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Die bewachsten Hosen oder »Schäflein, Schäflein kniee dich!«

In der Zeit, als es noch Fastnacht gab am Rhein, hielten wir Untersekundaner zu Düsseldorf es für unsere heiligste Pflicht, überall dabei zu sein. Mit dem Maskenball in der Tonhalle fing es an, Samstags abends – da trug man beim Festzuge als Page die Schleppe einer Königin und bekam von einem Herrn Ritter eine Maulschelle, bloß weil Pagentrikots ohne Taschen sind, man also kein Schnupftuch bei sich hatte und in der Not die Königinschleppe zum Naseputzen benutzen mußte. (Mit einer Ohrfeige fing er an und mit zweien hörte er auf, dieser Karneval – aber darum war er nicht weniger schön!) Um zwölf Uhr wurde man nachhause geschickt, aber man ging natürlich nicht nachhause, trieb sich in den Sälen rum, lief zum Schluß mit rüber zum Malkasten und kam endlich um – nein, noch später! – heim.

Dann am Sonntagmittag ging man zum Breidenbacher Hof: irgendein Mitschüler hatte einen Onkel von irgendwoher, der da einen Tisch belegt hatte. Den Nachmittag durch auf der Lindenallee – dann nachhaus und ins Kostüm geschlüpft: nachts im »Verein«, in der »Ludwigsburg«, im »Männergesangverein«. Zwischendurch in alle Kaffeehäuser. Die Karten hatten wir wochenlang vorher gesammelt; der hatte hier, der dorthin Beziehungen. Geld hatten wir nie – wer mit einem Taler den Karneval anfing, galt als Krösus bei uns. Und dann war er sicher in einer halben Stunde genau so groschenlos, wie die andern.

Der Rosenmontag begann schlimm genug: um sechs Uhr lag man im Bett und um acht mußte man im Gymnasium sein. Gottseidank gab's in der ersten Stunde Religion – der Herr Professor hatte ein sympathisches Verständnis: er ließ uns schlafen und schlief selber dabei. »Beschäftigt euch mit dem zweiten Briefe an die Korinther!« meinte er. »Ich werde in der nächsten Stunde prüfen, wie tief ihr in den Urtext eingedrungen seid!« Na, sehr viel schärfer faßten uns die andern Lehrer auch nicht an. Der Nachmittag sah uns beim Rosenmontagszuge, als Mitwirkende natürlich, und die Nacht im »Malkasten«.

Der Dienstagmorgen brachte einige schwere Minuten in der zweiten Stunde: der Mathematikprofessor und ich waren einer von des andern völliger Unfähigkeit und Blödheit aufs innigste überzeugt. Bloß: der Kerl durfte das laut in der Stunde sagen und ich nur hinterher und heimlich! Aber es ging vorüber – um halb zwei war ich schon wieder draußen; im Griechenkostüm, um den Festzug der Akademiker mitzumachen. Die machten in jenem Jahre den »Fall Trojas« und sie hatten zu dem Zweck ein zweistockhohes hölzernes Pferd gebaut, das durch die Straßen gezogen wurde. Mich und noch zwei andere Lausjungen steckte man ins Pferd hinein, das unter dem Schwanze ein rundes Loch hatte; daraus sollten wir Äpfel und Apfelsinen rauswerfen. Wir warfen auch – aber nicht sehr lange! Ich bin seither auf manchen Biestern geritten, auf Kamelen und Dromedaren und Eseln und Maultieren und Zebras – am übelsten ist mir auf dem Elefanten geworden, weil man da nie weiß, ob einem der Magen im Kopfe oder im großen Zeh steckt. Aber das war nichts gegen diesen Ritt im Bauch des hölzernen Pferdes in Düsseldorf: schon nach zehn Minuten waren wir elend seekrank. Wir brüllten und schrieen, man solle uns rauslassen; aber kein Mensch achtete darauf: drei Stunden lang rumpelten wir durch die Gassen in dem alten Pferdebauch!

Und doch – abends ging's wieder los, diesmal nicht im Kostüm, sondern im blauen Sonntagsanzug. Erlaubnis hatten wir natürlich an keinem Abend. Ich ging stets brav um neun Uhr zu Bett. Aber den Hausschlüssel hatte ich mir bereits sechs Wochen vorher besorgt – und im nächtlichen Treppenschleichen hatte ich längst eine erstaunliche Fertigkeit. Die Dienstagnacht galt der Altstadt; es war Ehrensache, jedem »Baas« in jeder Kneipe einen Besuch abzustatten. Mit dem Döres zog ich los, dessen Vater Baas in der Flingerstraße war – nur bei dem dürften wir uns nicht sehen lassen. Aber der Döres – ich machte ihm die deutschen Aufsätze und er mir dafür die Mathematikaufgaben – hatte diesmal die Tasche voll Geld; er hatte brav mitgeholfen in seines Vaters Kneipe und dafür ein paar Taler für die Sparbüchse erhalten. In der Ratingerstraße blieben wir länger – da kannte der Döres ein Lokal, das von seinem Vater das Bier bezog. Das Tanzen hatten wir frei – nur, wir konnten alle beide nicht tanzen.

