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Dies ist keine sodomitische Geschichte. Es ist eine ganz einfache, wahre Geschichte und alles, was dabei wüst ist, ist von oben bis unten von mir dazu gelogen worden. Das wird man gleich sehn – aber nur dadurch wurde eigentlich eine Geschichte daraus.
So war es: Vor Jahren, als ich noch jung, schön, reich und knusprig war, hatte ich einen Freund, der war Schauspieler am Hebbeltheater. Kurt Eckener hieß er, war jugendlicher Liebhaber und ein blonder, stattlicher Bursch – doch hatte er immer Pech mit seinen Wohnungen. Bald wohnte eine Klavierlehrerin neben ihm, bald wurde er hinausgeworfen, weil er nächtlicherweile ein Fräulein mit nachhause nahm. Bald bekam seine Hauswirtin ein Baby, das ein ganz besonders trefflicher Schreier war, bald –
Kurz, mein Freund Kurt mußte immer umziehn.
Nun war da ein Mäzen, Herr Franz Lehmann, Möbelstoffabrikant. Der hatte ein mächtig großes Haus in der Berliner Straße und wohnte ganz allein darin – solche Dinge gab's noch in jener schönen Zeit. Herr Lehmann also bot dem Schauspieler an, er solle doch bei ihm wohnen – na, und der war's gewiß zufrieden.
Also Kurt zog zu Lehmann und ließ sich's wohl sein. Und da er glaubte, daß er sich doch erkenntlich zeigen müsse für die gastliche Aufnahme, so machte er sich nützlich um die Tiere im Hause. Nicht um die prächtigen Hunde; die verstanden es allein, sich durchzusetzen. Aber Herr Lehmann hatte zwei Söhne, die nun irgendwo studierten; als sie noch Schulbuben waren, hatten sie sich große Terrarien angelegt. Diese waren noch da und alle Tiere noch drin: Schlangen, Frösche, Blindschleichen, Eidechsen, Schildkröten. Gewiß wurden sie gefüttert von der Dienerschaft, aber es war doch keine liebevolle Pflege. Da also sprang Kurt ein. Er liebte Tiere nicht weniger als die Lehmannbuben; so brachte er manche freie Stunde mit den Terrarien zu. Er reinigte sie, bepflanzte sie frisch, kurz, er schuf aus alten Dreckställen wieder reptilienwürdige Behausungen.
Nun war da eine uralte, mächtig große Schildkröte, die schon Herr Lehmann selber als Knabe gehabt hatte. Olly hieß sie. Die hatte sich mit der Zeit so über und über vollgedreckt, daß man kaum mehr ihre Panzerplatten erkennen konnte. Kurt dachte, daß sie ein Bad dringend nötig habe und beschloß, sie zu reinigen. Also nahm er sie, setzte sie in die Badewanne und drehte die Hähne auf; mischte das Wasser hübsch lauwarm, so wie alte Schildkröten es gern haben.
Da lärmte das Telephon. Kurt lief hin – er wurde vom Theater zu einer dringenden Probe gerufen. Er vergaß die Olly; nahm Hut und Mantel und eilte fort. Erst nach Mitternacht kam er zurück; erst dann fiel sie ihm wieder ein.
Aber da war das Unglück längst geschehn: die arme, alte Landschildkröte war elend versoffen.
Das war nun dem Herrn Lehmann völlig gleichgiltig. Aber meinem Freunde Kurt gar nicht; der war untröstlich, wurde fast menschenscheu und ging eine Woche lang kaum aus dem Hause. Schließlich rief mich Herr Lehmann auf, ich solle mich doch mal nach dem Jungen umsehn; das Getue sei doch zu dumm um so eine alte, blöde Schildkröte.
Ich suchte ihn also auf; überredete ihn, nachts zum Kaffeehaus zu kommen. Er versprach's auch; das sah er ja wohl ein, daß man nicht ewig um das Geschöpf trauern könne.
Also ich saß da, nach dem Theater, und wartete auf ihn; immer voller wurde unser Tisch. Ein paar Maler und Dichter, drei Schauspielerinnen und eine kleine Tänzerin. Nur der Kurt erschien nicht – grade nach dem aber fragte das hübsche Tanzmädchen.
Und nun kommt das, was an dieser Geschichte wüst erlogen ist. Nämlich: ich log. Wie und warum, das weiß ich nicht. Ich fing so an und war auf einmal mitten drin.
