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XXXIV

Die Atmosphäre nach geschlagener Schlacht ist noch niederdrückender als die Stimmung während des Kampfes. ‹Nachträglich fallen einem immer bessere Antworten ein, und man kommt gar nicht los davon›; dabei hat man das Empfinden, das Leben sei im Grunde gar nicht lebenswert. Man hat dem Selbsterhaltungstrieb Folge geleistet und bis ans Ende durchgehalten, und dieses Ende ist allerdings logisch, doch stets unerquicklich, mag es nun Sieg oder Niederlage heißen; darin aber ist alle Energie beim Teufel, man dämmert stumpf vor sich hin. So erging es auch Dinny, obwohl sie nur eine Nebenrolle gespielt hatte. Da sie fühlte, sie könne nicht wirklich helfen, warf sie sich wieder auf die Schweinezucht. Eine volle Woche ging hin, da erhielt sie folgenden Brief:

 

Kingson, Cuthcott & Forsyte
Old Jewry
23. Mai 1932

‹Verehrte Miss Cherrell!

Ich erlaube mir, Ihnen mitzuteilen, daß es uns gelang, ein Abkommen zu treffen, durch das die Prozeßkosten gedeckt werden, ohne dazu Mr. Croom oder Ihre Schwester heranzuziehen. Über die Einzelheiten dieses Übereinkommens muß ich Schweigen wahren, doch wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den beiden und Ihrem Herrn Vater gelegentlich sagen wollten, sie brauchen sich darum nicht weiter zu sorgen.

Mit dem Ausdruck aufrichtiger Hochachtung verbleibe ich, verehrte Miss Cherrell,

Ihr sehr ergebener
Roger Forsyte›

 

Sie erhielt diesen Brief an einem warmen Vormittag, durchs Fenster drang der Duft des Grases und das Surren der Mähmaschine. Dinny wollte der Sache auf die Spur kommen. Sie wandte sich vom Fenster ab und erklärte:

«Vater, die Anwälte schreiben, wir sollten uns nicht mehr um die Prozeßkosten kümmern, sie hätten bereits ein Übereinkommen getroffen.»

«Inwiefern?»

«Sie dürfen uns keine nähern Angaben machen, wollen dich aber von dieser Sorge befreit wissen.»

«Die Advokaten werd ich mein Lebtag nicht verstehn», brummte der General, «aber wenn die Anwälte sagen, es ist alles in Ordnung, dann fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich hatte mir schon arg den Kopf zerbrochen.»

«Das weiß ich, lieber Vater. Willst du Kaffee?»

Aber unablässig kreisten ihre Gedanken um diesen rätselhaften Brief. Hatte Jerry Corven irgend etwas auf dem Kerbholz, was ihn zu einem solchen Abkommen zwang? Gab es nicht eine oberste Instanz, ‹The King's Proctor›, die in Scheidungsfällen einschreiten konnte, wenn Verabredung oder Unterdrückung von Tatsachen vorlag?

Im ersten Augenblick hatte sie beabsichtigt, zu Tony Croom zu fahren, ließ aber wegen der Fragen, die er stellen mochte, diesen Plan wieder fallen und schrieb nur ein paar Zeilen an ihn und Clare. Je länger sie jedoch über den Wortlaut dieses Briefes nachdachte, um so mehr festigte sich in ihr der Entschluß, den ‹ganz jungen› Roger aufzusuchen. Leiser Argwohn quälte sie im Unterbewußtsein und ließ ihr keine Ruhe. Sie vereinbarte daher mit dem Anwalt eine Zusammenkunft in einer Teestube unweit des British Museum auf seinem Heimweg aus der City und ging sogleich von der Bahn dorthin. Das Lokal war in einem gewissen altertümelnden Stil eingerichtet und wollte, so weit das möglich war, eines jener Lokale vorstellen, die Boswell und Johnson in der guten alten Zeit besucht haben mochten. Der Boden war zwar nicht mit Sand bestreut, aber eigentlich hätte es zum Stil des Ganzen gehört. Lange Tonpfeifen waren nirgends zu sehn, wohl aber lange Zigarettenmundstücke aus Kartonpapier. Die Möbel waren aus Holz, das Licht gedämpft. Da man offenbar kein Vorbild für stilechte Dienertracht jener Zeit aufgetrieben hatte, war das Personal seegrün gekleidet. Drucke von alten Gasthöfen mit Kutschen davor hingen an den Wänden, deren Täfelung aus einem modernen Geschäft stammte. Ein paar würdige Herren tranken Tee und rauchten Zigaretten, doch gebrauchte keiner diese langen Zigarettenmundstücke aus Kartonpapier. Der ‹ganz junge› Roger, der etwas hinkte, schien hier wie überall nicht ganz in seinem Element zu sein und nahm den Hut vom sandfarbenen Haar, während ein Lächeln seine Lippen umspielte.

«Chinatee oder indischen?» fragte Dinny.

«Bestellen Sie

«Also zwei Kaffee, bitte, und Gebäck.»

«Ausgezeichnet! Sehn Sie sich doch diese kupfernen Wärmflaschen an, Miss Cherrell; schöne, alte Arbeit. Möchte wissen, ob die verkäuflich sind?»

«Sind Sie Sammler?»

