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Dinny traf Clare zu Hause. In den ersten fünf Minuten vermieden es beide, die Sorgen zu berühren. Endlich fragte Dinny: «Nun, wie geht's?»
«Gar nicht gut. Hab mit Tony gebrochen – meine Nerven sind hin, die seinen erst recht.»
«Du willst doch nicht –»
«Nein. Ich hab ihm nur gesagt, ich möchte ihn nicht mehr treffen, ehe die Geschichte erledigt ist. Wenn wir zusammenkommen, nehmen wir uns vor, kein Wort darüber zu reden, und im Handumdrehn sind wir wieder bei diesem Thema.»
«Er muß furchtbar unglücklich sein.»
«Freilich. Aber es dreht sich doch nur um drei oder vier Wochen.»
«Und dann?»
Clare lachte, es klang nicht heiter.
«Im Ernst, Clare?»
«Wir werden nicht gewinnen und dann ist alles einerlei. Wenn Tony mich braucht, mag er mich haben. Man wird ihn bankrott machen, da bin ich es ihm wohl schuldig.»
«Von diesem Beweggrund ließe ich mich nicht leiten», erklärte Dinny langsam. Clare starrte vom Sofa zu ihr empor.
«Das klingt mir fast gar zu vernünftig.»
«Es war nicht der Mühe wert, deine Unschuld ins Treffen zu führen, wenn du nicht dran festhalten willst, wie sich die Sache auch entscheidet. Wenn du gewinnst, warte damit, bis du dich von Jerry scheiden lassen kannst. Wenn du verlierst, warte, bis du geschieden bist. Tony wird das Warten im Grund nicht schaden. Dir aber schadet es bestimmt nicht, wenn du über deine Gefühle zu ihm volle Klarheit gewinnst.»
«Jerry ist schlau genug, mir nie einen Scheidungsgrund gegen ihn in die Hand zu spielen, wenn er es sich wirklich in den Kopf setzt.»
«Dann hoffen wir, daß du verlierst. Deine Freunde werden noch immer an dich glauben.»
Clare zuckte die Achseln. «So?»
«Dafür werde ich sorgen», sagte Dinny.
«Dornford riet mir, noch vor der Verhandlung mit Jack Muskham drüber zu sprechen. Was meinst du?»
«Ich möchte vorher mit Tony Croom reden.»
«Wenn du heute abend hier bist, wirst du ihn sehn; an Samstag- und Sonntagabenden kommt er um sieben immer her und starrt zu mir herauf. Sonderbar!»
«Das finde ich nur natürlich. Was machst du heute nachmittag?»
«Ich reite mit Dornford in den Richmondpark. Jeden Morgen reite ich jetzt mit ihm in den Hydepark. Halt doch mit, Dinny!»
«Ich hab kein Reitkleid mit und Muskeln hab ich auch nicht.»
«Liebste», rief Clare und sprang auf, «es war wirklich grauenhaft, als du krank warst. Wir waren ganz betrübt, Dornford kam fast aus dem Häuschen. Jetzt siehst du besser aus als vorher.»
«Ja, es geht mir besser. Heut abend komm ich wieder her. Leb wohl! Behüt dich Gott!» …
Es war fast sieben, als sie die Mount Street verließ und in die Mews eilte. Auf dem noch dämmergrauen Himmel erglänzten der Vollmond und der Abendstern. Als sie zur Westecke der menschenleeren Hintergasse kam, sah sie Tony Croom nicht weit vom Haus Nr. 2 stehn. Sie wartete, bis er fortging, dann lief sie die Mews entlang bis ans andre Ende, um ihn einzuholen.
«Dinny! Herrlich, daß ich Sie treffe!»
«Hab schon gehört, der Ritter blickt empor zum Fenster seiner Herrin.»
«Stimmt, so weit hab ich's gebracht.»
«Es könnte schlimmer sein.»
«Sind Sie wieder ganz wohlauf? Sie zogen sich an jenem scheußlichen Tag in London eine Erkältung zu.»
