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Als ich zwanzig Jahre alt war, wußte ich bestimmt: mir kann keine Frau etwas vormachen.
Als ich dreißig alt war, war ich dessen nicht mehr ganz so sicher.
Heute weiß ich: man lernt nie aus bei den Frauen. Immer neue Kunststücke hecken sie aus, um die männliche Tugend zu Fall zu bringen.
* * *
Neulich war ich zum Abendessen bei Filmmagnatens. (Bitte sehr, das schöne Wort ist nicht von mir; so nennt, jeden Tag, die Berliner Presse den großen Mann. Man schlage nur den Sportteil auf, da steht es: »Sommerflor, mit Rittmeister von Zobeltitz im Sattel, pflückte neue Lorberen für den Stall des Filmmagnaten –«.)
Man ißt sehr gut beim Herrn Filmmagnaten, und man trinkt noch besser. Ich muß ferner zu seiner Ehre gestehn, daß er sich nicht nur für seine Filme und seinen Rennstall interessiert. In seinen Boxen stehn siebenundzwanzig Gäule, aber für jeden hat er hundert goldrückige Bände in seiner Bücherei. Er weiß sogar Bescheid darin.
Nach dem Essen stand ich im Bibliotheksaal, streichelte einen schönen Pergamentband. Ich nahm das Buch heraus, schlug es auf. Leonard Euler: Briefe an eine Deutsche Prinzessin.
Das weiß ich längst: nichts ist unmöglich auf dieser Welt. Wenn der größte Mathematiker aller Zeiten (dessen Hauptwerk auch heute, nach anderthalb Jahrhunderten – der Kosten wegen! – noch nicht veröffentlicht ist) damals schon solch ein Buch schreiben konnte – warum sollte ein rennstallbesitzender Filmmagnat es nicht haben und lieben? Möglich, möglich ist alles. Möglich wär's auch, daß mal die Deutschen aufhören, sich selbst zu beschimpfen. Möglich wär's, daß selbst eine Berliner demokratische Regierung einmal wirklich bei ihrem »Nein« bliebe und nicht immer erst »Nein« sagte – und dann »Jein« – und dann »Ja«! Möglich wär's auch.
Da aber sagte, hinter mir, eine weiche Stimme: »Nehmen Sie? Bitte sehr!« Ich wandte mich um.
Die schöne, schlanke Frau, die vor mir stand, hielt einen Silberteller in den Händen, mit Mokkaschalen und Schnapsbechern besetzt. Ich war ihr vor dem Nachtmahl vorgestellt worden, hatte aber nicht mit ihr gesprochen. Doch hatte ich den Herrn Filmmagnaten nach ihr gefragt; der hatte mir von ihr erzählt, was er wußte.
Ich nahm einen Mokka und einen Schnaps und trank beides. Die schlanke Frau stellte ihr Silberbrett auf den Tisch und setzte sich neben mich. Sie fuhr leicht mit der schmalen Hand durch das blau-schwarze Haar und klappte langsam die tiefschattenden Lider auf und nieder.
Sie schwieg und ich sagte auch nichts.
Sie hatte sich unlängst von ihrem dritten Manne scheiden lassen, die schöne Frau. Sie stand im Begriff, die vierte Frau des unwiderstehlichsten aller Bühnenkünstler zu werden, von dessen »Cesare Borgia« und »Maharadja« alle jungen Mädchen in fünf Erdteilen träumen. Und die Herrchen erst recht! Der half dem Filmmagnaten seinen Rennstall, seine Autos und seine Bücher verdienen – selber hatte er natürlich weder Wagen noch Buch noch Gaul. Freilich der Filmmagnat hat nur eine einzige Frau und sein Starspieler –
Es läppert sich halt so zusammen bei den Künstlern, man weiß garnicht wie!
Die schöne Frau schlug die großen Augen weit auf und sagte:
»Sie haben meine Mutter gekannt –«
»Was?« japste ich.
Sehr ernst und langsam, jede Silbe betonend, wiederholte sie: »Sie haben – meine Mutter gekannt –«
Ich fragte: Wie? und wann? und wo? Aber die schöne Frau sagte kein Wort mehr. Sie seufzte ganz leicht und sah mich an mit den großen Mandelaugen, so – so – fast – töchterlich!