«Ab und zu gable ich etwas auf. Wenn man schon ein Haus aus Königin Annas Zeit bewohnt, muß man auch etwas dafür tun.»

«Teilt Ihre Frau diese Neigung?»

«Nein. Sie ist eine Frau von heute, Bridge, Golf und alles, was modern ist. Wenn mir altes Silber unterkommt, kann ich mir nicht helfen, ich muß zugreifen.»

«Ich kann mir das nicht leisten», murmelte Dinny. «Ihr Brief war mir wirklich ein Trost. Stimmt das tatsächlich, daß niemand von uns zu zahlen hat?»

«Gewiß.»

Sie überlegte ihre nächsten Fragen und sah ihn unter den Wimpern hervor prüfend an. Trotz seines starken Ästhetentums wirkte er ungemein beweglich.

«Im Vertrauen, Mr. Forsyte, wie gelang es Ihnen, dies Abkommen zu treffen? Hat mein Schwager etwas damit zu tun?»

Der ‹ganz junge› Roger legte beteuernd die Hand aufs Herz.

«Ein Forsyte weiß zu schweigen wie das Grab. Doch seien Sie ganz unbesorgt.»

«Ich muß mir aber Sorgen machen, solang ich nicht weiß, wer dahinter steckt.»

«Dann lassen Sie diese Sorgen fahren, Corven hat mit der Sache nichts zu tun.»

Dinny aß schweigend das Gebäck, dann sprach sie von altem Silber. Der ‹ganz junge› Roger hielt ihr einen sachkundigen Vortrag über Silbergravierungen; wenn sie einmal zum Wochenende zu Besuch käme, wolle er für die Vertiefung ihrer Fachkenntnisse sorgen.

Sie nahmen herzlich voneinander Abschied, dann begab sich Dinny zu ihrem Onkel Adrian. Noch immer empfand sie ein gewisses Unbehagen. Die Bäume hatten in den letzten warmen Tagen üppig ihr Laub entfaltet; der Platz, an dem Adrian wohnte, lag so still im Grünen, als hausten dort nur erdentrückte Geister. Niemand war zu Hause. «Mr. Cherrell wird aber bestimmt gegen sechs heimkommen, Miss», sagte das Stubenmädchen.

Dinny wartete in einem kleinen getäfelten Zimmer; viele Bücher, Pfeifen, Lichtbilder Angelas und ihrer zwei Kinder schmückten die Wände. Ein alter Schäferhund leistete ihr Gesellschaft, durchs Fenster drangen gedämpft die Geräusche des Straßenverkehrs. Dinny spielte mit den Ohren des Hundes, da trat Adrian ein.

«Also, Dinny, es ist überstanden. Hoffentlich fühlst du dich jetzt wohler.»

Dinny reichte ihm den Brief.

«Jerry Corven steckt nicht dahinter, das weiß ich. Onkel, du kennst ja Eustace Dornford. Versuch doch, bitte, vorsichtig aus ihm herauszukriegen, ob er die Kosten auf sich nahm.»

Adrian zupfte den Bart.

«Er wird es mir kaum sagen.»

«Jemand muß sie doch bezahlt haben, nur er kann es gewesen sein. Ich möcht ihn nicht selbst danach fragen.»

Adrian sah sie aufmerksam an. Sie starrte angestrengt und nachdenklich drein.

«Keine leichte Aufgabe, Dinny. Doch ich will's versuchen. Was wird jetzt aus den beiden?»

«Ich weiß es nicht, sie wissen es nicht. Niemand weiß es.»

«Was sagen deine Leute zu dem Prozeß?»

«Sie sind heilfroh, daß er überstanden ist, und machen sich nicht mehr viel daraus. Du gibst mir bald Nachricht, gelt, lieber Onkel?»

«Jawohl, meine Liebe. Aber wahrscheinlich zieh ich unverrichteter Dinge ab.»

Dinny begab sich in die Melton Mews und traf ihre Schwester an der Schwelle. Clares Wangen waren feuerrot; etwas Fieberhaftes lag in ihrem Wesen und ihrer Erscheinung.

«Für heute abend hab ich Tony Croom eingeladen», sagte sie, als Dinny Abschied nahm, um noch den Zug zu erreichen. «Man muß seine Schulden zahlen.»

«O!» flüsterte Dinny und brachte trotz aller Anstrengung keinen andern Laut über die Lippen.

Clares Worte verfolgten Dinny noch, während sie im Autobus zum Paddingtonbahnhof fuhr, während sie im Erfrischungsraum ein belegtes Brot aß, und auch auf der Heimfahrt. Die Schulden bezahlen! Das erste Gebot der Selbstachtung! Angenommen, Dornford habe die Prozeßkosten beglichen! War sie ihm so kostbar? Wilfrid hatte ihr ganzes Herz besessen, ihr ganzes Hoffen und Sehnen. Wenn Dornford mit dem Rest vorlieb nehmen wollte – – warum nicht? Ihre Gedanken glitten vom eigenen Schicksal zu Clare zurück. Hatte sie inzwischen ihre Schuld beglichen? Wen das Gesetz schuldig spricht, der sollte diesen Spruch wenigstens nachher rechtfertigen! Und dennoch – in wenigen Minuten konnte man sich auf Jahre hinaus kompromittieren!

Ganz unbeweglich saß sie da. Und der Zug ratterte durch die Abenddämmerung weiter.


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