle Pfaffenknechte und Anhang, Herr v. Bienenberg, Clary's hochgräfliche Excellenz und Anhang – vor den Augen des Publicums entlarvet, und mit Schanden bedeckt, brannten Wuth, sich zu rächen; aber wie? Der Verfasser war noch unbekannt, und man sehnte sich nach der Ankunft des Verlegers, der nach Prag zu Markte geht, und der, wie sie glaubten, das Corpus delicti mitbringen würde.

Er kam und brachte auch, vom Bücherbeschauer dazu, wie wir oben gesehen, aufgemuntert, 2 Exemplarien mit; das Eine überreichte er dem Grafen von Kolowrat, das andere behielt er selbst. Er wurde bestürmet, und man muß zu seinem Ruhme nachsagen, daß er oftmaligen Anerbietungen, pro 6 Dukaten für jedes Exemplar, wacker widerstand; man hätte ihm auch nimmer beykommen können, hätte es nicht einem dummen Burschen gelungen, was allen andern Intriguen fehlschlug.

Herr v. Bienenberg hatte in pleno seines Kreisamtspersonals bey der Cavaliersparole hohe Gunst und baldige Beförderung demjenigen versprochen, welcher das Glück haben würde, ihm ein Exemplar von dem Graf v. Kolowratischen Proceß zu verschaffen. Einer seiner Practicanten, Nahmens Johann Glaser, ein ausgetretener Mönch, der die Raserey hat, Bücher anzuschaffen, die er nicht liest, um mit einer beträchtlichen Bibliothek vor den Augen noch, – wo möglich, dümmerer Menschen, als er ist, zu brilliren, der sonach unter die Buchhändler groß Theil seines ansehnlichen Vermögens kommen ließ, und folglich auch dem Buchhändler, als ein respectabler Mann, bekannt war, nahm es auf sich, seine Ehre dem Verleger zu verpfänden, von ihm nur auf eine Stunde lang den Proceß zum Überlesen zu erhalten. Da bekanntlich jeder Kaufmann die Ehre seiner Kunden nach ihrem Vermögen zu taxiren pflegt, machte auch Lochner sich kein Bedenken, einem seiner besten Kunden hierin gefällig zu seyn. Johann Glaser aber lief um die nähmliche Minute, beym noch warmen Eide – seine Ehre zum Speck in den Rauchfang aufzuhängen, und für die angebothene Huld seines gnädigen Kreishauptmanns, – ein schändlicher Denunciant zu werden.

Ein ausgetretener dummlistiger Mönch – kann nur bey einer Obrigkeit, wie Bienenberg, sein Glück machen; denn nur Kreishauptleute, wie er, finden Handlungen dieser Art verdienstlich. Mit dem Entzücken eines für den Jammer und Elend der Menschen abgehärteten Blutrichters, der vom Hängen und Rädern seine Vortheile zieht, fuhr Bienenberg zum Grafen v. Nostiz Excellenz, um dem Verleger auf dem letzten Sprossel die nächste Staffel in den Schoos Abrahams zu verhelfen, und wo Gott will, auch dem Autor. Er betheuerte, diese Schrift schände die Majestät, die Religion, und andere angesehene Personen; – seine hochangesehene Person mitgerechnet; und folglich müsse Lochner, der sie öffentlich verkaufe, criminaliter behandelt werden.

