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Warum Arno Falk sich verlobte

Arno Falk, Besitzer eines schönen Namens, einer knallvioletten Krawatte, eines Kanarienvogels, einer Schnurrbartbinde, einer Schlagzither und mancher andern hübschen Sachen – Arno Falk, Handlungsgehilfe bei Mickefett und Söhne, Holzgeschäft, vierundzwanzig Jahre alt, blond, blaue Augen, Nase, Mund, Kinn gewöhnlich, ohne besondere Kennzeichen –

Arno Falk, rechtschaffen, harmlos, ehrlich, treu, währschaft, häuslich, ein guter Mensch, aber sehr schüchtern –

Arno Falk, unverheiratet, nicht Soldat gewesen, nicht vorbestraft, ohne Orden und Ehrenzeichen –

Arno Falk war heute der Held, über den ganz Oberehnheim sprach.

Und das mit Recht: er hatte sich verlobt, verlobt mit Christine Potthart, der ältesten Tochter des Rechnungsrates Philipp Potthart.

Wie – Arno Falk hatte sich verlobt, er, der Allerschüchternste von Oberehnheims heiratsfähigen Jünglingen? Er, der es nicht wagte, ein Mädel zum Tanz aufzufordern; er, der zwanzigmal am Tage rot wurde und sich bei allem und jedem genierte? Kein Oberehnheimer konnte das fassen und doch stand die unwiderlegbare Tatsache fest: am Sonntag abend hatte Arno Falk der Jungfer Christine Potthart eine Liebeserklärung gemacht!

Am Montag hatte er um zwölf Uhr mit den Eltern gesprochen, und am Dienstag stand die Anzeige im Generalanzeiger für Oberehnheim und Umgegend.

An dieser Sachlage war nicht mehr zu rütteln – das stand fest! Aber – so sagte sich jung und alt in Oberehnheim – aber – wie war das zugegangen?

Jawohl, wie?

Oberehnheim hatte damals neuntausendsiebenhundertvierunddreißig Seelen, also gab es neuntausendsiebenhundertvierunddreißig verschiedene Ansichten – aber nein, das ist doch nicht richtig, denn Säuglinge haben ja noch keine Ansichten, und die Oberehnheimer pflegen recht lange Säuglinge zu bleiben.

Man denke: Christine Potthart war vierunddreißig Jahre alt, glücklich zehn Jahre älter als ihr Verlobter Bräutigam. Sie stand geistig auf der höchsten Höhe Oberehnheims, und auch diejenigen Jünglinge dieses hübschen Städtchens, die ein wenig mutiger waren als Arno Falk, hatten einen gesegneten Respekt vor ihr. Häßlich – nein, das war sie nicht, aber hübsch war sie auch nicht. Sie trug einen Zwicker, d. h. nur Sonntags in der Kirche, und die Tanzherrn sagten, daß sie nachsähe, ob auch alle da wären. Bei ihren Freundinnen war Christine sehr beliebt, wenn sie mit ihnen zusammen war; sonst weniger. Alle Oberehnheimer aber waren darin einig, daß Christine nie einen Mann bekommen würde. Denn: einmal müßte der Mensch ja verrückt sein, der dieser Katze einen Antrag machen wolle; dann aber, selbst wenn so ein Verrückter die Absicht hätte, so würde er im letzten Augenblick eine solche Angst bekommen, daß er sich wieder zurückziehn würde.

Und nun dieses Rätsel: der Milchjüngling Arno Falk und Christine Potthart empfahlen sich als Verlobte; das Lämmchen hatte den Löwenmut gehabt, sie zu fragen, und die wilde Hyäne hatte sanft wie ein Engel »ja« gesagt!

»Begreife das, wer kann!« sagte der Amtsrichter, nachdem ihm der Apotheker eine halbe Stunde lang seine Ansicht darüber entwickelt hatte. Er verstand die Sache grade so wenig wie vorher.

