Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Deutsche Klagen vom Jahr 1844.

I.
                So wie der Hirsch, verletzt von Pfeil und Speer,
Ins Dickicht fleucht, um einsam zu verenden,
So flücht' ich mich zu deinen Felsenwänden,
Zu deinen stummen Grotten, ew'ges Meer.

Mein Herz ist wund und meine Seele schwer;
Das Wort der Freiheit hört' ich täglich schänden,
Und deren Amt es war, hier Trost zu spenden,
Sie trugen sein zu walten kein Begehr.

Drum laßt mich gehn! Hier, wo mit feuchten Schwingen
Die Winde tosen und die Wogen schlagen,
Will jedem Tag ein zornig Lied ich singen.

Und jede Morgenröte will ich fragen:
Bist du die Botin, uns das Heil zu bringen?
Doch keine, keine wird mir Antwort sagen.

 
II.
Dem Winde möcht' ich meine Sorgen geben,
Daß er hinaus ins weite Meer sie trüge,
Ich möchte, meiner Jugend Traumesflüge
Erneuend, wieder kühn ins Blaue streben.

Doch ernster ward und bittrer ward das Leben,
Es gibt uns Seufzer statt der Atemzüge,
Ist jede Lust doch eine halbe Lüge,
Wenn Wetter so wie jetzt am Himmel schweben.

Der Lenz hat seinen Rosenduft verloren;
Die Hoffnung selbst, die jugendliche rasche,
Pocht wie ein Kind nur schüchtern an den Toren.

Die Lust versieget mit dem Gold der Flasche,
Und nur der Schmerz steigt ewig neugeboren
Ein dunkler Phönix wieder aus der Asche.

 
III.
Wenn Kinder weinen, pflegt's nicht lang zu währen,
Getröstet sind sie bald mit bunten Flittern,
Und Tränen, die in Mädchenaugen zittern,
Sind Perlen, die die Schönheit nur verklären.

Doch anders ist es mit des Mannes Zähren;
Vom Schmerz erpreßt, vom langgenährten, bittern,
Sind sie den Tropfen gleich, die vor Gewittern
Unheilverkündend sprühn aus Laub und Ähren.

O böse Zeit, wo solch ein heißer Regen
An tausend Wimpern hängt, daß wir mit Zagen
Allstündlich schau'n dem Wetterschlag entgegen!

Die Donner raunen fern, die Wolken jagen;
Und wogt auch heute noch der Felder Segen:
Was morgen übrig ist, wer mag es sagen!

 
IV.
Das ist der Fluch von diesen trüben Zeiten,
Wo losgelassen die Parteien toben,
Daß kaum der Starke, welcher blickt nach oben,
Vermag in Reinheit mittendurch zu schreiten.

Nur einen Fuß breit mag er seitwärts gleiten,
So hat sein ganzes Wesen sich verschoben,
Nur einen Schritt, so lernt sein Mund zu loben.,
Was er noch jüngst bedacht war zu bestreiten.

Drum gib, o Herr, daß ich die Lebensamme,
Die heil'ge Freiheit, nie mit jenem Weibe
Im blut'gen aufgeschürzten Kleid verdamme!

Und ob die Wilde mich an meinem Leibe
Schmerzlich versehren mag mit Erz und Flamme:
Gib, daß ich treu der Himmelstochter bleibe!

 
V.
O hüte dich zu spielen mit dem Schwert!
Ein Dämon wohnt, ein feindlicher, im Eisen;
Du weißt nicht, lässest du es leuchtend kreisen,
Ob's nicht in deines Freundes Busen fährt.

Und hat man kühn zu schleudern dich gelehrt,
Laß keinen Ball vom Berg zur Tiefe reisen!
Wer sagt dir, ob er nicht auf schnee'gen Gleisen
Zur tödlichen Lawine sich verkehrt?

Und wenn es stürmet wie in unsern Tagen,
Kein müßig Wörtlein gib dem Wind zum Raube,
Daß er es könn' im Lande weitertragen.

Ein schlimmer Herold ist der Wind, das glaube,
Und hat ein Wort schon manchen Mann erschlagen,
Der hoch war wie die Zeder überm Staube.