»Ich weiß gar nicht,« sagte ich sehr ernst, »ob wir den Kurt Eckener überhaupt an unserm Tische noch dulden können. Ich bin gewiß kein übersittenstrenger Mensch – aber schließlich muß man doch irgendwo haltmachen. Was der Kerl aber angestellt hat, überbietet alles, was je des entartetsten Menschen perverser Geschmack sich ausdenken konnte! Ihr kennt doch die Olly, die ehrliche, alte Schildkröte des Herrn Lehmann? Nun Kinder – es ist besser, daß ich euch reinen Wein einschenke, als die Sache zu vertuschen. Das arme Tier ist gar nicht ertrunken, wie der Lehmann in seiner Gutmütigkeit erzählt, es ist vielmehr der brutalen, eklen Gier dieses Lüstlings Kurt zum Opfer gefallen! Der Kerl hat sie vergewaltigt – eine Schildkröte! Pfui über ihn! Lehmann weiß natürlich ganz genau Bescheid. Er hat die Kröte selbst im Garten bestatten lassen, aber ihren mächtigen Panzer hat er reinigen und glatt putzen lassen. Dann ließ er mit goldenen Buchstaben drauf malen:
Dies ist
die unsterbliche Hülle
Ollys,
die
durch vierzig Jahre
des Hauses Lehmann treue Freundin war.
Lustgemordet
wurde sie
am 14. II. 1913
durch
Kurt Eckener,
I. Jugendlichen Liebhaber
am
Hebbeltheater
zu
Berlin
R. I. P.
Das steht auf der armen Olly Panzerschale! Ihr könnt euch alle selbst davon überzeugen: geht nur zu Herrn Lehmann in die Berliner Straße – über seinem Bett hängt sie!«
Da sprang, am Nebentische, ein sehr dicker Herr auf. Höchst aufgeregt war er, warf seinen Stuhl um und keuchte heran, trat dicht zu mir hin, atemschnappend. Sein Atem beschlug seinen Zwicker, der an einer langen, schwarzen Schnur hing; er nahm ihn ab, putzte ihn, setzte ihn wieder auf die Nase.
»Herr!« fuhr er mich an, »Herr – entschuldigen Sie, aber ich kann nicht anders! Herr – sagen Sie mir: ist das wahr?«
»Natürlich ist das wahr!« rief ich entrüstet. »Glauben Sie etwa, daß ich lüge? Überzeugen Sie sich doch – gehn Sie doch selbst zu Herrn Franz Lehmann in die Berliner Straße!«
»Ich danke Ihnen!« japste der dicke Herr. Er schlug die Hacken zusammen, verbeugte sich; ging zum Ständer, nahm Mantel und Hut. Dann warf er Geld für sein Bier auf seinen Tisch, nahm wieder den frisch beschlagenen Kneifer ab, putzte wütend an ihm herum, während er hinauseilte.
»Wir werden ja sehn,« rief er, »werden ja sehn! Da hört doch rein alles auf!«
Und das alles platzte so plötzlich hinein, daß die Leutchen an unserm Tisch über meine blöde Geschichte noch nicht einmal ordentlich gelacht hatten.
* * *
Vier Tage darauf kam mein Freund Kurt zu mir – kreidebleich war er und sehr bös. Eine nette Suppe habe ich ihm eingebrockt. Das könne ihm seine Stellung am Theater kosten und erst recht seine Epauletten als k. u. k. Leutnant der Reserve! Und ich müsse sofort zur Polizei und versuchen, es wieder in Ordnung zu bringen.
»Was ist denn los, Mensch?« rief ich.
Na, der dicke Herr vom Nebentisch hatte eben Anzeige erstattet. Und er, Kurt Eckener, war vor die Polizei geladen worden, um sich zu verantworten wegen – Lustmordes an der Schildkröte Olly.
Ich beruhigte ihn, so gut es gehn wollte. Er solle nur die Polizei anrufen und mich laden lassen. Ich würde gern hingehn und sagen, daß ich alles erlogen habe.
Richtig, schon am nächsten Tage bekam ich eine Vorladung.
Ich hatte vor, ganz ehrlich meine Gemeinheit einzugestehn. Zu sagen, daß es ein blöder Witz und ein haarsträubender Unsinn sei. Aber wie ich dem komischen Polizeihauptmann gegenübersaß, der mit seinen runden Glotzaugen mich anstarrte, als ob ich zum mindesten an diesem Lustmorde mitbeteiligt sei, da ging es nicht, ging mit dem besten Willen nicht.
