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Assessor von Oetting vertrat heute vor der II. Strafkammer des Kgl. Landgerichts die Staatsanwaltschaft. Er war vor den Richtern im Saale – die Staatsanwaltschaft, die Kavallerie der Justiz, ist immer zuerst auf dem Platze. Er wartete ein wenig ungeduldig.
Dann nahm er die Rolle der heutigen Sitzung.
»Sieben Sachen – hm – da kann ich um 12 Uhr beim Frühschoppen sein!«
Der Frühschoppen würde ihm sehr gut tun, er hatte einen mächtigen Brummschädel. Keinen Bissen hatte er heute morgen herunterkriegen können. Wenn er nur erst beim Kaviar säße.
Die Richter kamen noch immer nicht. Oetting wurde melancholisch. Die ewigen Strafkammersitzungen, Herrgott! wie langweilig. Immer dasselbe, immer dasselbe. Es war gerade, als ob die Leute Verbrechen begingen, nur damit er vier Vormittage in der Woche in diesem jammervoll gelüfteten Saale zubringen sollte.
Zu dumm!
Er blätterte in den Akten. Warum nur das Volk so unbändige Freude daran hatte, alles und alle zu denunzieren? Und warum diese Leute sich auch immer erwischen ließen! Würde er, Oetting – gesetzt den Fall, er habe einmal ein Verbrechen begangen – sich jemals erwischen lassen?! Ah, so blau –
Er lachte.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er wollte doch mal nachdenken, ob er vielleicht schon mal eins dieser »Verbrechen« begangen habe – oder so was Ähnliches. Also:
Bieder, Theobald, Kanalarbeiter – Ruhestörender Lärm, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beamtenbeleidigung.
Natürlich, Theobald Bieder war gründlich betrunken gewesen nach der Kirmes; er hatte gejohlt und geschrien, daß die Häuser wackelten. (»Der Flegel!«) Ein paar Polizisten ermahnten ihn zur Ruhe. (»Prächtig – ermahnten ihn zur Ruhe. Mit rührender Sanftmut, wie immer!«) Aber Theobald Bieder verstand die wohlmeinende Absicht der Beamten falsch und begann zu schimpfen und zu schlagen. Bieder behauptet freilich, die Schutzleute hätten ihn zuerst geschlagen – und zwar gründlich. (»Armer Theobald, das wird dir wenig nützen!«)
Oetting schmunzelte. Na, das war ihm nun auch schon ein paarmal vorgekommen. Erst neulich, am Kaisersgeburtstag! Da hatten er und der Leutnant v. Willmer in alter Studentenerinnerung einen Schutzmann so windelweich durchgeprügelt, daß er tagelang kaum laufen konnte. Allerdings hatten sie ihm dann jeder ein Zwanzigmarkstück geschenkt.
Was er wohl beantragen sollte? Der Kerl war zweimal vorbestraft wegen Bettelei – bah – sechs Monate!
Stier, Franz, Knecht – Notzucht.
Franz Stier war noch nicht 18 Jahre, als die Sache geschehn war, vor nun zwei Jahren. Draußen im Feld, wo er mit einer Stallmagd Gras mähte. Nachher hatte er mit der Magd lange Zeit ein Verhältnis; sie zeigte ihn an, als er dieses abbrach. Die Sache war ein wenig zweifelhaft. Stier leugnete die Gewalt, und der Ruf der Magd war nicht der beste. Auch hatte Stier einen guten Verteidiger und der Vorsitzende war ein wenig skeptisch in derlei Notzuchtprozessen.
Notzucht? Hm – freilich, so ganz glatt war sein erstes Abenteuer mit der kleinen Elly auch nicht abgelaufen. Das fünfzehnjährige Puttchen war ja aus – verhältnismäßig! – ganz anständiger Familie, und trotz dem Wein, den er ihr gegeben hatte, schrie sie wie besessen, und wehrte sich mit Händen und Füßen. Aber später war sie dann ja recht gern zu ihm gekommen. – Wo sie jetzt wohl sein mochte? Irgendwo in einem Bordell –
Lieblich, Emilie, Witwe, ohne Gewerbe – Kuppelei.
Eine Zimmervermieterin, natürlich. Und eine Denunziation, ebenso natürlich. Die würde dem Gericht mal wieder brav was vorheulen!
Himmel, wenn er an all seine Wirtsleute dachte, von gestern und heute! Da könnte man ja schließlich alle Vermieterinnen der ganzen Welt einstecken.
Stöpsler, Heinrich, Redakteur – Majestätsbeleidigung, Beleidigung von Behörden usw.
