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Es war einmal ein ganz schrecklich berühmter Dichter. Wenn er nicht schrieb, dann dachte er, und wenn er nicht dachte, dann schrieb er, und manchmal tat er auch beides zusammen.
Bloß wenn er zum Zahnarzt ging, um sich einen Zahn ausziehn oder einen plombieren zu lassen, bloß dann, wenn er auf dem Klappstuhle saß und den Mund weit aufsperrte, dachte er nicht. Das war seine einzige Erholung, und deshalb ging der berühmte Dichter auch so schrecklich gern zum Zahnarzt.
Der Dichter hatte in seinen Dichtsälen zwölf Fräulein sitzen, jede vor einer großen Schreibmaschine. Die klapperten den ganzen Tag zwölf Stunden lang, bis abends acht Uhr, dann kamen zwölf andere Fräulein, die klapperten die Nacht durch. Und der Dichter saß immer mitten in dem Geklapper an seinem Schreibtisch und dichtete den zwölf Fräulein zwölf Geschichten. Er selbst aber schrieb die dreizehnte.
Einen ganz gewöhnlichen Dichter hätten die zwölf klugen Jungfrauen mit ihrem Geklapper natürlich furchtbar nervös gemacht; ihn aber machten sie gar nicht nervös, denn er war früher Leutnant gewesen, wie heute alle berühmten Dichter. Artillerieleutnant war er gewesen und hatte sogar im Manöver gedichtet, während die Geschütze von zehn Batterien um ihn herumknallten. So außerordentlich tüchtig war er.
Aber der Dichter war nicht nur berühmt und tüchtig und fleißig, er war auch ganz besonders ehrgeizig. Er wollte, daß von keinem andern Dichter so viel gedruckt würde, wie von ihm, und daß kein anderer so viel gelesen würde. Darum eben arbeitete er Tag und Nacht, und darum hatte er die zweimal zwölf Fräulein, die immerfort um ihn herumklapperten.
Eine war da, die fünfundzwanzigste, die nahm die Post in Empfang und schnitt aus den Zeitungen all das heraus, was darin stand aus der Feder des berühmten Dichters. Das klebte sie alles in große Albums, auf denen sein Name prangte in Goldbuchstaben – ohne Bindestrich. Achtundvierzig Tagesblätter erschienen allein in der Hauptstadt, außerdem noch über hundert Zeitschriften, und in allen stand immer eine Geschichte von dem berühmten Dichter – nun könnt ihr euch denken, wie viel das Fräulein da kleben mußte! Aber sie war ganz zufrieden damit.
»Kleben ist besser als klappern,« dachte sie, »und bei dem berühmten Dichter bin ich doch!«
Einmal fiel dem Berühmten etwas ein. Wohl einundzwanzigmal war er in den letzten Jahren beim Zahnarzt gewesen und hatte halbe Stunden, ja, ganze Stunden lang nur den Mund aufgesperrt und gar nichts, aber auch rein gar nichts gedacht. Wie viele schöne Geschichten aus Slowakien, Slawonien, Slowenien hätte er in der Zeit doch dichten können! Er hätte sich ohrfeigen mögen, so wütend war er über seinen Unfleiß.
Er überlegte, wozu er in Zukunft diese Zeit im Klappstuhle verwenden könne. Hin und her überlegte er, minutenlang – und das war eine sehr, sehr lange Zeit für den berühmten Zeitistgelddichter.
Einmal dachte er, daß er die Zeit benutzen könnte, um Deutsch zu lernen. Aber dann verwarf er den Gedanken wieder: einmal hätte er dazu viel mehr Zeit nötig gehabt, zweitens hätte er es doch nicht gelernt, und drittens war's ja auch gar nicht nötig zum Dichten.