Ich mußte wieder lügen, noch viel dicker und wüster als zuvor – und diesmal wurden alle meine Lügen zu Protokoll genommen. Ich gestand stotternd, daß ich einem geheimen Klub angehöre, ich und Kurt Eckener auch. Einem Klub gleichgesinnter, degenerierter Seelen, die sich zur Aufgabe gestellt hätten, das Unmöglichste der Welt zu lieben und das Geliebte dann der Gier zum Opfer zu bringen und lustzumorden. Meist seien es Tiere, auch Greise, Kinder, Säuglinge – aber zuweilen noch viel unausdenkbarere Dinge –
»Was lieben Sie denn?« fuhr mich der Gewaltige an.
»Ich? – Ich?« stammelte ich, nach einer Antwort suchend. »Erlassen Sie mir das, Herr Hauptmann.«
Aber er schrie mich an: »Entweder Sie gestehn oder ich lasse Sie auf der Stelle verhaften.«
Meine linke Hand spielte in der Westentasche – eine Freimarke kam mir zwischen die Finger. Ich zog sie heraus, legte sie auf den Tisch.
»Da, Herr Hauptmann!« stotterte ich. »Das liebe ich. Das ist meine Maitresse!«
Er starrte mich ratlos an. »Was?« sagte er. »Machen Sie mir keine dummen Faxen vor!«
»Es ist wahr,« begann ich demütig, nahm mein Taschentuch und führte es an die Augen. »So unglaublich es klingt, es ist wirklich wahr: ich liebe eine grüne, ungebrauchte Fünfpfennigsbriefmarke. O, Herr Hauptmann, Sie begreifen ja nicht, wie tief, wie symbolisch, wie unendlich künstlerisch diese Liebe ist! Diese Marke ist weiblich – sie trägt das Bild der brustbepanzerten Germania. Was ist die Germania? Meine Mutter ist sie, Ihre Mutter: aller Deutschen Mutter! Stellen Sie sich vor, Hauptmann: die eigene Mutter sinnlich und brünstiglich zu lieben! Und sie eines Tages in rasender Lust hinzumorden – zu zerreißen, zu verbrennen, auf irgendeine grauenvolle Weise zu vernichten. Können Sie die Qualen solcher Wonne ermessen? Stellen Sie sich vor –«
Der Polizeihauptmann unterbrach mich. »Ich habe mir hier garnichts vorzustellen. Das ist die Sache des Gerichts. Die Marke nehmen wir als ›Corpus Delictum‹ zu den Akten.«
Aber schon hatte ich sie ergriffen und wieder in die Tasche geschoben. »Das werden Sie nicht tun,« jammerte ich, »meine Geliebte lasse ich mir nicht rauben! Ich will Ihnen gerne hundert andere Marken kaufen, aber lassen Sie mir diese eine! So grausam können Sie nicht sein, Herr Hauptmann!«
Die Tür öffnete sich, ein Schutzmann riß die Hand an die Mütze. Meldete, daß der langgesuchte Einbrecher Haase endlich gefaßt und eben eingeliefert worden sei. Der Polizeihauptmann vergaß meine Briefmarke, ging hinaus; inzwischen machte der Schreiber in aller Ruhe, butterbrotessend, sein Protokoll fertig. Nach einer halben Stunde kam der Hauptmann zurück. Das Protokoll wurde mir vorgelesen; ich mußte es unterschreiben.
»Stimmt alles genau?« fauchte der Hauptmann.
»Alles!« bestätigte ich.
»Ich mache Sie darauf aufmerksam,« rief er, »daß Sie vor Gericht es beschwören müssen! Können Sie das mit gutem Gewissen?«
»Mit dem größten Vergnügen!« antwortete ich. Dann war ich entlassen.
* * *
Der Kurt Eckener wurde noch dreimal verhört; er leugnete drauflos. Der Herr Lehmann wurde vorgeladen, aber er war verreist. Ich wurde noch einmal vorgeladen, auch zwei der Leute, die damals im Kaffeehause mit mir am Tische saßen – aber wir drückten uns.
Und dann hörten wir nichts mehr. Die Sache kam nicht vor Gericht, leider, leider. Irgendein gescheiter Staatsanwalt muß die Polizeiakten gegen Eckener und Genossen in den Papierkorb geworfen haben.
Schade drum, es wäre so ein netter Prozeß geworden!