»Hören Sie meine Hypothese,« rief der Doktor, und die übrigen Stammgäste hörten geduldig.

»Hm!« sagte der Gutsbesitzer Klingenberg, »das wäre ganz schön, aber –« und dann kamen die Einwendungen.

Drei Wochen lang sprach man über die Verlobung, dann ereignete es sich, daß beim Kaufmann Roloff eingebrochen wurde; natürlich drehte sich nun darum die Unterhaltung. Und wer weiß, vielleicht, wenn das nicht geschehn wäre, so hätten die Oberehnheimer am Ende doch noch herausbekommen, wie diese Verlobung zustandekam. Aber der Einbruch geschah, und nun konnte natürlich kein ordentlicher Oberehnheimer über etwas anderes mehr sprechen.

Ich weiß nicht einmal, ob es die Oberehnheimer überhaupt interessieren wird, wenn ich ihnen jetzt noch die Geschichte erzähle. »Es ist schon so lange her,« – nämlich schon zwei Jahre – werden sie sagen. So sind sie.

Aber das ist mir gleichgiltig. Ich erzähle die Geschichte, nicht um den Oberehnheimern Spaß zu machen, sondern mir selbst und einigen anderen Leuten. So bin ich. Vorher aber muß ich sagen, woher ich denn die Geschichte weiß.

Das ging so zu. Ich war damals Referendarius in Oberehnheim bei dem biedern Amtsrichter. Und was das Herz der Oberehnheimer bewegte, bewegte auch mich – gewissermaßen. Ich wollte also grade so wie alle andern gern wissen, wie es zugegangen war bei dieser seltsamen Verlobung. Und ich dachte mir: die beiden werden's wohl am besten wissen, die Christine und der Arno. Die Christine fragen – das war mir zu gewagt; ich machte mich daher an den Falk. Ich schloß mit ihm Freundschaft, innige Freundschaft, die drei Wochen lang währte, bis zu dem Abend, an dem er mir das große Geheimnis erzählte. Dann erkaltete unsere Freundschaft – ich bin ein sehr roher Mensch. Schade! Auch daß ich das hier erzähle, ist roh. Den guten Arno so zu kompromittieren! Ich finde es selbst schimpflich von mir, aber was soll ich tun? Das ist ja nun einmal unser Verhängnis, diese ewige Indiskretion.

Erst sich im Geheimnis wiegen,
Dann verplaudern früh und spat,
Dichter ist umsonst verschwiegen!
Dichten ist schon ein Verrat!

heißt es im Saki Nameh. Also, lieber Falk, bitte verzeihn Sie mir, ich sehe ja selbst meine Schändlichkeit ein. Und um wenigstens in etwas meine Schlechtigkeit wieder gut zu machen, will ich Ihnen einen guten Rat geben: Verkehren Sie niemals mit einem Dichter, ich tu's auch nicht.

So, nun will ich anfangen.

Es kostete mir wirklich viel Geduld, Arno Falk sein Geheimnis zu entlocken. Wie große Mühe ich mir auch gab, wie schlau ich immer meine Fallen legte – Arno Falk wich mir aus. Nicht, daß er etwa gemerkt hätte, wo ich hinaus wollte, beileibe nicht. Aber er redete überhaupt so wenig, er genierte sich selbst vor mir so andauernd, daß ich ihn nicht einen Schritt vorwärts bringen konnte. Diesem Menschen war nur beizukommen, wenn er einen kleinen Schwips hatte – aber er hatte nie einen. Er betrank sich nur einmal im Jahre, an Kaisers Geburtstag – ausgerechnet an einem Tage, an welchem ich schändlicher unbürgerlicher Mensch mich nicht zu betrinken pflegte. Was tut aber der Jäger nicht alles, der ein Wild beschleichen will?

Also ich betrank mich an dem hohen Festtage mit Gott für König und Vaterland zusammen mit Arno Falk. Wir saßen nebeneinander und ich prostete ihn an, daß es eine Freude war.