«Gehn wir doch bis zum Hydepark miteinander. Ich wollte Sie Jack Muskhams wegen fragen.»
«Ich hab Angst, es ihm zu sagen.»
«Soll ich es für Sie tun?»
«Warum?»
Dinny nahm ihn am Arm.
«Onkel Lawrence hat mich mit ihm bekannt gemacht. Ich fand übrigens Gelegenheit, ihn gründlich kennen zu lernen. Mr. Dornford hat vollkommen recht; alles hängt davon ab, wann man ihm die Sache beibringt und was man ihm davon sagt. Überlassen Sie es mir!»
«Ich weiß nicht, weiß wirklich nicht.»
«Jedenfalls möcht ich ihn gern wiedersehn.»
Der junge Croom starrte sie an.
«Das kann ich nicht recht glauben.»
«Ehrenwort!»
«Zu reizend von Ihnen! Natürlich werden Sie's viel besser deichseln als ich, nur –»
«Also erledigt.»
Sie hatten den Hydepark erreicht und schritten das Gitter entlang der Mount Street zu.
«Haben Sie die Anwälte oft besucht?»
«Ja, unsere Anfechtung der Klage ist bereits ausgearbeitet. Es kommt jetzt auf das Verhör an.»
«Das würde mir, glaub ich, nur Spaß machen, wenn ich die Wahrheit sagte.»
«Diese Leute verdrehn einem aber das Wort im Mund und dann – ihr Ton! Eines Tags ging ich zu einer Verhandlung als Kiebitz. Dornford sagte Clare, nicht um alles Gold der Bank von Frankreich möchte er im Scheidungsgericht arbeiten. Dinny, das ist ein gediegener Mensch.»
«Ja», sagte Dinny und streifte mit einem Seitenblick sein ehrliches Gesicht.
«Unsern Anwälten scheint an der Affäre auch nicht viel zu liegen, sie geben sich nicht viel mit solchen Fällen ab. Der ‹ganz junge› Roger hat ein wenig die Allüren eines Sportmanns. Er glaubt uns, daß wir die Wahrheit sprechen, aber nur, weil er merkt, wie leid es mir tut, daß es wahr ist. Da sind Sie angelangt! Ich bummle noch eine Weile durch den Park, sonst kann ich nicht schlafen. Herrliche Mondnacht!»
Dinny drückte ihm die Hand.
Als sie schon vor der Haustür war, stand er noch immer auf demselben Fleck und hielt den Hut in der Hand. Galt diese Reverenz ihr oder dem Mond? Wer konnte es sagen? …
Wie Dinny von Sir Lawrence erfuhr, würde Jack Muskham das Wochenende in London verbringen; er besaß jetzt eine Wohnung in der Ryder Street. Sie hatte sich damals keinen Augenblick besonnen, den weiten Weg bis Royston hinauszufahren, um mit ihm über Wilfrid zu sprechen. Aber er fand es am Ende befremdend, wenn sie ihn in der Angelegenheit des jungen Croom in seiner Wohnung besuchte. Daher rief sie ihn am nächsten Tag um die Lunchzeit im Burton-Klub an.
Seine Stimme erregte sie wieder so heftig wie damals, als sie Jack Muskham zum letzten Mal bei der Yorksäule gehört hatte.
«Hier Dinny Cherrell. Könnte ich Sie heute sprechen?»
Langsam kam die Antwort:
«Äh – selbstverständlich. Wann?»
«Wann es Ihnen paßt.»
«Wohnen Sie in der Mount Street?»
«Ja, doch lieber würde ich Sie besuchen.»
«Nun – äh – könnten Sie –? Wie wär's, wenn Sie zum Tee in die Ryder Street kämen? Kennen Sie die Hausnummer?»
«Ja, danke. Also um fünf?»
