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Dies ist eine ganz verrückte Geschichte. Ich würde sie keinem Menschen glauben, wenn er sie mir erzählen würde. Dennoch hab ich sie selbst erlebt, vor manchen Jahren einmal, in Traben-Trarbach an der Mosel.
Auf einer Hochzeit in Saarbrücken hatte ich ein hübsches Fräulein kennen gelernt – eine Freundin der Braut aus Wiesbaden; die war Brautjungfer. Das ist eine böse Zwitterstellung, die keinem echten Fräulein recht gefällt und meinem schon gar nicht: Braut wollte sie so bald als möglich werden und Jungfer die längste Zeit gewesen sein. Ich stellte ihr vor, daß man nicht alles gleich auf einmal haben könne; man solle zufrieden sein, wenn man den einen Wunsch erfüllt bekäme – der andere würde dann mit der Zeit ja wohl auch noch in Erfüllung gehen. Was mich beträfe, so käme ich zwar als völlig hoffnungsloser Referendar beim Landgericht für den ersten Wunsch, sie zur Braut zu machen, leider gar nicht in Frage; dagegen mache ich mich anheischig, ihr den zweiten Wunsch in für beide Teile äußerst zufriedenstellender Weise zu erfüllen. Sie fand meine Vorschläge, wie es sich für die Tochter einer ersten Familie schickt, im höchsten Grade unpassend, geradezu kränkend, gemein und niederträchtig. Sie begriff gar nicht, wie ich es wagen könne, ihr so etwas anzubieten, besonders da ich sie erst seit zwei Stunden kenne. Der schlechte Ruf, den ich habe, schiene wohl verdient zu sein; ich solle mich schämen und –
Sie hielt mir eine sehr schöne Rede und ich sagte ihr, daß sie vollkommen recht habe. Es dauerte wenigstens noch sechs Stunden, bis wir einig waren; aber man hat ja Zeit an so einem langen Hochzeitstag.
Nur: zur Ausführung unserer löblichen Absichten gab's für uns auch nicht den Funken einer Möglichkeit in Saarbrücken. Wir waren beide sehr ideal veranlagte Menschen und das Ganze mußte hübsch romantisch eingewickelt werden, wenn's uns beiden Spaß machen sollte. Die Sache selbst war ja gewiß wichtig genug, aber ohne ein schillerndes Drum und Dran ging's nun mal nicht.
Also verabredeten wir was, als sie am nächsten Tage nach Hause fahren mußte. Ich sollte die Mosel hinunterfahren und sie von Koblenz herauf; da wollten wir uns in Traben-Trarbach treffen in dem alten Gasthof Klaus-Feist. Sie würde mir mitteilen, wann sie das möglich machen könne.
Töchter wirklich guter Familien können alles Mögliche möglich machen, wenn sie nur wollen; nach ein paar Wochen bekam ich also Nachricht, daß ich am nächsten Samstagnachmittag sie erwarten möge. Ich bin ein Mann strenger Grundsätze und halte meine Versprechungen; so fuhr ich an einem trüben Oktobertage die Saar und die Mosel hinunter und lief am Nachmittage zum Bahnhof zu jedem Zuge, der sie vielleicht hätte bringen können. Als sie auch mit dem letzten Zuge nicht kam, verschenkte ich meine Blümchen an die alte Frau, die am Bahnhof sich nützlich machte und der ich, trotzdem sie mich all die Zeit über durch freundliche Blicke eingeladen hatte, doch ihr Gemach einmal aufzusuchen, nichts zu verdienen gegeben hatte.
Wütend zog ich dann in mein Gasthaus – recht übler Laune, so wie sich das für einen versetzten Liebhaber gehört. Um das gleich zu sagen: am andern Morgen, als die Sonne lachte, bekam ich ein Telegramm, daß sie erst an diesem Tage eintreffen könne; sie kam auch und alles verlief in bester Ordnung. Aber dieses Liebesabenteuerchen hat nichts mit meiner Geschichte zu tun. Es erklärt nur, wie ich durch das Fräulein aus Wiesbaden an die Mosel kam und wie ich in Traben-Trarbach, weil sie mich einen Tag dort warten ließ, etwas erlebte, das höchst eigentümlich genannt werden darf und für das ich noch heute keine rechte Erklärung weiß.