»Prost, Arno!« rief ich.

»Prost, Herr Doktor!« nickte er.

»Arno, wir müssen Schmollis trinken, was? Lassen Sie mich Ihnen noch mal einschenken.«

Instinktiv und halb unbewußt fühlte sich Arno, der Handlungsgehilfe, doch etwas geschmeichelt, daß ein so hochgelahrter und erstklassiger Mensch wie ich, ein königlich preußischer Referendarius und Doktor beider Rechte, ich, der Skatgenosse vom Amtsrichter und vom Bürgermeister, der höchsten Spitzen der Stadt, ich, der beste Tanzherr und trunkfesteste Zecher von Oberehnheim – trotz dem Oberförster – daß ich, dieses non plus ultra von Glanz, seine Freundschaft suchte! Und nun bot ihm dieses Weltwunder gar Schmollis an.

Arno kroch auf den Leim. Wir tranken Brüderschaft und ich bestellte Schampus: bei dem Kronenwirt hatte ich unbegrenzten Kredit. Arno trank und Arno wurde allmählich betrunken. Ich auch, aber meine Betrunkenheit hatte den großen Vorzug vor der seinigen, daß sie innerlich und äußerlich sich gesittet benahm – aus Gewohnheit.

»Arno,« sagte ich, »jetzt wollen wir auf das Wohl deiner Braut trinken. Christine, deine angebetete Herzensdame, lebe hoch!«

»Ja,« sagte Arno und trank.

»Hör mal, Arno,« fuhr ich fort, »weißt du, daß ich mich auch mit dem Gedanken getragen habe, Christine Potthart eine Erklärung zu machen?«

»Nein, davon weiß ich gar nichts,« meinte er.

Nun log ich darauf los. Ich sprach von dem großen Eindruck, den Christine auf mich gemacht, von meinen Liebesschmerzen, von einsamen Spaziergängen in dunkler Nacht, von – Gott weiß, wovon.

»Nur, weißt du, Arno, der Mut hat mir gefehlt. Und auch jetzt kann ich es immer noch nicht begreifen, wie du den Mut dazu gehabt hast. Mögen die Oberehnheimer nun sagen, was sie wollen, du bist doch wirklich ein ganz hervorragender Mensch.«

»Meinen Sie – meinst du?«

»Aber gewiß doch! Kein Mensch hätte dir das zugetraut, die ganze Stadt zerbricht sich den Kopf darüber. Und offen gestanden, selbst ich bin einfach platt.«

»Hm – ja – es war auch sehr eigentümlich.«

»Wollen wir noch eine Flasche trinken, was? Es ist ja nur einmal Kaisers Geburtstag im Jahr! Pst, Kellner! Übrigens so nebenbei – wie ist es denn eigentlich gekommen?«

»Du bist ein lie–lieber Mensch, du! Ich will es dir erzählen, aber du mußt mir versprechen, es niemandem weiter zu sagen.«

»Ich – weitersagen? Es ist eigentlich eine Beleidigung, daß du das aussprichst! Es ist doch einfach selbstverständlich, daß ich dein Geheimnis bewahren werde.«

»Bitte – verzeihen Sie, – du, – ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Gut, Arno, ich schwöre dir, daß ich nie meine Lippen auf tun werde, um darüber zu sprechen! Ich schwöre dir bei – nun wobei soll ich es dir schwören?«

»Das ist ja gleich.«

»Also ich schwöre es dir bei den Gebeinen meiner Urgroßmutter. Ist dir das heilig genug?«

»Ja,« sagte Arno. Er räusperte sich, trank, rückte mit dem Stuhl dicht an mich heran und flüsterte:

»Ich bin eigentlich gar nicht dran schuld!«

Das hatte ich mir gedacht, aber ich tat doch sehr erstaunt und fragte weiter:

»Nein? Wer ist denn dran schuld?«

Arno besann sich, dann erwiderte er:

»Das heißt – eigentlich – bin ich doch dran schuld.«

Diesmal war ich wirklich erstaunt. Ich sagte:

»Also eigentlich doch?«

»Ja – das heißt – nicht richtig.«

»Ah? Richtig bist du nicht dran schuld, aber eigentlich doch?«

»Ja,« sagte Arno. »Ich bin nicht dran schuld, weil ich gar nicht dran gedacht hatte, und ich bin doch dran schuld, weil ich so viel getrunken hatte.«

»Was, Arno, du warst betrunken?«

»Ach nein, ich bin ja doch nie betrunken, bloß bei festlichen Gelegenheiten.«

»Also du hattest dir Mut getrunken?«

»Mut? Ach nein, ich hatte gar keinen Mut – im Gegenteil!«

»Also Angst? Du hast ihr deine Erklärung aus Angst gemacht?«

»Nein, Angst war es auch nicht – es war – Not.«

»Not?? Aber Arno, du bist doch nicht in Not? Du hast ein sehr reichliches Auskommen, hast etwas Vermögen, keine Schulden, eine gute Stellung –«

»Keine äußere Not – es war innere Not!«

Dieser Mensch wurde immer geheimnisvoller: eine innere Notwendigkeit hatte ihn dazu getrieben? Was mochte das sein? Ich stand vor einem psychologischen Rätsel.

»Verzeih, lieber Arno, aber ich versteh das wirklich nicht. Könntest du es mir nicht ein wenig näher erklären?«

»Ich will dir alles erzählen. Es kam so.«

Ja so kam es:

Christine machte Holzbrandarbeiten – ich hätte die Geschmacklosigkeiten kennen lernen mögen, die Christine nicht betrieb – und war in die Holzschneiderei von Mickefett und Söhne gegangen, um ein Brettchen zu holen. Arno Falk hatte ihr versprochen, das Brettchen sorgsam nach ihren Angaben schneiden zu lassen und am andern Tage, dem bewußten Sonntage selbst hinzubringen. Aber er sollte nur ja am Nachmittage kommen, wenn Papa und Mama und die Geschwister aus waren, denn das Brett, auf das der Haussegen gebrannt werden sollte, war als Weihnachtsgeschenk für Mama gedacht, und niemand durfte um das große Geheimnis wissen.

»Kommen Sie um drei Uhr oder etwas früher,« hatte Christine gesagt, »und dann gehn Sie auf der Straße auf und ab, bis meine Familie ausgegangen ist. Wenn sie um die nächste Ecke ist, schellen Sie rasch an; so ist es am sichersten.«

Und der gutmütige Arno hatte natürlich ja gesagt.

Am andern Tage war er um halb drei in der Jakobstraße. Er wartete, wartete, aber kein Mensch kam aus dem Hause heraus. Da ging er in ein Gasthaus auf der andern Seite, setzte sich ans Fenster, um die Haustür gegenüber beobachten zu können und trank eine Tasse Kaffee. Niemand kam, und da ihm die Zeit lang wurde, trank er noch eine Tasse. Wie er nun so allein dasaß, begann er nachzudenken, und da fiel ihm auf einmal ein, in welch schrecklicher Lage er sich in kurzer Zeit befinden würde. Christine hatte ihm ja gestern gesagt – Herrgott! das hatte er die ganze Zeit vergessen – daß er nachdenken möge, welchen schönen Spruch sie auf den Haussegen brennen solle; sie wolle mit ihm darüber beraten. Was sollte er nur sagen? Er nahm sein Notizbuch heraus und besann sich auf alle möglichen schönen Sprüche.

»Glück und Glas,
Wie leicht bricht das!«

Ach, das war ja Unsinn! Das war doch kein Haussegen.