Auf diese Anzeige zog – schröckbar, wie die leidige Inquisition, das ganze Censurpersonale – ein Mann vom Stadtgericht, und 6 Stücke furchtbarer Helden von der handvesten Kotzischen Garde mit entblößtem Seitengewehr nach dem Buchladen Lochners, bemeisterten sich seiner Person zuerst, besetzten alle Ausgänge, lasen ihm, mit gehöriger Ceremonie, sein Urtheil ab, und die löbliche Bücherbeschauerey kroch kunstmäßig alle Winke. durch, guckte sogar in das Ofenloch, um den Prozeß des Grafen von Kolowrat zu finden. Aber sie fanden nichts. Dem ungeachtet wurde Lochner in ein Armensünderkämmerchen gesteckt, darin er viele Wochen schmachtete. Er machte gehörige Vorstellungen, daß er nähmlich hiedurch zwey Märkte verlöre, daß er Caution und angesehene Bürgen für seine Person stellen könne; daß seine Frau, die hoch schwanger sey, den Tod davon haben werde, wenn sie erfährt, daß er im Kerker schmachtete, u. s. w.; aber man mußte um der Gerechtigkeit willen, – grausam und unmenschlich seyn; und Lochner säße gewiß noch im tiefen Kerker, wenn er sich nicht mit seiner Bitte an den huldreichsten Monarchen selbst gewandt hätte. Den Tag darauf, als er arretirt wurde, wurde er auch ad Protocollum vernommen, und versichert, man wolle ihn nicht eher los lassen, bis er den Verfasser dieser Schrift genannt habe. Nothgedrungen nannte er also den Ritter Juolfinger von Steinsberg, den bekannten Verfasser der Predigtencritik und einiger SchauspieleHerr Appellationsrath v. Escherich, der der Lochnerischen Untersuchung beygezogen wurde, behauptete, die Broschüre enthalte ein Crimen laesae Majestatis secundi generis; denn es stehe darinnen, der Graf sey ungehört verurtheilt worden. Kann wohl der Fürst weitläufiger und großer Staaten alle Klagen seiner Unterthanen anhören? Muß er nicht seine meisten Urtheile nach den Referaten seiner Räthe abfassen? Wie viele Ungerechtigkeiten muß er bestätigen, die er nicht untersuchen kann? Und eben so wenig, als ihm diese Ungerechtigkeiten zur Last gelegt werden können, kann ihn auch der Vorwurf treffen, daß der Graf ungehört verdammt worden. Wenn z. B. auf Ihr Gutdünken, mein Herr v. Escherich, der Buchhändler und Autor, als Schänder der Majestät, zum Tode wären verurtheilt worden: so wäre der Monarch unschuldig an diesem Blute, und der gerechte Vorwurf einer hierfalls verübten Ungerechtigkeit träfe nicht ihn, sondern Sie, kurzsichtiger Criminalist!. Der Graf Philipp v. Clary drang darauf, diese Schrift durch Henkers Hände verbrennen zu lassen, aber der Graf Nostiz, ein strenger, doch ein gerechter Mann, soll erwiedert haben: Clary's Excellenz wolle erwägen, daß, nachdem er in dieser Schrift so oft genannt worden, der Henker somit auch seinen Nahmen verbrennen würde. Mit diesem Autodafé ging es also schlechterdings nicht an, und man begnügte sich blos von Seiten des Guberniums daran, des Kaisers Majestät zu bitten, daß er andern zum Exempel, den Verfasser bestrafen lasse, weil sich sonst kein Rath getrauen würde, irgend einer Commission beyzusitzen, wenn er Gefahr liefe, so, wie jene Assessors bey der Doxaner Nonnenaufhebungs-Commission – ausgelacht zu werden. Nun erwartete man den kaiserl. Machtspruch, der sowohl dem Verfasser, als dem Verleger dieser Schrift, den Hals brechen, oder sie doch wenigstens zum Gassenkehren, mit einer Norbertinertonsur, verdammen würde; aber der weise Kaiser, dem es wohl bekannt seyn mag, daß es noch hie und da Räthe gibt, die, so wie sie nur den Mund öffnen, auch schon ausgelacht werden müssen, befahl Lochnern des Arrestes zu entlassen, und die Sache auf das Schärfste zu untersuchen.

Der Ritter v. Steinsberg, der nichts anderes vermuthen konnte, als daß seine, wie leicht zu erachten, unpartheyischen Richter diese kaiserliche Resolution dahin deuten würden, ihn so lange im weißen Thurm sitzen zu lassen, bis die Sache entschieden, er aber im Thurm indessen grau geworden ist, beschloß, über die Gränze zu gehen, und seinen Feinden gewonnen Spiel zu geben.

Indessen ließ man, mittelst einer Estafette, das Manuscript selbst von Nürnberg kommen; man erkannte daran zweer Canzelisten Handschrift, die alsogleich abgesetzt werden sollten. Jetzt mit allen Documenten versehen, trug das Gubernium die weitere Untersuchung der K. Appellation an, aber sie schob es von sich, mit dem Vorwand, daß von Steinsberg vermöge seines Ritterstandes, nicht zu ihrer Jurisdiction gehöre. Was man hierauf unternommen hat, ist mir unbekannt; so viel ist gewiß, daß währender Zeit die Bittschrift des Ritter v. Steinsberg an den Kaiser, nach Prag dem Gubernium zugeschickt wurde, die ich mit vieler Mühe zu lesen bekam, und die ungefähr so lautet:

Von Aussen.