Auf den Gesang zu persönlichem Gebrauch hab ich Zeit meines Lebens wenig Wert gelegt. Das Weib war mir, für diese Nacht wenigstens, durch die Lappen gegangen. An Wein aber konnte ich, obwohl ich vom Saarbrücker Kasino her recht verwöhnt war, hinauf und hinab Rhein, Mosel, Ruwer und Saar sicher nichts Besseres finden als im Keller Klaus-Feist zu Traben-Trarbach. Also beschloß ich, als guter Rheinländer, mich dem stillen Suff zu ergeben.
Es war gegen neun Uhr, als ich in die Gaststube trat. Am anderen Ende war noch ein runder Tisch besetzt, augenscheinlich von den Honoratioren des Städtchens; außer ihnen war ich der einzige Gast. Ich speiste also zu Abend.
Und der Wein. Ich begann mit einer Flasche Ungsberger. Dann versuchte ich Trabener Rickelsberger. Dann: Gaispfad. Es tat mir jedesmal leid, mich von der einen Sorte zu trennen – nur so lange jedoch, bis ich mit dem ersten Glase der nächsten mir den Mund gespült hatte. Aber der Hühnerberger ist so gut, daß ich nun schon bei der zweiten Flasche dieses Weinchens saß.
Da schob sich die Tür auf – heran trat ein seltsam es Gast. (Nein, lieber Setzer, nicht »r«, nicht seltsam er Gast – wirklich, es muß schon »seltsam es Gast« heißen!) Denn dieses Wesen, ob es gleich sicherlich ein Mann war und auch männliche Kleidung trug, hatte etwas merkwürdig, gradezu aufreizend Sächliches. Es war sehr klein und vogelscheuchenhaft dünn, die schwarzen Hosen und der Gehrock schienen ihm dennoch zu eng zu sein: die Hosenröhren gingen kaum über die Waden, die langen Hände starrten weit aus den Ärmeln. Das schwarze, runde, steife Melonenhütchen deckte kaum den halben Kopf, der viel zu groß auf dem dürren Hals saß; überall quollen schwarze, angegraute Haarwuscheln heraus. Das Wesen trug einen steifen, viel zu weiten und sehr schmutzigen Kragen mit einem schwarzen Schlips; die graue, verstoppelte Gesichtshaut spannte sich über die Knochen. Ein mächtiger Adamsapfel; scharf Kinn und Nase; weit abstehende Ohren; dazu schwarze, wild flackernde Augen. Und dieses Kerlchen war von oben bis unten mit Kot bespritzt, als ob es sich den ganzen Tag im Regen in den Weinbergen herumgetrieben habe. Das Seltsamste aber: von jedem Knopf des zweireihigen zerschlissenen Gehrocks hing, Kopf nach unten, ein toter Maulwurf herab, an einigen gar zwei oder drei.
Der Schankkellner schien ihn gut zu kennen. »Guten Abend, Herr Urz!« begrüßte er ihn.
Der Mensch sah ihn an, erwiderte aber den Gruß nicht. Keiner der Herrn Honoratioren, bei denen auch der Wirt saß, schien sich um ihn zu kümmern; er nahm seinen Hut nicht ab, setzte sich schweigend an einen Tisch neben mich. Eine nach der andern löste er die schwarzen Scharrmäuse von seinen Knöpfen, legte sie vor sich hin und schob sie dann alle zusammen über den Tisch.
Der Kellner nahm sie auf, zählte sie. »Neunzehn,« nickte er. »Ich werde sie anschreiben.« Er ging; kam nach einer Weile wieder und brachte dem Lumpenkerl etwas kaltes Fleisch und Käse, Butter und Brot. Dazu einen Schoppen Wein.
Der Mann aß. Erst als er das letzte Krümchen verzehrt hatte, goß er ein Glas ein und leerte es. Stellte es zurück auf den Tisch, seufzte tief. Seufzte, seufzte – eine ganze Armee von Seufzern kroch über seine blauen Lippen.
Endlich bewegten sich diese Lippen. Erst flüsterten sie, murmelten etwas. Dann wurden ganz deutliche, jammernde Worte daraus.
»Ich habe mein Äffchen verloren!« krähte der Herr Urz in hohem Diskant
Nichts mehr. Still, ohne sich zu rühren, saß er da, schlürfte langsam seinen Schoppen. Als er fertig war, brachte ihm, ohne erst zu fragen, der Kellner einen zweiten.
