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Nachdem der junge Croom das Haus verlassen hatte, blieb Clare noch einen Augenblick in der Halle stehn und entsann sich der Stunde, da sie zum letzten Mal durchs Tor hinausgetreten war, in rehbraunem Kostüm und braunem Hütchen, zwischen einem Spalier von Leuten, die ihr zuriefen: ‹Viel Glück!› ‹Lebwohl, Liebling!› und ‹Grüß mir Paris!› Erst achtzehn Monate waren vergangen, und was hatte sie nicht alles inzwischen erlebt! Sie verzog die Lippen und ging in ihres Onkels Arbeitszimmer.
«Ah, Onkel Lawrence, du bist schon zu Haus? Tony Croom war hier und wollte dich besuchen.»
«Dieser nette junge Mann, der arbeitslos ist?»
«Ja. Er möchte sich bei dir bedanken.»
«Leider ohne Grund.» Und Sir Lawrence Monts lebhafte Augen – die Augen einer Schnepfe oder eines Auerhahns – glitten zweifelnd über seine schöne Nichte. Sie war zwar nicht wie Dinny sein besondrer Liebling, aber ganz gewiß eine anziehende junge Frau. Diese Ehe war bald in die Brüche gegangen. Emily hatte es ihm erzählt und ihn gebeten, er solle nichts davon erwähnen. Hm, Jerry Corven! Die Leute hatten immer so vielsagend die Achseln gezuckt und Andeutungen gemacht. Zu traurig! Doch was ging es ihn an?
Eine gedämpfte Stimme rief von der Tür her:
«Sir Gerald Corven, Sir Lawrence.»
Unwillkürlich legte Sir Lawrence den Finger auf die Lippen. Der Butler fuhr noch leiser fort: «Ich habe ihn ins kleine Zimmer geführt und ihm gesagt, ich wolle nachsehn, ob Lady Corven zu Hause sei.»
Sir Lawrence gewahrte, daß Clare die Hand um die Lehne des Sessels krampfte, hinter dem sie stand.
«Bist du zu Hause, Clare?»
Sie gab keine Antwort, doch ihr Antlitz war hart und fahl wie Stein.
«Einen Augenblick, Blore. Komm sofort, wenn ich läute.»
Der Butler zog sich zurück.
«Nun, liebe Clare?»
«Er muß mir mit dem nächsten Schiff nachgefahren sein. Onkel, ich mag ihn nicht sehn!»
«Wenn wir ihm bloß sagen, du bist nicht zu Hause, dann kommt er wahrscheinlich wieder.»
Clare warf den Kopf zurück. «Gut, ich werd ihn sprechen.»
Sir Lawrence lief es kalt über den Rücken.
«Sag mir, was ich ihm mitteilen soll, dann sprech ich statt deiner mit ihm.»
«Danke, Onkel. Aber wie kommst denn du dazu, meine schmutzige Wäsche zu waschen!»
‹Gott sei Dank!› schoß es Sir Lawrence durch den Kopf.
«Wenn du mich brauchst, werd ich zur Hand sein. Viel Glück, meine Liebe.» Und er verließ das Zimmer.
Clare trat zum Kamin, sie wollte in Reichweite der Klingel bleiben. Wieder überkam sie das wohlbekannte Gefühl, sie setze sich vor dem furchtbaren Sprung im Sattel zurecht. ‹Keinesfalls soll er mich berühren!› dachte sie und vernahm Blores Stimme:
«Sir Gerald Corven, Mylady.» Seltsam, diese förmliche Anmeldung des Gatten bei der Frau! Die Dienerschaft wußte doch wirklich alles!
Ohne hinzublicken, sah sie ganz genau, wo er stand. Vor Zorn schoß ihr das Blut in die Wangen. Er hatte sie verhext, sie in jeder Weise als Spielzeug gebraucht. Er hatte sie –!
