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Der gekreuzigte Tannhäuser

Langsam zog er den Pierrotflaus an. Schwarze Schuhe, Strümpfe, über die die weiße Hose herunterfiel. Ein großer Kragen über die Schultern und lange, weite Ärmel. Alles in matter, weißer Seide mit schwarzen Pompons. Nun die schwarze Samtkappe fest übers Haar. Dann Puder, sehr viel Puder.

Er trat aus dem Haus. Die Capreser Gassenjungen liefen ihm nach, schrien und johlten:

»Pazzo! Pazzo!«

Er kümmerte sich nicht darum. Er ging langsam, wie im Traum, durch die Gassen, ohne sich nur umzusehn. Die Bengels ließen ihn laufen, kehrten um, als er in die Orangengärten einbog. Er ging hinter die Certosa, das alte Kloster, das heute als Kaserne dient. Dorthin kamen die Fremden nie; kaum, daß sich einmal ein deutscher Maler her verlief. Und doch war es die schönste Stelle auf dem schönen Capri. Aber es war so schwer, hierher zu finden, und dann versperrte auch der Halunke von Pächter, der alte Nicola Vuoto, alle Türen und Türchen in den verfallenen Mauern und schrie laut und schimpfte und warf mit Steinen, wenn man doch über seinen Grund ging.

Doch heute schrie er nicht, noch warf er mit Steinen. Er war so verwundert über die weiße Gestalt dort in der Sonne, daß er schnell ein paar Schritte in die Pergola eilte. Da stand er denn und staunte. Endlich fiel ihm ein, daß es doch wohl ein Signore sein müsse; er brummte verächtlich: »Pazzo! Pazzo!« und sah ihm lange nach mit giftigen Blicken.

Der gepuderte Pierrot ging weiter. Er sprang über ein paar Mauern, kletterte einige Abhänge hinunter, andere hinauf, fast wie eine Katze, mit elastischen und doch trägen Bewegungen. Durch das kleine Myrtenwäldchen und dann längs den Kakteen an den Felsen vorbei.

Einmal blieb er stehn. Dicht vor sich sah er zwei große, meterlange Nattern. Doch schienen diese sonst so scheuen Tiere seine Gegenwart gar nicht zu bemerken, so sehr waren sie miteinander beschäftigt. Das Weibchen floh oben über die Büsche und Steine hin; das Männchen jagte nach. Plötzlich stellte das Weibchen sich auf, kerzengrade, bog den Kopf zurück und züngelte nach dem Verfolger.

Doch der ringelte sich um sie, bog sich, schlang sich in die Höhe, daß ihr Leib zitterte und sich noch enger, noch fester um ihn wand.

Und die stahlblauen Leiber glänzten und leuchteten in der Sonne. Wie schön das war, wie schön! Der Pierrot starrte und schaute. Sah er Krönlein auf den Köpfen der Schlangen?

Goldene Hochzeitkrönlein –?

Er ging noch langsamer, als zuvor.

Endlich war er nahe bei dem Marelatto, dem verfallenen Sarazenenturme, der dort am Abhang klebt. Über ihm hingen die alten Mauern der Certosa; links sprang der Monte Tuoro, rechts der Monte Solaro weit hinaus in das blaue italienische Meer.

Er blickte hinunter. Da lag die piccola marina mit ihren Fischerhütten, davor die Sireneninsel, weiß umbrandet in den blauen Wogen.

An der andern Seite reckten sich die Faraglioni stolz empor, mächtige schwere Blöcke, mitten aus dem Meere gewachsen.

Hier war die Stelle, wo er ein Stelldichein hatte. Sein letztes Stelldichein mit der Sonne.

Er setzte sich dicht an den Abhang und ließ die Beine baumeln. Einen Augenblick starrte er hinunter. Dann nahm er die dickbäuchige Korbflasche aus der Tasche. Und der dunkle Ischiawein blutete in das Glas.

Der Pierrot trank. Der Sonne trank er zu, wie er jüngst dem Meere zugetrunken hatte, dort unten in der grotta azzura.

Er leerte das Glas auf einen Zug; füllte es von neuem.

Wieder trank er zur Sonne.

Nun warf er Glas und Flasche weit hinaus in die Klippen.

Dann stand er auf, ging ein wenig zurück an die Wand, wo der steile Fels Schatten bot. Dort streckte er sich lang hin.

Eine kleine rote Spinne kroch ihm über den Flaus. Über die weiße Seide und auf die Pompons. Wie komisch die kleine rote Spinne da herumkletterte!