An des Kaisers Majestät.

Fr. von Steinsberg bittet, Ihro Majestät wollen gegenwärtige Bittschrift und Beylagen selbst lesen; denn nur von ihrer Gerechtigkeitsliebe erwartet er schleunige und gewisse Hülfe.

Von Innen.

Ihro Majestät!

Unterzeichneter wurde aufgefordert A die Flucht zu nehmen, weil das Gubernium seinen Untergang beschloß, das er lächerlich gemacht hätte.

Der Herausgeber hätte dies nie im Sinne gehabt; vielweniger an der geheiligten Person seines Landesvaters zu vergreifen. Seine Absicht sey lediglich gewesen, die Ehre eines Cavaliers zu retten, dessen Vorfahren sich um sein Vaterland unsterblich verdient gemacht hatten; laut der Geschichte, und laut der höchsten Publication bey Ernennung des itzigen Obristkanzlers selbst.

Beschaffenheit der Sache.

Zu Anfang des Frühlings erhielt Unterfertigter das erste, im Sommer das zweyte Fragment beyliegender Schrift B von einem Ungenannten. Lochnern wurde sie zugesagt. Der Markt ging zu Ende, und das Manuscript war, der Unleserlichkeit wegen, fast unbrauchbar. Aus dieser Verlegenheit hätten ihm die 2 Canzellisten, Ulen und Korboda, geholfen, die solche zum Theil abschrieben. Das Gröbste habe er gemildert, daran werde man seine Handschrift erkennen; das Original müsse noch in Böhmen bey seinem Vater liegen.

Unterzeichneter habe also diesen Prozeß nicht selbst verfaßt, und seine weitern Beweggründe für die Publication desselben wären:

  1. weil er aus dieser Schrift die Unschuld des Grafen v. Kolowrat erkannte, habe ihn sein Gewissen und die Pflicht der Menschlichkeit bestimmt. sie bekannt zu machen. Über dies
  2. sey es ihm bekannt, daß vermöge der erweiterten Preßfreiheit, auch diejenigen kritischen Schriften die Censur frey passiren, die Ihrer Majestät allerhöchste Person selbst angreifen; welche Freyheit das einzige Mittel sey, sich gegen Cabale und Verläumdung zu schützen.

Was die Bekanntmachung der Stimmen anbetrifft, die über den Grafen Kolowrat fielen, und welches man als eine Verrätherey ansehen wolle, diese wäre durch den Assessor, Domdechant John verrathen worden, welcher alles, so viel er sich aus der Session davon merken konnte, seiner Freundinn, der Frau von Marchand, erzählt habe, und diese hätte es dann weiter ausgebracht.

Überhaupt aber hätte Unterzeichneter unter zwey Bedingungen diese Schrift Lochnern in Verlag gegeben: einmahl, ihn nicht zu nennen; und dann, die Schrift selbst der Censur zuzuschicken; da er aber beyde gebrochen hätte: so höre Unterzeichneter auch auf, der Herausgeber derselben zu seyn.

Aus gegründeter Furcht, das Opfer seiner mächtigen Feinde zu werden, und also nicht aus Furcht vor der Gerechtigkeit Sr. Majestät, zu welcher er einzig Zuflucht nimmt, halte er sich, bis zum Ausgang des Prozesses, verborgen; und er sey überzeugt, daß, wofern er einen Fehler beging, er dazu von der Menschlichkeit verleitet werde, und deshalb also vor dem erklärten Schützer aller Menschen nicht zu zittern habe.

Ritter v. Steinsberg.

Wie gesagt, wurde diese Bittschrift nebst Beylagen, vornähmlich dem Prozesse selbst – nach Prag den 2. December mit dem Auftrage abgeschickt, das Gubernium solle sich äußern, und – – rechtfertigen. Am 3. Dec. wurden die Acta des Graf v. Kolowrat'schen Prozesses nach Wien, zur nochmahligen Untersuchung, abgefordert, und des Kaisers angebethete Gerechtigkeit neuerdings bewiesen. Währender Zeit, da er beschloß, den Vater auf die höchste Stuffe der Würde in seiner Monarchie, zum Obristkanzler und dirigirenden Minister bey der Stellen der Hofkanzley und der Hofkammer zu erhöhen, hat er seinen Sohn abgesetzt, weil er ihn, zufolge der Clary'schen schiefen Referate, schuldig erachtete. Sein Vater, der würdige Minister, bath vergebens für seinen Sohn. – Der Kaiser beschloß, von den Vergehungen desselben informirt, daß die Sache nicht weiter gerüget werde, und der junge Graf abgesetzt bliebe; und bald darauf bekam der Vater zum Beweise der kaiserlichen Huld, das goldene Vlies. Welch' eine Strenge! welch' eine seltene Unbestechbarkeit des Herzens, die nicht dem Lieblinge, dem verdienstvollen Manne zu gefallen, auf Unkosten der Billigkeit, ein Auge zudrückt, oder den verdienstvollen Mann fremde Vergehungen entgelten läßt!

