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Drei Tage nach der Begegnung im ‹Coffee House›-Club erhielt der junge Croom von Sir Lawrence Mont einen Brief mit der Mitteilung, sein Vetter Muskham erwarte die Araberstuten erst im Frühling. Inzwischen werde er an Mr. Croom denken und trachten, ihn bald zu treffen. Ob Mr. Croom irgendeinen arabischen Dialekt könne?
‹Nein›, dachte der junge Croom, ‹aber ich kenne Stapylton.›
Stapylton, Offizier der Lanzenreiterbrigade, der im Wellington-College Crooms Senior gewesen, war aus Indien auf Urlaub heimgekommen. Als bekannter Polospieler verstand er sich bestimmt auf den Pferdejargon des Orients. Doch der Besuch bei ihm war nicht so dringend –, er hatte sich beim Zureiten eines Rennpferds den Daumen gebrochen und würde wohl nicht so bald zurückfahren. Das Suchen nach Arbeit aber litt keinen Aufschub. Der junge Croom setzte seine Bemühungen fort. Jedermann riet ihm: ‹Warte doch, bis die Wahlen vorbei sind!›
Am Morgen nach der Wahl zog er mit hochgespannten Erwartungen von der Ryder Street aus und kehrte des Abends um so tiefer entmutigt in den ‹Coffee House›-Klub zurück. ‹Wär ich doch lieber gleich nach Newmarket gefahren und hätte mir das Cambridgeshire-Rennen angesehn!› fuhr es ihm durch den Sinn. Der Portier überreichte ihm einen Brief, sein Herz begann wild zu schlagen. Er suchte einen stillen Winkel auf und las:
‹Lieber Tony!
Ich habe bei unserm neuen Parlamentsmitglied Eustace Dornford, Königlichem Gerichtsrat, eine Sekretärstelle erhalten und bin nach London gekommen. Vorläufig wohne ich bei meiner Tante Lady Mont in der Mount Street, bis ich eine eigene Bude gefunden habe. Hoffentlich hast auch Du Glück gehabt. Wie ich Dir versprochen habe, teile ich Dir meine Ankunft mit, aber ich beschwöre Dich, sei vernünftig, nicht sentimental, denk an Stolz und Würde der Cherrells.
Deine Reisegefährtin und wohlmeinende Freundin
Clare Corven›
‹Die liebe Clare!› dachte er. ‹Was für ein Glück!› Er las den Brief noch einmal durch, barg ihn unter dem Zigarettenetui in der linken Westentasche und trat ins Rauchzimmer. Hier entwarf er auf einem mit dem uralten Klubwappen gezierten Briefpapier folgenden Herzenserguß:
‹Liebste Clare!
Dein Brief hat mich ganz aus dem Häuschen gebracht. Du kommst nach London – einfach herrlich! Dein Onkel ist sehr gütig zu mir gewesen, ich brauche also nur bei ihm vorzusprechen und mich bei ihm zu bedanken. Sieh darum morgen gegen sechs nach mir aus. Ich laufe den ganzen Tag umher und suche Arbeit. Nach und nach fang ich an zu begreifen, was es für einen armen Teufel bedeutet, täglich alle seine Hoffnungen geknickt zu sehn. Wenn erst meine Taschen leer sind – und dieser Tag ist nicht mehr fern – dann steh ich noch kläglicher da. Mir blüht nicht einmal die Arbeitslosen-Unterstützung. Hoffentlich ist der hochgelahrte Herr, den Du jetzt einspannst, ein anständiger Kerl. Mich erinnern Parlamentsmitglieder immer ein wenig an Holzpuppen und ich kann mir Dich so gar nicht vorstellen zwischen Gesetzesvorschlägen, Ansuchen, Eingaben um Gastgewerbelizenzen und so weiter. Trotzdem find ich es prachtvoll von Dir, daß Du auf eigenen Füßen stehen willst. Welch überwältigende Mehrheit! Wenn die mit solchen Wählermassen ihre Pläne noch immer nicht durchführen können, dann bringt man es überhaupt nie fertig. Ganz undenkbar, Dich nicht zu lieben, mich nicht Tag und Nacht nach Dir zu sehnen! Aber ich werde mich bemühen, möglichst brav zu sein, denn um alles in der Welt möchte ich Dir keinen Verdruß bereiten. Ununterbrochen denk ich an Dich, auch dann, wenn ich in die steinerne Fratze irgendeines fischäugigen Geldprotzes guck, um festzustellen, ob meine klägliche Geschichte ihn am Ende doch erweicht. Du, ich hab Dich wirklich furchtbar lieb! Also morgen, Donnerstag gegen sechs!