Er trillerte:

»Klei–ne, rote Spin–ne –
Klei–ne, rote Spin–ne –«

Jetzt streckte er die Arme weit aus nach beiden Seiten und schaute hinauf. Das Blau da oben lachte und sang, als ob es ihn loslösen wollte von allem. Wenn er den Kopf ein wenig hob, konnte er das Meer sehn, blau mit kleinen, weißen Wolken auf den Kämmen der Wellen – grade wie oben. Blau, strahlendes, leuchtendes Blau – er sog es ein mit den Augen, ergriff es mit den Händen, ließ es eindringen in alle seine Poren.

Er lauschte auch der Musik der blauen Farben. Sein Auge schloß sich, aber er sah doch ganz deutlich. Er fühlte, wie ein weicher, schmeichelnder Hauch sich auf seine Glieder legte, wie eine leichte, wohltuende Mattigkeit ihn kosend umfing, in losen, weiß-blauen Nebeln.

Nun war es ihm, als ob sein Haupt auf einem weichen Frauenbusen ruhte, er merkte genau das Atemholen, ein leises Heben und Senken.

Doch hütete er sich wohl, sich zu rühren oder die Augen aufzumachen. Er lag so still, so unbeweglich, als ob er schlummerte. Nun sog er einen Duft ein, wie von Pfirsichblüten, er fühlte, wie ein schmales, bleiches Gesichtchen sich seinen Füßen näherte. Das war Lili. Sie kniete dort unten und preßte ihre blassen Kinderwangen an seine Schuh. Aber Erminia saß dicht an seiner Seite, sie trug noch immer die roten Kirschen im blonden Haar. Auf der spanischen Laute griff sie wieder die schwermütigen, schleppenden Akkorde: La Paloma. Liesel aber legte dem Pierrot ihre Hand aufs Herz, diese feine engelländisch schmale Hand.

Auch Klara war da, den schwarzen Lockenkopf über und über bedeckt mit roten Kressen; ihre Blicke glühten, als ob sie ihn versengen wollte. Sie sprach ganz langsam ihr schönstes Lied:

»Und weil du meinem bessern Wesen mich
Entfremdet hast in jener schwülen Stunde,
Weil ich dich liebe – darum haß ich dich,
Ja, haß ich dich aus meines Herzens Grunde.

Ich schüttle wild das eiserne Geflecht,
Das ich mir selber habe schmieden müssen:
In deinen Armen haß ich dich erst recht
Und töten möcht ich dich mit meinen Küssen!

Laut schlägt dein Herz – und dürstend blickt dein Aug';
Du hebst den Becher – wohl: so laß uns trinken!
Verglühen sollst du noch in meinem Hauch
Und sterbend mit mir in die Flammen sinken!«

Aber der Pierrot lächelte.

Mary Wayne trat zu ihm. Ein leises Knistern ging durch ihr rotes Haar und ihre Lippen zuckten schmerzlich. Sie schien niemanden sonst zu sehn, außer den weißen Pierrot.

»Wie leicht du doch aufgibst!« sprach sie.

Noch so viele waren da, so viele. Lore und Stenie. Und die liebe kleine Anna und die Napolitanerin und die goldene Kätie. Und – noch eine andere.

Die stand abseits von den übrigen, ganz allein und rührte sich nicht Die Sonne spielte auf ihrem todblassen Antlitz. Wie eine Priesterin sah sie aus, Magnolien trug sie im schwarzen Haar und in den bleichen Händen – das tat ihm weh: nein, nein, es geht nicht – Magnolien in Menschenhänden und Menschenlocken! Und doch war es die, auf deren Busen eben noch sein Haupt geruht hatte. Nun aber stand sie abseits und sein Kopf lag wieder hart auf dem Stein.

»Wir sind dein Tag und dein Leben!« schmeichelten die Frauen.

»Dein Tod bin ich und dein Traum!« sprach sie.

»Myrten wind ich dir um die Füße,« sagte Gostantina, und Klara ließ Mohnblätter über ihn flattern. Aber von allen strömte ein seltsamer Duft aus, wie von vielen bunten Hyazinthen, ein wollüstiger, begehrlicher Duft von weißen Frauenleibern.

Die kleine blonde Anna küßte seine Augen und Lore streichelte ihm die gepuderten Wangen. Aber Liesel versuchte mit den feinen Fingern den bittern Zug um seinen Mund zu glätten. In leichtem Tanzschritt wiegte sich Stenie in den Hüften und die Spanierin sang immer wieder das seltsame Lied von der weißen Taube.

Auch sie kam hinzu, sie mit den Magnolien.

»Dein Traum bin ich und dein Tod!« sprach sie.

Da wichen die andern. Und langsam, ohne ein Wort, legte sie in jede seiner offenen Hände eine große rote Rose.

Jetzt sah er nichts mehr.

Aber die roten Rosen sengten und brannten in seinen Händen, hefteten ihn fest auf den Stein. Rote Wundmäler, glühende rote Wundmäler –


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