Die Sache war klipp und klar. Zwar würde der Verteidiger wohl eine Stunde lang reden und der Herr Redakteur ebenso lange – wozu? Er, Oetting, brauchte da nur ein paar Worte zu sagen. Harmlos war der Artikel ja schließlich, aber immerhin –
Da hatten sie sich doch neulich im Ulanenkasino ganz andere Mätzchen erzählt. Ein wenig perfid freilich, aber verdammt ulkig. Er freute sich noch in Gedanken über sein famoses Wortspiel: –
Der Verleger bedauert, diesen wirklich guten Witz des Herrn Assessors den Lesern vorenthalten zu müssen, alldieweil er nur ein harmloser Verleger und kein Staatsanwalt ist.
Anm. des Verlegers.
Dummhart, Anna, Ehefrau, und Dummhart, Jakob, Hausierer – Vergehen gegen § 218 St.-G.-B.
Wie dezent der Gerichtsschreiber doch ist! Er schreibt auf die Rolle: Vergehn gegen § 218 St.-G.-B. – das ist genug für das Publikum! Von Abtreibung braucht man nichts zu wissen. Das Ehepaar Dummhart hatte bereits acht Kinder, aber keinen Pfennig Geld. Nun sollte ein neuntes kommen – noch mehr Elend. Da gab eine gute Nachbarin den Dummharts den Rat, sich einen Tee zu kochen aus allem möglichen Unsinn. Der Tee half nun gar nichts und das Neunte kam so gesund zur Welt, wie auch die andern acht. Aber Dummharts bekamen ein Jahr darauf mit der guten Nachbarin Streit und diese machte Anzeige.
Versuch mit untauglichen Mitteln – strafbar laut Reichsgerichtsentscheidung! Da ist nichts zu machen – zwei Jahre Gefängnis!
Wie die Leute doch dumm sind! Wenn ihm, Oetting, alle Kinder zur Welt gekommen wären – Schockschwerenott Freilich der »Rat und die sichere Hilfe« kosten immer ein wenig Geld!
Hammel, Wilhelm, Maurer – Vergehn gegen § 172 St.-G.-B. (Ehebruch).
Zu dem Verbrechen war Hammel gekommen, wie die Jungfer zum Kind. Die liederliche Frau seines Zimmernachbars war eines Nachts zu ihm gelaufen, um sich vor den Hieben ihres Mannes zu flüchten. Sie hatten dann zusammen geschlafen und waren am andern Morgen im schönsten Schlummer gefunden worden. Und der Ehemann, der seine Frau schon lange los sein wollte, benutzte die gute Gelegenheit und leitete Ehescheidung ein; glatt wurde diese ausgesprochen. Aber der glücklich Geschiedene hatte damit noch nicht genug, er beantragte Verfolgung des Ehebrechers laut § 172 St.-G.-B.
Gottseidank, brummte Oetting, daß nicht alle Ehemänner bei jedem kleinen Ehebruch geschieden sein wollen und daß nicht alle Hahnreie noch obendrein Anträge stellen. Man käme ja aus dem Gefängnis gar nicht mehr heraus!
Mayer, Isidor, Bankier – Betrügerischer Bankerott.
Den Mayer kannte er. Ein schmutziger Kerl, aber sonst ein ganz umgänglicher Mensch, der einem schon einmal behilflich war. Schaaade! Mayer tat ihm leid. Aber die Geschichte konnte so schlimm nicht sein. Auch würde Rechtsanwalt Dr. Knifflich schon sein Bestes tun.
Betrügerischer Bankerott? Nein! In der Beziehung fühlte sich Oetting vollständig rein – außer beim Faro hatte er noch nie eine Bank gehabt.
Die Sitzung ging ziemlich schnell zu Ende, schon um 12 ½ Uhr saß Oetting im Monopol und aß seinen Kaviar.
»Na, jeht's Jeschäft?« fragte der Rittmeister.
»Wie jeschmiert!« lachte Oetting. »Verdammtes Jlück gehabt heute, alle meine Anträge sind durchjegangen! Bieder 6 Monate Gefängnis, Stier 3 Jahre Zuchthaus, Lieblich 5 Wochen Gefängnis, Stöpsler 3 Jahre 2 Monate Gefängnis, Ehepaar Dummhart je 2 Jahre und Wilhelm Hammel 4 Monate! Juter Rekord, was? Zusammen 3 Jahre Zuchthaus, 8 Jahr 1 Monat 1 Woche Gefängnis!«
»Na, und der Jude Mayer? War nicht seine Sache auch heute vor?«
»Freijesprochen, Rittmeister, freijesprochen! Dr. Knifflich hat famos jeredet! War nichts dran an der Geschichte: viel Jeschrei und wenig Wolle!«
Und Oetting kaute weiter, daß ihm das geröstete Brot nur so knirschte zwischen den Zähnen.