Gute Nacht, Du Liebe, Wunderschöne!
Dein Tony›
Er schlug Sir Lawrences Nummer in der Mount Street nach, schrieb sich die Adresse auf, leckte den Umschlag mit glühendem Eifer ab und trat auf die Straße hinaus, um den Brief selbst einzuwerfen. Plötzlich empfand er nicht die geringste Lust mehr, in den ‹Coffee House›-Klub zurückzukehren. Seine augenblickliche Gemütsverfassung schien diese Stätte durchaus zu mißbilligen. Klubs waren so verdammt männlich, den Frauen standen diese satten Menschen nach der Mahlzeit halb verächtlich, halb lüstern gegenüber. Rauchige Höhlen waren diese Klubs, komfortabel, sicher vor Weibern und gegen Haftbefehle immun. Und die Männer hatten alle den gleichen matten Lehnsesselblick, kaum daß sie den Klub betreten hatten. Und gar das ‹Coffee House›, der älteste aller Klubs, war voll von solchen Käuzen, von Männern, die man sich außerhalb des Klubs überhaupt nicht vorstellen konnte. ‹Nein›, dachte er, ‹ich werd irgendwo ein paar Bissen essen und mir das Zeug im Drury Lane-Theater ansehn.›
Er bekam einen Sitz, ziemlich weit hinten in einer obern Loge, da er aber scharfe Augen hatte, sah er dennoch recht gut. Bald war er von der Aufführung gefesselt. Er war lang genug von England fortgewesen, um sich einiges Gefühl für die Heimat zu bewahren. Dieses prunkvolle Schaustück aus den letzten dreißig Jahren der Geschichte seines Vaterlands ergriff ihn stärker, als er es irgendeinem Nachbarn gestanden hätte: Der Burenkrieg, der Tod der Königin Victoria, der Untergang der ‹Titanic›, der Weltkrieg, der Waffenstillstand, der Toast auf das Jahr 1931; wenn ihn jemand gefragt hätte, er hätte vermutlich erwidert: ‹Wunderbar! Nur hat es mich ganz seltsam berührt.› Aber er hatte doch noch mehr, noch anderes empfunden, den Herzenskummer eines Liebenden, der mit seiner Angebeteten glücklich sein möchte und dieses Glück in unerreichbarer Ferne sieht; ein Gefühl, als suche er festen Fuß zu fassen und schwanke ewig haltlos hin und her. Beim Weggehn klangen ihm noch die Schlußworte in den Ohren: ‹Größe, Würde, Frieden!› Ergreifend, doch verdammt ironisch! Er nahm eine Zigarette aus dem Etui und steckte sie an. Die Nacht war trocken. In dem Riesenverkehr ging er zu Fuß und vernahm das melancholische Geheul der Straßensänger. Hoch oben flammende Lichtreklame, Schmutz und Abfälle in der Tiefe! Leute, die im Auto heimglitten, und obdachlose Nachtvögel! ‹Größe, Würde, Frieden!› – ‹Ich muß noch unbedingt einen Schluck trinken›, dachte er. Der Klub schien ihm jetzt nicht mehr so unmöglich, ja sogar ganz einladend, und er ging in der Richtung auf ihn zu. ‹Ade Piccadilly, ade Leicester Square!› – diese Stelle aus dem ‹Tipperary›-Kriegslied pfiffen in jener Szene die Soldaten, als sie in einer Spiralenlinie durch den Nebel zogen, während vorn auf der grellbeleuchteten Bühne drei geschminkte Mädel schmetterten: ‹Schatz, ich mag dich nicht verlieren, doch du mußt ins Feld hinaus!