 
VI.
»Was schautest gestern du so finster drein,
Da schwarz aufs Meer die Wolken niederzogen,
Und kreischend vor dem Sturm die Möwen flogen,
Die Schwingen tauchend in den Wetterschein?

Mir war's, als würd' ich ledig jeder Pein,
Und jauchzen mußt' ich ins Geroll der Wogen,
Doch trübe standest du, das Haupt gebogen –
Was war's? Du siehst, die Luft ist wieder rein.«

Nicht schelt' ich deinen ungestümen Drang,
Dem Knaben wird im Sturm die Brust erweitert,
Der Fluten Donner deucht ihm wie Gesang;

Wohl hast du recht, der Himmel glänzt erheitert,
Die Sonne wandelt ruhig ihren Gang –
Doch weißt du auch, wie viel heut nacht gescheitert?

 
VII.
Zum Himmel bete, wer da beten kann,
Und wer nicht aufwärts blickt nach einem Horte,
Der sag's dem Sturm, daß er von Ort zu Orte
Es weitertrag' als einen Zauberbann.

Der Säugling, der zu stammeln kaum begann,
Von seiner Mutter lern' er diese Worte,
Du Greis noch sprich sie an des Grabes Pforte:
»O Schicksal, gib uns einen, einen Mann!«

Was frommt uns aller Witz der Zeitungskenner,
Was aller Dichter wohlgereimt Geplänkel
Vom Sand der Nordsee bis zum wald'gen Brenner!

Ein Mann ist not, ein Nibelungenenkel,
Daß er die Zeit, den toll gewordnen Renner,
Mit eh'rner Faust beherrsch' und eh'rnem Schenkel.

 
VIII.
Laß ab, o Mädchen, diese Zeiten sind
Für Lieb' und Rosenlauben nicht geschaffen;
Nicht darf in süßem Spiel der Arm erschlaffen;
Darum laß ab, laß ab von mir, mein Kind.

Trompetenklänge flattern hoch im Wind,
Von Wunden redend, die schon morgen klaffen:
Es dröhnt das Lager, und der Gott der Waffen
Ist wie der Gott der Liebe rasch und blind.

Vielleicht ist schon geschärft die Lanzenspitze,
Die mich durchbohren soll in Mordbegier,
Und diese Stirne bald ein Ziel der Blitze.

Fahr wohl, daß nicht der Stahl, gebückt nach mir,
Auch deine Brust, auch deine Schulter ritze!
Fahr wohl, fahr wohl! Und Friede sei mit dir!

 
IX.
Bei Gott, ich zähle nicht zu den Verwegnen,
Die um ein Nichts ein schwer Verhängnis fodern,
Doch besser, als am innern Krebs vermodern,
Deucht mir's, dem Feind auf blut'gem Feld begegnen.

Ja, dreifach will ich jetzt die Stunde segnen,
Wo, ihrer Scheiden bar, die Schwerter lodern,
Und wo an euern Moseln, euern Odern
Statt ew'ger Zankesworte Kugeln regnen.

O säh' ich morgen schon den Sonnenschein
Sich spiegeln auf den Helmen der Geschwader!
Ging's morgen schon in Feindes Land hinein!

Krieg! Krieg! Gebt einen Krieg uns für den Hader,
Der uns das Mark versenget im Gebein! –
Deutschland ist todkrank – schlagt ihm eine Ader!

 
X.
Des eiteln Jammers trug ich immer Scham,
Doch nicht erröt' ich über diese Zähre;
Achill, der Götter Enkel, weint' am Meere,
Da seine Mutter ihn zu trösten kam.

Doch war das Leid, das ihn gefangennahm,
Nicht meinem gleich an Bitterkeit und Schwere;
Er weint' im Zorn um seine Lieb' und Ehre,
Ich weint' um meines Vaterlandes Gram.

Doch nun genug! Jetzt gilt es sich zu fassen,
Und nicht, ein händeringender Tribun,
Den Lärm noch zu vergrößern auf den Gassen.

Kannst du nicht handeln, laß die Worte ruhn;
Und lerne, wo nicht freudig, doch gelassen
Und fest das Unabänderliche tun.

 


 


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