Sie vernahm seine schneidende, beherrschte Stimme:
«Na, meine Liebe, du bist ja ganz plötzlich ausgerissen.» Nett und elegant wie nur je, mit diesem katzenhaften Ausdruck, diesem Lächeln um die schmalen Lippen, den frechen Räuberaugen!
«Was willst du?»
«Nur dich selbst.»
«Mich kriegst du nicht mehr.»
«Lachhaft!»
Blitzschnell glitt er auf sie zu und riß sie in die Arme. Clare warf den Kopf zurück und streckte die Hand nach der Klingel aus.
«Zurück oder ich läute!» Und abwehrend hielt sie die andere Hand vors Gesicht.
«Bleib dort stehn, dann sprech ich mit dir, sonst mußt du sofort hinaus!»
«Na schön! Aber es ist einfach lächerlich.»
«So! Bildest du dir vielleicht ein, ich wäre abgereist, wenn es mir nicht ernst wäre?»
«Ich hielt dich nur für ein wenig aufgebracht, finde es auch begreiflich; die Geschichte tut mir leid.»
«Geschehn ist geschehn, sinnlos, drüber zu reden. Ich kenne dich und komme nicht mehr zu dir zurück.»
«Ich bitte dich um Entschuldigung, meine Liebe, und gebe dir mein Wort, es soll nicht wieder geschehn.»
«Wie gütig von dir!»
«Es war nur ein Experiment. Manche Frauen sind davon entzückt, wenn auch nicht beim ersten Mal.»
«Du bist ein rohes Tier!»
«Drum hab ich auch die Schönste gefreit – wie im Märchen. Komm, Clare, sei nicht dumm und mach uns nicht zum Gespött der Leute. Du selbst sollst die Bedingungen festsetzen.»
«Und mich darauf verlassen, daß du sie hältst! Für ein solches Leben danke ich. Ich bin erst vierundzwanzig.»
Das Lächeln schwand von seinen Lippen.
«Verstehe. Ich sah einen jungen Mann aus diesem Haus treten. Name und Stand?»
«Tony Croom? Nun?»
Er ging zum Fenster hinüber, blickte einen Augenblick auf die Straße hinaus, wandte sich um und sagte:
«Du hast nun einmal das Pech, meine Frau zu sein.»
«Das weiß ich schon lange.»
«In vollem Ernst, Clare, komm doch zu mir zurück!»
«In vollem Ernst: Nein!»
«Ich hab eine offizielle Stellung und kann sie nicht aufs Spiel setzen. Sieh mich an, Clare!» Er trat näher heran. «Dein Urteil über mich mag ja in allen Stücken stimmen, aber ein Schwindler bin ich nicht und auch kein alter Zopf. Ich mag nicht meine Position ins Treffen führen, nicht die Heiligkeit der Ehe oder ähnlichen Stumpfsinn. Aber im Staatsdienst nimmt man auf solche Dinge noch Bedacht und eine Scheidung aus meinem Verschulden kann ich daher nicht zugeben.»
«Hab ich auch gar nicht erwartet.»
«Was sonst?»
«Das weiß ich nicht – nur eines weiß ich: Ich komm nicht mehr zurück.»
«Nur wegen jenes –?»
«Und noch vieler andrer Dinge wegen.» Das katzenhafte Lächeln umspielte wieder seine Lippen und verbarg ihr seine Gedanken.
«Willst du, daß ich mich von dir scheiden lasse?»
Clare zuckte die Achseln. «Du hast keinen Anlaß.»
«Das behauptest natürlich du.»
«Ich bin auch davon überzeugt.»
«Hör mal, Clare, das ist ja alles lachhaft, unwürdig eines verständigen, lebenserfahrenen Menschen, wie du es bist. Du kannst doch nicht ewig Strohwitwe bleiben. Das Leben dort hat dir nicht übel behagt.»
«Gewisse Dinge darf mir niemand antun, und du hast sie mir angetan.»
«Ich hab dir ja gesagt, es soll nicht wieder geschehn.»
«Und ich hab dir gesagt, ich kann dir nicht mehr traun.»