› Und aus den Seitenlogen über der Bühne blickten Leute hinab und klatschten Beifall! Überhaupt das Ganze! Die Munterkeit auf den Gesichtern der geschminkten Mädel wirkte stets mehr gekünstelt – herzzerreißend! Er mußte noch einmal zu diesem Stück gehn, mit Clare! Würde es sie ergreifen? Ihm wurde plötzlich klar, daß er es nicht wußte. Was wußte man denn überhaupt vom andern, ja sogar von der Frau, die man liebte? Die Zigarette versengte ihm die Lippe, er spie den Stummel aus. Und jene Szene mit dem jungen Paar auf der Hochzeitsreise, das an der Reling der ‹Titanic› lehnte! Alles, so schien es, lag noch vor ihnen, und doch lag nichts mehr vor ihnen als das Grab im tiefen, eisigen Meer. Hatten diese beiden Menschen überhaupt einen andern Gedanken als ihre Liebe? Das Leben war doch verdammt sonderbar, wenn man's recht bedachte! Er stieg die Stufen zum ‹Coffee House›-Klub empor und ihm war's, als sei es Jahre her, seit er sie zum letzten Mal hinabgeschritten …
Schlag sechs klingelte er tags darauf in der Mount Street.
Der Butler öffnete die Tür und zog fragend die Brauen hoch.
«Ist Sir Lawrence Mont zu Hause?»
«Nein, Sir, aber Lady Mont ist zu Hause, Sir.»
«Lady Mont kenne ich leider nicht. Könnte ich vielleicht Lady Corven einen Augenblick sehn?»
Der Butler zog die eine Braue noch höher. ‹Aha!› dachte er augenscheinlich.
«Möchten Sie mir, bitte, Ihren Namen nennen, Sir?»
Der junge Croom zog eine Karte hervor.
«Mr. James Bernard Croom», las der Butler in melodischem Tonfall.
«Melden Sie ihr, bitte, Mr. Tony Croom.»
«Verstehe! Bitte hier einen Augenblick warten. Ah, da kommt ja Lady Corven selbst.»
Von der Treppe her rief eine Stimme:
«Tony? Pünktlich auf die Minute! Komm doch herauf, damit ich dich meiner Tante vorstelle.»
Sie lehnte sich über das Treppengeländer, der Butler war verschwunden.
«Leg den Hut ab! Wie kannst du nur ohne Mantel ausgehn? Mich fröstelt's den ganzen Tag.»
Der junge Croom trat dicht unter das Geländer.
«Liebste!» sagte er leise.
Sie legte einen Finger auf die Lippe und streckte ihn dann zu ihm hinab, so daß er ihn gerade mit seinem Finger erreichen konnte.
«Komm herauf!»
Als er oben war, öffnete sie eine Tür und sagte: «Ein Reisegefährte vom Schiff, Tante Emily. Er kommt Onkel Lawrence besuchen. Mr. Croom – meine Tante, Lady Mont.»
Der junge Croom sah eine Gestalt auf sich zusegeln, eine Stimme rief: «Ah, vom Schiff! Natürlich! Guten Abend!»
Der junge Croom gewahrte, daß man ihn hatte Platz nehmen lassen, und sah, wie ihn Clare mit etwas spöttischem Lächeln maß. Wenn sie doch nur fünf Minuten allein blieben, dann wollte er dieses Lächeln von ihren Lippen wegküssen! Er wollte – –!
«Erzählen Sie mir etwas von Ceylon, Mr. – Craven.»
«Croom, Tantchen, Tony Croom. Nenn ihn lieber Tony. Er heißt zwar nicht so, aber alle Welt nennt ihn Tony.»
«Tony! Nach Antonius? Immer Helden. Weiß Gott, warum.»
«Dieser Tony ist ein ganz gewöhnlicher Mensch.»
«Ceylon. Haben Sie meine Nichte dort kennengelernt, Mr. – Tony?»