Ich muß gestehn, es wurde mir ganz komisch zumute – und garnicht behaglich. Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig mochte sie alt sein – wo war ich denn nur vor vierundzwanzig Jahren? Und wen – wen kannte ich damals? Irgendwo war ich zu jener Zeit, das war gewiß. Und, wo immer ich war, gekannt habe ich damals auch die eine oder andere – das war sehr wahrscheinlich.
Dann aber stand ich zu der süßen Frau, die so weich neben mir seufzte, in dem Verhältnis eines –?
Wie aber benimmt man sich in solchem Falle? Ich habe so gar keine Erfahrung darin.
Ich trank noch einen Mokka und noch einen Schnaps. Ich bot der bleichen Frau auch an; aber sie dankte. Ich gab ihr den Pergamentband in die Hand; sagte ihr, den möchte sie lesen. Sehr viel mehr wisse man heute auch noch nicht, als der alte Euler der deutschen Prinzessin da erzählt habe.
Aber das war ihr völlig gleichgiltig. Sie seufzte nur und ihre schwarzen Augen sangen: »Sie haben – meine Mutter – gekannt –«
Es war wirklich unheimlich. Sehr verwirrend und aufreizend. Dabei – ich weiß nicht wie – irgendwie beleidigend.
»Verzeihn Sie« – stotterte ich. Verbeugte mich, ging hinaus aus der Bücherei. Dann aus der Villa.
Ich schlich mich weg wie ein Schulbub, der was auf dem Kerbholz hat – und keine Ahnung dabei, was eigentlich.
* * *
Ein paar Tage war's sehr ungemütlich. Ich dachte immer nach – es fiel mir garnichts ein, garnichts. Wie die Mutter nur aussehen mochte, die ich einmal gekannt hatte –? Jetzt – und – damals? Diese Mutter beschäftigte mich gewiß heute viel mehr, als sie es damals getan. Dennoch – meine Gedanken kamen immer wieder auf die Tochter zurück. Von der Mutter konnte ich mir gar kein Bild machen – aber diese süße, schlanke Frau –
Ich muß es gestehn: meine Tugend begann zu wanken.
Da fuhr ich eines Abends oben auf dem Autobus. An der Potsdamer Brücke lachte es vor mir; ein junges blondes Mädel kletterte herauf und rief mich schon von der Treppe an. Setzte sich neben mich, plauderte drauflos.
Ich kannte sie sicher – wußte doch nicht recht, wo ich sie hintun sollte. Die Kleine merkte es sofort, lachte, ließ mich zappeln. Aber ich hatte es bald heraus – sie war Tippmädel bei meinem Anwalt; da hatte ich sie vor ein paar Wochen gesehn. Mir fiel ein, daß ich den beglückwünscht hatte, solch lustigen Lockenkopf mit blanken Blauaugen in seiner Kanzlei zu haben – so kam ein wenig Sonnenschein auf den Aktenstaub. Und der Justizrat hatte genickt: »Auch ein Zeichen unsrer Zeit – eines der ganz wenigen erfreulichen! Gräfin ist die Kleine – Vater ist General. Fünf Kinder: die Jungen studieren auf eigene Faust – die drei Mädel tippen!«
»Wie geht's, Komteß?« fragte ich.
»Nix Komteß!« lachte sie. »Für alles, was mich vom Büro kennt, bin ich Fräulein Rosemarie!«
Bis zum Lützowplatz fuhr sie mit, plaudernd und lachend – zwei Freikarten für die Oper und zwei fürs Kino hatte sie mir bis dahin abgeluxt. Ich winkte ihr nach, als sie unten stand – da wandte sie plötzlich, lief dem Autobus nach, sprang wieder auf und kletterte zurück zu mir.
»Ich hab was vergessen!« rief sie. »Ich wollte Ihnen noch was sagen!«
»Was denn?« fragte ich.
»Raten Sie!« lachte sie. Natürlich konnte ich nicht raten; sie ließ mich zappeln die Schillstraße lang.