Endlich rief er: »Joi! Werd ich auf Klappstuhl wackliges großen Ideen denken, zu propagieren Popularität von Seiner Gnaden, dem berrümten Dichter!«
»Schluß Privatdischkursch!« murmelte er und kommandierte dann den zwölf Klapperfräulein die Titel von zwölf Geschichten, so wie sie in Pußta-Zdenci beim Zwetschkenschnaps der Herr Oberleutnant dem Herrn Kadett erzählt.
»Küß die Hand, Fräulein Frieda,« rief er der Dame zu, die ihm zunächst saß, »ich bitt schön: ohne Bindestrich! Ganz ohne irgendeinen Bindestrich meinen Namen!«
* * *
»Ich würde Ihnen raten, sich diesmal chloroformieren zu lassen,« sagte der Zahnarzt.
»Aber keine Idee!« sagte der berühmte Dichter.
»Die Wurzel liegt quer über dem vorderen Zahn,« fuhr der Zahnarzt fort, »wir werden ihn abheben müssen. Lokal-Anästhesie wird nicht viel helfen, der ganze Kiefer ist in Mitleidenschaft gezogen.«
»Serr gut!« antwortete der Patient ruhig. »Wie lange wird es dauern?«
Der Zahnarzt zuckte die Achseln.
»Offen gestanden – ich bin froh, wenn ich in zwei Stunden fertig bin,« sagte er.
»Ausgezeich–net,« rief der Dichter, »ganz aus– gezeich–net! Kerem!«
»Nehmen Sie sich also zusammen, die Sache wird sehr schmerzhaft werden!« meinte der Dentist.
»Pah! Hat nichts auf sich!« lachte der k. u. k. Oberleutnant a. D. »Werd ich schon Guttes denken für mich.« Er lehnte sich in dem Klappstuhl zurück und riß den Mund weit auf. »So, Herr Doktor, belieben sich anzufangen!«
Der amerikanische Zahnarzt, der ganz gewiß ein direkter Nachkomme des Thomas von Torquemada oder wenigstens des Peter Arbuez d'Espila war, ließ alle seine Künste spielen, die ihn und seinesgleichen bei ihren Mitmenschen so außerordentlich beliebt machen. Ich bin überzeugt, seine spanischen Vorfahren hätten ihn beneidet, wenn sie seine entzückenden Instrumente gesehn hätten. Er war ganz begeistert über seinen mutigen Patienten und machte eine Reihe bewährter Handgriffe, die zwar sonst keinen Zweck weiter hatten, aber doch wenigstens tüchtig weh taten.
Doch das rührte den berühmten Dichter gar nicht. Er lag mit sehr zufriedenem Gesicht in seinem Klappstuhl, sperrte den Mund auf, hielt die Augen geschlossen und tat, als ob ihn das alles gar nichts angehe. Der Zahnarzt war außer sich; er beschloß, ehe er den Zahn herausriß, erst noch den Nerv zu töten, so zur Vorbereitung. Er wühlte mit dem spitzen Haken im Zahnfleisch herum.
»Joi! Joi! Serr gut!« prustete der Dichter.
Der Doktor zog seine Hand weg.
»Wie meinen Sie? Sehr gut?« fragte er entrüstet.
»Ach bitte, mein wertes Freund,« antwortete der Patient, »hab ich nur ein Gedanken gehabt. Ein serr guttes Gedanken, Verehrtester! Belieben sich fortzufahren.«
Und er riß wieder seinen Mund auf.
Der Zahnarzt arbeitete, daß ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Aber der berühmte Dichter lächelte so selig, als ob ihm die Allergnädigste mit ihren goldigen Fingerln am Kopferl krabble.
»Verehrtester Herr Doktor!« sagte er, als endlich die Operation zu Ende war. »Belieben sich zu glauben, daß ich ein serr glücklicher Mensch bin! Belieben sich anzunehmen, mein wertes Freund, daß ich bei Ihnen ein serr guttes Idee gefunden habe! Seien Sie tausendmal bedankt!«
»Was für eine Idee denn?« fragte der unglückliche Zahnarzt.