«Nein, wir lernten uns erst an Bord kennen.»
«Ah», sagte Lady Mont, «Lawrence und ich pflegten auf Deck zu schlafen, das war in den ausgelassenen Neunzigerjahren. Hier auf der Themse gab es damals soviel flache Boote.»
«Auch heute noch, Tante Emily.»
Vor den Augen des jungen Croom stieg ein Zukunftsbild empor. Er sah sich und Clare auf einem solchen Boot in ein ruhiges Stauwasser treiben. Er raffte sich zusammen und sagte:
«Gestern abend war ich bei ‹Cavalcade›. Prachtvoll!»
«Ah», rief Lady Mont, «da fällt mir ein –» Sie verließ das Zimmer.
Der junge Croom sprang auf.
«Tony! Benimm dich!»
«Darum ist sie doch fortgegangen!»
«Tante Emily ist ungemein gütig und ich werde ihre Güte nicht mißbrauchen.»
«Aber Clare! Du ahnst nicht, was –»
«Ja, ich weiß. Setz dich wieder.»
Der junge Croom gehorchte.
«Paß auf, Tony! Ich hab genug vom Physiologischen, genug für lange Zeit. Wenn wir gute Kameraden sein wollen, muß die Sache platonisch bleiben.»
«Ach Gott!» rief der junge Croom.
«Anders geht's nicht; sonst – dürfen wir uns einfach nicht mehr treffen.»
Der junge Croom saß ganz still da, sein Blick hing an ihren Augen. ‹Aber das wird eine Qual für ihn!› ging es ihr durch den Sinn. ‹Für so etwas ist er zu hübsch. Wir sollten uns eigentlich nicht mehr sehn.›
«Du», sagte sie sanft, «du willst mir doch helfen, nicht wahr? Wir haben doch noch so viel Zeit. Eines Tages – vielleicht.»
Der junge Croom packte die Armlehnen seines Sessels. Seine Augen hatten einen gequälten Blick.
«Einverstanden», sagte er langsam, «wie du willst, wenn ich dich nur sehn kann. Ich werde warten, bis es dir eines Tages doch mehr als – Physiologie bedeutet.»
Clare starrte auf die leise wippende Spitze ihres Atlasschuhs hinab; plötzlich sah sie ihm fest in die düstern Augen.
«Wenn ich nicht verheiratet wäre, würdest du freudig warten und es nicht als Kränkung empfinden. Stell dir vor, ich sei nicht verheiratet.»
«Das bring ich leider Gottes nicht zustande. Wer kann das?»
«Ich verstehe. Ich bin Frucht, nicht mehr Blüte. Nicht mehr rein.»
«Hör auf! Ach Clare, ich will dir ja alles sein, was du nur willst. Aber verzeih mir, wenn ich nicht immer munter und freudig bin.»
Sie sah ihn unter den Wimpern hervor an und sagte:
«Gut!»
Dann trat Schweigen ein. Sie fühlte, wie er ihr Bild seinem Gedächtnis einzuprägen versuchte, vom Kopf mit dem dunklen, kurzgeschnittnen Haar bis zur Spitze ihres Atlasschuhs. Nicht umsonst hatte sie mit Jerry Corven gelebt, sie wußte über jede Einzelheit ihres Körpers genau Bescheid. Was konnte sie dafür, daß er anmutig und aufreizend wirkte? Sie wollte Tony ja nicht quälen, fand es aber doch nicht unangenehm, daß sie ihn quälte. Seltsam, wie einem etwas leid tun und gleichzeitig Freude machen konnte, und dennoch blieb man skeptisch und ein wenig verbittert. Wenn sie sich ihm jetzt schenkte, würde er sich nach ein paar Monaten noch nach ihr sehnen?
Unvermittelt sagte sie:
«Also ich hab eine Wohnung gefunden, eine sonderbare kleine Bude, früher ein Antiquitätenladen in einem verlassenen Hintergäßchen.»
«Das ist ja fein!» rief er voll Eifer. «Wann ziehst du hin?»