Der Chikanen überdrüssig, verfügte sich der Graf K. selbst nach Wien, um den allerhöchsten Entschluß auf sein Memorial zu betreiben, und der Wuth der Prager Cabalisten Schranken zu setzen, die weil er von all' den Pretiosen zu Doxan nichts entwandt, ihn zum Dieb an zwey kleinen unbedeutenden Globen machen wollten, u. d. m. Und so sehr auch schon zu Wien alle Gemüther wider ihn erbittert waren, gelang es ihm doch, die Augen seiner Richter aufzuklären, so, daß von Seiten der böhmischen Hofkanzley Sr. Majestät eingerathen wurde, dem Grafen Kolowrat die anverlangte unpartheyische Commission zu verwilligen. Dieses Gutachten wurde von dem Staatsrath zu seiner Äußerung zugeschickt, welcher aber Sr. Majestät rieth: die angesuchte unpartheyische Commission zu versagen, weil man ein ganzes Gubernium, die erste Landesstelle, nicht wohl der Gefahr aussetzen könne, prostituirt zu werden.

In Gleichförmigkeit dieses Anrathens wurde dem Grafen von Kolowrat beygefügtes Decret zugefertigt.

»Se. Majestät haben über den von ihm, Herrn Grafen, allerhöchsten Orts angebrachten Recurs und Anlangen um eine unpartheyische Commission auf seine Kosten, in dem Betreff, was ihm in seinem, als Commissarius bei der Aufhebung des Doxaner Frauenkloster gebrauchten, Benehmen zu Schulden gekommen, und Beschleunigung der diesfalls schon unterm 27. April bereits angeordneten, aber noch nicht vollzogenen, Untersuchung abzukommen habe; und demselben die geschehene Entsetzung von der Kreishauptmannsstelle, zur Strafe für seine begangene Übereilung, anzunehmen sey. Doch wollen Se. Majestät aus Gnade gestatten, daß er, Herr Graf, wieder bey der Appellation zur Dienstleistung angestellt werde. Diese allerhöchste Entschließung wird daher ihm, Herrn Graf von Kolowrat, zur tröstlichen Wissenschaft mit dem Beysatz eröffnet, daß das Nöthige hierwegen, sowohl an die kaiserl. königl. Obristjustizstelle, und das königl. böhmische Gubernium, unter einem ergehe. Wien, den 17. August 1781.«

Der Graf verschmerzte es leicht, zum Theil das Opfer der Sotisen eines ihn im Nahmen des Gubernii verfolgenden Referenten zu seyn, da doch hiedurch wenigstens seines Vaters Kummer gelindert wurde, und er die wenigen ihm übrig gebliebenen Freunde von seiner Unschuld überzeugen konnte. Es war auch billig, daß, nachdem seine Name, durch die Vermittelung der Chicane, in vielen öffentlichen Zeitungen geschändet ward, durch die Gegenvermittelung des Ritter v. Steinsberg das Publicum von der wahren Beschaffenheit der Sache informirt, und auf die verwundete Ehre des Geschändeten Balsam gegossen wurde. Es ist aus der böhmisch- und österreichischen Geschichte erweislich, daß eine beträchtliche Menge von Kolowrat'schem Blut für Österreich floß; es ist erweislich, daß Kolowrate von jeher in den für Österreich gefährlichsten Revolutionen sich jedesmahl für Österreich mit Gut und Blut erklärt haben; erweislich, daß die Geschichte von den Handlungen dieser Familie nie zweydeutig spricht; erweislich, daß diese Familie eine von den wenigen ist, die wir als den ächten Schmuck der böhmischen Geschichte ansehen können; und so zufällig dieser Schmuck auch an und für sich selbst ist: so ist er doch merkwürdig und schön, und wir wollen ihn noch länger unbesudelt erhalten!


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