Ich vertiefte mich in meinen Hühnerberger; den kann kein Mensch trinken, ohne bei jedem Schluck einen Blick zum Himmel aufzutun! Und wenn man genug davon trinkt, hört man die lieben Engelchen im Himmel Hallelujah singen. Nichts störte meine stille Andacht. Langsam nur stand einer nach dem andern der Herrn Honoratioren auf, nahm Hut, Schirm und Mantel und eilte hinaus in die Nacht. Jeder einzelne wandte sich um und rief: »Guten Abend, Herr Urz!« Aber der schien das nicht einmal zu hören. Er saß und suckelte an seinem Wein. Nur zuweilen seufzte er. Und ab und zu jammerte er kläglich: »Ich hab mein Äffchen verloren!«
Es ging auf Mitternacht, als der Wirt den letzten Herrn, den Oberförster, zur Türe geleitete. Er kam dann zu mir; grade als er sich niedersetzte, klagte das stille Gast in höchsten Fisteltönen wieder von seinem verlorenen Äffchen.
All mein Ärger war längst verflogen; ich fühlte mich höchst zufrieden bei meinem Wein und wollte alle Welt auch lustig sehn. »Bring dem Herrn zwei Flaschen Hühnerberger!« rief ich dem Kellner zu. »Wenn er sein Äffchen verloren hat – will ich ihm gern ein neues kaufen. Und einen ganz großen Mordsaffen dazu, der sich morgen in den allerschönsten Kater verwandeln soll!«
Der Kellner ging; der Wirt, dem ich ein Glas vollschenkte, stieß mit mir an. »Sehn Sie,« begann er, »das war unser Küster, der Herr Urz –«
Er unterbrach sich, die Türe ging auf – ein später Gast kam herein. »Niemand mehr da?« rief er.
Der Wirt erhob sich, half ihm aus dem schweren Gummimantel. »Alle schon fort, Herr Doktor!« sagte er.
»Sauwetter draußen!« rief der Arzt. »Und die Achse gebrochen – drei Stunden zu Fuß gelaufen. Steinhäger, Herr Wirt, den Magen zu wärmen!«
Es war ein dicker Herr, Sechziger, mit grauem Barte und einem Zwicker auf der Nase. Aber kräftig und gesund; ein richtiger Landarzt, der seinen Patienten ein gutes Beispiel vorlebte. Der Wirt brachte den Schnaps; der Arzt goß ein großes Glas hinter die Binde. Gab dann dem Kellner seinen triefenden Schirm, hängte seinen Hut an den Ständer. »So und nun noch ein Schöppchen,« bestellte er, »vor dem Zubettgehn.«
»Doktor!« rief ich. »Wenn Sie mir die Ehre geben wollen?«
Der Arzt schielte auf die Flasche. »Hühnerberger!« dehnte er. »Na, Sie wissen, was gut schmeckt! Da bin ich so frei – Dr. Schmitz heiß ich.«
»Angenehm!« nickte ich. »Mein Name ist – ist –« Ich stotterte; es fiel mir im letzten Augenblick ein, daß ich dem Wirt bei meiner Ankunft einen falschen Namen angegeben hatte. Das, schien mir, gehörte durchaus zur Romantik, wenn man mit einem Fräulein ein Stelldichein hat; ich hatte also in treuer Anhänglichkeit den Namen meines Ersten Staatsanwalts ausgeborgt. »Mein Name ist Dr. Schmeißer!« schloß ich.
Er nahm Platz, nicht ohne das stille Gast zu begrüßen, vor das der Kellner grade die von mir bestellten Flaschen hinsetzte. Der Herr Urz erwiderte diesen Gruß so wenig wie einen der andern; still seufzend füllte und leerte er sein Glas.
Wir stießen an und tranken – einen ganz gewaltigen Zug hatte der Doktor. Er schaute betrübt auf die Flaschen, die neben meinem Stuhl standen und ohne ihn leergeworden waren. »Das muß ich nachholen!« lachte er. Und das tat er auch – gründlich.
Wieder ließ der Herr Urz, schrillhoch, seinen Klageruf tönen:
»Ich hab mein Äffchen verloren!«
»Sagen Sie mir doch, meine Herrn,« bat ich, »was ist's denn eigentlich mit ihm? Hat der arme Kerl wirklich ein Äffchen gehabt, das ihm fortlief und dem er nun nachtrauert?«
»Nie hat er eins gehabt!« sagte der Wirt.