Dann, dicht vor dem Wittenbergplatz, rief sie plötzlich: »Wie dumm Sie sind! Schaun Sie mich doch an! Sie haben meine Mutter gekannt!«
»Was? Was?« stöhnte ich, »ich habe Ihre Frau Mutter –?« Aber sie war schon wieder auf der Treppe. Rief noch einmal lachend, als ob das der beste Witz der Welt sei: »Sie haben – meine Mutter gekannt!«
* * *
Als ich mich rasierte am anderen Morgen, ging's nicht so schnell wie gewöhnlich. Kein Schneiden und Kratzen wie sonst – sehr sorgfältig alles und ordentlich. Ich schmunzelte ein paarmal dem Kerl zu, der mich aus dem Spiegel ansah – hatte allerhand Achtung vor ihm. Man darf mir's nicht übel nehmen – es verwirrt einen, wenn man plötzlich entdeckt, welch ein Don Juan man einmal war!
Gestehn muß ich: die beiden Mütter interessierten mich herzlich wenig. Einmal: ich hatte ja meine Pflicht ihnen gegenüber erfüllt – vor manchen Jahren schon. Dann auch: sie waren brave, gesetzte Damen nun und hoffentlich sehr glücklich verheiratet. Es deuchte mich geschmacklos und dabei unmanierlich, auch nur den Versuch zu machen, mich ihnen zu nähern.
Aber die Töchter! Die Blauschwarze mit den Mandelaugen und ihren weichen Seufzern, die wie Katzenschnurren girrten – und die Blonde mit dem Maiglöckchenlachen.
Sie riefen mich alle beide auf an dem Tage: ich möge ihnen doch ein Buch schicken oder lieber gleich ein paar. Aber ich solle ihnen was reinschreiben, das sei die Hauptsache.
Ich schickte ihnen Blumen und Süßigkeiten. Bücher natürlich auch mit ganz schönen Widmungen.
Etwas entspann sich, etwas entwickelte sich. Hier oder da! Hier und da, dachte ich. Ich glaube so fest an die Duplizität der Ereignisse.
* * *
Mein Freund aus Rotterdam kam nach Berlin, der alte Lebemensch. Wenn der da ist, lerne ich Berlin kennen. Mynheer kennt sich aus. Dann komme ich in Dielen, wo Weiblein verzückt einander anschaun und sich »Vati« und »Muttchen« nennen, und in andere, wo Männlein ebenso zärtlich verliebt in einander sind. In gemischte Keller, wo Dienstmädchen verkehren, die früher Matrosen waren, und stramme Jungen, die tagsüber Ladenmädel sind. In alle möglichen Bumslokale, wo gespielt und gekoxt und genackttanzt wird. Das alles findet man äußerst belehrend, wenn man einmal im Jahre von Rotterdam herkommt. Diesmal aber hatte ich auch etwas besonderes. »Ich habe eine Überraschung für Sie,« versprach ich ihm, »etwas ganz eigenartiges!«
Ich nahm ihn mit ins Alte Ballhaus. »Sehen Sie sich genau um, Mynheer,« sagte ich ihm, »hier können Sie Studien machen. Die Damen hier sind nach Männern aus und die Jünglinge ihrerseits suchen nur weibliche Wesen!«
»Nicht möglich!« entrüstete sich mein Freund.
»Und doch ist es so,« docierte ich. »So unglaublich es Ihnen auch scheinen mag! Ein Zeichen der Zeit: die mannweibliche Liebe scheint wieder modern zu werden.«
Wir setzten uns zu ein paar Frauen an den Tisch. Mynheer verstand es in dieser höchsten Blütezeit der Inflation, sich im Augenblick beliebt zu machen: er fragte den Kellner stets, ob er einen Gulden wechseln könne? Ein Schimmer von diesem Glanze fiel dann auch auf mich – wenigstens im Anfang, bis die Leute herausbekamen, daß ich nur eine armselige Begleiterscheinung des Mannes mit dem Gulden war.
So war es auch jetzt. Die eine der Damen widmete sich ganz meinem Freunde, aber die andere verwandte all ihre Künste auf mich. Brandrotes Haar hatte sie und einen prachtvollen Nacken, graue, schlaue, lauernde Augen, die manche Jahre guter Männerkenntnis verrieten. Sie studierte mich: wieviel bin ich wert?