»Grüß Gott! Tritt ein,
Bring Glück herein!«

Das war schon besser, aber es paßte auch nicht, denn Christine wollte etwas Besonderes haben, nicht einen Spruch, den man in jedem andern Hause auch fand. Arno sann und sann, aber es wollte ihm nichts einfallen. Er bestellte ein Glas Bier und trank es schnell aus. Dann noch eins – vielleicht würde das sein Nachdenken befördern. Von Zeit zu Zeit schaute er aus dem Fenster, ob sich die Türe da drüben noch immer nicht öffnen wolle.

Es schlug drei Uhr, halb vier, vier. Falk saß und sann und schrieb zuweilen einen Spruch ins Notizbuch. Er wurde immer aufgeregter, alle diese Sprüche waren nichts Besonderes; er genierte sich schon im voraus. Er versuchte seine Unruhe mit einigen weitern Gläsern zu bekämpfen, aber es war vergebens.

Endlich gegen halb fünf ging drüben die Haustüre. Der Rechnungsrat Philipp Potthart trat heraus, dann seine Gemahlin, Frau Friederike Potthart geborene Dackerl, und hinterher fünf kleine Potthärter beiderlei Geschlechts. Der Rechnungsrat bot seiner Frau den Arm und die Familie setzte sich in Bewegung.

»Kellner, zahlen!« rief Arno.

»Zwei Tassen Kaffee, fünfzig Pfennige, acht Glas Bier, eine Mark zwanzig, zusammen eine Mark siebzig Pfennig.«

Arno lächelte verstört, zahlte, nahm sein Brettchen unter den Arm und ging hinaus. Er ging einmal die Straße hinauf, um frische Luft und damit neuen Mut einzuatmen, dann auf die andere Seite, und hin zu Christinens Haus. Er schellte und das Mädchen öffnete ihm. Arno gab sein Paket ab und zugleich die aus seinem Notizbuch gerissenen Seiten, auf die er die Sprüche geschrieben hatte.

»Geben Sie das Fräulein Christine mit einer Empfehlung von Herrn Falk.«

Aber sein schöner Plan ging fehl, das Geschick hatte es anders bestimmt. Christine erschien oben an der Treppe:

»Bitte, Herr Falk, kommen Sie doch herauf, Sie trinken eine Tasse Tee mit mir, und wir überlegen dabei den Spruch.«

Arno versuchte so etwas von Absprache zu stammeln, aber aller Mut hatte ihn verlassen; er kroch die Treppe hinauf, wie ein Schuljunge, der Prügel bekommen sollte, zum Lehrer.

»Noch ein Täßchen, Herr Falk? Ach was, trinken Sie doch noch eins! So, und nun sagen Sie mir, was für Sprüche Sie ausgewählt haben!«

Falk las seine Verschen vor, die aber nur wenig Beifall fanden. Er hätte sich gern empfohlen, aber er wußte nicht, wie er es anstellen sollte. Und nun erfüllte sich sein Schicksal.

Die Not kam. Die innere Not.

Ein paar Glas Wasser beim Mittagessen. Zwei Tassen Kaffee. Acht Glas Bier. Und jetzt vier – nein, schon fünf Tassen Tee. Arno Falk war auch nur ein Mensch.

Aber Arno Falk schämte sich. Er suchte nach Gründen, um fortgehn zu können: er fand keine. Und wenn er schließlich doch etwas vorzubringen versuchte, so lachte ihn Christine aus.

»Herr Falk, Sie haben was vor! Bleiben Sie doch, sagen Sie mir wenigstens erst einen hübschen Spruch!«

Ja, wenn er einen hübschen Spruch gewußt hätte! Seine Phantasie blühte, er sagte alles auf, was er von poetischen Brocken jemals aufgeschnappt hatte. Ja, er machte selbst ein paar schöne Verschen, aber was er auch sagte, nichts war Christine recht. Das war zu lang und das zu kurz, das war zu bekannt und jenes war nicht innig genug.