»Doch hat er eins gehabt!« sagte der Doktor. »Aber erzählen Sie nur, Klaus, erzählen Sie, ich werde nachher schon meinen Senf dazu tun.«
»Es ist gar nichts besonders,« meinte der Wirt. »Der Urz war eben Küster bei uns; leitete den Knabenchor in der Kirche, sang sehr schön selbst mit Dazu trat er den Blasebalg der Orgel; verrichtete alle Küsterpflichten dreißig Jahre lang zur vollsten Zufriedenheit des Herrn Pfarrers und der Gemeinde. Ein bißchen wortarm und menschenscheu war er ja stets – nur am Samstagabend kam er hierher, setzte sich still an seinen Tisch und trank sein Schöppchen. Dann, ganz plötzlich, vor etwa drei Jahren, erwachte er eines Tages mit dem fixen Gedanken, daß er sein Äffchen verloren habe. Nichts anders hatte er mehr im Sinn, als diese wilde Idee. Er vernachlässigte all seine Pflichten; es war unmöglich, ihn länger als Küster zu behalten. Die Gemeinde bewilligte ihm ein kleines Ruhegehalt. Immer tiefer bergab ging's mit ihm – nun treibt er sich tagsüber die ganze Woche lang in den Weinbergen herum und fängt Maulwürfe. Die bringt er mir dann her; ich kauf sie ihm ab – Maulwurfsfelle werden ja gut bezahlt heute.«
»Fertig?« rief der Doktor und hielt sein Glas hin, um bei der neuen Flasche nicht zu kurz zu kommen. »Nun, lieber Herr, so sieht's der Laie an. Mir, dem Arzt, liegt der Fall ein wenig anders. Sehn Sie – der Herr Urz hatte wirklich eine sehr hohe Stimme; daß er mit Leichtigkeit das hohe »C« sang, ist ganz sicher. Ich bin nicht sehr musikalisch gebildet – aber ich habe mir sagen lassen, daß es mal einen berühmten Sänger – Farinelli – gegeben habe, der zweieinhalb Töne darüber das hohe »F« habe singen können. Ich habe nun den Urz vor manchen Monaten behandelt – die Lungenentzündung hatte er – und es hat mich große Mühe gekostet, ihn wieder auf die Beine zu bringen. Ich habe bei der Gelegenheit ein wenig seine Psyche kennen gelernt. Ich glaube, daß er, wie weiland der weltberühmte Farinelli, das hohe »F« singen konnte. Das ging nun eines schönen Tages nicht mehr und damit bekam sein Leben einen Riß: der Herr Urz ist untröstlich, weil er sein »F«chen verlor!«
»Das ist aber doch sehr merkwürdig!« begann ich. »Erlauben Sie mal –«
»Gar nicht merkwürdig!« unterbrach der Wirt. »Es geht alles mit rechten Dingen zu.«
»Doch sehr merkwürdig!« rief der Doktor und gab dem Wirt einen tüchtigen Rippenstoß. »Es geschehen seltsame Dinge im Moseltale. Warum dem Herrn nicht die reine Wahrheit sagen, Klaus? War das Geschehnis der beiden Schneidermamsellen nicht auch sehr merkwürdig?«
»Welcher Schneidermamsellen?« fragte der Wirt. Aber der Arzt gab ihm einen zweiten Rippenstoß und trat ihm dazu auf den Fuß. Da nickte der Wirt und sagte kleinlaut: »Ja, ja – natürlich! Ja – gewiß!« Er zog eine neue Flasche auf und füllte die Gläser.
»Was ist's mit den Schneidermamsellen?« fragte ich.
Der Arzt erzählte: »Zwei Schwestern waren es, Zwillinge dazu, alte Jungfern. Sie hatten ihr Geschäft von der Mutter geerbt und es ging ganz gut. Sehr tüchtig waren sie; arbeiteten für alle Damen der Stadt. Jeder mochte sie gerne; Elisabeth hieß die eine und die andere Charlotte, aber man nannte sie nur die Schneiderlili und die Schneiderlolo. Und nun stellen Sie sich vor, lieber Herr, am Dreikönigstage vor nun sieben Jahren verloren die Lili und die Lolo ihre Ellen! Erinnern Sie sich noch, Klaus?«
»Natürlich erinnere ich mich!« bekräftigte der Wirt.
»Vier Ellen hatten sie,« fuhr der Doktor fort, »Sie müssen wissen, daß man bei uns auch heute noch nicht mit Metern, sondern mit Ellen mißt. Jede hatte zwei Ellen – zwei die Lili und zwei die Lolo. Und die waren fort, die vier Ellen – einfach fort über Nacht! Wie kann man ein Schneidergeschäft führen ohne Ellen?«
»Ja, aber,« versuchte ich, »warum kauften sie –«
»Warten Sie nur,« rief der Doktor, »das ist noch nicht alles! Um diese Zeit war der dicke Weinhändler Rappapport aus Köln da, der hörte von der Geschichte. Und bei einer Weinprobe – hier an dem Tische, an dem Sie jetzt da sitzen, lieber Herr – erklärte er, daß er den beiden armen Mädchen helfen wolle. Vier Ellen könne er ihnen zwar nicht geben, da er keine habe. Aber er habe vier Péchen und die wolle er ihnen schenken!«
Ich trank meinen Wein aus, ganz wirr wurde mir im Kopfe. »Was wollte er ihnen geben?« fragte ich.