Auf dem Weg zu ihm mußte sie ihren ganzen Mut zusammennehmen. Zuletzt hatte sie ihn mitten im Boxkampf mit Wilfrid gesehn. Für sie war er geradezu ein Symbol, der Fels, an dem ihre Liebe zu Wilfrid zerschellt war. Sie haßte ihn zwar nicht, denn unwillkürlich kam ihr wieder in den Sinn, daß sein feindseliges Verhalten Wilfrid gegenüber nur seiner sonderbaren Hochachtung für sie entsprang. Sie schritt möglichst rasch aus und hing möglichst wenig diesen Erinnerungen nach, endlich traf sie in der Ryder Street ein.
Ein Mann, der sich offenbar in seinen alten Tagen dadurch fortbrachte, daß er an Herrschaften vermietete, deren Lakai er einst gewesen, öffnete ihr die Tür. Er führte sie in den zweiten Stock hinauf.
«Miss – äh – Cherrell, Sir.»
Am offnen Fenster eines recht wohnlichen Zimmers stand Jack Muskham, groß, hager, lässig, und sorgfältig gekleidet wie nur je. «Rodney, den Tee, bitte!» Er trat auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.
‹Wie ein Kavalier auf der Leinwand›, schoß es Dinny durch den Kopf. Mochte er über ihren Besuch noch so erstaunt sein, er ließ nichts davon merken.
«Waren Sie seit dem Derby, das Blenheim gewann, öfters bei einem Rennen?»
«Nein.»
«Sie hatten auf Blenheim gesetzt, ich entsinne mich noch. Überaus glücklicher Griff für einen Anfänger.» Sein Lächeln ließ auf dem braunen Gesicht alle Falten hervortreten, Dinny gewahrte ihrer gerade genug.
«Nehmen Sie doch Platz! Da kommt der Tee. Möchten Sie ihn eingießen?»
Sie reichte ihm seine Tasse, nahm sich selbst eine und fragte:
«Mr. Muskham, sind die Araberstuten schon eingetroffen?»
«Ich erwarte sie gegen Ende des nächsten Monats.»
«Sie haben den jungen Croom mit der Aufsicht betraut.»
«Ah! Sie kennen ihn?»
«Durch meine Schwester.»
«Ein netter Junge.»
«Das ist er wirklich», erklärte Dinny, «ich komme seinetwegen.»
«Ah!»
‹Er hat viel an mir gutzumachen›, fuhr es ihr durch den Sinn. Unmöglich durfte er ihr das abschlagen! Sie lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und blickte ihm voll ins Gesicht.
«Ich möchte Ihnen im Vertrauen sagen, daß Jerry Corven gegen meine Schwester die Scheidungsklage einbrachte und Tony Croom als Mitschuldigen bezeichnet.»
Die Hand, mit der Jack Muskham die Tasse hielt, bewegte sich leise.
«Er liebt sie und die beiden sind miteinander befreundet, aber an den Anschuldigungen ist kein wahres Wort.»
«Verstehe», sagte Muskham.
«Die Verhandlung findet demnächst statt. Tony Croom wollte es Ihnen mitteilen, ich bewog ihn aber, es mir zu überlassen. Es wäre so peinlich für ihn, selbst drüber zu sprechen.»
Muskham sah sie mit undurchdringlicher Miene an.
«Ich kenne ja Jerry Corven», bemerkte er. «Übrigens hatte ich keine Ahnung, daß Ihre Schwester sich von ihm getrennt hatte.»
«Wir reden nicht davon.»
«Ist Tony Croom dran schuld, daß sie ihren Gatten verließ?»
«Nein. Sie sahn einander während der Überfahrt zum ersten Mal. Clare hat Jerry aus andern Gründen verlassen. Sie und Tony Croom sind allerdings unbesonnen gewesen. Man hat sie beobachtet und sah sie zusammen in ‹kompromittierender Situation› – so nennt man's ja wohl?»
«Dürfte ich um eine nähere Erklärung bitten?»
«Auf der Rückfahrt von Oxford gingen eines Abends die Scheinwerfer aus und sie verbrachten den Rest der Nacht zusammen im Auto.»
Jack Muskham hob ein wenig die Achseln. Dinny beugte sich vor und faßte ihn fest ins Auge.