Dann sagte sie: »Sie fielen mir gleich auf, als Sie reinkamen. Merkwürdig – diese Ähnlichkeit!«
»Mit wem denn?« fragte ich.
»Einem Bild,« sagte sie, »einer alten Fotografie. »Die stand stets am Bett meiner –«
In diesem Augenblick reichte mir der Kellner die Weinkarte. Ich nahm sie, blätterte – aber Mynheer überlegte nicht lange. Fragte die Damen, bestellte gleich den Sekt, den sie haben wollten.
Das entschied bei der Brandroten: der war der richtige von uns beiden und nicht ich. Sie ließ mich sofort fallen, kümmerte sich nur um ihn, zum äußersten Ärger ihrer Freundin.
Wir tranken – da sagte die Brandrote:
»Sie sind aus Holland, nicht wahr? Aus Amsterdam?«
»Nein, aus Rotterdam,« antwortete mein Freund.
»Aus Rot–ter–dam,« dehnte die Frau. »Aus Rotter–dam!«
»Warum denn?« fragte mein Freund. »Waren Sie einmal da?«
Die Brandrote sagte: »Nein! Aber meine Mutter war da, ein Jahr lang, kurz ehe ich geboren wurde.« Sie griff plötzlich seine Hand, rückte eng an ihn heran und sah ihn starr an. »Sie fielen mir gleich auf,« fuhr sie fort, »als Sie reinkamen. Merkwürdig – diese Ähnlichkeit!«
»Mit wem denn?« verlangte Mynheer.
»Mit einem Bild,« flüsterte sie, »mit einer alten Fotografie. Die stand stets an dem Bett meiner lieben, armen Mutter. Nun ist sie tot, noch im Sterben hat sie dies Bild geküßt!«
»Komisch,« versetzte mein Freund.
»Seltsam – seltsam!« sagte die Frau und preßte den Busen eng an seinen Arm. »Wie das Schicksal spielt!« Sie unterbrach sich, faßte mit beiden Händen seinen Kopf, starrte ihm glühend ins Gesicht. Dann rief sie: »Nein, nein, es kann kein Zweifel mehr sein. Diese Augen – die Lippen – die Nase! Und Ihr Alter – die Stadt – alles stimmt: Sie müssen es sein – Sie sind es!«
»Wer soll ich denn nur sein?« stotterte Mynheer.
»Wer?« flüsterte sie wieder. »Sagt Ihnen denn Ihr Gefühl – Ihr Blut gar nichts? Sehn Sie mich doch an!!«
Das tat mein Freund – aber es schien nicht viel zu helfen.
Die Brandrote stöhnte laut, dann begann sie: »O – wie soll ich es Ihnen nur sagen?« Sie beugte sich über seine Hand, drückte einen keuschen Kuß darauf. »Herr,« wisperte sie, »lieber Herr – Sie haben – meine Mutter – gekannt!«
* * *
Ich stand leise auf, drückte mich, ging in die Garderobe, Hut und Mantel zu holen. Geschieht dir schon recht, dachte ich, daß du auch mal reinfällst, alter Don Juan aus Rotterdam!
Da kam das andere Mädel mir nach.
»Wollen Sie schon gehn?« fragte sie. »Wollen Sie mir nicht Unterhaltungsgeld geben? Ihren Freund hat mir die Toni doch weggeschnappt!«
Ich gab ihr – da fragte sie, ob ich keinen Gulden habe?
»Leider nein!« antwortete ich. »Aber mein Freund hat die ganze Tasche voll!«
Sie seufzte: »Natürlich – die holt sich alle das rote Luder?«
»Die verdient es auch!« erklärte ich. »Jedenfalls hat sie einen neuen Trick!«
»Neu?« rief die Kleine entrüstet, »Uralt ist er! Nur hat sich die Toni besonders drauf eingeübt – zwanzigmal hab ich schon die Komödie miterlebt! Und allemal fällt das saublöde Mannsvolk drauf rein!«
* * *
Ich rasiere mich wieder ohne Spiegel. Es ist mir gleich, ob ich mich schneide und ob Stoppeln stehn bleiben. Ich verachte tief das weibliche Geschlecht. Nicht mal die eigene Mutter ist ihnen heilig.
Ich bin wieder ein moralischer Mensch.