»Vier Péchen!« wiederholte der Doktor. »Alle vier, die er hatte! Er hieß doch Ra ppapport, nicht wahr, Klaus?«
»Gewiß! Ra ppapport hieß er!« bekräftigte der Wirt.
»Und nun stellen Sie sich vor,« fuhr der Arzt fort, »welch Geklatsch und Gelächter das in unserm Städtchen gab! Denken Sie scharf nach, lieber Herr: die Lili und die Lolo hatten ihre Ellen verloren, liefen ohne Ellen in der Welt herum, nackt und bloß, die armen Wesen! Und dafür wollte nun der Kölner ihnen seine vier Péchen anhängen, jeder zwei – was wäre draus entstanden? Der reine Hohn war es! Die armen Dinger weinten sich fast die Äuglein aus, wagten kaum mehr sich auf der Straße sehn zu lassen. Schließlich zogen sie fort, kamen immer mehr herunter. Was ist aus ihnen geworden? Irgendwo im Hessischen sind sie gestorben!«
»Aber, lieber Doktor,« versuchte ich, »das ist alles doch nur ein Witz! Wenn die –«
»Ein Witz?« johlte der Arzt. »Ein Witz? Trinken Sie, trinken Sie, lieber Herr, damit unser guter Wein Ihrem Geiste mehr Klarheit verleiht! Das ist eben das seltsame Verhängnis unsrer Stadt, daß solche Witze bei uns zu tragischen Wirklichkeiten werden – jeden Tag kann so etwas geschehn bei uns! Stelln Sie sich nur vor, Herr Dr. Schmeißer, daß Ihnen einmal ähnliches widerfahren würde! Sie haben eine mächtige Zeche heute Abend und mit Gottes und unserer Hilfe wird sie noch höher werden – prosit, lieber Herr! Das wird manches schöne Emmchen kosten, was, Klaus? Und nun überlegen Sie, was geschehn könne, wenn Ihnen dieser unerbittliche Wirt auch das letzte, ich betone ausdrücklich, das allerletzte Emmchen kaltblütig wegnehmen würde? Ich frage, Herr Doktor Sch meißer – was würde ohne dies Emmchen aus Ihnen werden?«
»Hören Sie auf,« rief ich, »um aller lieben Heiligen willen hören Sie auf! Ich will es nur gestehn: ich heiße gar nicht Dr. Schmeißer! Ich habe den Namen nur ins Fremdenbuch geschrieben, weil – weil ich – inkognito reise!«
»Freuen Sie sich, lieber Herr Inkognito,« lachte der Doktor, »daß es so ist und daß Sie diesmal der Gefahr entronnen sind! Sie werden zur Strafe noch ein paar Flaschen kommen lassen und dabei lernen, wie furchtbar das Schicksal der Schneidermamsellen war und das des armen Herrn Urz noch ist.« Er wandte sich um, trank dem stillen Gast zu und rief: »Wer war der beste Orgelblasebalgtreter der Stadt?«
»Ich! Ich!« jammerte der Urz. »Aber nun hab ich mein Äffchen verloren! Ich kann keinen Wind mehr machen!«
»Nein, nein,« meinte der Doktor, »das geht nun leider nicht mehr!«
»Er pfeift auf dem letzten Loch!« fügte der Wirt hinzu.
»Das Schicksal unsrer armen Stadt!« sagte der Arzt und bekreuzte sich. »Aber wir wollen von heiteren Sachen reden – nichts mehr davon. Trinken Sie, lieber Herr, trinken Sie!«
* * *
Ich habe nicht viel Erinnerung daran, was weiter geschah – nur daß die beiden mich später die Treppen hinauftrugen, auszogen, zu Bett brachten.
Aber am andern Tage schien die helle Oktobersonne ins Moseltal. Gar keinen Jammer hatte ich – und dann kam auch bald das hübsche Fräulein aus Wiesbaden. Da vergaß ich das seltsame Verhängnis, das über Traben-Trarbach schwebte, und dies stille Gast, den Herrn Urz, dem die Maulwürfe von seinen Gehrockknöpfen baumelten.