«Nächste Woche.»
«Darf ich helfen?»
«Wenn du Wände tünchen kannst.»
«Und ob! Meinen Bungalow in Ceylon hab ich zwei oder drei Mal ausgemalt.»
«Wir müssen abends arbeiten, wegen meines Postens.»
«Wie ist übrigens dein Chef? Anständig?»
«Hochanständig, und in meine Schwester verliebt. Wenigstens kommt es mir so vor.»
«Hm!» meinte der junge Croom zweifelnd.
Clare lächelte. Sein Gedanke war so leicht zu erraten:
‹Wie kann man sich nur in deine Schwester verlieben, wenn man dich täglich sieht!›
«Wann darf ich zum ersten Mal kommen?»
«Morgen abend, wenn du willst. Melton Mews Nr. 2, beim Malmesbury-Square. Morgen werd ich das Material besorgen, wir fangen oben an. Sagen wir um halb sieben.»
«Herrlich!»
«Aber Tony, nur nicht zu stürmisch! ‹Ernst und nüchtern ist das Leben.›»
Er verzog schmerzlich den Mund und legte die Hand aufs Herz.
«Und jetzt mußt du gehn. Ich begleite dich hinunter und seh nach, ob mein Onkel schon zurück ist.»
Der junge Croom erhob sich.
«Und wie steht es mit Ceylon?» fragte er plötzlich. «Wirst du behelligt?»
Clare zuckte die Achseln. «Vorläufig ist noch nichts geschehn.»
«Es wird kaum so bleiben. Hast du dir's schon gründlich überlegt?»
«Das Überlegen führt zu nichts. Höchstwahrscheinlich wird er gar nichts unternehmen.»
«Ich kann es nicht ertragen, daß du –» er hielt inne.
«Komm jetzt!» sagte Clare und führte ihn hinab.
«Ich möchte jetzt nicht mehr bei deinem Onkel vorsprechen», erklärte der junge Croom. «Also morgen um halb sieben.» Er zog ihre Hand an die Lippen, dann schritt er zur Tür.
Dort wandte er sich um. Sie stand lächelnd da, den Kopf ein wenig geneigt. Verwirrt trat er auf die Straße.
Ein junger Mann, der zum ersten Mal dem Zauber der Aphrodite erliegt, zum ersten Mal dem geheimnisvollen Reiz einer sogenannten Strohwitwe verfällt und durch Skrupel und konventionelle Bedenken von ihr ferngehalten wird, ist wirklich zu bedauern. Er hat sein Schicksal nicht gewählt; ohne daß er es weiß, übermannt es ihn, raubt ihm erbarmungslos jedes andere Interesse am Leben. Seine Besessenheit, seine qualvolle Verzückung verdrängt alle frühern Überzeugungen. Die Gebote: ‹Du sollst nicht ehebrechen›, ‹Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib›, ‹Selig, die reinen Herzens sind› hören für ihn zu existieren auf. Schon auf der Schule hatte man dem jungen Croom den Grundsatz eingeprägt: ‹Benimm dich, wie sich's gebührt!› Wie seltsam, wie ungereimt! Was gebührte sich eigentlich in diesem Falle? Hier stand sie, jung und schön, und floh vor einem Gatten, der siebzehn Jahre älter war als sie und sie brutal behandelte; sie hatte es ihm nicht erzählt, aber es mußte wohl so sein! Und hier stand er, liebte sie leidenschaftlich und auch sie hatte ihn gern – freilich nicht so wie er sie, doch mehr konnte er nicht erwarten. Und zu nichts anderm würde das Ganze führen, als daß sie zusammen Tee tranken! Fast eine Sünde, eine solche Vergeudung!
Ganz in solche Gedanken verloren, kam er an einem Mann von mittlerer Größe und geschmeidigem Gang vorbei, einem Mann mit katzenhaften Augen und schmalen Lippen in einem braunen, von vielen Fältchen durchzogenen Gesicht; der Fremde wandte sich nach ihm um und verzog ein wenig den Mund zu einer Art Lächeln.