Dann auf einmal tanzten wir doch. Ein Mädchen saß da an dem Tisch und der Döres und ich waren uns einig darüber, daß es etwas Leckereres nicht mehr gäbe auf dieser Welt. Um dieser Helena willen wären wir gerne noch mal drei Stunden im Holzpferdbauch gefahren! Wir kauften ihr Kuchen und Blumen, Kaffee und Bier, spielten die Kavaliere und kamen uns sehr großartig vor. Besonders aber zeichneten wir uns bei den Ringeltänzen aus.

»Schäflein, Schäflein kniee dich,
Hier zu meinen Füßen!
Wenn du es erlauben tust,
Dir einen Kuß zu geben!«

Und dann kniete man und dann bekam man einen Kuß von dem herrlichen Wesen (Söfchen hieß es) – bald der Döres und bald ich.

Ich weiß nicht, wie ich nachhause kam. Drei Stunden im Pferdebauch – und dann rum – rum – rumdrehen beim Schäfleinspiele: und dazu Bier und Schnäpse – und Söfchens Papa hatte uns noch ein paar Gläser süßer Sektbowle eingeflößt – kurz alles drehte sich in meinem Kopf. Der Döres brachte mich heim – als Baassohn konnte er schon mehr vertragen – er zog mich aus und brachte mich zu Bett. Ich schlief auch: zehn Minuten vielleicht. Dann läuteten die Glocken vom Franziskanerklösterchen: viertel nach sieben!

Raus und gewaschen und angezogen und Tee getrunken! Und zum Gymnasium – eine Minute vor acht war ich da. Der Döres saß schon vor mir auf der Bank.

Aschermittwochmorgen ist keine Wonne in einem rheinischen Gymnasium. So bis elf Uhr wußte ich nicht recht, ob ich eigentlich ein Männchen oder ein Weibchen sei, und wenn mich der Herr Ordinarius gefragt hätte, wo der Liebegott wohnt, hätte ich ihm vermutlich geantwortet: »Im Füxken!« oder auch: »In der Wichsdos!« Aber gottlob, niemand stellte die kleinste Frage an mich.

So gegen elf Uhr erwachten die Lebensgeister wieder und als um ein Uhr die Schule aus war, fühlte ich mich völlig frisch und gesund. Es ist erstaunlich, was man so leisten kann mit vierzehn Jahren!

Aber zuhause empfing mich höchst streng die Frau Mutter. »Wo warst du gestern Nacht?« fragte sie, »Lüge nicht!« Ich log natürlich doch. »Im Bett«, sagte ich, »wo denn sonst?«

Da legte sie mir meine blauen Sonntagshosen vor, deutete schweigend auf die Kniee, die wie frisch gewichste Stiefel glänzten und nach Wachs dufteten.

»Was ist das?« forschte sie.

Ich starrte auf die gewachsten und gewichsten Hosenkniee. »Ich weiß es wirklich nicht«, stotterte ich. »Keine Ahnung hab ich.«

Und diesmal log ich nicht einmal; ich konnte mir das Phänomen durchaus nicht erklären. Ich begriff nur, daß die Hosen hin waren.

Die Mutter klingelte. Die Köchin kam. Die hatte Augen so braun wie mein Pudel – und damit lachte sie. Das bedeutete nichts Gutes.

»Hermine«, sagte die Mutter, »wie kommt das Wachs in diese Hosen?«

Die Köchin, diese falsche Schlange, machte ein ganz scheinheiliges Gesicht »Der junge Herr hat wahrscheinlich »Schäflein, Schäflein kniee dich!« gespielt«, sagte sie und machte ihre Stimme so freundlich wie möglich. Diese Kanaille mit ihrem Aschekreuz auf der Stirn, die ganz sicher selber die ganze Nacht durch »Schäflein« gespielt hatte!

Päng! hatte ich rechts eine Maulschelle sitzen. Und päng, noch eine links!

Ich habe nie wieder im Leben »Schäflein« gespielt. Aber meine Mutter soll sich nur nicht einbilden, daß ich mir etwa die erzieherischen Ohrfeigen zu Herzen genommen hätte oder gar in Zukunft meine Hosen hätte schonen wollen!

O nein! Nur – ich hatte leider nie wieder Gelegenheit dazu.

Wenn ich nur das Söfchen mal wieder getroffen hätte!


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