»O, eine serr gutte!« lachte der Dichter. »Sie werden sehn, Sie werden sehn! Hören Sie nur: ich bin sich ein serr moderner Mensch.«
* * *
Eine Woche später erhielten der Zahnarzt und viele andere Leute in Berlin und auch alle achtundvierzig Tagesblätter und hundertundelf Wochenschriften eine sehr hübsche kleine Karte. Sie erfuhren daraus, daß der berühmte Dichter sich einer Frau Baronin »in freier Ehe« verbunden habe.
Das war doch etwas! Man vergaß die Cholera, man vergaß die Erdbeben, man vergaß die schönsten Gemetzel im Kaukasus. Man setzte sich hin und schrieb Artikel über die freie Ehe und über den berühmten Dichter. Die Sensationsblätter sagten, daß es eine moralische Tat sei, und sprachen von Geistesgröße und wahrem Künstlertum und erhabenem Beispiel. Auch Goethe –
Die Witzblätter sagten, der berühmte Dichter sei nur einer zwingenden Notwendigkeit seiner inneren Natur gefolgt. Er habe nun einmal nie den – Bindestrich leiden mögen.
Aber die konservativen Blätter sagten: Pfui! Es sei ein Skandal! Noch dazu ein k. u. k. Oberleutnant a. D.! Das untergrabe das soziale Leben! Und die Religion! Und den Staat! Und der berühmte Dichter sei gar kein berühmter Dichter, wenn er sowas mache! Er sei ein Ausländer! Und ein lästiger dazu! Man solle ihn ausweisen! Nach Slawonien oder Slowenien oder Slowakien, oder woher er gekommen sei! Da möge er so frei sich verehelichen, wie er wolle, da unten! Pfui!
So sagten die konservativen Blätter, die auf dem Alexanderplatz immer mit großem Respekt gelesen werden. Daher kam es denn, daß es nach wenigen Tagen an dem Hause schellte, in dem der berühmte Dichter wohnte. Es war ein Kriminalkommissar in Zivil, der sehr anständig aussah und gelbe Handschuhe und einen Zylinder trug.
»Was verschafft mir die Ehre?« fragte der Dichter, als der Herr eintrat. »Belieben sich Platz zu nehmen! Tessek!«
Der Herr Kommissar nahm Platz und war außerordentlich liebenswürdig. Er stellte sich vor und sagte etwas von peinlichem Auftrage.
»Aber ich bitt schön, lassen Sie hören!« lachte der Dichter. »Ich bin ganz Ihr ergebenster Diener!«
Da setzte ihm der Kommissar auseinander, daß ihm das Polizeipräsidium anheimstelle, sich binnen acht Tagen regelrecht standesamtlich zu verheiraten; im anderen Fall würde er ausgewiesen werden.
»Bassama, verehrtester Freund, hab ich mir ja gleich gedacht, daß Sie sich herkommen würden!« rief der berühmte Dichter vergnügt. »Aber sehn Sie, mein lieber Herr, ich denke, ich werde nicht heiraten, und Sie werden doch nicht mich ausweisen!«
Er griff in die Brusttasche, nahm aus der Brieftasche ein Aktenstück und überreichte es mit höflicher Verbeugung dem Beamten.
»Lesen Sie, Verehrtester!« fuhr er fort. »Ich bin nämlich schon seit neun Jahren mit meiner Frau Gemahlin, der gnädigsten Frau Baronin, ganz und gar richtig verheiratet und ein serr glücklicher, unmittelbar ehelicher Vater von drei gesunden Mäderln und fünf noch viel gesunderen Buben! Kerem, ich bitt schön!«
Der Beamte erhob sich.
»Bin ich nämlich durchaus ein moderner Mensch!« rief ihm der berühmte Dichter nach. »'Schamster Diener, Herr Polizeiangestellter, Nazdar, Servus, Servus! Beehren Sie mich doch recht baldigst wieder!«