«Ich sagte Ihnen schon, an den Beschuldigungen ist kein wahres Wort; sie sind erlogen.»
«Aber, meine liebe Miss Cherrell, ein Mann gibt doch nie zu –»
«Drum komme ja eben ich zu Ihnen, nicht Tony. Mich würde meine Schwester nie belügen.»
Wieder hob Jack Muskham ein wenig die Achseln.
«Ich versteh nicht recht –» begann er.
«Was das mit Ihnen zu tun hat? Folgendes: Ich fürchte, man wird den beiden keinen Glauben schenken.»
«Sie meinen, wenn ich den Verhandlungsbericht in der Zeitung fände, würde es mich gegen den jungen Croom aufbringen?»
«Ja, Sie kämen vermutlich zur Ansicht, er habe nicht wie ein Ehrenmann gehandelt.» Gegen ihren Willen klang ihre Stimme etwas ironisch.
«Hat er sich wie ein Ehrenmann benommen?» fragte Jack Muskham.
«Ich denke schon. Er liebt meine Schwester von ganzem Herzen, dennoch wußte er sich zu beherrschen. Für die Liebe kann man doch nichts.» Bei diesen Worten wurden alle Gefühle der Vergangenheit mit ganzer Macht wieder in ihr lebendig; sie schlug die Augen nieder, um nicht seine unbewegte Miene sehn zu müssen und den aufreizenden Zug um seine Lippen.
Plötzlich kam ihr eine Erleuchtung und sie sagte:
«Mein Schwager beansprucht Schadenersatz.»
«So!» rief Jack Muskham, «ich dachte, das sei heutzutage nicht mehr üblich.»
«Zweitausend Pfund – und Tony Croom ist arm wie eine Kirchenmaus. Er behauptet zwar, ihm liege nichts daran, aber wenn die beiden verlieren, wird er natürlich bankrott.»
Dann trat wieder Schweigen ein. Jack Muskham ging zum Fenster, setzte sich aufs Fensterbrett und fragte:
«Na ja, aber was kann ich in dieser Sache tun?»
«Ihn nicht entlassen – weiter nichts.»
«Der Gatte war in Ceylon, seine Frau hier. Es war nicht an –»
Dinny erhob sich, trat zwei Schritte auf ihn zu und blieb stehn.
«Mr. Muskham, haben Sie je bedacht, daß Sie an mir etwas gutzumachen haben? Erinnern Sie sich noch dran, wie Sie mir den Mann, den ich liebte, nahmen? Wissen Sie, daß er dort drüben in Siam, wohin er Ihretwegen reiste, den Tod fand?»
«Meinetwegen?»
«Sie und die Gesellschaft, die Sie repräsentieren, trieben ihn zum Bruch mit mir. Und jetzt ist meine einzige Bitte: Wie immer das Urteil ausfallen mag, jagen Sie Tony Croom nicht von seinem Posten! Leben Sie wohl!» Und noch ehe er Zeit zur Antwort fand, war sie draußen.
Sie lief beinahe in den Greenpark. Wie unerwartet hatte diese Unterredung geendet! Verhängnisvoll vielleicht! Doch ihr Gefühl hatte sie übermannt – die alte Empörung gegen die starre Mauer der ‹Form› flammte aufs neue in ihr auf, gegen die unfaßbaren, unerbittlichen Mächte der Tradition, die ihre Liebe vernichtet hatten! Es mußte so kommen! Der Anblick seiner hohen, eleganten Gestalt, der Klang seiner Stimme hatten ihr allzu deutlich die ganze Sache wieder in Erinnerung gerufen. Aber es hatte sie erleichtert, diese Entladung des bittern Grolls, der an ihr genagt!
Am nächsten Morgen erhielt sie folgenden Brief:
Ryder Street, Sonntag
‹Verehrte Miss Cherrell!
Sie können sich in der bewußten Angelegenheit auf mich verlassen. In aufrichtiger Wertschätzung
Ihr sehr ergebener
Jack Muskham›