Die Anekdote erzählt, daß der Marschall Macdonald, der sonst kein großes Licht war, in einer ähnlichen Lage plötzlich zum großen Strategen wurde. Der erste Napoleon pflegte ganze Nächte lang mit seinen Ministern und Feldherrn zu beraten und duldete nicht, daß die Sitzung auch nur für eine Minute unterbrochen wurde. Macdonald mußte hinaus, sein Bauch wäre ihm geplatzt. Aber er konnte sicher sein, daß ihn der gestrenge Kaiser, der sowieso nicht gut auf ihn zu sprechen war, sofort aus dem Heere gejagt hätte. Da machte ihn die Not zum Genie. In weniger als fünf Minuten entwickelte er einen Feldzugsplan gegen Österreich von solch unerbittlicher Logik, von einer so umfassenden Ausnutzung aller möglichen Kombinationen, daß Kaiser Napoleon starr war. Die Sitzung wurde aufgehoben und der Marschall konnte hinaus.

»Ich habe mich in dieser Kanaille getäuscht!« sagte der Kaiser, und der Plan wurde ausgeführt.

Wie Österreich seine schmählichsten Niederlagen einigen Flaschen Wein verdankte, die ein ziemlich unfähiger französischer General, ohne die Folgen zu bedenken, zuviel getrunken hatte, so verdankte Arno Falk seine Verlobung einigen Gläsern Wasser und Bier und einigen Tassen Tee und Kaffee.

Sein Denken und Fühlen, seine Phantasie, sein Verstand, alles, was bei ihm sonst gar nicht vorhanden zu sein schien, erwachte und arbeitete nur nach einer Richtung hin: »Wie komm ich hinaus?«

Und da geschah das Unmögliche: Arno Falk machte Christine Potthart eine Liebeserklärung.

Ohne jeden Übergang, einfach – so. Er stellte die Teetasse hin und warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Tür.

Christine frug ihn: »Aber warum wollen Sie denn durchaus gehn, Herr Falk? Sie sitzen keinen Augenblick ruhig auf Ihrem Stuhle –«

Da antwortete Falk:

»Weil – weil ich Sie liebe, Fräulein Christine!«

»Waaas?« sagte Christine. Das kam ihr so plötzlich, so unerwartet, daß sie gar keine Antwort fand. An der Ehrlichkeit dieser Erklärung konnte sie keinen Zweifel haben, aus Falks Augen leuchtete eine solche Verzweiflung, eine solche Fülle von Unbeholfenheit, solch ein sehnlich dringender Wunsch, daß sie ordentlich Mitleid bekam.

Und dann – Arno Falk war wirklich eine gute Partie – sie überlegte das im Augenblick.

»Aber, Herr Falk,« begann sie.

»Geben Sie mir Hoffnung?« rief er und sprang auf.

»Sprechen Sie –«

»Ich spreche morgen mit Ihren Eltern,« rief er. »Adieu, Fräulein Christine.« Er sprang zur Tür hinaus, raste die Treppe hinunter, dann über die Straße. Bis zu der großen Linde vor dem Schulhaus.

Gott sei Dank war es längst dunkel!

Arno Falk war ein Mann von Grundsätzen. Am folgenden Tage sprach er mit dem Rechnungsrat Philipp Potthart und mit Frau Friederike Potthart geborene Dackerl, am Dienstag stand die Verlobung im Generalanzeiger, zum Frühjahr wurde die Hochzeit festgesetzt.

Als ich am Tage nach Kaisers Geburtstag zum Amtsgericht ging, war es schon ein wenig spät, aber der Herr Amtsrichter war sicher auch noch nicht da. Ich kam am Schulhaus vorbei, als grade die Schule ausging. Die Oberehnheimer Rangen johlten und schrien, prügelten sich und warfen mit Schneebällen. Unter der Linde war eine mächtig lange Schleifbahn, wohl zwanzig Bengels schlitterten da mit lautem Triumphgeheul auf – – dem eigentlichen Grunde zu Arno Falks Verlobung!


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