«Auf diese Art kommen wir zu keinem Ende. Willst du dich von deiner Familie erhalten lassen?»
«Nein, ich hab einen Posten gefunden.»
«So? Was für einen?»
«Als Sekretärin bei unserm neuen Abgeordneten.»
«Das wirst du im Handumdrehn sattkriegen.»
«Ich glaube nicht.»
Er starrte sie ohne sein gewohntes Lächeln an. Einen Augenblick sah sie deutlich, was in ihm vorging, denn seine erregte Miene verriet, daß ihr eine Eifersuchtsszene bevorstand. Unerwartet sagte er: «Ich dulde nicht, daß ein andrer dich besitzt.»
Eine Genugtuung, ihm so einen Augenblick auf den Grund der Seele zu blicken! Sie gab keine Antwort.
«Hast du mich gehört?»
«Ja.»
«Es ist mein Ernst.»
«Das hab ich gemerkt.»
«Du bist ja aus Stein, du kleiner Satan!»
«Ich wollt, ich wäre es gewesen.»
Er schritt auf und ab durchs Zimmer und blieb dann ihr gegenüber stehn.
«Schau mir in die Augen! Ohne dich fahr ich nicht zurück. Ich wohne Hotel Bristol. Du bist doch ein so reizender Kerl, sei gescheit und zieh zu mir ins Hotel. Fangen wir's noch einmal an. Ich werde dich auf Händen tragen.»
Ihre Selbstbeherrschung verließ sie, sie schrie auf:
«Um Himmels willen, bedenk doch, du hast mein ganzes Gefühl für dich getötet!»
Er riß die Augen auf, dann sah er sie blinzelnd an, seine Lippen wurden ganz schmal: einem Rossebändiger glich er.
«Und bedenke du», erklärte er ganz langsam, «entweder du kommst zu mir zurück oder ich laß mich von dir scheiden. Ich dulde nicht, daß du dich hier auf eigne Faust vergnügst.»
«Ich bin überzeugt, daß jeder verständige Ehemann dir recht gibt.»
Das Lächeln erschien wieder auf seinen Lippen.
«Dafür muß ich einen Kuß haben!» sagte er und küßte sie, eh sie sich's versah. Sie riß sich los und drückte die Klingel. Er eilte zur Tür.
«Auf Wiedersehn!» rief er und schritt hinaus.
Clare rieb sich die Lippen. Sie war ganz wirr und erschöpft und hatte keine Ahnung, ob sie oder er den Sieg davongetragen.
Sie stand über den Kamin gebeugt und preßte die Stirn auf die Hände. Da merkte sie, daß Sir Lawrence eingetreten war und wohl absichtlich schwieg.
«Tut mir furchtbar leid, Onkel, nächste Woche bin ich schon in meiner eignen Bude.»
«Rauch doch eine Zigarette, meine Liebe.»
Clare nahm die Zigarette und zog mit Genuß den Rauch ein. Ihr Onkel hatte Platz genommen, sie gewahrte einen spöttischen Zug um seine Brauen.
«Nun, hatte die Unterredung den üblichen Erfolg?»
Clare nickte.
«Also bis auf weiteres vertagt. Die Menschen sind ja doch nie zufrieden mit dem, was sie nicht wollen, man mag es ihnen noch so klug beizubringen versuchen. Demnach – Fortsetzung folgt?»
«Nein, soweit es auf mich ankommt.»
«Leider gibt es bei Konferenzen immer zwei Parteien.»
«Onkel Lawrence», fragte sie plötzlich, «wie lautet jetzt das Scheidungsgesetz?»
Der Baronet hatte die langen dünnen Beine gekreuzt, nun stellte er ein Bein neben das andre.
«Hab mich nie näher damit befaßt. Die Bestimmungen sind jetzt, scheint mir, nicht mehr so veraltet wie in frühern Tagen, aber schlag doch im Lexikon nach.» Er langte nach einem Band mit rotem Rücken. «Seite 258 – hier, meine Liebe.»
Clare las es still durch, er sah ihr dabei bekümmert zu. Dann blickte sie auf und sagte:
«Wenn ich will, daß er sich von mir scheiden läßt, muß ich also Ehebruch begehn.»
«So pflegt man es, glaube ich, auf elegante Art zu besorgen. Doch in den vornehmen Kreisen besorgt eigentlich der Mann diese schmutzige Sache.»
«Aber er mag nicht. Er will mich zurückhaben. Außerdem muß er ja auf seine Stellung Rücksicht nehmen.»
«Allerdings», bemerkte Sir Lawrence nachdenklich. «Eine Karriere ist hierzulande ein zartes Pflänzchen.»
Clare schloß das Lexikon.
«Müßt ich nicht an meine Familie denken», sagte sie, «ich verschaffte ihm noch morgen den Scheidungsgrund und die Sache wäre erledigt.»
«Hältst du es nicht für besser, es doch noch einmal mit ihm zu versuchen?»
Clare schüttelte den Kopf.
«Ganz ausgeschlossen.»
«Also nichts zu machen», erklärte Sir Lawrence. «Peinliche Lage. Was meint Dinny dazu?»
«Ich hab es mit ihr noch nicht besprochen. Sie weiß gar nicht, daß er hier ist.»
«Und du kannst dich mit niemandem beraten?»
«Nein, Dinny weiß nur, warum ich von ihm fort bin, weiter nichts.»
«Jerry Corven, scheint mir, ist wohl kaum ein geduldiges Lamm.»
«Wir sind beide keine sanften Lämmer.»
«Weißt du, wo er wohnt?»
«Im Bristol.»
«Vielleicht wäre es der Mühe wert», meinte Sir Lawrence langsam, «ihn im Auge zu behalten.»
Clare erschauerte. «Das ist so erniedrigend, Onkel. Auch möchte ich nicht seiner Karriere schaden. Weißt du, er ist ein sehr fähiger Mensch.»
Sir Lawrence zuckte die Achseln. «Für mich und deine ganze Sippe», bemerkte er, «bedeutet seine Karriere nicht halb so viel wie dein guter Name. Wie lang ist er schon hier?»
«Noch nicht lange, glaub ich.»
«Soll ich ihn aufsuchen und alles mit ihm so zu ordnen trachten, daß du deine eigenen Wege gehen kannst?»
Clare schwieg. Sir Lawrence betrachtete sie und dachte: ‹Reizvoll, aber ein gefährliches Naturell. Ein sprühendes Temperament, aber kein Jota Geduld.›
«Es war meine eigene Schuld», meinte sie, «niemand hat mich zu dieser Heirat gedrängt. Ich mag dich wirklich nicht behelligen. Übrigens willigt er nie ein.»
«Wer weiß», murmelte Sir Lawrence. «Wenn sich mir von ungefähr Gelegenheit bietet, soll ich's dann versuchen?»
«Es wäre reizend von dir, nur –»
«Also gut. Doch inzwischen – arbeitslose junge Männer, ist das klug?»
Clare lachte. «Oh, der tanzt nach meiner Pfeife. Tausend Dank, Onkel Lawrence! Du bist mir wirklich ein großer Trost. Ich war hirnverbrannt, aber Jerry übt eine gewisse Macht, weißt du. Und ich hab immer gern mit der Gefahr gespielt. In diesem Punkt bin ich gar nicht meiner Mutter Tochter. Ihr ist so etwas verhaßt. Und Dinny nimmt nur aus Prinzip Gefahren auf sich.» Sie seufzte. «Nun will ich dir nicht länger lästig fallen.» Sie warf ihm eine Kußhand zu und verließ ihn.
Sir Lawrence blieb im Lehnstuhl sitzen und dachte: ‹Da soll ich nun die Nase hineinstecken! Peinliche Geschichte, und wird gewiß noch peinlicher. Aber für eine Frau ihres Alters muß etwas geschehn. Ich will mit Dinny sprechen.›